BT-Drucksache 16/6417

Monitoring zu den Auswirkungen von Studiengebühren

Vom 15. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6417
16. Wahlperiode 15. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Priska Hinz (Herborn),
Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Monitoring zu den Auswirkungen von Studiengebühren

Im vergangenen Wintersemester 2006/07 sind die Studienanfängerzahlen im
dritten Jahr in Folge zurückgegangen. Die Studienanfängerquote ist damit auf
35,7 Prozent im Jahr 2006 gesunken, nachdem sie unter der rot-grünen Bundes-
regierung bis auf 38,9 Prozent gestiegen war. Die Entwicklung der Studienan-
fängerzahlen steht damit in einem eklatanten Widerspruch zur – zuletzt in der
Nationalen Qualifizierungsoffensive bekräftigten – Zielsetzung der Bundes-
regierung, 40 Prozent eines Altersjahrgangs an die Hochschulen zu führen und
damit die Zahl der Absolventinnen und Absolventen zu steigern.

Die Annahme liegt nahe, dass die sinkenden Studienanfängerzahlen vor allem
auf den Studienverzicht von Studienberechtigten aus einkommensschwächeren
und armen Familien zurückzuführen sind. In diese Richtung deuten auch die
Ergebnisse der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Die Einfüh-
rung von Studiengebühren in mittlerweile sieben von 16 Bundesländern könnte
für die sinkende Studierneigung von einkommensschwächeren Schichten ein
wesentlicher Grund sein. Damit würde sich die immer wieder vorgebrachte
Befürchtung einer abschreckenden Wirkung von Studiengebühren bestätigen.
Dieser Abschreckungseffekt von Studiengebühren – so die weitere Annahme –
lässt sich durch die Einführung von Studienkrediten nicht kompensieren, weil
gerade Studienberechtigte aus einkommensarmen Familien einer Verschuldung
durch Studiengebührendarlehen besonders ablehnend gegenüberstehen.

Es ist sowohl ein Gebot der Chancengerechtigkeit als auch – angesichts des
akuten und prognostizierten Fachkräftemangels – ein Erfordernis der ökonomi-
schen Vernunft, möglichst frühzeitig neue Zugangshürden auf dem Weg zur
Hochschulbildung zu erkennen und zu beseitigen. Daher sind empirische Erhe-
bungen und ein kontinuierliches Monitoring zu den Wirkungseffekten von Stu-
diengebühren für ein zukunftsorientiertes wirtschafts-, arbeitsmarkt-, sozial-
und hochschulpolitisches Handeln unabdingbar.

Auch für die Rechtsprechung ist das Vorliegen von Daten zu möglichen Ab-
schreckungseffekten von Studiengebühren zwingend erforderlich: Das Bundes-

verfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil zur Novelle des Hochschul-
rahmengesetzes vom 26. Januar 2005 betont, dass es Aufgabe der Länder sei,
Chancengleichheit – durch Beachtung des Sozialstaatsprinzips und des
Gleichheitssatzes – zu gewährleisten, sollten sie Studiengebühren einführen.
Ausdrücklich hat das BVerfG die Erwartung formuliert, dass die Länder bei
Einführung von Studiengebühren den Belangen einkommensschwacher Bevöl-
kerungskreise angemessen Rechnung tragen.

Drucksache 16/6417 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

In seiner Urteilsbegründung hat das BVerfG darüber hinaus festgestellt, dass
nicht ausgeschlossen werden könne, dass Einzelne durch Studiengebühren
unausweichlich und in überdurchschnittlichem Maße belastet würden. Es hat
darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Urteilssprechung die Möglichkeit
derartiger Fälle nicht näher quantifiziert werden könne und dies daher „zumin-
dest derzeit“ kein Eingreifen des Bundesgesetzgebers zur Herstellung gleich-
wertiger Lebensverhältnisse rechtfertige. Wenn sich jedoch gegenteilige Ent-
wicklungen konkret abzeichnen, sei ein Eingreifen gerechtfertigt (vgl. Urteil,
u. a. Randziffer 72, 81).

Damit hat das BVerfG klare Vorgaben formuliert, denen Studiengebühren bei
einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten müssen. Wann ein Eingreifen
des Bundesgesetzgebers gerechtfertigt ist, hängt demnach von den empirisch zu
beobachtenden Auswirkungen von Studiengebühren ab. Deshalb kommt einem
regelmäßigen und konsequenten Monitoring eine große Bedeutung zu. Dieses
Studiengebührenmonitoring muss im Rahmen der Bildungsforschung durch
den Bund geleistet werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer frühzeitigen, umfassen-
den und kontinuierlichen Evaluation der Auswirkungen von Studiengebüh-
ren insbesondere auf Studienneigung bzw. Studienverzicht?

Falls nein, warum nicht?

