BT-Drucksache 16/6034

Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Albanern reduzieren - UN-Resolution 1244 uneingeschränkt umsetzen sowie faire und ergebnisoffene Verhandlungen ermöglichen

Vom 6. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6034
16. Wahlperiode 06. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke, Dr. Norman Paech,
Dr. Diether Dehm, Heike Hänsel, Inge Höger, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Hakki
Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Konflikte zwischen Serbien und Kosovo-Albanern reduzieren – UN-Resolution
1244 uneingeschränkt umsetzen sowie faire und ergebnisoffene Verhandlungen
ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Aktivitäten der selbsternannten „Kosovo-Kontaktgruppe“ und des UN-
Beauftragten für den Kosovo machen deutlich, dass zur Auflösung der
Konfliktsituation in Serbien alternativlos die Unabhängigkeit des Kosovos
beschlossen werden soll. Hierdurch würde auf dem Territorium des serbi-
schen Staates gegen dessen Willen ein neuer Staat entstehen.

2. Sollte die Unabhängigkeit des Kosovos unilateral beschlossen werden, han-
delt es sich dabei nicht um eine Einigung zwischen den beiden Konfliktpar-
teien. Eine solche Entwicklung wendet sich gegen die Bekenntnisse der Mit-
gliedstaaten der Vereinten Nationen zur Souveränität und territorialen
Unversehrtheit Jugoslawiens, dessen Rechtsnachfolgerin die Republik Ser-
bien ist, wodurch das Völkerrecht gebrochen würde. Darüber hinaus würde
es das KSZE-Abkommen verletzen, nach dem unilaterale Veränderungen
der Grenzen in Europa ausgeschlossen werden. Auch würden auf diese
Weise neue Grenzen in Europa geschaffen, die der Integrationsidee Europas
entgegenstünden.

3. Sollte die Unabhängigkeit des Kosovos unilateral beschlossen werden,
würde dieser Völkerrechtsbruch unweigerlich einen Präzedenzfall schaffen.
Die Republika Sprska in Bosnien und andere sezessionswillige staatliche
Einheiten in Europa würden sich diesen Präzedenzfall zunutze machen.

4. Das Ergebnis einer unilateralen Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovos
wäre die Schaffung eines Kleinststaates, dessen Nationenverständnis eth-
nisch und nicht staatsbürgerlich determiniert wäre. Eine solche Politik steht
in diametralem Gegensatz zur europäischen Integrationsidee, bei der reale

Grenzen sowie die Grenzen in den Köpfen der Menschen keine Rolle mehr
spielen sollen.

5. Gleichzeitig sind zum jetzigen Zeitpunkt die in der UNO-Resolution 1244
genannten substanziellen Bestandteile für eine Autonomie des Kosovos
innerhalb eines föderalen Systems noch nicht umgesetzt worden. Die Ver-
pflichtung einer autonomen Verwaltung des Kosovos innerhalb Serbiens

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wurde nicht eingelöst. Die Bewohner des Kosovos konnten somit keine Er-
fahrungen als autonome, demokratische Einheit innerhalb des Gesamtstaates
Serbien machen. Stattdessen wurden resolutionsnegierende politisch-admi-
nistrative Entscheidungen durch die UNMIK getroffen, die die Unabhängig-
keit strukturell präjudizieren sollen.

6. Folgende Punkte der UN-Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats sind bis-
lang nicht umgesetzt worden:

– die humanitäre Lage im Kosovo ist bis dato nicht gelöst;

– die Sicherheit für die Rückkehr der Flüchtlinge/Vertriebenen konnte bis
jetzt nicht gewährleistet werden;

– die absolute Demilitarisierung aller bewaffneter Gruppen im Kosovo ist
immer noch nicht abgeschlossen;

– es wurde kein funktionierender Justiz- und Verwaltungsapparat für das
Kosovo geschaffen, der Gesetze auch effektiv umsetzt;

– eine demokratische Selbstverwaltung des Kosovos ist nicht hergestellt
worden;

– entgegen der Anlage II (6) werden die Stätten serbischen Kulturerbes
nicht ausreichend geschützt;

– die Rückkehr jugoslawischer bzw. serbischer Sicherheitskräfte zum
Zwecke der „Maintaining a presence at Serb patrimonial sites“ und der
„Maintaining a presence at key border crossings“ wird bislang durch die
UNMIK und KFOR verhindert;

– das Zusammenleben einer friedlichen multi-ethnischen Gesellschaft ist
nicht einmal ansatzweise umgesetzt.

