BT-Drucksache 16/5898

Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-Perspektiven in Wissenschaft und Forschung

Vom 4. Juli 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5898
16. Wahlperiode 04. 07. 2007

Antrag
der Abgeordneten Krista Sager, Irmingard Schewe-Gerigk, Kai Gehring,
Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Qualität und Exzellenz durch mehr Chancengerechtigkeit und Gender-
Perspektiven in Wissenschaft und Forschung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Noch nie verfügten hierzulande so viele Frauen über so hohe Bildungsabschlüsse
wie heute. Diese überaus positive und erfreuliche Entwicklung ist Ergebnis jahr-
zehntelanger erfolgreicher Gleichstellungspolitik. Trotz des hohen akademi-
schen Ausbildungsniveaus von Frauen besteht im deutschen Forschungs- und
Wissenschaftssystem jedoch eine Reihe diskriminierender Strukturen und auch
diskriminierender Verhaltensweisen und Vorurteile fort: Das Geschlechterver-
hältnis der Studierenden und die Karrierechancen von Frauen sind fachbezogen
sehr unterschiedlich. Die Frauenanteile bei den Professuren und in den wissen-
schaftlichen und forschenden Leitungspositionen im inner- wie außeruniversitä-
ren Wissenschaftsbereich sind im internationalen Vergleich erschreckend gering.
Daneben führen strukturelle und kulturelle Hindernisse dazu, dass zu viele Nach-
wuchswissenschaftlerinnen dem Wissenschaftsbereich beim Durchlaufen der
akademischen Qualifikationsstufen verloren gehen.

Vor allem an der Schwelle zur Promotion und noch stärker zur Habilitation
scheiden Nachwuchswissenschaftlerinnen aus dem Wissenschaftssystem aus.
Dies gilt insbesondere für Disziplinen mit einem hohen Anteil von Studentinnen
wie die geisteswissenschaftlichen Fächer. Hier sinkt der Frauenanteil mit stei-
gender Qualifikations- und Karrierestufe überproportional stark. Insgesamt wei-
sen Studien nach, dass Männer nach wie vor stärker gefördert werden, Frauen
mehr leisten müssen, um in ihrer Kompetenz anerkannt zu werden, und Karrie-
reverläufe von intransparenten und informellen Faktoren geprägt sind, die oft
Frauen benachteiligen. Dies hat gesamtgesellschaftlich, insbesondere für den
Arbeitsmarkt, aber auch für die Wissenschaft und ihr Innovationspotenzial
selbst, negative Folgen. Gut ausgebildete Frauen wirken nicht in dem Maße am
wissenschaftlichen Erkenntnis- und Innovationsprozess mit, wie es möglich und
angemessen wäre. Ihr Kreativitäts-, Ideen- und Innovationspotenzial geht dem

deutschen Wissenschafts- und Forschungsbetrieb verloren.

Deutlich unterrepräsentiert sind darüber hinaus Gender-Aspekte als Gegenstand
von Wissenschaft und Forschung. Dies hat zur Folge, dass der darin liegende
qualitative Erkenntnisgewinn viel zu wenig erkannt und als Innovationspoten-
zial genutzt wird. Die Reflexion über die Kategorie Geschlecht bildet einen zen-
tralen Schlüssel für das Verständnis unterschiedlicher Bereiche der Sozial-,
Geistes- und Naturwissenschaften. Gender-Forschung ist deshalb innovativ,

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weil über ihre Fragen und Analysemethoden differenzierte Antworten und neue
Problemlösungen erlangt werden können. Ihre Ergebnisse liefern wissenschaft-
liche Erkenntnisse, die bei medizinischen Diagnose- und Therapieverfahren,
Produkt- und Dienstleistungsinnovationen oder der Bewertung des Einflusses
kultureller Diskurse auf gesellschaftliches Handeln berücksichtigt werden kön-
nen. Forschung ohne Gender-Perspektive ist defizitär, weil sie blind gegenüber
vielfältigen und unterschiedlichen Lebenssituationen und -dimensionen ist.

