BT-Drucksache 16/5965

Eine gemeinsame Offensive der Industrienationen mit den Schwellenländern für die Entwicklungsländer initiieren

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5965
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe
Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Max Stadler, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Eine gemeinsame Offensive der Industrienationen mit den Schwellenländern
für die Entwicklungsländer initiieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Fokus der Weltöffentlichkeit liegt mehr denn je auf den entwicklungspoli-
tischen Herausforderungen, denen sich auch Deutschland stellen muss. Die
Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen haben dies auf den
G8-Gipfeln in Gleneagles und in Heiligendamm zu einem der Schwerpunkte
ihrer Beratungen gemacht, und auch die zivilgesellschaftlichen Akteure drängen
darauf, dass mehr für die weltweite Entwicklung getan wird. Zur Halbzeit der
Umsetzung der Millennium Development Goals (MDGs) zeigt sich aber bereits,
dass die Entwicklungsziele bis 2015 in den wenigsten Ländern erreicht werden.
Dabei beschränkt sich die gegenwärtige internationale Diskussion auf die Frage
der Höhe der Finanzmittel. Eine offene, breiter angelegte internationale Debatte
über bestehende Erfolge in der Entwicklungszusammenarbeit ist erforderlich,
will man die gemeinsam vereinbarten Ziele erreichen.

Weite Teile der Erde sind immer noch gezeichnet von extremer Armut, bewaff-
neten Konflikten und Bürgerkriegen, Staatskrisen und Korruption, Millionen
HIV/Aids-Infizierten und Millionen von Aids-Waisen, einer mangelhaften Ge-
sundheitsversorgung und einer sinkenden Lebenserwartung. In vielen Staaten

hat die formale Implementierung demokratischer staatlicher Strukturen weder
bestehende autokratische Herrschaftspraktiken beseitigt noch konnte eine
demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung in der Gesellschaft verankert
werden.

Die entwicklungspolitische Bilanz zahlreicher Länder, die noch immer in Armut
und Hoffnungslosigkeit verharren, ruft nach einem kritischen Vergleich mit der
Entwicklung der sogenannten Schwellenländer. Weshalb haben die geschafft,

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was andere Länder bei gleicher Ausgangslage nicht erreicht haben? Können die
heutigen Entwicklungsländer von den Erfahrungen dieser erfolgreichen Vorrei-
ter lernen? Und sind diese nicht in der Pflicht, jenen Ländern die gleiche Unter-
stützung zu gewähren, die sie so erfolgreich zu ihrer eigenen Entwicklung
nutzen konnten? Länder wie Argentinien, Brasilien, Chile, Mexiko und die asia-
tischen „Tigerstaaten“ wie Südkorea und Singapur haben gezeigt, dass sich Ent-
wicklungsländer zu industrialisierten Schwellenländern und dann zu Industrie-
ländern entwickeln können. China, Indien, Malaysia, Südafrika und die Türkei
sind auf dem besten Wege, ebenfalls den Sprung zu vollziehen.

Diese Länder haben mit Hilfe der internationalen Gebergemeinschaft die Ent-
wicklung vollzogen, die diese durch ihre Entwicklungshilfe auch in den ver-
bliebenen Entwicklungsländern vorantreiben will. Die Erfahrungen, die die
Schwellenländer in diesem Transformationsprozess gemacht haben, sind daher
für die internationale Entwicklungszusammenarbeit von unschätzbarer Bedeu-
tung. Dazu kommt, dass die ehemaligen Entwicklungsländer heute selbst über
Ressourcen verfügen, die sie in die Entwicklung der ärmsten Länder dieser Welt
investieren wollen.

Zu Recht erkennt die deutsche Entwicklungspolitik den Schwellenländern eine
Schlüsselrolle bei der Stabilisierung ihrer jeweiligen Regionen zu. Anstatt die-
sen Ländern im Rahmen des Ankerländerkonzeptes trotz deren massiv gewach-
sener Wirtschaftskraft noch immer Finanzhilfen zu gewähren, sollte die deut-
sche Entwicklungspolitik sie als Partner bei der Entwicklung der noch immer
bedürftigen Länder gewinnen. Damit können die jeweiligen Stärken effektiver
gebündelt werden, um die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen.

