BT-Drucksache 16/5944

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/1828, 16/5939- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5944
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Wolfgang Neskovic, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte,
Petra Pau, Dr. Lothar Bisky, Kersten Naumann, Jan Korte, Cornelia Hirsch,
Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/1828, 16/5939 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts
in der Informationsgesellschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Eine Anpassung des Urheberrechtsgesetzes an die veränderten Bedingungen
des digitalen Zeitalters ist aus wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen wie
rechtlichen Gründen dringend notwendig. Im Mittelpunkt steht vor allem die
Frage, wie unter diesen Bedingungen der Schutz des geistigen Eigentums
weiterhin gewährleistet werden und zugleich dem öffentlichen Interesse an
freiem Zugang zu Bildung, Wissen und Kultur besser Rechnung getragen
werden kann. Beides ist notwendig, um Kreativität und Innovation in der
geistigen Produktion zu fördern. Es geht um einen fairen und sachgerechten
Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwischen den Urheberinnen und
Urhebern, den Verwertern sowie den Nutzerinnen und Nutzern.

2. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet dies nicht. Der im Urheberrecht vorzu-
nehmende Ausgleich zwischen den Interessen der Urheberinnen und Urheber
und den Interessen der Verwerter wird nach dem Gesetzentwurf einseitig zu
Gunsten der Verwertungs- und Geräteindustrie geregelt. Mit der Abkehr vom
pauschalen Vergütungssystem mit gesetzlich festgelegten Vergütungssätzen
wird ein unsachgemäßer Systemwechsel im Urheberrecht eingeleitet. Die aus
Artikel 14 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) folgende Eigentumsgarantie, wo-
nach der Urheber tunlichst an der Verwertung seiner Werke wirtschaftlich zu
beteiligen ist, wird unverhältnismäßig eingeschränkt. Denn die in den §§ 54

und 54a UrhG des Gesetzentwurfs vorgesehenen Neuregelungen zur Pau-
schalvergütung führen trotz deutlicher Verbesserungen gegenüber dem ur-
sprünglichen Entwurf durch das wirtschaftliche Ungleichgewicht der Ver-
tragspartner zu einer rechtlichen Schlechterstellung und Einkommenseinbu-
ßen der Kreativen. Die gleiche Wirkung hat die geplante Streichung des § 31
Abs. 4 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG), der es dem Urheber bislang unter-

Drucksache 16/5944 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sagte über unbekannte Nutzungsarten zu verfügen und damit die wirtschaft-
lich Schwächeren schützte.

3. Ebenso wenig ist es gelungen, im Rahmen des „Zweiten Korbes“ ein bil-
dungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Vielmehr
führen zahlreiche Regelungen zu einer weiteren Verknappung und Verteue-
rung des Zugangs zu Wissen. Anstatt den freien Zugang zu mit öffentlichen
Mitteln gefördertem Wissen anzuerkennen und der Informationsfreiheit aller
Bürgerinnen und Bürger als Ausdruck des Gemeinwohls Vorrang einzuräu-
men, werden Preispolitiken und Privilegien festgeschrieben. Die Möglichkei-
ten der digitalen Welt werden behindert, Monopolbildung begünstigt und die
Privatisierung von Forschungsergebnissen befördert. Die Bedürfnisse derje-
nigen, die auf einen freien Austausch neuer Erkenntnisse in Wissenschaft und
Forschung angewiesen sind, werden so ignoriert.

4. Die „Open-access“-Entwicklung und die „Berliner Erklärung über offenen
Zugang zu wissenschaftlichem Wissen“ werden vom Deutschen Bundestag
begrüßt. Sie finden jedoch nicht in ausreichendem Maße Eingang in das neue
Urhebergesetz. So werden die Wiedergabe von Werken in Museen, Archiven,
Bildungseinrichtungen und Bibliotheken sowie die vorgesehenen Regelun-
gen zum elektronischen Kopienversand einer modernen Wissenschafts- und
Ausbildungspraxis noch nicht gerecht. Der durch kommerzielle Angebote
verdrängte Kopienversand befördert die Ausbildung einer Zwei-Klassen-Ge-
sellschaft bei den Lernenden. Bildungsdefizite können jedoch nicht behoben
werden, wenn der gleiche Zugang zu den Informationen durch Preisbarrieren
in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise verhindert wird. Diese Entwick-
lung, Wissen als Ware zu begreifen und den Zugriff auf Wissen und Informa-
tion künstlich zu beschränken, wird durch europäische Harmonisierungsbe-
strebungen noch verstärkt.

