BT-Drucksache 16/564

Multilaterales Handelssystem retten - WTO stärken

Vom 8. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/564
16. Wahlperiode 08. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Elke Hoff,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Multilaterales Handelssystem retten – WTO stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Weltweit sind nur wenige Volkswirtschaften in einem so großen Ausmaß von
offen zugänglichen Exportmärkten und nichtdiskriminierenden Handelsregeln
abhängig wie die der Bundesrepublik Deutschland. Mit einem Volumen von
733,5 Mrd. Euro und einer Steigerung um 10,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr
ist Deutschland im Jahr 2004 erneut „Exportweltmeister“ noch vor den USA
geworden. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt mittelbar oder unmit-
telbar vom Export ab. Vor diesem Hintergrund liegt es im vitalen Interesse
unseres Landes, die weltweiten Bemühungen im Rahmen der Welthandelsorga-
nisation (WTO) um eine immer weitergehende Liberalisierung des Welthandels
konstruktiv zu begleiten und energisch voranzutreiben.

Darüber hinaus kommt dem freien Welthandel auch entscheidende Bedeutung
für die ärmsten Länder der Welt zu. Nur wenn der internationale Handel mög-
lichst frei und nach transparenten, nichtdiskriminierenden Regeln gestaltet
wird, kann es gelingen, insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern
(LDC) Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, die das Instrument der direkten
Entwicklungshilfe langfristig überflüssig machen. Die Zielsetzung des „Wohl-
standes für alle“ kann im internationalen Bereich nur durch den Verzicht auf
Marktabschottungen, interne Stützungen und diskriminierende Marktzugangs-
bedingungen erreicht werden. Offene Märkte verbessern die Entwicklungs-
chancen gerade der ärmsten Länder der Welt. Alle empirischen Untersuchungen
belegen: Die Öffnung eigener Märkte führt zu mehr Wohlstand, Bildung, Ge-
sundheit und Rechtssicherheit. Und zwar unabhängig davon, welche Politik
andere Staaten betreiben.

Drucksache 16/564 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Nachdem die WTO-Ministerkonferenz im Dezember 2005 in Hongkong mit
einem Minimalverhandlungsergebnis gerade noch ein wiederholtes Scheitern
verhindern konnte, ist der Druck auf alle 150 Mitgliedstaaten gewachsen, im
Rahmen einer Serie von Folgeverhandlungen bis zum Jahresende 2006 doch
noch zu einem substantiellen Ergebnis – jenseits von Agrarthemen – zu gelan-
gen. Dies ist umso dringlicher als im Jahr 2007 das umfassende Verhandlungs-
mandat der US-Regierung ausläuft (Fast Track Authority). Ein solches Ergebnis
ist auch für die Zukunftsfähigkeit der Welthandelsorganisation von entscheiden-
der Bedeutung.

Für den Exportweltmeister Deutschland hat der verbesserte Marktzugang
oberste Priorität. Dafür sind insbesondere nötig:

● niedrigere Zölle in Industrie- und Entwicklungsländern

● weniger Zollbürokratie

● transparente Zollverfahren

● Öffnung der Dienstleistungsmärkte.

Aus europäischer Sicht ist das Übergewicht, welches die Agrarverhandlungen
auf der Konferenz in Hongkong erreicht hatten, zwar nachvollziehbar in An-
betracht der in diesem Bereich offenkundig bestehenden Marktverzerrungen
durch Exportsubventionen und Marktabschottungen. Die EU-Verhandlungsfüh-
rung ist jedoch in die Defensive geraten, weil es ihr nicht gelungen ist, rechtzei-
tig eine Kommunikationsstrategie einzusetzen, um die bereits vorliegenden
Verhandlungsangebote der EU, wie das stärkste Zollsenkungsprogramm seit
Bestehen der WTO, Änderungen der Zuckermarktordnung und die Terminie-
rung des Auslaufens der Agrarexportsubventionen herauszustellen. So einigten
sich die Verhandlungspartner erst nach tagelangem Verhandlungsgezerre auf
das Jahr 2013 als Endpunkt für diese Subventionen, leider ohne nennenswerte
Gegenangebote anderer agrarprotektionistischer Mitgliedstaaten.