Einige der potentiellen Partner haben sich hierzu schon bereit erklärt. Indien bei-
spielsweise hat mit Hilfe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Mikro-
finanzierungsprojekte im eigenen Land erfolgreich umgesetzt und hierbei insbe-
sondere auch Bewässerungsprojekte erfolgreicher vorangebracht, als dies bei
der klassischen Entwicklungszusammenarbeit möglich wäre. Es ist bereit, mit
Hilfe der staatlichen NABARD-Bank (National Bank for Agriculture and Rural
Development) ähnliche Programme auch in anderen Regionen, etwa in Afrika,
umzusetzen. China wendet allein zur Unterstützung afrikanischer Länder mehr
als 10 Mrd. US-Dollar auf. Dieses begrüßenswerte Engagement muss in eine
Entwicklungsoffensive aller Geber eingebunden werden.

Die Geberkoordinierung darf nicht auf die G8-Staaten beschränkt bleiben. Ins-
gesamt müssen sich die internationalen Geber besser koordinieren und von den
gegenseitigen Erfahrungen profitieren. Israel beispielsweise hat bei der länd-
lichen Entwicklung seines Landes unschätzbare Erfahrungen bei der Umwand-
lung von unfruchtbaren Böden in Ackerland erworben und diese bereits in viel-
fältigen Projekten beispielsweise in Afrika im Rahmen seiner Entwicklungszu-
sammenarbeit eingebracht. Es wäre ein großer Nutzen, wenn diese Erfahrungen,
die die israelische Entwicklungszusammenarbeit aufgrund beschränkter finan-
zieller Ressourcen nur begrenzt umsetzen kann, beispielsweise in den ländlichen
Regionen Afrikas im Rahmen gemeinsamer Projekte mit finanzstärkeren Part-
nern wie Deutschland in größerem Rahmen als bisher eingebracht werden könn-
ten. Andere Länder wie die Schweiz, Norwegen oder die Türkei haben jeweils
eigene entwicklungspolitische Erfolge erzielt und Kompetenzen erworben, die
sie in die internationale Entwicklungsoffensive gemeinsam mit den Schwellen-
ländern einbringen könnten. Der Effekt der eingesetzten Mittel wäre durch die
Synergieeffekte um ein Vielfaches größer.

Der auf dem G8-Gipfel angestoßene Prozess der Einbeziehung der aufstreben-
den Schwellenländer Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika in eine
„neue Partnerschaft“ zur Lösung globaler Probleme geht daher in die richtige

Richtung. Der vorgeschlagene „neue, strukturierte, themenbezogene Dialog“
geht aber nicht weit genug. Nötig ist, eine gemeinsame Entwicklungsoffensive

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zu initiieren. Wir brauchen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit der entwi-
ckelten Industrieländer untereinander und mit den Schwellenländern, da die Ge-
ber gemeinsam stärker und die erzielbaren Entwicklungen nachhaltiger sind.
Die Bundesregierung muss die Schwellenländer an ihre wachsende Verantwor-
tung erinnern. Nachdem sie selbst in ihrer Entwicklung vorangekommen sind,
müssen sie ihrerseits zu der gemeinsamen entwicklungspolitischen Verantwor-
tung gegenüber den noch bedürftigen Ländern stehen. Hieraus können und sol-
len gemeinsame Entwicklungsvorhaben in den noch immer Not leidenden Län-
dern dieser Erde vereinbart werden. Darüber hinaus können Fragen von Good
Governance von allen Gebern gemeinsam erörtert und effektiver umgesetzt wer-
den. Auf dieser neuen Grundlage können und werden sich Partnerschaften ent-
wickeln, die nachhaltig nicht nur Wohlstand und soziale Sicherheit, sondern
auch Frieden und Solidarität unter den Ländern der Welt fördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. ein Konzept vorzulegen, wie die Erfahrungen der Schwellenländer und ande-
rer bisher isoliert arbeitender Geber in die Entwicklungsarbeit eingebracht
werden können,

2. dieses Konzept sodann in die auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm verein-
barte neue Partnerschaft einzubringen und zu einer gemeinsamen Entwick-
lungsoffensive weiterzuentwickeln und

3. die bisherige Entwicklungszusammenarbeit mit Schwellenländern zu einer
partnerschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit weiterzuentwickeln,

4. sich auch auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass ein gemeinsamer
Dialog mit den Schwellenländern stattfindet und entsprechende Erkenntnisse
entwicklungspolitisch umgesetzt werden,

5. zur Halbzeit der Umsetzung der Millennium Development Goals in der UNO
darauf zu drängen, über entwicklungspolitische Erfolge in den Schwellenlän-
dern zu sprechen und dass deren Transformationserfahrungen gewinnbrin-
gend für die Entwicklungsländer umgesetzt werden.

Berlin, den 3. Juli 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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