5. Die private Vervielfältigung ist zwar grundsätzlich erlaubt, kann aber derzeit
nicht umfassend gegen technische Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden.
Durch die Anwendung und Ausweitung technischer Schutzmaßnahmen läuft
so das Recht auf Privatkopie weitgehend leer. Inhalte werden monopolisiert.
Ebenso stellt sich das Problem der Kriminalisierung weiter Teile der Bevöl-
kerung. Strafbar ist unter anderem die private Kopie unter Verwendung einer
offensichtlich rechtswidrig hergestellten oder öffentlich zugänglich gemach-
ten Vorlage. Die Prüfung der rechtlichen Qualität einer Vorlage ist den Nut-
zerinnen und Nutzern nahezu unmöglich und daher unzumutbar. Es kommt
trotz späterer Einstellung in vielen Fällen zunächst zu einem Ermittlungsver-
fahren.

6. Das Strafrecht ist ultima ratio. So ist es dann nicht geboten, wenn die private
Vervielfältigung einen geringfügigen Rahmen nicht übersteigt und nur zum
eigenen Gebrauch erfolgt. Im digitalen und vernetzten Umfeld begehen zu-
nehmend auch private Endnutzer Urheberrechtsverletzungen. Diese Grenz-
überschreitungen auch dann zu kriminalisieren, wenn sie sich im Bagatell-
bereich bewegen und nur privaten Zwecken dienen, ist rechtspolitisch nicht
opportun und der Akzeptanz des Urheberrechts insgesamt abträglich. Die
„Schulhöfe“ dürfen nicht kriminalisiert werden. In derartigen Fällen ist regel-
mäßig von einer geringen Schuld auszugehen; eine Strafe ist nicht gerecht-
fertigt. Um mehr Rechtssicherheit für die Betroffenen zu schaffen, bedarf es
einer allgemeinen gesetzlichen Regelung anstatt der Einstellung im Ermes-
sen der Staatsanwaltschaft im Einzelfall. Ein Strafausschließungsgrund für
Urheberrechtsverletzungen im Bagatellbereich ist zur Lösung dieses Pro-
blems angemessen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5944

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. umgehend einen Gesetzentwurf zur Umsetzung folgender Regelungsinhalte
vorzulegen:

a) für die Urheberinnen und Urheber

aa) Allen Urheberinnen und Urhebern sowie ausübenden Künstlerinnen
und Künstlern ist der gesetzliche Anspruch auf eine angemessene Ver-
gütung für jede Nutzung ihrer Werke zu gewährleisten.

bb) Die Vergütungssätze für die zulässigen Vervielfältigungen für den pri-
vaten und sonstigen eigenen Gebrauch sind wie bisher durch Gesetz
oder durch Rechtsverordnung festzulegen und den veränderten Bedin-
gungen entsprechend angemessen zu erhöhen, wie in den beiden Ver-
gütungsberichten der Bundesregierung aus den Jahren 1989 und 2000
vorgeschlagen.

cc) Der Anspruch auf angemessene Vergütung ist über verbindliche ge-
meinsame Vergütungsregeln zu konkretisieren und durch die Ver-
bände von Urhebern gemeinsam mit Verbänden von Werknutzern
oder einzelnen Werknutzern aufzustellen.

dd) Ein effektiver Schutz der Urheberinnen und Urheber vor der wirt-
schaftlichen Übermacht der Verwerter hinsichtlich der Übertragung
unbekannter Nutzungsarten ist durch eine Verbotsnorm zu gewähr-
leisten.

ee) Die Ungleichbehandlung von Urheberinnen und Urhebern und aus-
übenden Künstlerinnen und Künstlern im Urheberrecht ist zu korrigie-
ren.

ff) Die Schlechterstellung der Filmurheberinnen und -urheber ist zu be-
seitigen.

gg) Die allgemeinen Regelungen des Urheberrechtsgesetzes sind in vol-
lem Umfang auf das Arbeitnehmerurheberrecht anzuwenden, insbe-
sondere in Hinsicht auf den Anspruch auf angemessene Vergütung.

hh) Die Regelungen zur Kabelweitersendung in § 20b UrhG sind techno-
logieneutral auszugestalten;

b) für Bildung und Wissenschaft

aa) Das bildungs- und wissenschaftsfreundliche Urheberrecht räumt dem
Recht auf Bildung und der Informations- und Wissenschaftsfreiheit
Vorrang vor der kommerziellen Verwertung ein. Mit öffentlichen Mit-
teln gefördertes Wissen ist für die nichtkommerzielle Nutzung durch
die Öffentlichkeit frei verfügbar.

bb) Die „Open-access“-Entwicklung ist auf eine angemessene rechtliche
Grundlage zu stellen.

