BT-Drucksache 16/6171

Mobilität und Teilnahme von Menschen am gesellschaftlichen Leben, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen

Vom 30. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6171
16. Wahlperiode 30. 07. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Gesine Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE.

Mobilität und Teilnahme von Menschen am gesellschaftlichen Leben,
die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen

Mehr als sieben Millionen Menschen in der Bundesrepublik beziehen entweder
ALG II oder Sozialgeld nach dem SGB II. Hinzu kommen die Personen, die
nach dem SGB XII Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung erhalten. Gemäß den Berechnungen der Bundesregierung zur Er-
mittlung der Höhe der Leistung nach der Regelsatzverordnung sind 5,7 Prozent
des Regelsatzes für Bus und Bahn, Fahrrad und gegebenenfalls Pkw vorge-
sehen. Bei einem vollen Regelsatz (Eckregelsatz) sind das 19,20 Euro, bei Part-
nerinnen bzw. Partner 17,73 Euro sowie bei Kindern entsprechend weniger. Da-
von müssen ALG-II- und Sozialgeldbeziehende nicht nur Fahrkarten für Bus
und Bahn für die Arbeitssuche, Reparaturen für das Fahrrad und gegebenenfalls
den Pkw bezahlen. Diese Mittel sollen auch ausreichend sein, um laut SGB II
den Betroffenen „in vertretbarem Umfang … eine Teilnahme am kulturellen
Leben“ (§ 20 Abs. 1 SGB II und § 27 Abs. 1 SGB XII) zu ermöglichen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in seiner Analyse der Regelsatzberech-
nung 2006 nach den gesetzlich festgelegten Bestimmungen einen Betrag von
41,70 Euro für die Abteilung 7 – Verkehr – errechnet. Die nach der Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2003 ermittelten tatsächlichen Aus-
gaben der durch die Regelsatzverordnung festgelegten Referenzgruppe liegen
bei etwa 66 Euro.

In einer Reihe von Städten und Landkreisen wurden Sozialtickets eingeführt.
So kostete im Jahr 2006 in der Stadt Rostock das Sozialticket für eine einfache
Fahrt 1,10 Euro, für die Tagesfahrt 2,20 und für die Wochenkarte 11 Euro.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Gewährleistung des Anrechts auf Mobilität nach Auffassung der Bun-
desregierung eine öffentliche Aufgabe?

2. Sieht die Bundesregierung ihre diesbezügliche Verantwortung für Menschen
mit geringem Einkommen durch die Leistungen des SGB II bzw. SGB XII
als erfüllt an?
3. Wenn die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts Bedarfe des
täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Um-
welt und eine Teilnahme am kulturellen Leben umfasst, was bedeutet für die
Bundesregierung „in vertretbarem Umfang“?

Drucksache 16/6171 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Welches Gewicht misst in diesem Zusammenhang die Bundesregierung
der Mobilität von Menschen bei, die Leistungen nach dem SGB II oder
SGB XII beziehen?

5. Was sieht die Bundesregierung als notwendig und gerechtfertigt an, wenn
es um Mobilität von Menschen geht, die Leistungen nach dem SGB II oder
SGB XII beziehen?

6. Für welche Zwecke müssen nach Auffassung der Bundesregierung Men-
schen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, mobil
sein?

7. Nach welchen Kriterien teilt die Bundesregierung die faktischen Ausgaben
für Mobilität bei der Referenzgruppe in regelsatzrelevant und nicht-regel-
satzrelevant ein, und wie erklärt die Bundesregierung, dass der anerkannte
Bedarf lediglich noch ein Drittel der Ausgaben der Referenzgruppe be-
trägt?

8. Wie werden in der Systematik der Bedarfsermittlung spezifische Bedarfe
wie beispielsweise die kontinuierlichen Ausgaben für die Beförderung von
Kindern von Leistungsbeziehenden zur Schule einbezogen?

9. Sieht die Bundesregierung den Bedarf an Öffnungsklauseln für außer-
gewöhnliche spezifische Bedarfe bei der Gewährleistung von Mobilität?

Wenn ja, für welche spezifischen Bedarfe?

10. Wie erklärt die Bundesregierung die erhebliche Diskrepanz zwischen ihren
Berechnungen und denen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Bezug
auf das Kapitel 7 – Verkehr – bei der Regelsatzermittlung?

11. Wie rechtfertigt die Bundesregierung, dass zwar der Besitz eines Pkws ge-
stattet ist, in der Regelsatzberechnung aber keine Aufwendungen für die
Nutzung eines Pkws vorgesehen sind (z. B. Benzin, Steuern)?

12. Wenn die Bundesregierung ihre Verantwortung nicht in der finanziellen
Unterstützung von leistungsberechtigen Personen erschöpft sieht (Frage 2),
welche weiteren Möglichkeiten hat die Bundesregierung zur Gewährleis-
tung des Rechts auf Mobilität, und welche diesbezüglichen Initiativen ver-
folgt sie mit welchem Ergebnis?

13. Inwieweit sieht die Bundesregierung ein Auseinanderfallen zwischen den
laut Regelsatz zur Verfügung stehenden Mittel für Verkehr und den tat-
sächlichen Tarifen für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr, und inwie-
weit wird dabei der unterschiedlichen regionalen Situation Rechnung ge-
tragen?

14. Welche Möglichkeiten der Einflussnahme hat die öffentliche Hand – also
neben dem Bund auch andere politische Ebenen – auf die Preisgestaltung
im öffentlichen Nah- und Fernverkehr?

15. Bestätigt die Bundesregierung, dass die Möglichkeiten der öffentlichen
Einflussnahme auf die Preisgestaltung durch Maßnahmen der Privatisie-
rung reduziert werden und reduziert worden sind?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verbreitung von ört-
lichen Sozialtickets?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Idee, auf Bundesebene die Informa-
tionen zu Existenz und Bedingungen von Sozialtickets in einem Bericht
zusammenzustellen, damit diese Praxis öffentlich gemacht werden kann?

18. Worin liegen nach Auffassung der Bundesregierung die Ursachen für die

Einführung von Sozialtickets, und welchen gesetzgeberischen Handlungs-
bedarf leitet die Bundesregierung daraus ab?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6171

19. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Bevölkerungsgruppen
mit geringem Einkommen vergünstigte Monatskarten für öffentliche Ver-
kehrsmittel zum Kauf anzubieten?

20. Auf welchem Weg kann die Bundesregierung derartige Aktivitäten der ört-
lich oder regional zuständigen Instanzen unterstützen, und in welchem
Umfang praktiziert die Bundesregierung dies bereits?

21. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich einer generellen
Ausweitung von preisreduzierten Tickets auf den Schienennah- und Fern-
verkehr?

22. Wie steht die Bundesregierung dazu, die Vergabe und den Einsatz der
Regionalisierungsmittel an soziale Kriterien zu binden, damit alle Bevöl-
kerungsgruppen, unabhängig von ihrem Einkommen den öffentlichen Nah-
und Fernverkehr nutzen können?

Berlin, den 25. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.