BT-Drucksache 16/5759

Studentische Mobilität durch bundeseinheitliche Mindeststandards bei Hochschulzulassung und -abschlüssen sicherstellen

Vom 20. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5759
16. Wahlperiode 20. 06. 2007

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Britta Haßelmann, Priska Hinz
(Herborn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Studentische Mobilität durch bundeseinheitliche Mindeststandards bei Hoch-
schulzulassung und -abschlüssen sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 9. Mai 2007 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Aufhebung
des Hochschulrahmengesetzes (HRG) beschlossen. Darin ist die Außerkraftset-
zung des kompletten HRG zum 30. September 2008 vorgesehen. Damit zieht
sich der Bund vollständig aus der Hochschulgesetzgebung zurück.

Mit der durch die Fraktionen der CDU/CSU und SPD beschlossenen Födera-
lismusreform I wurde die Rahmengesetzgebung als Kategorie und die Kompe-
tenz des Bundes für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens abge-
schafft. Der Bund erhält eine neue konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
für die Materie Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (Artikel 74
Abs. 1 Nr. 33 des Grundgesetzes – GG). Dieser neue Kompetenztitel ist von der
Erforderlichkeitsklausel des Artikel 72 Abs. 2 GG ausgenommen. Die Länder
erhalten gleichzeitig das Recht, von Regelungen abzuweichen, die der Bund in
Ausübung der neuen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz erlässt (Arti-
kel 72 Abs. 3 GG).

Diese widersprüchliche Konstruktion – der Bund darf Regeln erlassen, von
denen jedes einzelne Land sofort nach Inkrafttreten abweichen kann – ist das
Ergebnis eines für Studienberechtigte, Studierende und Absolventen fatalen
Kompromisses zwischen Bund und Ländern. Denn künftig stellt die Verfassung
dem Bund kein verbindliches Instrument mehr zur Verfügung, um die dringend
erforderlichen bundeseinheitlichen Mindeststandards bei Hochschulzulassung
und -abschlüssen zu garantieren. Dadurch dass die Bundesregierung – gegen
den Widerstand von Opposition, Fachverbänden und Wissenschaftsgemein-
schaft – das Grundgesetz zum Gegenstand eines politischen „Kuhhandels“ mit
den Ländern gemacht hat, hat sie den Bund einer zentralen hochschulpoli-
tischen Regelungskompetenz zur Wahrung der Gleichwertigkeit der Lebens-
verhältnisse beraubt. Künftig kann der Bund mit keiner gesetzgeberischen
Maßnahme mehr die Mobilität von Studienberechtigten, Studierenden und
Hochschulabsolventen rechtsverbindlich garantieren.

Nach dieser eklatanten hochschulpolitischen Fehlentscheidung plant die Bun-
desregierung nun auch noch die Abschaffung des HRG. Dieser Schritt stellt
keine zwingende Konsequenz der Föderalismusreform I dar. Das HRG wird
durch die Verfassungsänderung in seinem Bestand nicht unmittelbar berührt. Es
gilt als Bundesrecht weiter fort. Mit der pauschalen Abschaffung des HRG be-
seitigt die Bundesregierung ohne Not einen rechtlichen Rahmen und eine in-

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haltliche Orientierung für die Hochschulpolitik der Länder. Die Bundesregie-
rung räumt selbst ein, dass das HRG Bezugspunkt einer Vielzahl von bundes-
und landesrechtlichen Vorschriften ist und durch seine Aufhebung Regelungs-
lücken drohen (Bundestagsdrucksache 16/2812). Für die Vermeidung dieses
rechtlichen Vakuums baut die Bundesregierung einen unnötigen Zeitdruck auf.
Aufgrund des relativ kurzfristigen gesetzgeberischen Handlungsbedarfs ist zu
erwarten, dass die ggf. fällige Ergänzung der Landeshochschulgesetze sehr un-
einheitlich ausfällt.

