BT-Drucksache 16/6324

Grenzwerterhöhung von Bisphenol A in Verbraucherprodukten aufgrund einer von der Industrie finanzierten Studie

Vom 10. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6324
16. Wahlperiode 10. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Karin Binder, Lutz Heilmann, Hans-Kurt
Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.

Grenzwerterhöhung von Bisphenol A in Verbraucherprodukten aufgrund einer
von der Industrie finanzierten Studie

Auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. im Mai 2007 zur Grenz-
werterhöhung für den Weichmacher Bisphenol A in Plastikprodukten und Baby-
flaschen (Bundestagsdrucksache 16/5073) gab die Bundesregierung in ihrer
Antwort (Bundestagsdrucksache 16/5405) bekannt, dass sie zurzeit keinen
Handlungsbedarf hinsichtlich des von der EU erhöhten Grenzwertes von
Bisphenol A (BPA) in Plastikprodukten und Babyflaschen sieht. Dabei wies sie
darauf hin, dass die Neubewertung von BPA, auf „eine geringere Empfindlich-
keit des Menschen gegenüber östrogenen Wirkungen der Substanz“ hindeute.
Das EFSA-Gremium stützte sich bei seiner Entscheidung auf eine neue repro-
duktionstoxikologische Studie an Mäusen. Nach Recherchen der „Süddeut-
schen Zeitung“ (www.sueddeutsche.de, „Wenn der Grenzwert plötzlich fällt“,
27. Juni 2007) wurde bekannt, dass diese Studie, durchgeführt von der
Gruppe um die Biologin Rochelle Tyl am amerikanischen Research Triangle
Institute in North Carolina, vom American Plastic Council, einem Interessen-
verband der US-Kunstoffindustrie, finanziert wurde. In ihrer Antwort gab die
Bundesregierung an, dass die für die Neubewertung des BPA-Grenzwertes her-
angezogenen Studien „nach den Richtlinien der Guten Laborpraxis (GLP)
durchgeführt wurden“. Diese GLP-Studien zeigen nach Aussage der Bundes-
regierung „keine signifikanten hormonellen/östrogenen Wirkungen“ von BPA
im Niedrigdosisbereich. Hingegen wiesen „nicht GLP-konforme“ Studien prob-
lematische Effekte wie Zellteilungsstörungen und Entwicklungsstörungen in
verschiedenen Organen nach. Laut „Süddeutscher Zeitung“ fanden 153 der
öffentlich finanzierten Studien negative Effekte bereits bei niedrigen Bisphenol A
Konzentrationen. Lediglich 14 dieser Studien stellten keine negativen Wirkun-
gen fest. Die 13 von der Industrie finanzierten Studien bezeichneten die Wir-
kungen von BPA als „harmlos“ („Süddeutsche Zeitung“, siehe oben).

Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort (zu Frage 6) darauf, dass
hinsichtlich der Tatsache, dass „im Niedrigdosisbereich keine signifikanten
hormonellen/östrogenartigen Wirkungen von Bisphenol A aufgetreten“ sind,
dennoch festgestellte „Niedrigdosis-Effekte“ auf „experimentelle Störfaktoren“

zurückzuführen sein könnten. Dies betrifft entsprechend ihrer Antwort „nicht
GLP-konforme Studien“. Deshalb, so die Bundesregierung weiter, können die
Ergebnisse dieser Studien „nicht für die Festsetzung des TDI herangezogen
werden“. Dennoch wurde in der GLP-Studie von Tyl (2002) – auf die die neue
Studie von Tyl (2006) folgte – signifikante Wirkungen von Bisphenol A im
Ovariengewicht und der Anogenitaldistanz bei weiblichen Nachkommen der
zweiten Generation ab Dosen von 7 µg/7 kg Körpergewicht gefunden.