2. Welche Daten zum Zusammenhang von Studienneigung und Studienver-
zicht einerseits und Studiengebühren andererseits liegen der Bundesregie-
rung aus den mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung (BMBF) von der Hochschul-Informationssystem
GmbH (HIS) durchgeführten Studienberechtigten-Untersuchungen vor?

3. Welche diesbezüglichen Daten liefert die HIS-Studie „Studienberechtigte
2004 – Übergang in Studium, Ausbildung und Beruf“?

a) Welche Daten liefert die o. g. Studie zu den potenziellen Abschreckungs-
effekten von Studiengebühren in Abhängigkeit vom Geschlecht, der so-
zialen Herkunft und dem Migrationshintergrund der Studienberechtigten
(bitte einzeln aufschlüsseln)?

b) Welche diesbezüglichen Daten wurden veröffentlicht?

c) Welche diesbezüglichen Daten wurden bisher nicht veröffentlicht?

Warum nicht?

4. Welches Erhebungskonzept wurde bei der zweiten HIS-Studienberechtigten-
befragung 2005 mit dem thematischen Schwerpunkt des Einflusses von Stu-
diengebühren auf die Studienpläne gewählt, um den Zusammenhang von
Studienverzicht auf die Studiengebühren zu untersuchen?

Welche Gründe gab es für diese Entscheidung?

a) Welche Daten liefert die o. g. Studie zu den potenziellen Abschreckungs-
effekten von Studiengebühren in Abhängigkeit vom Geschlecht, der so-
zialen Herkunft und dem Migrationshintergrund der Studienberechtigten
(bitte einzeln aufschlüsseln)?

b) Welche diesbezüglichen Daten wurden veröffentlicht?

c) Welche diesbezüglichen Daten wurden bisher nicht veröffentlicht?

Warum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6417

5. Welches Erhebungskonzept wurde für die HIS-Studienberechtigtenbefra-
gung 2006 gewählt?

Welche Gründe gab es für diese Entscheidung?

a) Welche Daten liefert die o. g. Studie zu den potenziellen Abschreckungs-
effekten von Studiengebühren in Abhängigkeit vom Geschlecht, der so-
zialen Herkunft und dem Migrationshintergrund der Studienberechtigten
(bitte einzeln aufschlüsseln)?

b) Welche diesbezüglichen Daten wurden veröffentlicht?

c) Welche diesbezüglichen Daten wurden bisher nicht veröffentlicht?

Warum nicht?

6. In welcher Form soll die Frage der Auswirkungen von Studiengebühren in
den zukünftigen HIS-Studienberechtigtenbefragungen untersucht werden?

Wann werden diesbezügliche Ergebnisse veröffentlicht?

7. Liegen der Bundesregierung aus anderen Studien Daten zur Frage der Ab-
schreckungseffekte von Studiengebühren vor?

Wenn ja, aus welchen Studien liegen welche Ergebnisse vor?

8. Welche Daten und Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Ver-
drängungseffekte von Studiengebühren vor, durch die Studienberechtigte
anstelle eines Studiums eine berufliche Ausbildung beginnen, d. h. wodurch
sie niedriger qualifizierte Absolventinnen und Absolventen der Sekundar-
stufe I im System der beruflichen Bildung verdrängen?

9. Mit welchen Untersuchungen beabsichtigt die Bundesregierung, Daten zu
den Zusammenhängen von Studiengebühren und

a) Studienverzicht,

b) Entwicklung der sozialgruppenspezifischen Bildungsbeteiligung,

c) Studienabbruch,

d) Finanzierungssituation der Studierenden,

e) Verschuldungssituation der Studierenden,

f) innerdeutsche Mobilität der Studierenden,

g) Studienfachwahl,

h) Hochschulwahl,

i) Beratungsbedarf der Studierenden,

j) Entwicklung der Nachfrage nach Krediten,

k) internationale Attraktivität Deutschlands als Studienland,

l) der sozialen und wirtschaftlichen Situation ausländischer Studierender,

m)der sozialen und wirtschaftlichen Situation von Studierenden in beson-
deren Lebenslagen, z. B. Studierende mit Behinderung, Studierende mit
Kind, Studierende mit pflegebedürftigen Angehörigen

zu erfassen?

10. Welches regelmäßige Monitoringsystem will die Bundesregierung auf-
bauen, um die Wirkungseffekte von Studiengebühren umfassend zu erfas-
sen?

a) Wann wird die Bundesregierung ein entsprechendes Konzept vorlegen?
b) Wann wird die Bundesregierung entsprechende Studien beauftragen?

Drucksache 16/6417 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
c) Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen?

d) Wann und wie wird die Bundesregierung das Parlament über die Ergeb-
nisse unterrichten/informieren?

11. Welche Monitoringsysteme der Bundesländer, die bislang Studiengebüh-
ren eingeführt haben, sind der Bundesregierung bekannt?

a) Welche Ergebnisse sind aus den Monitoringsystemen der Länder her-
vorgegangen?

b) Wie bewertet die Bundesregierung diese Ergebnisse?

Berlin, den 15. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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