cc) Im Interesse der an Bildung und Forschung beteiligten Lehrenden und
Lernenden wird die räumlich unbeschränkte Zugänglichkeit von Wer-
ken im Rahmen einer „campusweiten“ Nutzung von Informationen
gemäß § 52b UrhG ermöglicht.

dd) Die virtuelle Inanspruchnahme von Bibliotheksleistungen wird zum
Zwecke der Informationsversorgung von Bürgerinnen und Bürgern
ebenso erlaubt wie der uneingeschränkte Versand von digitalen Ko-
pien durch öffentliche Einrichtungen in § 53a UrhG;

Drucksache 16/5944 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

c) für die Nutzerinnen und Nutzer

aa) § 95b UrhG ist so zu gestalten, dass die private Vervielfältigungsmög-
lichkeit gemäß § 53 UrhG nicht durch technische Schutzmaßnahmen
ausgehebelt werden kann.

bb) Die Strafbarkeit nach dem geltenden § 106 UrhG muss für den Fall,
dass die Vervielfältigung nur in geringer Zahl und ausschließlich zum
privaten Gebrauch erfolgt, ausgeschlossen werden.

cc) Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes muss bei der Verwen-
dung von Digital-Rights-Management-Systemen umfassend Rech-
nung getragen werden. Dies gilt hinsichtlich der Durchsetzbarkeit der
urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen, der störungsfreien
Nutzbarkeit der Werke durch die Nutzerinnen und Nutzer und der
konsequenten Durchsetzung des Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung. Die Sicherheit der Geräte und Speichermedien ist
vor unzulässigem Zugriff zu schützen.

dd) Die Regelungen zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche ge-
genüber Verbraucherinnen und Verbrauchern sind so auszugestalten,
dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie der
Datenschutz entsprechend gewährleistet sind. Keinesfalls dürfen Aus-
kunftsansprüche gegen Internetdiensteanbieter zur Weitergabe von
Nutzerdaten eingeräumt werden;

2. nach Ablauf von drei Jahren unter Einbeziehung unabhängiger Experten
einen Bericht zu den Auswirkungen des Gesetzes, insbesondere mit Blick auf
die Entwicklung der Vergütungen von Kreativen, vorzulegen und gegebenen-
falls Nachbesserungen vorzuschlagen. Dabei sollen auch die Auswirkungen
der Novellierung des Urhebervertragsrechts Berücksichtigung finden;

3. darüber hinaus die weitere Ausgestaltung des Urheberrechts vor allem in fol-
gende Richtungen und unter Beteiligung aller Betroffenen, insbesondere der
Urheberinnen und Urheber sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher
vorzunehmen:

a) Das Urheberrecht ist ständig an die Erfordernisse der Entwicklung neuer
Technologien anzupassen.

b) Neue Lösungsansätze, die auf einen transparenten und freien Zugang zu
Informationen und allen Kulturgütern zielen, sind zu diskutieren und zu
entwickeln. Dabei ist eine Vereinfachung der pauschalen Regelungen für
die Ansprüche der Urheberinnen und Urheber auf eine angemessene Ver-
gütung anzustreben. Gesellschaftlich bereits diskutierte Konzepte, wie das
der Kultur-Flatrate, sind unter Beteiligung der Protagonistinnen und Pro-
tagonisten juristisch zu prüfen und dem Deutschen Bundestag ist darüber
in geeigneter Form der Sachstand zu berichten.

c) Langfristig ist die „große Lösung“ des Urhebervertragsrechts mit umfas-
sender Regelung der einzelnen Urhebervertragsarten zu realisieren, wie
sie in einigen mittel- und osteuropäischen Ländern schon vorgesehen ist.

d) Die rechtlichen Voraussetzungen für eine angemessene Vergütung der bil-
denden Künstler und Künstlerinnen durch Zahlung von Ausstellungsho-
noraren sind zu schaffen;

4. in der Europäischen Union Verhandlungen anzuregen, die zu einer Neuge-
staltung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft führen. Ziel ist ein
bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht auf europäischer
Ebene, auf der das Recht auf Bildung sowie die Informations- und Wissen-

schaftsfreiheit einen hohen Stellenwert genießen. Dazu muss die Richtlinie
2001/29/EG grundlegend überarbeitet werden. Die Richtlinie muss freien

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/5944

Zugang zu öffentlichem Wissen ermöglichen und die „Open-access“-Ent-
wicklung befördern;

5. die Harmonisierung des Urheberrechts auf internationaler und europäischer
Ebene auch hinsichtlich des Urhebervertragsrechts und der Urheberpersön-
lichkeitsrechte weiterzuverfolgen.

Berlin, den 3. Juli 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.