Drucksache 16/6324 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Nach Erkenntnissen der „Süddeutschen Zeitung“ ist die für eine Grenzwert-
veränderung notwendige Risikoabschätzung nach Aussagen des European
Chemical Bureau (ECB) bis heute noch nicht abgeschlossen. Auch wurde die
Studie nicht, wie anfänglich behauptet, vom ECB in Auftrag gegeben. Auch die
Bundesregierung schrieb in ihrer Antwort (zu Frage 7) auf die Kleine Anfrage,
dass „die Risikobewertung von Bisphenol A nach der Altstoffverordnung … erst
im Laufe dieses Jahres abgeschlossen werden“ soll. Daraus können sich dann
„ggf. erforderliche Risikominimierungsmaßnahmen“ ergeben. Dennoch wurde
der BPA-Grenzwert von 10 Mikrogramm auf 50 Mikrogramm pro Kilogramm
Körpergewicht erhöht. Auf die Frage, ob die Bundesregierung diese Grenz-
werterhöhung mitträgt, verweist sie in ihrer Antwort auf den für Bisphenol A
geltenden spezifischen Migrationswert von 0,6 mg/kg Lebensmittel. Dieser
Wert wurde national in der Bedarfsgegenständeverordnung umgesetzt. Mit dieser
Antwort weicht die Bundesregierung einer klaren zustimmenden oder ablehnen-
den Haltung gegenüber der BPA-Grenzwerterhöhung aus.

Ohne dass dies wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden konnte und die
Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auch keine Quelle
benennen bzw. von einer sicheren Erkenntnis sprechen kann, schreibt sie, „eine
schnellere Metabolisierung und Ausscheidung von Bisphenol A beim Men-
schen im Vergleich zu Nagetieren deute auf eine geringere Empfindlichkeit des
Menschen gegenüber östrogenen Wirkungen der Substanz hin“.

Die Studie von Schönfelder et. al. zeigte, dass die menschliche Plazenta nicht
als Barriere für elterliches BPA fungiert, dieser Wirkstoff also von der Mutter
auf den Fetus übertritt (Schönfelder, G, Wittfoht, W, Hopp, H, Talsness, CE,
Paul, M, Chahoud, I.: Parent bisphenol A accumulation in the human maternal-
fetal-placental unit. Environ Health Perspect. 2002 Nov; 110(11): A703-7).

In mindestens zwei epidemiologischen Studien, die der Bundesregierung laut
ihrer Antwort (zu Frage 2) nicht bekannt sind, wurden negative Wirkungen von
BPA festgestellt. In der Studie von Sugiura-Ogasawara, M, Ozaki, Y, Sonta, S,
Makino, T, Suzumori, K. (2005) „Exposure to bisphenol A is associated with
recurrent miscarriage“, wurde festgestellt, dass Frauen mit mehrfachen Fehl-
geburten einen höheren Spiegel an Bisphenol A haben. Eine andere Studie,
die von Takeuchi, T, Tsutsumi, O, Ikezuki, Y, Takai Y, Taketani, Y. (2004)
„Positive relationship between androgen and the endocrine disruptor, bisphe-
nol A, in normal women and women with ovarian dysfunction“ hatten Frauen
mit Polycystischem Ovarien Syndrom ebenso höhere BPA-Spiegel.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage geht die Bundesregierung zwar davon
aus, dass „Unterlagen über die Risikobewertung von BPA Umweltinforma-
tionen im Sinne von § 2 Abs. 3 UIG darstellen“ können, schließt dies jedoch
mit dem Verweis auf die §§ 8 und 9 des UIG (Umweltinformationsgesetz), die
die Ablehnungsgründe aufgrund des Schutzes öffentlicher und sonstiger Be-
lange betreffen, aus. Damit lehnt die Bundesregierung einen Informations-
zugang für die Öffentlichkeit ab, obwohl sie in den vorhergehenden Antworten
(zu den Fragen 7 und 13) bezüglich der gesundheitsgefährdenden und ökotoxi-
schen Eigenschaften von BPA für Mensch und Umwelt schreibt, dass die
„publizierten deutschen Studien … (für) Bisphenol A ökotoxikologische Eigen-
schaften in den untersuchten Spezies (Fische, Frösche, Schnecken, Wasserflöhe
und Zuckmücken)“ zeigen und „dass für den Bewertungsbereich „Aquatische
Umwelt“ für einzelne Verwendungen von bisphenol A Risikominimierungs-
maßnahmen erforderlich wären, da sonst die Fortpflanzungsfähigkeit von
Fischen gestört werden könnte“. Eine grundsätzliche Umweltgefährdung kann
die Bundesregierung deshalb nicht ausschließen, weil dies „im Rahmen der
EU-Risikobewertung zu klären“ ist.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6324

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Liegt der Bundesregierung die für die Grenzwerterhöhung ausschlag-
gebende Studie von der Gruppe um Rochelle Tyl (2006) inzwischen voll-
ständig vor?

