BT-Drucksache 16/5552

Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer Finanzierung des Ausbaus der Kinderkrippen durch den Bund

Vom 5. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5552
16. Wahlperiode 05. 06. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Katja Kipping, Katrin Kunert, Kersten
Naumann, Petra Pau, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn
Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen einer Finanzierung
des Ausbaus der Kinderkrippen durch den Bund

Der „Krippengipfel“ am 2. April 2007 von Bund, Ländern und Gemeinden hat
sich grundsätzlich auf ein Bekenntnis zum Ausbau der Betreuungsangebote für
Unter-Dreijährige auf eine Platz-Kind-Relation von 35 Prozent bis 2013 ausge-
sprochen. Damit will auch Deutschland das auf dem Barcelona-Gipfel der EU
im Jahr 2003 festgelegte Ziel eines Angebots für 33 Prozent aller Unter-Dreijäh-
rigen erreichen. Die Bundesfamilienministerin erklärte, auch der Bund solle sich
an der Finanzierung des Ausbaus beteiligen, wenn dafür das Grundgesetz geän-
dert werden müsse, solle es daran nicht scheitern (Süddeutsche Zeitung, 9. Feb-
ruar 2007).

Die Bundesfamilienministerin hat am 4. Mai 2007 ihr Finanzierungskonzept für
den Ausbau der Kindertagesbetreuungsangebote konkretisiert und den Beitrag
des Bundes auf einen Teil der Investitionskosten beschränkt. Ein weitergehen-
des Engagement des Bundes in Form einer Beteiligung an den Betriebskosten
der neuen Krippen sei rechtlich nicht möglich (Süddeutsche Zeitung, 4. Mai
2007). Inzwischen wird nach Möglichkeiten gesucht, auch Betriebskosten durch
Bundesmittel zu bezuschussen.

Nach Presseinformationen existiert ein unveröffentlichtes Gutachten im indirek-
ten Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ), welches die rechtlichen Möglichkeiten der Finanzierung des Krip-
penausbaus durch den Bund prüft (taz, 9. Mai 2007). Demnach sei Artikel 104b
des Grundgesetzes (GG), der „Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investi-
tionen der Länder und der Gemeinden“ erlaubt, um das wirtschaftliche Wachs-
tum zu fördern, als Grundlage für die Übernahme von Investitionskosten durch
den Bund geeignet. Auch die mit der Föderalismusreform neu geschaffene Vor-
aussetzung einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch die konkurrieren-
de Gesetzgebungskompetenz aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 7 GG sei erfüllt. Die
Übernahme von Betriebskosten der Krippen durch den Bund sei aber nicht mög-
lich. Auch ein Stiftungsmodell, wie von der Union vorgeschlagen, wäre ledig-
lich eine Umgehung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der föderalen Auf-

gabenverteilung und als solche verfassungsrechtlich problematisch (Agentur-
Meldung vom 14. Mai 2007).

Nach Pressemeldungen vom 25. Mai 2007 erwägt die Bundesregierung die Ein-
führung eines „Gutscheinmodells“ zur Krippenfinanzierung. Die Eltern sollten
die Gutscheine entweder bei den Kommunen oder freien Trägern für Kinder-
betreuung einlösen oder andere familienpolitische Hilfen dafür in Anspruch

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nehmen können (Der Tagesspiegel, 25. Mai 2007). Laut einer Meldung der
Tageszeitung Die Welt favorisiert die Familienministerin Ursula von der Leyen
das „Gutscheinmodell“ (Die Welt, 31. Mai 2007).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche verfassungsrechtlichen Probleme existieren hinsichtlich einer Finan-
zierung der Kosten des Ausbaus der Kindertagesbetreuung für Unter-Drei-
jährige durch den Bund?

2. In welcher Weise hat die Föderalismusreform 2006, namentlich die Neuord-
nung der Gesetzgebungskompetenzen, das Verbot bundesgesetzlicher Auf-
gabenzuweisung an die Kommunen und die Regelung des Artikels 104b
GG, die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundes im Bereich der
Kindertagesbetreuung verändert, und wie wirken sich diese Änderungen auf
die heute diskutierten finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten des Bundes
am Ausbau der Kinderkrippen aus?

3. Hat der Bund nach Auffassung der Bundesregierung die Gesetzgebungs-
kompetenz für die Verankerung eines Rechtsanspruches auf einen Be-
treuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr, auch unter den Voraussetzungen
der Erforderlichkeitsklausel Artikel 72 Abs. 2 GG?

4. Ist nach Auffassung der Bundesregierung mit der Verankerung eines
Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz für Unter-Dreijährige durch
den Bund die Möglichkeit einer Kostenübernahme von dadurch verursach-
ten Investitions- und Betriebskosten verfassungsrechtlich gegeben?

5. Mit welcher Begründung kommt das im Auftrag des BMFSFJ erstellte Gut-
achten von Prof. Dr. Werner Heun zu dem Schluss, eine Kostenübernahme
von Investitions- aber nicht der Betriebskosten sei verfassungsrechtlich
möglich?

6. Warum ist auch eine Finanzierung über eine Stiftung laut Gutachten keine
Lösung dieser Problematik?

7. Wann wird das in Frage 5 und 6 erwähnte Gutachten dem Deutschen Bun-
destag zur Verfügung gestellt?

8. Stellt das in den Medien diskutierte und nach Presseangaben von der Fami-
lienministerin favorisierte „Gutscheinmodell“ (Eltern erhalten einen Gut-
schein, den sie gegen staatliche Angebote oder sonstige Erziehungs- und
Betreuungsformen eintauschen können) eine verfassungskonforme Finan-
zierungsmöglichkeit der Betreuungsangebote durch den Bund dar?

Welche Gesetzgebungskompetenz berechtigt den Bund nach Ansicht der
Bundesregierung zur Einführung eines „Gutscheinmodells“?

9. Erwägt die Bundesregierung, das von der CSU geforderte „Betreuungsgeld“
(eine Geldleistung als Alternative zur Inanspruchnahme eines Betreuungs-
platzes) ebenfalls über das „Gutscheinmodell“ einzuführen?

10. Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, dass hinsichtlich eines finan-
ziellen Engagements des Bundes beim Ausbau der Kindertagesbetreuung
für Unter-Dreijährige verfassungsrechtliche Probleme bestehen, und in wel-
cher Weise hat dieser Aspekt die Diskussion des Krippenfinanzierungskon-
zepts zwischen den Ressorts des Bundesministeriums der Finanzen und des
BMFSFJ geprägt?

11. Wurde die von der Bundesfamilienministerin im Februar 2007 in der „Süd-
deutschen Zeitung“ angesprochene Möglichkeit einer Grundgesetzände-

rung zur Ermöglichung eines finanziellen Engagements des Bundes geprüft,
wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5552

12. Wurde in diesem Zusammenhang auch die Schaffung einer Grundlage für
die direkte Zuweisung von zweckgebundenen Mitteln für Kinderbetreuungs-
einrichtungen vom Bund an die Kommunen geprüft, wenn ja, mit welchem
Ergebnis?

Berlin, den 31. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi Oskar Lafontaine und Fraktion

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