BT-Drucksache 16/6394

Fehlende Verbraucherschutzregeln und Rechtsunsicherheiten im Telemediengesetz beseitigen

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6394
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Antrag
der Abgeordneten Grietje Bettin, Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz,
Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn),
Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fehlende Verbraucherschutzregeln und Rechtsunsicherheiten
im Telemediengesetz beseitigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag hat im Januar 2007 das Telemediengesetz mit dem Ziel
einer Neuordnung der Medienordnung beschlossen. Auf dem Weg zur Moderni-
sierung des Internetrechts wird mit dem Gesetz jedoch lediglich eine Teilstrecke
zurückgelegt.

Das Telemediengesetz regelt zentrale rechtliche Anforderungen für Telemedien.
Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die wirtschaftlich orientierten Rege-
lungen zur Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie, die zuvor im Teledienste-
gesetz (TDG) und im Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) der Länder fest-
gehalten waren. Die durch die Schaffung des Telemediengesetzes vollzogene
Zusammenführung der Regelwerke für Tele- und Mediendienste wird vom deut-
schen Bundestag begrüßt.

Die Gestaltung des Telemediengesetzes weist jedoch erhebliche Defizite auf.
Das Gesetz enthält praxisferne und fragwürdige Regelungen, welche die beste-
henden Rechtsunsicherheiten keineswegs beheben: So hat es die Bundesregie-
rung versäumt, eine Legaldefinition des Begriffs „Telemedien“ in das Gesetz
aufzunehmen. Eine dem Gebot der Normenklarheit entsprechende Zuordnung
der einzelnen Dienste hat sich in der Praxis demnach als schwierig erwiesen,
denn es herrscht weiterhin Unklarheit darüber, welche Dienste dem Rundfunk
und welche den Telemedien zuzuordnen sind. Ebenso ignoriert die im Tele-
mediengesetz vorgenommene Unterscheidung zwischen Telemedien und
Rundfunk die europäische Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, die eine
Unterscheidung in lineare und non-lineare audiovisuelle Dienste vorsieht.

Die öffentliche Anhörung am 11. Dezember 2006 im Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie hat diese Missstände verdeutlicht. Diese wurden zudem seitens
der Regierungskoaltion sogar selbst eingeräumt. Begründet wurde dieses be-

denkliche Verfahren mit dem Zeitdruck, der durch das Inkrafttreten des 9. Rund-
funkänderungsstaatsvertrages bestanden habe. Vertreter der Regierungskoaltion
kündigten jedoch an, die Novellierung des Telemediengesetzes unmittelbar nach
Inkrafttreten auf den Weg zu bringen.

Das Telemediengesetz weist aber nicht allein erhebliche Rechtsunsicherheiten
auf. In der Sache vernachlässigt es auch den Verbraucherschutz im Internet: Die
im Telemediengesetz geschaffenen Regelungen zur Vermeidung von Spams

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sind allenfalls ein erster Schritt, gehen aber die bestehenden Probleme nur halb-
herzig an. Die Versendung von Spammails wird zwar als Ordnungswidrigkeit
geahndet, allerdings greift diese Sanktion lediglich bei einer Verschleierung des
Betreffs oder des Absenders.

Unerwünschte Werbung fügt dem Empfänger in jedem Fall einen Schaden durch
persönlichen Zeitaufwand und die unnütze Belegung von Speicherkapazitäten
zu. Das Versenden von kommerzieller Werbung, die der Empfänger nicht aus-
drücklich verlangt hat (Verstöße gegen die bestehende Opt-In-Regelung im
UWG), sollte von daher unabhängig davon, ob die Betreffzeile oder der Absen-
der verschleiert ist als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Sinnvoll wäre zu-
dem die Einführung einer einheitlichen Kennzeichnung von Werbung. Nur dann
ist gewährleistet, dass sie klar als kommerzielle Kommunikation zu erkennen
ist.

