BT-Drucksache 16/5990

Kommunale Selbstverwaltung und europäisches Vergaberecht

Vom 5. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5990
16. Wahlperiode 05. 07. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gisela Piltz, Martin Zeil, Frank Schäffler, Patrick Döring,
Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Cornelia Pieper,
Jörg Rohde, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Kommunale Selbstverwaltung und europäisches Vergaberecht

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist in Deutschland im Grundgesetz ver-
brieft. Durch das europäische Vergaberecht wird allerdings das Recht der Kom-
munen zur interkommunalen Zusammenarbeit eingeschränkt, da die Übertra-
gung von öffentlichen Aufgaben von der Kommune auf eine andere
Körperschaft wie beispielsweise einen Zweckverband nach Auffassung sowohl
des Europäischen Gerichtshofs als auch der EU-Kommission mit dem europäi-
schen Vergaberecht nicht in Einklang steht. Vielmehr müsse in solchen Fällen
die Leistungserbringung europaweit ausgeschrieben werden. An dieser Ein-
schätzung soll sich nach Meinung der EU-Kommission auch dann nichts ändern,
wenn die Gemeinde sich in dem Zweckverband Kontroll- und Überwachungs-
rechte sichert, so dass auch weiterhin von einer Leistungserbringung der Kom-
mune im Zusammenwirken mit anderen beteiligten Kommunen ausgegangen
werden kann. Derartige Zusammenarbeit in Zweckverbänden ist jedoch nicht
nur aus Effizienzgesichtspunkten in vielen Fällen geboten, sondern auch durch
Bundes- und Landesrecht gedeckt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Zweckver-
bände nicht wie Private am Markt tätig werden, sondern ausschließlich Zustän-
digkeiten innerhalb kommunaler Verwaltungseinheiten übernehmen. Zweckver-

bände dürfen jedoch nicht Aufgaben wahrnehmen, die ebenso gut von Dritten
erbracht werden können und so den Markt gefährden.

Auch die Vergabe kommunaler Aufgaben an Gesellschaften des Privatrechts in
kommunaler Hand, die sog. Inhouse-Vergabe, ist vom europäischen Vergabe-
recht betroffen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs führt
schon eine Minderheitsbeteiligung privater Unternehmen an kommunalen Eigen-
gesellschaften in der Regel zur Ausschreibungspflicht. Dies kann dazu führen,

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dass der wünschenswerte Prozess der Privatisierung kommunaler Aufgabener-
füllung ins Stocken gerät. Auch in Gesellschaften, in denen die Kommune mit
51 Prozent der Mehrheitseigner ist, mithin 49 Prozent der Anteile bei Dritten lie-
gen, ist von einer Aufgabenerfüllung im Verantwortungsbereich der Kommune
auszugehen, da diese auf jeden Fall die Geschicke der Gesellschaft bestimmen
kann. Der Grundsatz jedoch, dass kommunale Eigengesellschaften nur solche
Aufgaben übernehmen dürfen, die Private nicht übernehmen können, ist richtig
und muss auch durch entsprechende vergaberechtliche Vorgaben flankiert wer-
den. Für Scheinprivatisierungen dürfen sich Kommunen nicht auf den grund-
gesetzlichen Schutz der Selbstverwaltung berufen, denn dieses Recht umfasst
nicht ein Verhalten von Städten und Gemeinden, das mit ordnungspolitischen
Grundsätzen der Marktwirtschaft und der Verpflichtung zur transparenten und
effizienten Haushaltsführung kollidiert.

Aufgaben, die die Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge erbringen müs-
sen, sind von den Anforderungen des Vergaberechts ausgenommen. Dies ist je-
doch nur dann sinnvoll, wenn die Daseinsvorsorge nicht auf eine Vielzahl von
Bereichen ausgedehnt wird, die auch privatwirtschaftlicher Leistungserfüllung
zugänglich sind. Die Daseinsvorsorge muss daher auf einen Kernbereich be-
schränkt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hält die Bundesregierung die Verpflichtung zur europaweiten Ausschreibung
der Übertragung öffentlicher Aufgaben an Zweckverbände oder ähnliche
Formen der interkommunalen Zusammenarbeit sowie der sog. Inhouse-Ver-
gabe derartiger Aufgaben an kommunale Gesellschaften des Privatrechts mit
dem Recht der kommunalen Selbstverwaltung gem. Artikel 28 des Grundge-
setzes für vereinbar?

Falls ja, warum?

Falls nein, warum nicht?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Entwicklung des europäi-
schen Vergaberechts im Hinblick auf interkommunale Zusammenarbeit?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Entwicklung des europäi-
schen Vergaberechts im Hinblick auf die sog. Inhouse-Vergabe in Kommu-
nen?

4. In welchem Umfang sollte nach Ansicht der Bundesregierung aus welchen
Gründen die interkommunale Zusammenarbeit bzw. die Inhouse-Vergabe
dem europäischen Vergaberecht unterliegen?

5. Welche Initiativen auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung ergriffen
bzw. will die Bundesregierung ergreifen, um das Recht der kommunalen
Selbstverwaltung im Zusammenhang mit dem europäischen Vergaberecht zu
schützen?

6. Sind der Bundesregierung Initiativen oder Vorschläge auf europäischer
Ebene bekannt, die Schwellenwerte für europaweite Ausschreibungen abzu-
senken?

Falls ja, wie bewertet sie diese?

7. Wie wirken sich nach Auffassung der Bundesregierung die verschärften Aus-
legungen des europäischen Vergaberechts durch den Europäischen Gerichts-
hof hinsichtlich der Übertragung kommunaler Aufgaben an Gesellschaften
des Privatrechts auf Öffentlich-Private-Partnerschaften aus?

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8. Besteht nach Ansicht der Bundesregierung insbesondere die Gefahr, dass
Öffentlich-Private-Partnerschaften durch die vergaberechtlichen Regelun-
gen nicht mehr realisiert werden können, da regelmäßig die Leistungser-
bringung ausgeschrieben werden müsste?

9. In welchen Bereichen hält die Bundesregierung aus welchen Gründen die
Erbringung kommunaler Leistungen durch Öffentlich-Private-Partnerschaf-
ten gegenüber der Erbringung durch Private für bevorzugenswert?

10. Wie bewertet die Bundesregierung das EU-Grünbuch zum Stadtverkehr im
Hinblick auf die mögliche Aufgabenübertragung des kommunalen öffent-
lichen Personennahverkehrs auf Zweckverbände, kommunale Eigengesell-
schaften oder private Dritte?

11. Welche Entwicklungen hinsichtlich der Definition und des Umfangs der
Daseinsvorsorge sieht die Bundesregierung auf europäischer Ebene, und
wie bewertet sie diese?

12. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung für eine einschränkende Defini-
tion der Daseinsvorsorge auf europäischer Ebene ein?

13. Hält die Bundesregierung Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht im
Bereich der Daseinsvorsorge für notwendig, und welche Aufgaben sollte
diese konkret umfassen?

Berlin, den 5. Juli 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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