BT-Drucksache 16/562

Unternehmen statt Unterlassen - Vorfahrt für den Mittelstand

Vom 8. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/562
16. Wahlperiode 08. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Unternehmen statt Unterlassen – Vorfahrt für den Mittelstand

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland wird wegen seiner ausgewogenen Wirtschaftsstruktur aus kleinen,
mittleren und großen Betrieben weltweit beneidet. Der Mittelstand ist das Herz-
stück der deutschen Volkswirtschaft. Dort finden die meisten Menschen einen
Arbeitsplatz. Dort wird der Großteil der Ausbildungsplätze zur Verfügung ge-
stellt.

Mittelstand ist dabei mehr als eine betriebswirtschaftliche Größeneinheit. Mit-
telstand ist der Ausdruck einer Geisteshaltung. Das freie Unternehmertum hat
im Mittelstand seine Heimat. Mut zum Risiko, Verantwortung für sich und
andere, Innovationsfreude sind gerade bei mittelständischen Unternehmen stark
verankert. Diese Eigenschaften sind es auch, die die deutsche Volkswirtschaft
stark und dynamisch gemacht haben.

Die aktuelle, strukturelle Wirtschaftsschwäche Deutschlands beruht nicht
zuletzt darauf, dass dem Mittelstand mit staatlicher Überregulierung und einer
unerträglich hohen Steuer- und Abgabenlast zunehmend die Luft zum Atmen
genommen wird. Soll Deutschland wieder auf einen höheren Wachstumspfad
gelangen, muss sich die Wirtschaftspolitik stärker an den Bedürfnissen der

kleinen und mittleren Betriebe ausrichten.

Doch unter der Bundesregierung der Fraktionen der CDU/CSU und SPD stehen
die Großunternehmen im Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Strategie. Die
Großen bekommen maßgeschneiderte Wettbewerbsausnahmen in Aussicht ge-
stellt (z. B. Breitbandnetz). Es sind die Großunternehmen, die von einzelnen
Subventionen (z. B. Steinkohle) oder Steuererleichterungen (z. B. Umsatz-
steuererleichterungen für Postdienstleistungen) am meisten profitieren.

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Die kleinen und mittleren Betriebe, die außerhalb des öffentlichen Rampenlichts
ohne staatliches Zutun investieren und Arbeitsplätze sichern oder schaffen, wer-
den mit Kleinigkeiten und Symbolpolitik abgespeist.

Eine Wirtschaftspolitik, die sich am Mittelstand ausrichtet, kommt weitgehend
ohne Interventionismus und Einzelmaßnahmen aus. Denn die beste Mittelstands-
politik ist eine konsistente Ordnungspolitik, die auf Stetigkeit ausgerichtet ist. Die
Betriebe müssen darauf vertrauen können, dass sich die politischen Rahmen-
bedingungen nicht dauernd ändern. Leider macht die Koalition der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD das genaue Gegenteil. So wird etwa die Änderung der
Abschreibungsbedingungen auf zwei Jahre begrenzt. Was danach kommt, weiß
niemand. Die erst für 2008 angekündigte Unternehmenssteuerreform soll auf-
kommensneutral ausgestaltet werden. Für die systemfremde Gewerbesteuer gibt
es eine Bestandsgarantie.

Als Placebo für den Mittelstand wird die steuerliche Absetzbarkeit von Hand-
werkerrechnungen erweitert. Die einseitige Absetzbarkeit von Arbeitsstunden
öffnet Gestaltungen Tür und Tor. Was als Beitrag zur Verminderung der
Schwarzarbeit gedacht ist, setzt genau umgekehrte Anreize. Hinzu kommt: Die
geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer ist ein Schwarzarbeitsförderungspro-
gramm ungekannten Ausmaßes. Schlimmer noch: Mit der Mehrwertsteuererhö-
hung wird heute schon für Unsicherheit gesorgt und morgen der Volkswirtschaft
Konsum- und Investitionsmittel von jährlich 24 Mrd. Euro entzogen. Die mit
großem Brimborium angekündigten „Impulse für Wachstum und Beschäfti-
gung“ der Regierungsklausur von Genshagen machen gerade mal 25 Mrd. Euro
über vier Jahre aus. Das Resultat dieser inkonsistenten Politik wird Kauf- und
Investitionszurückhaltung sein.

Anstatt für eine niedrigere Steuer- und Abgabenbelastung zu sorgen, wird wie-
der nur an den Symptomen kuriert. Die Gesundheitsreform wird vertagt und bei
der Rente werden lediglich Notoperationen vorgenommen. Die Sozialabgaben
verharren bei rd. 42 Prozent des Bruttoeinkommens auf unerträglich hohem
Niveau. Und selbst dies wird nur erreicht, weil dieses Jahr die Beitragszahlun-
gen 13-mal anfallen. Die Zeche zahlen die Unternehmen mit einem Liquiditäts-
entzug in der Größenordnung von 20 Mrd. Euro. Solange die gesetzlichen Lohn-
nebenkosten derart hoch sind, solange die Schere zwischen Brutto und Netto so
stark auseinander geht, wird für viele Betriebe der ökonomische Anreiz weiter-
hin hoch sein, Arbeitsleistungen möglichst durch Sachkapital zu ersetzen.