Verstärkt weisen in letzter Zeit insbesondere die Wissenschafts- und For-
schungsorganisationen auf die negativen Folgen hin, die die Geschlechterdiskri-
minierung für die Leistungsfähigkeit und die Reputation des deutschen Wissen-
schaftssystems hat. Schlechte Karrierechancen von Frauen haben dem deut-
schen Wissenschaftsbetrieb negative Kritiken eingebracht, nicht nur von inter-
nationalen Gutachterinnen und Gutachtern im Rahmen der Exzellenzinitiative.
Auch auf europäischer Ebene gerät das deutsche Wissenschafts- und For-
schungssystem ins Hintertreffen bei der geschlechterparitätischen Besetzung
von Gremien und Entscheidungspanels. Angesichts des demografischen Wan-
dels, der Entwicklung zur Wissensgesellschaft und der zunehmenden internati-
onalen Konkurrenz um qualifiziertes akademisches Personal bedeutet die Unter-
repräsentanz von Wissenschaftlerinnen für Wissenschaft und Forschung eine in-
akzeptable Verschwendung von geistigen Ressourcen. Die Wissenschaftsorga-
nisationen mahnen daher mehr Verbindlichkeit gleichstellungspolitischer
Zielsetzungen an, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissen-
schafts- und Forschungssystems zu sichern. Dabei wird auch die Einführung
einer Frauenquote in Wissenschaft und Forschung debattiert. So griff der da-
malige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker in seinem Jahresbericht 2006
diese Forderung auf. Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Ernst Theodor
Rietschel, bekräftigte dies auf der im April 2007 im Rahmen der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft durchgeführten Konferenz „Gender in der Forschung
– Innovation durch Chancengleichheit“ des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung.

In der Tat liegt der unzulängliche Erfolg bisheriger gleichstellungspolitischer
Maßnahmen an der mangelnden Verbindlichkeit der qualitativen und quantitati-
ven Zielvorgaben, die schlicht nicht akzeptiert und implementiert werden. Seit
Mitte der 1980er Jahre führen Bund und Länder zahlreiche Programme und Ein-
zelmaßnahmen durch mit dem Ziel, der Unterrepräsentanz von Frauen in
Schlüsselfunktionen der Forschung und Wissenschaft entgegenzuwirken. Ein
positives Beispiel und erfolgreiches Instrument zur Frauenförderung war die
2002 unter der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Juniorprofessur. Die
empirischen Befunde des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zeigen
ebenso wie die Daten des Statistischen Bundesamts, dass die Juniorprofessur
akademische Karrierewege junger Frauen wenigstens in einigen Bundesländern
beförderte. Der Frauenanteil rangiert bei der Juniorprofessur 2005 insgesamt mit
29 Prozent über dem Anteil bei den Habilitierten von 23 Prozent. Noch deutli-
cher liegt er über den Anteilen für andere Professuren (z. B. C4/W3: 10 Prozent).
Dies gilt auch für Fächergruppen, die wie die Natur- und Ingenieurwissenschaf-
ten traditionell stark männerdominiert sind. Verlässlichkeit und Planbarkeit, wie
es akademische Laufbahnen über Juniorprofessuren oder auch den hierzulande
allerdings noch nicht etablierten Tenure-Track bieten, scheinen bei der Verein-
barkeit von Erwerbs- und Familienleben besonders für Frauen, ebenso aber auch
für Männer, attraktiv zu sein.

Generell gilt: Gleichstellungspolitische Vorgaben sind bislang viel zu wenig an
überprüfbare Zielmarken geknüpft, die über positive Anreizmechanismen und
finanzielle Steuerungselemente befördert werden und deren Nichteinhaltung ne-
gative Sanktionsmaßnahmen nach sich zieht. Bis zur Erreichung eines gleichbe-

rechtigten Anteils von Frauen auf allen Hierarchiestufen sollte das so genannte
Kaskadenmodell die Grundlage für quantitative Zielvorgaben sein. Nach dem