Die Abschaffung des HRG trägt zudem nicht – wie vielfach behauptet – zur
Förderung der Hochschulautonomie bei. Schon heute werden die Entschei-
dungsspielräume der Hochschulen wesentlich stärker durch die Hochschulge-
setze der Länder als durch das HRG eingeschränkt. Eine Aufhebung des HRG
kann den Hochschulen daher keine zusätzlichen Freiräume eröffnen. Hierzu
sind vor allem konsequente Schritte auf Landesebene erforderlich. Gleichzeitig
ist zu beachten, dass steigende Hochschulautonomie und damit einhergehende
zunehmend mehr individuelle und ausdifferenzierte Regelungen an jeder ein-
zelnen Hochschule (z. B. bei Auswahlverfahren) zu steigenden Informations-
kosten bei Studienbewerberinnen und -bewerbern führen.

Wesentlich schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass sich die Bundesregierung
mit der Aufhebung des kompletten HRG endgültig von der Gewährleistung
bundeseinheitlicher Mindeststandards für Hochschulzulassung und -abschlüsse
verabschiedet. Denn trotz einer hierfür weiterhin bestehenden rudimentären
Gesetzgebungskompetenz verpflichtet der Bund die Länder künftig nicht mehr
auf die Gleichwertigkeit einander entsprechender Studien- und Prüfungsleis-
tungen sowie Studienabschlüsse und die Möglichkeit des Hochschulwechsels
(vgl. § 9 Abs. 2 HRG). Zwar können die Länder auch bei Fortbestehen des
HRG ab dem 1. August 2008 von dieser Vorschrift abweichen. Aufgrund der
normativen Bindungswirkung dieser seit langem bestehenden, sinnvollen bun-
desrechtlichen Regelung ist dies jedoch wesentlich unwahrscheinlicher, als
wenn gar keine derartige Bundesnorm mehr besteht.

Es ist daher zu befürchten, dass die Studienberechtigten, Studierenden sowie
Absolventinnen und Absolventen die Leidtragenden des von der Bundesregie-
rung geplanten hochschulrechtlichen Kahlschlags sind: Wenn die Länder künftig
nicht mehr verpflichtet sind, die Gleichwertigkeit von Studien- und Prüfungs-
leistungen sowie Studienabschlüssen und die Möglichkeit des Hochschul-
wechsels zu gewährleisten, ist die studentische Mobilität stark gefährdet. Der
Wechsel des Studienorts innerhalb Deutschlands droht komplizierter und auf-
wändiger zu werden als der Umzug ins europäische Ausland. Die durch den
Bologna-Prozess verbesserte Mobilität innerhalb des europäischen Hochschul-
raums würde durch neue Hindernisse im Inland konterkariert. Die bereits durch
die Einführung von Studiengebühren mit ihren landesspezifischen und daher
sehr heterogenen Darlehenssystemen aufgebauten Mobilitätshürden würden
zusätzlich erhöht. Die Intransparenz über die geltenden hochschulrechtlichen
Rahmenbedingungen führt zudem zu Rechtsunsicherheit für Studierende und
Studienberechtigte. Dies droht sich negativ auf die Studierneigung insgesamt
auszuwirken.

Ziel einer verantwortlichen Hochschulpolitik in Bund und Ländern muss die
Gewährleistung bundesweit verbindlicher Mindeststandards bei der Zulassung
zum Studium und der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen so-
wie Hochschulabschlüssen sein. Nur so lässt sich die erwünschte hohe Mobili-
tät von Studienberechtigten, Studierenden sowie Absolventinnen und Absol-
venten ermöglichen und fördern.

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Auch die Einrichtung einer bundesweiten Servicestelle für effizientes Studien-
bewerbungsmanagement erfordert bundeseinheitliche Regelungen und eine
zwischen Bund und Ländern vereinbarte Finanzierung. Aufgaben einer solchen
Einrichtung sollten u. a. die Information von Studienberechtigten und Hoch-
schulen über Studienplatzangebot und -nachfrage, das Management von Be-
werbungen, die Durchführung von Auswahlverfahren in Kooperation mit den
Hochschulen und die Rückmeldung der Bewerbungsergebnisse sein. Die da-
durch erhöhte Transparenz und effiziente Koordination könnte den Zeit- und
Kostenaufwand für die Studienbewerberinnen und -bewerber durch Mehrfach-
bewerbungen vermindern und die Auslastung der vorhandenen Studienplätze
verbessern.