Nach wie vor ist es für Teile des Mittelstands äußerst schwierig, an Fremdkapital
zu kommen. Die Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD hat sich
daher die Verbesserung der Mittelstandsfinanzierung auf die Fahnen geschrie-
ben. Die ersten Amtshandlungen lassen das Gegenteil erwarten. So soll das ERP
(European Recovery Program)-Sondervermögen, das seit 50 Jahren ein bewähr-
tes Instrument der Mittelstandsfinanzierung darstellt, zum Stopfen von Haus-
haltslöchern aufgelöst werden. Nicht nur, dass 2 Mrd. Euro an den Haushalt flie-
ßen sollen, ist kontraproduktiv. Der von Seiten des Finanzministeriums offenbar
erwogene Verkauf von Forderungen aus Mittelstandsdarlehen an Dritte könnte
zur Verunsicherung von kleinen und mittleren Betrieben beitragen, die sich auf
einmal anderen Gläubigern gegenübersehen.

Der Arbeitsmarkt bleibt verriegelt. Das gerade für den Mittelstand komplizierte
und beschäftigungsfeindliche Kündigungsschutzgesetz wird im Kern nicht ver-
ändert. Stattdessen wird die in der Praxis bewährte Regelung der sog. sach-
grundlosen Befristung durch eine neue Bestimmung ersetzt, die außer Umstel-
lungsproblemen bei Arbeitnehmern und Unternehmen keine zusätzlichen
Beschäftigungswirkungen erwarten lässt. Für eine mittelstandsfreundliche und
beschäftigungsfördernde Regelung sollte das Kündigungsschutzgesetz erst für

Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern gelten. Heute schrecken mittelständische

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Unternehmen selbst bei guter Auftragslage vor Neueinstellungen zurück, weil
sie das komplizierte Arbeitsrecht fürchten.

Gesetzliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit werden von
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD nicht einmal erwogen. Die Flächen-
tarifverträge orientieren sich aber zu stark an den Großunternehmen. Kleine und
mittlere Unternehmen brauchen mehr Selbstbestimmung durch Mitarbeiter und
Unternehmer vor Ort. Sie profitieren am meisten vom Wettbewerb zwischen
zentralen Vorgaben durch einen Flächentarifvertrag und betrieblichen Lösun-
gen. Ohne allgemeinverbindliche Tarifverträge erhöht sich zudem der Druck auf
die Tarifvertragsparteien, bei ihren Abschlüssen die Interessen des Mittelstands
besser zu berücksichtigen. Wenn 75 Prozent der Belegschaft für abweichende
Regelungen vom Tarifvertrag stimmen, muss dies ohne Zustimmung der Ge-
werkschaften und Arbeitgeberverbände möglich sein.

Die diskutierten Mindestlöhne würden die Strukturen am Arbeitsmarkt zusätz-
lich verzerren. Sie führen zu Sperrklinkeneffekten, die Neueinstellungen bei den
unteren Lohngruppen zusätzlich erschweren. Mit diesen Instrumenten werden
die Probleme bei den Langzeitarbeitslosen und im Niedriglohnbereich nicht ge-
löst, sondern verschärft.

Die Hartz-Instrumente wie die „Ich-AG“ oder die so genannten Ein-Euro-Jobs
sind staatlich subventionierte Konkurrenz für mittelständische Handwerks- oder
Dienstleistungsbetriebe. Statt noch immer stärker in den Markt einzugreifen,
sollte die Bundesregierung sich für eine konsequente Privatisierung öffentlicher
Aufgaben einsetzen. Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben stärkt die mittel-
ständischen Betriebe. Denn die heute öffentlichen Serviceleistungen können
vielfach durch Private angeboten werden und sind oftmals Betätigungsfeld klei-
ner und mittlerer Unternehmen. Bei der Aufgabenprivatisierung stehen nicht nur
Länder und Kommunen, sondern auch der Bund in der Pflicht. Die von der
Bundesverwaltung erbrachten Dienste wie Druckereien, Registratur, Sprachen-
dienste, Fahrbereitschaften oder Dienstreiseverwaltungen gehören vorbehaltlos
auf den Privatisierungsprüfstand.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Gesetzliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit ein-
zuführen,

2. einen mittelstandsfreundlichen Kündigungsschutz zu schaffen,

3. das Instrument der „Ich-AG“ nicht erneut zu verlängern und die so genann-
ten Ein-Euro-Jobs drastisch einzuschränken,

4. eine breite Privatisierungsoffensive staatlicher Dienstleistungen voranzu-
treiben,

5. auf die Einführung von Mindestlöhnen zu verzichten,

6. das ERP-Sondervermögen vollständig zu erhalten,

7. die Sozialversicherungen hin zu mehr Eigenverantwortung und Eigenvor-
sorge zur reformieren, damit die gesetzlichen Lohnnebenkosten spürbar ge-
senkt werden können,

8. schnellstmöglich eine Unternehmenssteuerreform vorzulegen,

9. auf die Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten und

10. auf die in diesem Jahr vorgesehene 13-malige Einziehung der Sozialbei-
träge zu verzichten.

Berlin, den 8. Februar 2006
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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