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Kaskadenmodell soll der Frauenanteil einer Beschäftigungsgruppe den aktuel-
len Frauenanteil der darunter liegenden Qualifikationsstufe erreichen. Darüber
hinaus mangelt es an der Verstetigung durchaus positiv wirkender Einzelmaß-
nahmen. Nach der Föderalismusreform kommt hinzu, dass Bund-Länder-Pro-
gramme wie das Hochschulwissenschaftsprogramm „Chancengleichheit“ nur
unter erschwerten Bedingungen aufgelegt werden könnten und nicht mehr fort-
gesetzt werden. Gleichstellungspolitische Maßnahmen gehören damit weit-
gehend in den Zuständigkeitsbereich der Länder bzw. in die Autonomie der
einzelnen Hochschulen. Daten darüber, welche Länder bislang in welcher
Form Nachfolgeprogramme für mehr Chancengerechtigkeit aufgelegt haben,
liegen der Bundesregierung laut Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 16/5181) nicht vor.

Wir begrüßen Initiativen wie die Offensive für Chancengleichheit, im Novem-
ber 2006 von den deutschen Wissenschaftsorganisationen unterzeichnet, oder
die Empfehlungen zur Verwirklichung von Chancengleichheit im Hochschulbe-
reich, welche die Hochschulrektorenkonferenz – ebenfalls im November 2006 –
verabschiedete. Noch fehlen auch dort weitgehend belastbare und quantifizier-
bare Zielvorgaben. Doch wird eine Reihe von Instrumenten vorgeschlagen, die
eine verbindliche Steigerung der Repräsentanz von Frauen auf allen Hierarchie-
ebenen des Wissenschaftssystems zum Ziel haben. Den Leitungen der Hoch-
schulen bzw. Forschungseinrichtungen wird ferner nahegelegt, gleichstellungs-
orientierte Personalpolitik als ihre genuine Steuerungsaufgabe zu begreifen, die
es nach dem Top-down-Prinzip durchzusetzen gilt. Mit Hilfe gleichstellungs-
orientierter Konzepte und Programme sollen außerdem strukturelle Hemmnisse
im Wissenschafts- und Forschungsbetrieb abgebaut werden. Die Politik sollte
diese Anliegen der Wissenschaft selbst dringend unterstützen.

Um den Anteil der Frauen in sämtlichen Qualifikations- und Karrierestufen in
Forschung und Wissenschaft nachweislich zu steigern, ist der Bund gefordert,
seine Forschungs- und Institutionsförderung an verbindliche Gleichstellungs-
kriterien zu knüpfen. Die Erreichung der gleichstellungspolitischen Ziele muss
dabei über positive Anreize und verbindliche Kennzahlen gesteuert werden,
deren Nichteinhaltung zu Sanktionen führt. Für mehr Chancengerechtigkeit und
Nachwuchsförderung bedarf es außerdem einer Modernisierung der tradierten
Wissenschafts- und Arbeitskultur. Immer noch besteht ein Leitbild des männ-
lichen Wissenschaftlers, der sich weitgehend frei von familiären und sozialen
Verpflichtungen einzelkämpferisch einzig auf seine Wissenschaft konzentriert.
Dieses heroisierte Berufsbild wirkt insbesondere auf Frauen, aber auch auf junge
Männer, die eine akademische Laufbahn anstreben, abschreckend. Inzwischen
verstehen es Unternehmen mitunter sehr viel besser, ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern familiengerechte Strukturen zu bieten. Damit universitäre und
außeruniversitäre Forschungseinrichtungen im nationalen und internationalen
Wettbewerb um qualifiziertes Personal bestehen können, müssen sie dem wis-
senschaftlichen Nachwuchs attraktivere Arbeitsbedingungen bieten, als dies bis-
lang der Fall ist. Dazu gehört u. a. eine familiengerechte Ausgestaltung wissen-
schaftlicher Arbeitsbedingungen.