Ebenso wurde im Gesetz versäumt, eine für die Verfolgung von Ordnungswid-
rigkeiten zuständige Verwaltungsbehörde zu benennen. Die bestehende Vor-
schrift erweist sich damit in der Praxis als überaus schwierig. Aus Sicht des
Deutschen Bundestages ist eine Zuständigkeit der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen erforderlich, weil
Spams länderübergreifend verschickt werden. Nur die Bundesnetzagentur kann
die notwendige Verfolgung über Ländergrenzen hinweg durchführen. Durch die
den Ländern überlassende Verfolgung der Spammer besteht wegen der verschie-
denen Zuständigkeiten die Gefahr, dass die Verfolgung nicht ausreichend abge-
stimmt und damit ineffizient ist. Zum anderen ist davon auszugehen, dass in den
Behörden der Länder finanzielle und personelle Engpässe bestehen, die eine
wirksame Verfolgung unmöglich machen. Die Bundesnetzagentur verfügt im
Gegensatz zu den Länderbehörden über den notwendigen Sachverstand, da
diese Behörde nach dem Telekommunikationsgesetz bereits für das Vorgehen
gegen die rechtswidrige Nutzung von Rufnummern (Telefon-Spamming) zu-
ständig ist.

Der Datenschutz im Telemediengesetz weist erhebliche Mängel auf. Es ist eine
weit verbreitete Praxis, dass Verbraucherinnen und Verbraucher erst nach Ein-
gabe umfassender persönlicher Daten und nach Einwilligung in die Zusendung
von Werbe-E-Mails bestimmte Dienste nutzen dürfen. Dieses Verfahren ist für
Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger zumutbar. Ein uneingeschränk-
tes Kopplungsverbot würde diesen Missstand beseitigen.

Um Nutzerinnen und Nutzer im Internetzeitalter besser zu schützen und den Ge-
brauch von Telemedien verbraucherfreundlich zu gestalten, wäre es zudem drin-
gend notwendig gewesen, sich für einen einheitlichen Datenschutz bei den Rund-
funk-, den Telekommunikations- und den Telemedien zu entscheiden. Anbieter
sowie Nutzerinnen und Nutzer werden sich weiterhin mit unterschiedlichen Be-
stimmungen abfinden müssen, wenn der Gesetzgeber keine Abhilfe schafft.

Bedenklich ist die im Gesetz getroffene Regelung, die es der Polizei und den Ge-
heimdiensten des Bundes und der Länder ermöglicht, bei den Diensten bereits
zur vorbeugenden Gefahrenabwehr auf persönliche Daten zuzugreifen. Die un-
begrenzte Verwendung von Bestandsdaten zur Gefahrenabwehr im Bereich der
Vorbeugung stößt auf durchgreifende datenschutzrechtliche Vorbehalte und
wird vom Bundestag abgelehnt. Die Regelung ist zum einen nicht hinnehmbar,
weil sie keine Voraussetzungen an die Herausgabe knüpft. Zum anderen führt
eine derartige Ermächtigung für die Polizei der Länder zu einer uferlosen
Zweckentfremdung personenbezogener Daten. Es fehlt die richterliche Kon-
trolle der Maßnahmen und damit ein elementarer Schutz der Bürgerrechte. Die
Überwachungsspirale dreht sich zudem immer weiter. Im Entwurf des neuen
Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das

Bundeskriminalamt wird auch dieser Bundesbehörde das Recht eingeräumt, von

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den Anbietern die Herausgabe von Bestandsdaten zu verlangen. Hier steht eine
erneute Verschärfung des Telemediengesetzes an.

Der Deutsche Bundestag bemängelt grundsätzlich, dass die Bundesregierung
Aufklärungsmaßnahmen für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Gestal-
tung des Telemediengesetzes vernachlässigt hat. Hier sind wesentlich höhere
Anstrengungen erforderlich, um Verbraucher über ihre Rechte aufzuklären, un-
gewollte Fehlentwicklungen auf dem Telemedienmarkt transparent zu machen
und Verbraucherinformationen bundesweit zugängig zu machen. Speziell für
Spam-Vorgänge fehlen allgemein bekannte, dauerhaft arbeitende Beschwerde-
stellen für Verbraucher.

Das Telemediengesetz weist ebenso Mängel in Fragen der Haftung auf, die ins-
besondere für die Internetwirtschaft Probleme nach sich ziehen. Eine klarstel-
lende Formulierung bezüglich der Haftung für fremde Inhalte von Dienste- und
Suchmaschinenanbietern wurde im vorliegenden Telemediengesetz versäumt.