2. Warum rechtfertigt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine
Anfrage (Bundestagsdrucksache 16/5405) die Grenzwerterhöhung von
BPA, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt die Studie von Tyl (2006) noch gar
nicht vorlag, sie also weder Kenntnis über die Durchführung der Studie noch
über die Hintergründe der Finanzierung gehabt hat?

3. Wurde die Studie von Rochelle Tyl (2002 du 2006) nach den Kriterien der
Guten Laborpraxis durchgeführt, wenn ja, warum, wenn nein, warum
nicht?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die aktuelle Studie
von Rochelle Tyl (2006) vom American Plastic Council finanziert wurde?

5. Ändert die Finanzierung der Studie von Tyl (2006) durch das American
Plastic Council die Haltung der Bundesregierung bezüglich der Grenz-
werterhöhung von BPA, und wird sie auf nationaler Ebene diese Grenz-
werterhöhung nicht mittragen?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass von den insgesamt
167 öffentlich finanzierten Studien, 153 negative Wirkungen von BPA fest-
stellten, jedoch alle 13 von der Industrie finanzierten bzw. geförderten
Studien keine nachhaltigen gesundheitsschädigenden Effekte nachwiesen
und in der Studie von Rochelle Tyl (2002) signifikante Wirkungen von
Bisphenol A im Ovariengewicht und der Anogenitaldistanz bei weiblichen
Nachkommen der zweiten Generation ab Dosen von 7 µg/7 kg Körper-
gewicht festgestellt wurden?

7. Warum sieht die Bundesregierung hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung
von BPA in Plastikprodukten keinen Handlungsbedarf, obwohl sie in ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 16/5405) erklärte,
dass „eine schnellere Metabolisierung beim Menschen im Vergleich zu
Nagetieren“ auf eine geringere Empfindlichkeit des Menschen gegenüber
östrogenen Wirkungen der Substanz hindeute?

8. Warum geht die Bundesregierung bezüglich der Studie von Schönfelder
et. al. (siehe Vorbemerkung) davon aus, dass diese aufgrund falscher
Untersuchungsparameter (BPA-Glukoronid) falsche Aussagen über die
Halbwertzeit bei der Ausscheidung aus und der Akkumulation von BPA im
Körper macht?

9. Warum sieht die Bundesregierung den Tatbestand der §§ 8 und 9 des UIG
erfüllt und rechtfertigt damit eine Ablehnung des Informationszugangs für
die Bürgerinnen und Bürger, obwohl deutsche Studien ökotoxikologische
Eigenschaften von Bisphenol A festgestellt haben?

10. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Tatsache, dass mit der Ver-
weigerung des Informationszugangs für Bürgerinnen und Bürger über die
Wirkungsweise von BPA, eine selbstbestimmte Gefahrenabwehr durch
selektiven Konsum von Produkten, die Bisphenol A enthalten, nicht mög-
lich ist?

11. Warum teilt die Bundesregierung im Rahmen des § 5 des UIG nicht mit,
warum ein Informationszugang entsprechend dem § 2 Abs. 3 des UIG
nicht stattfindet, und in welchen Punkten sieht die Bundesregierung konkret
den Tatbestand erfüllt, wonach die Belange des öffentlichen Interesses
nicht denen des Schutzes der öffentlichen oder privaten Güter überwiegen

und somit der Schutz öffentlicher oder privater Güter dem des Umwelt und
Gesundheitsschutzes vorgezogen werden?

Drucksache 16/6324 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
12. Welche Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Risikobewertung von
Bisphenol A stehen, liegen dem Bundesinstitut für Risikobewertung und
der Bundesregierung vor?

Berlin, den 10. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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