Wissenschafts- und Forschungspolitik muss bessere Rahmenbedingungen dafür
schaffen, dass sich deutlich mehr Frauen am wissenschaftlichen Erkenntnispro-
zess beteiligen. Um mehr Qualität und Exzellenz zu erreichen, muss sie ferner
darauf hinwirken, dass mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit
Methoden der Gender-Forschung die Fragen stellen, die uns gesellschaftlich
wichtige Erkenntnisse über die soziale Dimension von Geschlecht eröffnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. seine Forschungs- und Institutionenförderung grundsätzlich an verbindliche
Gleichstellungskriterien zu knüpfen. Diese müssen sowohl über finanzielle

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Anreizmechanismen als auch über verbindliche Kennzahlen funktionieren
und bei Nichteinhaltung der Vorgaben zu negativen Sanktionen führen. Ziel
muss eine gleichstellungsorientierte Personalpolitik und die nachweisliche
Steigerung des Anteils von Frauen am wissenschaftlichen Personal auf allen
Hierarchieebenen sein. Eine Grundlage für verbindliche Zielvereinbarungen,
deren Nichteinhaltung zu Negativsanktionen führen muss, bietet das Kaska-
denmodell. Entsprechend dem Kaskadenmodell muss solange, bis eine
gleichberechtigte Vertretung von Männern und Frauen auf allen Hierarchie-
ebenen umgesetzt ist, auf der jeweils nächst höheren Führungsebene ein je-
weils so hoher Frauenanteil erreicht werden, wie auf der vorangehenden
Ebene beschäftigt ist. Dabei muss auch angestrebt werden, dass der Anteil je-
den Geschlechts auf Entscheidungsebenen und in Evaluationsgremien von
Forschungseinrichtungen und Hochschulen mindestens 40 Prozent erreicht;

2. sich dafür einzusetzen, dass sowohl innerhalb von Hochschulen und wissen-
schaftlichen Einrichtungen als auch bei Fördermaßnahmen der Länder das
Kaskadenmodell umgesetzt wird;

3. in Zusammenarbeit mit den Ländern eine Strategie zu entwickeln, welche er-
folgreiche Fördermaßnahmen, die aus dem Ende 2006 ausgelaufenen Bund-
Länder-Hochschulwissenschaftsprogramm „Chancengleichheit“ etabliert
wurden, in den Ländern fortsetzt und verstetigt;

4. in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Zugangs-
barrieren für Frauen in Fächergruppen mit signifikant geringem Frauenanteil
abgebaut werden. Dazu gehört eine Modernisierung der Berufsbilder, Quali-
fikationsprofile und Studieninhalte im Bereich Technik und Naturwissen-
schaften. Voraussetzung dafür ist auch, dass in Bildungseinrichtungen so-
wohl die Methodik des naturwissenschaftlichen Unterrichts als auch die Be-
rufsorientierung verbessert werden, damit das Interesse von Mädchen für
technische und naturwissenschaftliche Fragestellungen früher geweckt und
gefördert wird;

5. in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, die Aufstiegsmög-
lichkeiten für den weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs in den Geistes-
wissenschaften, die für Frauen in steigenden Qualifikations- und Karrierestu-
fen extrem hohe Verlustraten aufweisen, nachhaltig zu verbessern;

6. das Nachwuchsgruppenprogramm in der sozialökonomischen Forschung neu
auszuschreiben und dabei die im Vorgängerprogramm gleichstellungspoli-
tisch besonders wirksamen Aspekte – wie z. B. lange Förderzeiträume (fünf
Jahre) – zu übernehmen. Zugleich sollte dieses Programm auf seine Tauglich-
keit als Best-practice-Beispiel für weitere Nachwuchsprogramme in anderen
Bereichen überprüft werden;

7. in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, das erfolgreiche
Programm der Juniorprofessur mit neuen Mitteln fortzusetzen und die Schaf-
fung von Tenure-Track-Stellen zu befördern. Die Nachwuchsförderung
durch die Juniorprofessur führte durch frühere wissenschaftlicher Eigenstän-
digkeit und einen klareren Berufsweg zur deutlichen Steigerung des Anteils
von Frauen, die nach der Promotion in der Wissenschaft blieben;

8. bei der Schaffung von 200 zusätzlichen Professorinnenstellen, wie sie die
Bundesregierung als vorgezogene Professuren plant, zu gewährleisten, dass
diese Professuren langfristig eingerichtet werden;

