BT-Drucksache 16/5538

Inanspruchnahme von Sozialhilfe als Überbrückungsinstrument - Auswirkungen des § 21 SGB XII

Vom 1. Juni 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5538
16. Wahlperiode 01. 06. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Katrin Kunert, Elke Reinke,
Frank Spieth und der Fraktion DIE LINKE.

Inanspruchnahme von Sozialhilfe als Überbrückungsinstrument – Auswirkungen
des § 21 SGB XII

Nach den Regelungen des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Bundessozial-
hilfegesetzes hatte jede/r, der hilfebedürftig war, einen Anspruch auf unmittel-
bare Unterstützung durch die Sozialhilfeträger. Ein erheblicher Anteil der Sozial-
hilfeleistungen bestand in der Überbrückung von Zeiten bis zur Entscheidung
über anderweitige Ansprüche. In dem Sinne hat das Sozialamt häufig als Instanz
einer „Zwischenfinanzierung“ fungiert, wobei nach dem Einsetzen vorrangiger
Ansprüche das Sozialamt die Vorleistungen erstattet bekommen hat.

Mit der Reform des Sozialhilfegesetzes und der Einführung der Grundsicherung
für Arbeitsuchende zum 1. Januar 2005 ist diese Regelung abgeschafft worden.
Nach der neuen Bestimmung im § 21 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB XII) ist die Inanspruchnahme von Sozialhilfe ausgeschlossen, wenn An-
sprüche auf andere Sozialleistungen (wie etwa Alg II) bestehen – unabhängig
davon, ob die Leistungsansprüche tatsächlich gewährt werden.

Die Fraktion DIE LINKE. erreichen nun vermehrt Berichte über Fälle, in denen
die Gewährung von Leistungen zur Überbrückung von Verfahrenszeiten nicht
funktioniert und die verschiedenen Ämter (ARGE, örtliches Sozialamt) die Zu-
ständigkeit verneinen und daher den Betroffenen keine Unterstützung zukom-
men lassen. Insbesondere ist dieses Problem bei den Fällen anzutreffen, in denen
eine ARGE einen Antrag zunächst abgelehnt hat und ein Widerspruch eingelegt
worden ist. Nach eigenen Angaben der Bundesregierung dauert die Bearbeitung
eines Widerspruchs aber 4 bis 5 Monate, in denen der oder die Antragstellerin
und Antragstellern samt seiner Bedarfsgemeinschaft ohne Bescheid und ohne
Unterstützung bleiben. Angesichts des Charakters der Grundsicherung verbin-
det sich mit dieser Situation unmittelbar eine existenzielle Notlage der betroffe-
nen Personen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Umsetzung dieses Aspekts
der Reform des Bundessozialhilfegesetzes?
2. Hat die Bundesregierung Kenntnis von ähnlich gelagerten Problemen wie in
der einleitend geschilderten Fallkonstellation?

3. Welche Handlungsmöglichkeiten verbleiben den betroffenen Antragstelle-
rinnen und Antragstellern, die während eines Antragsverfahrens oder wäh-
rend eines Widerspruchsverfahrens keine anderweitige finanzielle Unterstüt-

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zung erhalten, um ihren persönlichen – und ggf. den ihrer Angehörigen –
Lebensunterhalt zu gewährleisten?

4. Ist es zutreffend, dass Straftaten zur Beschaffung lebensnotwendiger Mittel
unter dem Gesichtspunkt des bestehenden Notstands rechtlich nicht bestraft
werden dürfen?

Hält die Bundesregierung diese Variante einer straffreien „Selbsthilfe“ für
eine sinnvolle Lösung des Problems?

5. Prüft die Bundesregierung die Möglichkeit, den alten Rechtszustand wieder-
herzustellen oder zumindest eine Regelung ins SGB XII einzuführen, wo-
nach die Sozialhilfeträger bei Kenntnis eines Bedarfs diesen in eigener
Zuständigkeit decken können?

6. Plant die Bundesregierung anderweitige Aktivitäten, um den geschilderten
Problemen und ihren häufig existenziellen Auswirkungen zu begegnen?

Welche sind dies konkret?

Berlin, den 30. Mai 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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