Die bestehenden Haftungsregelungen für Forenbetreiberinnen und Forenbetrei-
ber haben durch sehr unterschiedliche Rechtsprechungen (z. B. Entscheidung
des Landgerichts Hamburg im Fall des Heise-Zeitschriftenverlags) für Verwir-
rung gesorgt. Dabei sprechen die Haftungsregelungen des Telemediengesetzes
auf den ersten Blick eine deutliche Sprache: Diensteanbieter haften nur dann für
rechtswidrige „fremde“ Information, wenn diese ihnen bekannt und eine Be-
seitigung zumutbar ist. Bislang große Unsicherheit herrscht bei den Such-
maschinenbetreibern, die immer wieder aufgefordert werden, bestehende Links
zu entfernen. Suchmaschinenbetreiber bieten wie Access- und Host-Provider
keine eigenen Inhalte an, sondern machen Inhalte Dritter auffindbar, indem sie
auf diese verlinken. Die große Menge an verlinkten Webseiten macht eine ma-
nuelle Überprüfung einzelner Links und deren Inhalte unmöglich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das zuständige Ministerium für Wirtschaft und Technologie zu beauftragen,
einen novellierten Gesetzentwurf vorzulegen, der die Mängel der bestehen-
den Regelungen behebt;

2. eine positivrechtliche Definition von Telemedien im Gesetz festzuhalten, die
definitorischen Unklarheiten des Gesetzeswortlauts in der Form auszuräu-
men, dass eine eindeutige Zuordnung von Diensten zum Bereich der Tele-
medien, Telekommunikationsdiensten und dem Rundfunk ermöglicht wird
und sich bei der Überarbeitung des Gesetzes an der europäischen Richtlinie
über audiovisuelle Mediendienste zu orientieren;

3. das Zusenden von kommerzieller Werbung, die der Empfänger nicht aus-
drücklich verlangt hat, grundsätzlich als Ordnungswidrigkeit im TMG zu
ahnden, unabhängig davon, ob der Absender oder der kommerzielle Charak-
ter der Nachricht verschleiert wird;

4. eine eingängige Kennzeichnung für zugesandte Werbe-E-Mails in der Be-
treffzeile verpflichtend vorzuschreiben;

5. die Bundesnetzagentur als Verfolgungsbehörde der Ordnungswidrigkeiten zu
bestimmen;

6. die Koppelung von Dienstenutzung und Preisgabe persönlicher Daten sowie
Zustimmung zur Werbe-E-Mailzusendung uneingeschränkt zu verbieten.
Verbraucherinnen und Verbraucher müssen Online-Dienste nutzen dürfen,
ohne persönliche Daten preiszugeben und dem Spamming zuzustimmen;

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7. die Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis und das Recht auf in-
formationelle Selbstbestimmung durch die Weitergabe der Bestandsdaten
an die Sicherheitsbehörden auf die Erfüllung der in § 14 Abs. 2 des Gesetz-
entwurfs bestimmten Zwecke zu beschränken und die Weitergabe der Daten
an die Polizeibehörden der Länder zum Zwecke der Gefahrenabwehr zu
streichen; dabei sollte auch geprüft werden, ob der Schutz geistigen Eigen-
tums an dieser Stelle sachgerecht und erforderlich ist;

8. im Unterlassungsklagegesetz klarzustellen, dass den Betroffenen ein Aus-
kunftsanspruch bei unverlangt zugesendeter Werbung zusteht; zudem im
Unterlassungsklagegesetz einen Unterlassungsanspruch für die von unver-
langt zugesendeter E-Mail Betroffenen zu verankern;

9. verbrauchernahe und dauerhaft arbeitende Beschwerdestellen für Verbrau-
cher einzurichten, die auch über Bürgerrechte in der digitalen Welt auf-
klären;

10. eine gesetzliche Klarstellung ins TMG aufzunehmen, die verdeutlicht, dass
es auch für Suchmaschinenanbieter keine proaktiven Überwachungspflich-
ten gibt und eine Unterlassungs- oder Beseitigungspflicht erst ab Kenntnis
der Rechtsverletzung besteht, die anhand einer Interessenabwägung vorge-
nommen wird;

11. eine Regelung ins TMG aufzunehmen, die verdeutlicht, dass auch Mei-
nungsforen von in die Zukunft gerichteten Überwachungspflichten aus-
geschlossen sind. Umsetzen ließe sich dies durch die Einführung eines
„Notice and Take down Verfahrens“.

Berlin, den 19. September 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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