9. bei der Neuauflage der Exzellenzinitiative die Förderkriterien konsequent an
verbindliche Gleichstellungsmaßgaben zu knüpfen. Dabei werden künftig
nur solche Hochschulen berücksichtigt, die über gleichstellungsorientierte
Konzepte zur Erhöhung des Wissenschaftlerinnenanteils, zur Organisations-

kultur im Sinne der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zur Förderung
von Gender-Kompetenz in Forschung und Lehre verfügen;

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10. bei den Verhandlungen um den Hochschulpakt 2020 im Bereich der Kapa-
zitätserhöhungen sicherzustellen, dass es zu einer nachweislichen Steige-
rung des Frauenanteils nicht nur auf den unteren Qualifikationsniveaus
kommt. Der Hochschulpakt muss an verbindliche und überprüfbare gleich-
stellungspolitische Zielsetzungen geknüpft werden;

11. sicherzustellen, dass nach Auslaufen des Abkommens der Bund-Länder-
Kommission (BLK) und der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung
Ende 2007 die durch die BLK erhobenen Daten über „Frauen in Führungs-
positionen in der Wissenschaft“ fortgeschrieben werden. Künftig sollten die
Daten zusätzlich nach Herkunft und Alter differenziert werden. Damit wird
gewährleistet, dass ein wichtiges Evaluations- und Kontroll-Instrument des
Erfolgs gleichstellungspolitischer Ziele auch im Sinne des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes erhalten bleibt;

12. bei dem Evaluationsbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nach-
wuchses im Analyse- und Empfehlungsteil einen deutlichen Schwerpunkt
auf Situation und Handlungsbedarf hinsichtlich des weiblichen wissen-
schaftlichen Nachwuchses unter Berücksichtigung fachspezifisch unter-
schiedlicher Erfordernisse zu setzen;

13. bei der in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN (Drucksache 16/5181) angekündigten „Nationalen Qualifi-
zierungsinitiative“ ebenso einen deutlichen Schwerpunkt auf Situation und
Handlungsbedarf hinsichtlich des weiblichen wissenschaftlichen Nach-
wuchses unter Berücksichtigung fachspezifisch unterschiedlicher Erforder-
nisse zu setzen;

14. darauf hinzuwirken, dass im für Herbst 2007 anvisierten Bericht zur Umset-
zung des Pakts für Forschung und Innovation der Stand der Umsetzung
gleichstellungspolitischer Maßnahmen evaluiert und kritisch bewertet wird.
Die Schlussfolgerungen aus dem Bericht müssen zum Ausgangspunkt des
weiteren Controllings im Rahmen des Monitoring-Verfahrens genommen
werden;

15. zusammen mit den Ländern eine Strategie zu entwickeln, um die Unterre-
präsentanz deutscher Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen in wissen-
schaftlichen Kommissionen und Entscheidungspanels auf europäischer
Ebene zu überwinden;

16. die Begabtenförderwerke ebenso wie die Nachwuchsförderprogramme der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der wissenschaftlichen Or-
ganisationen dazu anzuhalten, den Anteil der geförderten Studentinnen und
Promovendinnen nachhaltig zu steigern und damit das bei der Mehrheit der
Förderwerke unausgewogene Geschlechterverhältnis auszugleichen. Ferner
muss bei allen Begutachtungs- und Auswahlverfahren auf die ausgewogene
Präsenz von Männern und Frauen und auf Gender-Kompetenz geachtet wer-
den, um Vorurteile gegenüber Themen und Personen zu verhindern;

17. zur Unterstützung der dringend erforderlichen Modernisierung von wissen-
schaftlichen Berufsbildern und Arbeitsbedingungen an Hochschulen und
Forschungseinrichtungen eine Imagekampagne durchzuführen mit dem
Ziel, deutlich mehr Frauen für wissenschaftliche Karrieren, insbesondere
auch in männerdominierten Disziplinen, zu gewinnen;

18. gemeinsam mit Ländern und Kommunen für familiengerechte Arbeitsbe-
dingungen an Hochschulen zu sorgen. Dazu gehören u. a. eine familienori-
entierte Zeitpolitik, ein deutlicher Ausbau der Betreuungs- und Servicean-
gebote, eine kinderfreundliche Infrastruktur auf dem Campus und die
Möglichkeit einer familiengerechten Arbeits- und Karriereplanung;