Verhandlungsfortschritte, die für die europäische Wirtschaft von herausragen-
der Bedeutung sind, wie vor allem der Handel mit nicht-landwirtschaftlichen
Gütern (NAMA), Dienstleistungen sowie der Schutz des geistigen Eigentums
(TRIPS), blieben weitestgehend aus.

Auch in anderen Handelsbereichen müssen die Entwicklungsländer ihre kom-
parativen Vorteile im internationalen Wettbewerb nutzen können. Diese sind im
Wesentlichen geringere Arbeitskosten und unterschiedliche Sozialstandards.
International verpflichtende Standards in diesen Bereichen würden den Zugang
zu den Märkten der Industrieländer beschränken und den armen Ländern Ent-
wicklungschancen nehmen.

Die Entwicklungsländer stehen aber auch selbst in der Verantwortung. Nur der
Aufbau von Demokratie, Marktwirtschaft und funktionierenden Rechtssyste-
men ermöglicht auf Dauer eine Entwicklung ihrer Länder. Die Chancen, die
durch Zugeständnisse der Industrieländer im Handelsbereich und in der Ent-
wicklungszusammenarbeit entstehen, müssen auch wahrgenommen werden.
Leider gehört es zur Realität der Entwicklungspolitik, dass viele Entwick-
lungschancen nach wie vor durch korrupte, autoritäre Regime verspielt werden.
Auch muss bei der Fortsetzung der WTO-Verhandlungen darauf gedrängt wer-
den, dass Handelshemmnisse und Zollschranken zwischen den Entwicklungs-
ländern abgebaut werden.

In den kommenden Monaten wird es nun insbesondere darauf ankommen,
einem weiteren Fortschreiten der Tendenz zum Bilateralismus in den internatio-
nalen Handelsbeziehungen wirksam entgegenzuwirken. Langfristig liegt es im
Interesse aller Beteiligten, ein multilaterales und umfassendes Welthandelssys-
tem zu erhalten, das sowohl den Industriestaaten als auch Entwicklungs- und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/564

Schwellenländern die Möglichkeit bietet, partnerschaftlich zusammenzuarbei-
ten im Interesse einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Derzeit existie-
ren weltweit etwa 300 bilaterale Handelsabkommen, von denen die EU die
Mehrzahl stellt. Diese wickelt als größter Handelsblock der Welt nur noch mit
wenigen Staaten (darunter: USA, Australien, Japan, Kanada) den Handel nach
den multilateral vereinbarten WTO-Zöllen ab. Die anderen WTO-Mitglieder
kommen in den Genuss von Präferenzen. Dieser Trend zu weiteren regionalen
Abkommen ist ungebrochen und gefährdet letztendlich die multilaterale Ord-
nung durch eine Reduzierung des Einigungsdrucks der Handelspartner unter
dem Dach der WTO.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Bemühungen auf europäischer wie WTO-Ebene für den Erhalt und die
Stärkung des multilateralen Ansatzes des WTO-Regimes zu intensivieren.
Der zunehmenden Bilateralisierung der internationalen Handelsverpflich-
tungen muss im Interesse des freien Welthandels und der Entwicklungsmög-
lichkeiten ärmerer Länder wirksam entgegengewirkt werden;

2. künftig die Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten der EU auf die Ver-
handlungsführung und -strategie der Europäischen Kommission zumindest
in der gleichen Weise zu nutzen wie dies andere Mitgliedstaaten in der Ver-
gangenheit und auch in Hongkong getan haben;

3. den Deutschen Bundestag während der jetzt entscheidenden Verhandlungs-
phase und rechtzeitig vor Abschluss der Doha-Verhandlungsrunde zu infor-
mieren und intensiver als bisher über Initiativen der Bundesregierung und
deren Umsetzung auf europäischer Verhandlungsebene zu unterrichten;