Die Festlegung bundesweiter Mindeststandards und sinnvoller bundeseinheit-
licher Regelungen für Hochschulzulassung und -abschlüsse muss Gegenstand
einer gemeinsamen Einigung von Bund und Ländern sein. Aufgrund der unbe-
friedigenden Rechtslage seit der Föderalismusreform I ist die Gewährleistung
bundeseinheitlicher Standards durch den Bund allein nicht mehr möglich. Eine
bloße Regelung dieser Materie durch die Länder ist jedoch ebenfalls nicht
ausreichend. Schließlich hängt die Gewährleistung studentischer Mobilität im
Inland eng mit der Entwicklung des europäischen Hochschulraums, Fragen der
Ausbildungsförderung sowie der Nutzung und Finanzierung von Studienkapa-
zitäten zusammen. In all diesen Fragen ist eine Beteiligung des Bundes ebenso
unerlässlich wie die Einstimmigkeit aller Länder.

Die einzig verbleibende Notlösung in der durch die Föderalismusreform I her-
vorgerufenen überaus unbefriedigenden hochschulrechtlichen Lage ist die Aus-
handlung eines Staatsvertrags zur Gewährleistung studentischer Mobilität und
zur Förderung der Studienattraktivität zwischen dem Bund einerseits und den
Ländern andererseits erforderlich. Einzig ein für Bund und Länder verbind-
licher Staatsvertrag bietet Studienberechtigten, Studierenden sowie Absolven-
tinnen und Absolventen eine langfristig verbindliche Mobilitätsgarantie. Gegen-
stand dieser Vereinbarung zwischen Bund und Ländern müssen Regelungen zu
Hochschulzulassung und -abschlüssen sein. Konkret muss die bundesweite Ge-
währleistung der Gleichwertigkeit von Studien- und Prüfungsleistungen sowie
Studienabschlüssen und die Möglichkeit des Hochschulwechsels verbindlich
festgeschrieben werden. Auch sollten bundesweite Mindeststandards beim
Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte ohne Abitur definiert werden, um
den dort bislang geltenden rechtlichen Flickenteppich zu bereinigen. Nicht zu-
letzt sollten Aufgaben und Instrumente eines effizienten Studienbewerbungs-
management durch eine bundesweite Servicestelle vereinbart werden. Zur
demokratischen Legitimierung ist es essentiell, den Bundestag und die 16 Lan-
desparlamente bei der Aushandlung des Staatsvertrags frühzeitig und weitge-
hend einzubinden.

Keine Alternative zu einem Staatsvertrag ist ein umfassendes, komplexes und
detailliertes Bundesgesetz, dessen Inhalte in die Kompetenztitel der Länder ein-
greifen und im offenen Widerspruch zu ihrer Position stehen. Aufgrund des in
der Föderalismusreform I verankerten Abweichungsrechts jedes einzelnen
Bundeslands provozieren nichtkonsensuale Bundesgesetze geradezu abwei-
chende Landesgesetzgebung. Damit würde genau der hochschulrechtliche
Flickenteppich befördert, den es zu verhindern gilt.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● gemeinsam mit den Ländern und in Abstimmung mit dem Deutschen Bun-
destag umgehend Verhandlungen über einen Staatsvertrag zur Gewährleis-
tung studentischer Mobilität und zur Förderung der Studienattraktivität auf-
zunehmen;

Drucksache 16/5759 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● sich im Rahmen der Verhandlungen über einen solchen Staatsvertrag insbe-
sondere für bundeseinheitliche Mindeststandards bei der Hochschulzulas-
sung, die bundesweite Gleichwertigkeit von Studien- und Prüfungsleistun-
gen sowie Studienabschlüssen und die Möglichkeit des Hochschulwechsels,
die Öffnung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte ohne Abitur
durch bundeseinheitliche Anerkennungsregeln sowie Aufgaben und Instru-
mente eines effizienten Studienbewerbungsmanagement durch eine bundes-
weite Servicestelle einzusetzen;

● den Gesetzentwurf zur Aufhebung des kompletten HRG bis zum Inkraft-
treten eines solchen Staatsvertrags zwischen Bund und Länder zurückzu-
ziehen.

Berlin, den 20. Juni 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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