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19. nach der Reform des Erziehungs- zum Elterngeld die notwendigen Anpas-
sungen beim BAföG vorzunehmen, um studierenden Eltern die Verein-
barkeit von Familie und Studium zu erleichtern. Studierende Eltern mit
BAföG-Bezug sollten für jedes Kind einen nicht rückzahlbaren Kinder-
zuschlag erhalten;

20. im Rahmen ihrer Forschungsföderung Gender-Forschung deutlich stärker
zu unterstützen und zu implementieren. Dazu gehört z. B., Gender-For-
schung im Rahmen der High-Tech-Strategie zu befördern;

21. bei der Vergabe bundesfinanzierter Forschungsmittel zu gewährleisten, dass
genderrelevante Perspektiven systematisch in den Forschungsprozess inte-
griert werden;

22. genderrelevante Perspektiven der Forschung in der zweiten Säule des
Hochschulpakts zu berücksichtigen. Unter den von der DFG bewilligten
Forschungsvorhaben sollten anteilsmäßig jene Projekte den Vollkostenzu-
schlag bevorzugt erhalten, die Gender als Forschungsgegenstand einbezie-
hen;

23. Genderaspekte und -forschungsmethoden quantitativ sehr viel stärker und
systematischer in die Ressortforschung zu implementieren;

24. die Beteiligung von Frauen an Existenzgründungen aus der Wissenschaft
und an der Anmeldung und Verwertung von Patenten nachhaltig zu steigern.
Dazu sollte in den entsprechenden Förderinstrumenten des Bundes, wie
auch in den gemeinsam mit den Ländern getragenen, eine besondere Unter-
stützung für Ausgründungen und Patentverwertungen durch Frauen ge-
währt werden.

Berlin, den 4. Juli 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Trotz mancher Einzelerfolge steigt der Anteil von Frauen in Wissenschaft und
Forschung in Deutschland nach wie vor nur langsam. Der Verlust weiblichen
wissenschaftlichen Nachwuchses wirkt sich ebenso wie die Marginalisierung
von Gender-Perspektiven in der Forschung als gravierendes Innovations- und
Exzellenzhemmnis aus. Die Diskrepanz zwischen dem hohen akademischen
Ausbildungsniveau von Frauen einerseits und deren niedriger Beteiligung am
wissenschaftlichen Erkenntnis- und Innovationsprozess andererseits ist ein ek-
latantes Gerechtigkeits- und Effizienzdefizit.

Zwar überwiegt im Bereich der Hochschulzugangsberechtigung inzwischen der
Anteil junger Frauen den Anteil junger Männer: 2004 verfügten 40,6 Prozent der
25- bis unter 30-jährigen Frauen über die Hochschulreife gegenüber 37,8 Pro-
zent der gleichaltrigen Männer. Mit diesen hohen Abiturquoten haben Frauen ei-
nen gleichberechtigten Zugang zur Hochschulbildung. Dies schlägt sich auch in
einer gesteigerten Akademikerinnenquote nieder: Die Hälfte der Hochschulab-
solvierenden sind Frauen. 105 553 Frauen, also 50,8 Prozent sämtlicher Erstab-
solventinnen und -absolventen, beendeten 2005 ihr Studium mit einem akade-
mischen Abschluss. Doch in den höheren wissenschaftlichen Qualifikationsstu-
fen sinkt der Frauenanteil fachübergreifend deutlich ab und ist im internationa-

len Vergleich unterdurchschnittlich.