4. das in Hongkong fixierte Ende der europäischen Agrarexporte im Jahr 2013
zum Anlass zu nehmen, den Prozess einer umfassenden Agrarreform in
Europa weiter voranzutreiben, um diesen insbesondere für die Entwick-
lungs- und Schwellenländer so wichtigen Bereich weiter zu liberalisieren
und damit Fortschritte in anderen Verhandlungsbereichen zu erzielen;

5. auf die europäische Verhandlungsführung dahin gehend einzuwirken, dass
es bei den handelsverzerrenden Exportfördermaßnahmen im Agrarbereich
zu einer fortschreitenden Disziplinierung derjenigen WTO-Mitgliedstaaten
kommt, die sich – anders als die EU – bislang nicht im gleichen Ausmaß zu
einem einseitigen Abbau entschließen konnten;

6. sich im Rahmen von EU und WTO sowie in bilateralen Verhandlungen mit
den USA für eine konkrete Festlegung der US-Regierung auf das Auslaufen
der US-internen Stützung im Bereich der Baumwollproduktion einzusetzen.
Aber auch die Förderung europäischer Baumwollproduktion, die zurzeit mit
700 Mio. Euro jährlich subventioniert, ist zu beenden;

7. sich dafür stark zu machen, dass der im Rahmen des Entwicklungspaketes in
Hongkong erreichte zoll- und quotenfreie Marktzugang für ärmste Entwick-
lungsländer seitens der Industrie- und großen Schwellenländer nicht optio-
nal begrenzt wird auf lediglich 97 Prozent der Zolllinien;

8. innerhalb der EU wie der WTO auf einen substantiellen Beitrag der Schwel-
lenländer zum Abbau der weltweiten Industriezölle (NAMA-Verhandlun-
gen) zu drängen;

9. die praktische Umsetzung des Maßnahmenkatalogs für die weiteren Ver-
handlungen über den Abbau von Zollbürokratie konstruktiv zu begleiten und
einen erfolgreichen Abschluss im Bereich der Handelserleichterungen sicher-
zustellen;

Drucksache 16/564 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. auf europäischer Ebene ihren Einfluss geltend zu machen, damit im
Bereich der Dienstleistungsverhandlungen über die zuletzt erreichten
Minimalergebnisse hinaus auch die von der EU bisher vorgebrachten For-
derungen – wie z. B. die multilateralen Marktöffnungsverpflichtungen –
im Rahmen der WTO weiterhin vorangetrieben werden;

11. eine weltweite Liberalisierung des Handels mit Umweltgütern auf europäi-
scher wie WTO-Ebene weiter zu forcieren;

12. auf europäischer und insbesondere auf WTO-Ebene deutlich zu machen,
das es beim Beharren der Europäer auf Verhandlungen über so genannte
Herkunftsbezeichnungen (GI) nicht etwa um Marktabschottung geht, son-
dern den Schutz geistigen Eigentums. Im Rahmen der TRIPS-Verhandlun-
gen kommt dem Schutz des geistigen Eigentums – nicht zuletzt vor dem
Hintergrund des chinesischen Beitritts zur WTO – entscheidende Bedeu-
tung zu, insbesondere für die deutsche Exportwirtschaft;

13. in Verhandlungen mit Entwicklungs- und Schwellenländern auf die Bedeu-
tung von „good governance“ hinzuweisen, also der Stärkung von rechtsstaat-
licher Strukturen und der Verringerung von Korruption. Durch transparente
Regeln für Investitionen verbunden mit einem besseren Investorenschutz,
Wettbewerb, ein geregeltes öffentliches Auftragswesen und weniger Büro-
kratie in Zollverfahren können grenzübergreifender Handel und Investitions-
möglichkeiten verbessert und der Wohlstand weltweit erhöht werden;

14. darauf zu drängen, dass Handelshemmnisse auch zwischen Schwellen- und
zwischen Entwicklungsländern abgebaut werden.

Berlin, den 7. Februar 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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