7. Die wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität in der Region ist nicht her-
beigeführt und die Förderung des Südosteuropa-Stabilitätspaktes, trotz
Nichterreichung seiner Ziele, zurückgefahren worden.

8. Der Kosovo ist eine der ärmsten Regionen Europas mit einer Arbeitslosig-
keit von über 50 Prozent. Die Rückkehr vieler Flüchtlinge in ihre Heimat ist
nach wie vor nicht möglich und Eigentumsfragen sind weiterhin ungeklärt.
Korruption und Militanz stellen im Kosovo fortwährend große Probleme
dar. Dies erschwert eine demokratische Entwicklung des Kosovos und die
Entmilitarisierung der politischen Gruppen.

9. Die Grundsätze der Europäischen Union bezüglich Integration, Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit sind in den Vorgaben des Ahtisaari-Plans nicht zur
Genüge beachtet. Stattdessen soll eine nationalistisch-ethnisch geleitete
Politik zur Grundlage der Ziehung neuer Grenzen in Europa gemacht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich in den damit befassten internationalen Gremien (EU, NATO, Kosovo-
Kontaktgruppe und UNO) dafür einzusetzen,

– keine völkerrechtliche Anerkennung des Kosovos auszusprechen, deren
Unabhängigkeitsproklamation nicht auf der Grundlage eines gegenseiti-
gen Einvernehmens zwischen Serbien und den Kosovo-Albanern über
die Unabhängigkeit beruht;

– die Zielrichtung des Ahtisaari-Plans nicht weiter zu fördern und diesen
als gescheitert zu betrachten;

– den UN-Status des Kosovos als autonomen Bestandteil Serbiens gemäß

der UN-Resolution 1244 zu akzeptieren und innerhalb der UNMIK, der

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6034

EU und der OSZE darauf hinzuwirken, die in der UN-Resolution gefor-
derten Grundlagen zur „substantiellen Autonomie“ des Kosovos inner-
halb des Gesamtstaates endlich textnah umzusetzen;

2. den UN-Sicherheitsrat zu ersuchen, eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertre-
tern aller Sicherheitsratsmitglieder einzuberufen, um neue sowie ergebnis-
offene und somit echte Verhandlungen auf der Grundlage des internationalen
Rechts einzuleiten. Das heißt, ein faires Verhandlungsverfahren zu praktizie-
ren, bei dem sich die internationale Gemeinschaft auf die reine Modera-
torenrolle beschränkt und somit ausschließlich die beiden unmittelbaren
Konfliktparteien, die Repräsentanten des Kosovos und Serbiens, sich mit-
einander über die konkrete Gestaltung des künftigen Status des Kosovos
verständigen;

3. in der EU darauf hinzuwirken, die Grundsätze der Europäischen Union be-
züglich Integration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Provinz
Kosovo zu beachten und umzusetzen;

4. die uneingeschränkte Umsetzung des Stabilitätspaktes unter besonderer Be-
rücksichtigung der Verbesserung der humanitären Lage im Kosovo voranzu-
treiben;

5. die deutliche Reduzierung des deutschen finanziellen Anteils an dem Stabi-
litätspakt wieder rückgängig zu machen;

6. in der EU darauf hinzuwirken, den Staaten des westlichen Balkans eine kon-
krete EU-Beitrittsperspektive anzubieten, um so Druck aus dem Teufelskreis
von Armut und Nationalismus zu nehmen;

7. in der EU darauf hinzuwirken, die Einschränkungen der Visa-Politik gegen-
über den Nicht-EU-Staaten Südosteuropas zu beenden und die Arbeits-
migration der Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten in die EU zu erleich-
tern.

Berlin, den 4. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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