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Je höher der akademische Grad, desto weniger Frauen gibt es. So lag z. B. der
Frauenanteil an den Promotionen 2005 bei 39,6 Prozent; der Anteil an den Ha-
bilitationen betrug im selben Jahr 23 Prozent und unter den Professuren waren
Frauen mit nur noch 14,3 Prozent vertreten. Lediglich 9,7 Prozent der C4-Pro-
fessuren waren weiblich besetzt. Die Unterrepräsentanz von Frauen besteht
ebenso in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und den Wissen-
schaftsorganisationen. Der Frauenanteil am wissenschaftlichen Personal, in
Führungsfunktionen sowie in Kommissionen und Gutachtergremien liegt dort
im Vergleich zu ihrem Anteil an entsprechenden Positionen an Hochschulen so-
gar noch niedriger. Die Spitzenpositionen sind weitgehend geschlechtshomo-
gen, Frauen bleiben die Ausnahme. Am wenigsten Frauen finden sich in der in-
dustriellen Forschung: Variierend nach Wirtschaftszweigen sind sie hier mit
durchschnittlich 12 Prozent vertreten.

Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sich zudem bei der Studi-
enfachwahl und den Karrierebedingungen innerhalb der Fächergruppen feststel-
len. Die Sprach- und Kulturwissenschaften wiesen im Wintersemester 2004/5
mit 69,8 Prozent einen überproportional hohen Studentinnenanteil auf. Demge-
genüber wurden Mathematik- und Naturwissenschaften mit 63,7 Prozent und in-
genieurwissenschaftliche Disziplinen mit 79,1 Prozent überwiegend von Män-
nern nachgefragt. In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie
in der Humanmedizin waren die Geschlechterverhältnisse hingegen vergleichs-
weise ausgeglichen. Hohe Studentinnenanteile innerhalb eines Faches sind je-
doch noch kein Ausweis für günstige Karrierebedingungen. Im Gegenteil sinkt
der Frauenanteil dort mit steigender Qualifikations- und Karrierestufe stark ab.
Fächergruppen mit niedrigem Studentinnenanteil wie die Ingenieurswissen-
schaften hingegen weisen besonders hohe Zugangsbarrieren für Frauen am
Beginn des Studiums auf, bieten im weiteren Verlauf jedoch relativ gute Auf-
stiegschancen. Die niedrigen Studentinnenquoten in den natur- und ingenieur-
wissenschaftlichen Fächern setzen sich allerdings fort in geringen Absolven-
tinnenquoten dieser Fächer und haben zur Konsequenz, dass Frauen in naturwis-
senschaftlichen und technischen Berufen mit akademischen Qualifikationsvor-
aussetzungen nur wenig vertreten sind.

Eine selbstkritische Reflexion in den Organisationen über diskriminierende
Strukturen und Mechanismen des Wissenschaftssystems hat bislang viel zu we-
nig stattgefunden. Die Einsicht in diskriminierendes Handeln scheint versperrt
durch ein wissenschaftliches Selbstverständnis, das auf dem Mythos rein objek-
tiver Leistungsbewertung und der Abwesenheit von Vorurteilen basiert. Dabei
besteht für den Wissenschaftsbetrieb vor dem Hintergrund der demografischen
Entwicklung und der Konkurrenzsituation mit anderen gesellschaftlichen Berei-
chen um qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dringender Handlungs-
bedarf. An den Hochschulen werden bis 2020 aufgrund des Generationenwech-
sels umfängliche Neubesetzungen von Professuren erforderlich werden. Im Be-
reich der ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächer droht perspektivisch
ein eklatanter Mangel an Nachwuchswissenschaftlerinnen. Um die Absolventin-
nenzahlen über das Studierendenhoch der kommenden Jahre hinaus zu steigern,
müssen jetzt die bildungs- und hochschulpolitischen Weichenstellungen vorge-
nommen werden. Ohne zügiges Handeln werden wir auch das Ziel des Europä-
ischen Rats vom März 2001 in Stockholm verfehlen, die Absolvierendenquote
der Natur- und Ingenieurwissenschaften bis 2010 um 15 Prozent zu steigern und
das unausgewogene Geschlechterverhältnis der Studierenden auszugleichen.
Angesichts der Altersstruktur des Wissenschaftspersonals an den Hochschulen,
aber auch mit Blick auf die Entwicklung der Studierendenzahlen, bleibt ledig-
lich ein schmales Zeitfenster für die wirksame Förderung des weiblichen wis-
senschaftlichen Nachwuchses. Dies gilt es umgehend und nachdrücklich als

window of opportunity zu nutzen.

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