BT-Drucksache 16/6297

Insolvenzrecht

Vom 5. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6297
16. Wahlperiode 05. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bodo Ramelow, Dr. Barbara Höll, Petra Pau, Sevim Dag˘delen,
Kornelia Möller und der Fraktion DIE LINKE.

Insolvenzrecht

Unter bestimmten Voraussetzungen sind nach den Regeln der Insolvenzordnung
(InsO) alle Rechtshandlungen, die der spätere Insolvenzschuldner in einem Zeit-
raum von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens vorgenommen hat, anfechtbar (§ 129 ff. InsO). Prinzipiell können
auch Entgeltzahlungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im in-
solvent gewordenen Schuldnerunternehmen beschäftigt sind, anfechtbar sein.
Denn anders als in der früheren Konkursordnung sind Lohn- und Gehaltsansprü-
che von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach der Insolvenzordnung
vom 1. Januar 1999 keine vor Anfechtung und „Quotelung“ geschützten so ge-
nannten Masseforderungen mehr, sondern normale Gläubigerforderungen im
Insolvenzverfahren.

Geschützt sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwar durch § 142 InsO
bei pünktlicher Lohnzahlung, da es sich dann nach Ansicht der Rechtsprechung
um ein Bargeschäft handelt, das nur bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung
anfechtbar ist.

In Fällen, in denen jedoch die ausstehenden Gehälter mehr als drei Monate vor
Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig sind, aber
erst innerhalb dieser drei Monate geleistet werden, ist die Auszahlung der Löhne
und Gehälter bereits anfechtbar, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitneh-
mer Kenntnis von den Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens hat (vgl. AG
Gera, Urteil vom 9. Juli 2007 – 4 Ca 654/07). Dadurch wird die Betriebstreue
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Bereitschaft, finanzielle
Opfer zum Erhalt des Unternehmens und der damit verbundenen Arbeitsplätze
zu erbringen im Ergebnis bestraft. Diese Konsequenz bedroht nicht nur die wirt-
schaftliche Existenz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Fami-
lien, sie konterkariert auch den Zweck des Insolvenzverfahrens, das wirtschaft-
liche Überleben des Betriebs zu ermöglichen. Dieser kann ohne die Arbeitskraft
seiner Angestellten nicht am Markt teilnehmen und sich folglich auch nicht
wirtschaftlich erholen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In wie vielen Fällen ist in Insolvenzverfahren die Anfechtung der Erfüllung
von Lohn- und Gehaltsansprüchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
durch die jeweiligen Insolvenzverwalter erfolgt, seitdem die gesetzliche
Gleichstellung von Löhnen und Gehältern mit gewöhnlichen Insolvenzgläu-
bigerforderungen gilt (bitte nach Jahren, Bundesländern, Fallzahlen, Anzahl
der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Höhe der Rück-
forderungen aufschlüsseln)?

Drucksache 16/6297 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Anfechtbarkeit von
Lohn- und Gehaltszahlungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im In-
solvenzverfahren praktisch nur den Ausweg lässt, ihre Arbeitskraft zurück-
zuhalten, um finanziellen Schaden von sich abzuwenden, und welche Aus-
wirkungen hat das nach Ansicht der Bundesregierung auf die Möglichkeiten
einer erfolgreichen Unternehmenssanierung im Zuge der Insolvenz?

3. Inwieweit wird gerade im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer zulasten der Beklagten der Tatbestand der
unpünktlichen Lohnzahlung gleichgesetzt mit dem Kriterium „Kenntnis der
Insolvenz“ bzw. „Kenntnis der die Insolvenz begründenden Umstände?“

a) Inwiefern stellt dies nach Auffassung der Bundesregierung eine Beweis-
lastumkehr zulasten der/des Beklagten bzw. der Arbeitnehmerin/des
Arbeitnehmers dar, in der Form, dass er praktisch die „Nichtexistenz“ der
Insolvenz-Situation zum Zeitpunkt der Gehalts-/Lohnzahlung belegen
muss?

b) Wie ist dies nach Ansicht der Bundesregierung unter Berücksichtigung
allgemeiner Beweislastgrundsätze im Zivilprozessrecht zu bewerten?

4. In welcher Form möchte die Bundesregierung die ursprünglich begonnene
Reform des Insolvenz(anfechtungs-)rechts zugunsten der „(Wieder)Einfüh-
rung“ von Löhnen und Gehältern als Masseforderungen weiter voranbrin-
gen?

a) Wann soll dies geschehen?

b) Welche anderen Regelungsmodelle sind nach Ansicht der Bundesregie-
rung im Insolvenzrecht möglich bzw. notwendig, um Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Fällen der Unternehmensinsolvenz hinsichtlich ihrer
finanziellen Ansprüche und ihrer sozialen Existenz angemessen abzu-
sichern?

5. Sieht die Bundesregierung Änderungsbedarf dahingehend, dass der Zeit-
raum, für welchen ein Insolvenzgeld gezahlt wird, derart neu zu bestimmen
ist, dass er auch Gehälter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfasst,
die mehr als drei Monate vor dem Insolvenzantrag fällig waren, aber erst in-
nerhalb der dreimonatigen Anfechtungsfrist erfüllt wurden?

a) Wenn ja, wann soll dies geschehen?

b) Wenn nein, warum nicht?

6. Welchen Rechtsweg hält die Bundesregierung für Fälle wie den eingangs
geschilderten für angemessen?

a) Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass auch angefochtene Lohn-
zahlungen in der Rechtszuständigkeit des Arbeitsgerichtes verbleiben
sollten, auch und gerade wenn ein Teil der Anfechtungen auf eingeklagte
Lohnzahlungen, und damit auf Urteilen von Arbeitsgerichten, basieren,
wenn nein, mit welcher Begründung?

b) Wie bewertet die Bundesregierung, dass Insolvenzverwalter, wenn ge-
zahlte Löhne unter der Pfändungsfreigrenze liegen, gesetzlich geschützte
Zahlbeträge unterhalb der Pfändungsfreigrenze mit Hilfe von Anfech-
tungsklagen vor den Amtsgerichten beizutreiben versuchen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6297

7. Sieht die Bundesregierung in dem Umstand, dass es für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer praktisch keine dinglichen Sicherungsmittel für ihre im
Voraus geleistete Arbeitskraft gibt, Waren aber im Geschäftsverkehr regel-
mäßig durch einen Eigentumsvorbehalt gesichert sind, eine sachlich unbe-
gründete Benachteiligung menschlicher Arbeitsleistung gegenüber der Liefe-
rung von Waren?

a) Wenn ja, wie gedenkt sie dem zu begegnen?

b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 3. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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