BT-Drucksache 16/5477

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - 16/4663, 16/5448 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahnungsdienstgesetzes und anderer Gesetze

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5477
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen,
Mechthild Dyckmans, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/4663, 16/5448 –

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes
und anderer Gesetze

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 3. März 2004 (1 BvF 3/92)
über die Befugnisse des Zollkriminalamtes, Sendungen, die dem Brief-, Post-
oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, zur Verhütung von Straftaten nach dem
Außenwirtschaftsgesetz (AWG) oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu öff-
nen und einzusehen sowie die Telekommunikation zu überwachen und aufzu-
zeichnen, entschieden. Nach Auffassung des Gerichts sind die §§ 39, 40 und 41
AWG mit Artikel 10 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Das Gericht hat den
Gesetzgeber aufgefordert, die Mängel, insbesondere hinsichtlich der Bestimmt-
heit der Regelung, zu beseitigen. Der Gesetzgeber hat 2004 mit dem Gesetz zur

Neuregelung der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung
durch das Zollkriminalamt die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen
zur Straftatenverhütung im Außenwirtschaftsverkehr neu ausgestaltet. Das
Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus in seinem Beschluss vom 3. März
2004 deutlich darauf hingewiesen, dass bei der gesetzlichen Neuregelung die
Grundsätze zu beachten sind, die der Senat in seinem Urteil zur akustischen
Wohnraumüberwachung (1 BvR 2378/98) niedergelegt hat. Damit sind insbe-

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sondere die Grundsätze zur Beachtung der Menschenwürde und zum Kernbe-
reich privater Lebensgestaltung gemeint. Ausgangspunkt der Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts ist die von ihm in ständiger Rechtsprechung getrof-
fene Feststellung, dass bei jeder staatlichen Beobachtung ein aus der Menschen-
würdegarantie des Artikels 1 Abs. 1 GG abzuleitender unantastbarer Kernbereich
privater Lebensgestaltung zu beachten ist. Ausgehend von der Vorgabe des
Bundesverfassungsgerichts, wonach im Falle der Neuregelung der präventiven
Telekommunikationsüberwachung auch die Grundsätze zu beachten sind, die
der Senat in seinen Urteilen zum G10-Gesetz (1 BvR 2226/94) und zu Arti-
kel 13 GG (1 BvR 2378/98) niedergelegt hat, wurde der Gesetzgeber verpflich-
tet, diese verfassungsrechtlichen Vorgaben auch im Bereich der präventiven
polizeilichen Telekommunikationsüberwachung, die Gegenstand des vorliegen-
den Gesetzentwurfs ist, zu beachten.

Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27. Juli
2005 zu den Regelungen zur vorbeugenden Telefonüberwachung im niedersäch-
sischen Polizeigesetz ebenfalls Grundsätze über die Anordnungsvoraussetzun-
gen von präventiven Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen aufgestellt
(1 BvR 668/04). Auch hier hat das Gericht für die Überwachung der Telekom-
munikation zwecks Vorsorge für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten
kernbereichsschützende Regelungen eingefordert. Es könne nicht ausgeschlos-
sen werden, dass bei der Erfassung der Kommunikationsinhalte personenbezo-
gene Daten betroffen sind, die sich auf den Kernbereich höchstpersönlicher
Lebensgestaltung beziehen, so das Bundesverfassungsgericht. Entscheidend ist,
dass es bei präventiven Maßnahmen an einem abgeschlossenen oder in Verwirk-
lichung begriffenen strafbaren Handeln fehlt. Es besteht daher ein erhebliches
Risiko, dass die Überwachungsmaßnahmen an ein Verhalten anknüpfen, das
sich im Nachhinein als strafrechtlich irrelevant erweist.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung versucht, im Zollfahndungsdienst-
gesetz Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bei
Befugnissen zu Eigensicherungsmaßnahmen innerhalb von Wohnungen und zur
Telekommunikationsüberwachung zu schaffen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird den Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts jedoch nicht voll umfänglich gerecht:

1. Die kernbereichsschützenden Regelungen entsprechen nicht den Grundsät-
zen, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat. In seinem Urteil vom
3. März 2004 hat das Bundesverfassungsgericht den engen Bezug der Unver-
letzlichkeit der Wohnung zur Menschenwürde herausgestellt. Dem Einzelnen
soll das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, gerade in seinen privaten Wohn-
räumen gesichert sein, und zwar ohne Angst, dass staatliche Stellen die Ent-
faltung seiner Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung über-
wachen. Das Gericht hat klar und eindeutig ausgeführt, dass in diesem
Kernbereich die akustische Überwachung von Wohnraum nicht eingreifen
darf, und zwar auch nicht im Interesse der Effektivität der Strafrechtspflege
und der Erforschung der Wahrheit. Eine Abwägung nach Maßgabe des Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatzes zwischen der Unverletzlichkeit der Wohnung
und dem Strafverfolgungsinteresse darf insoweit nicht stattfinden. Selbst
überwiegende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diese
Freiheit zur Entfaltung in den höchstpersönlichen Angelegenheiten nicht
rechtfertigen, so das Bundesverfassungsgericht.

a) In § 22a Abs. 2 Satz 1 und § 32a Abs. 2 Satz 1 soll eine Überwachungs-
maßnahme zur Eigensicherung innerhalb von Wohnungen, die den Kern-
bereich privater Lebensgestaltung betrifft, nur dann unterbrochen werden,
sobald dies ohne Gefährdung der eingesetzten Person möglich ist. Diese

Abwägung widerspricht eindeutig der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts. Das Gericht hat in seiner Entscheidung zum Abhören von

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5477

Wohnungen festgestellt, dass das Abhören und Aufzeichnen des nicht
öffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen untersagt werden muss,
wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass absolut geschützte Gespräche
erfasst werden. Eine Abwägung mit anderweitigen Gesichtspunkten nach
Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist unzulässig.

b) § 23a Abs. 4a sieht für die präventive Telekommunikationsüberwachung
einen Kernbereichsschutz nur dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte
für die Annahme vorliegen, dass durch die Maßnahme „allein“ Kommu-
nikationsinhalte aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt
würden. Es ist jedoch praktisch nicht denkbar, dass sich Kommunikations-
inhalte alleine auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung begrenzen
ohne darüber hinaus auch andere Sachverhalte von allgemeiner Bedeu-
tung zu erfassen. Es ist daher davon auszugehen, dass zunächst grundsätz-
lich eine Überwachungsmaßnahme angeordnet wird. Die Schutzfunktion
des § 23a Abs. 4a geht damit ins Leere.

c) Für die verdeckten Maßnahmen zur Datenerhebung in den §§ 18 ff. ist
kein Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung vorgesehen. Das
Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seiner Entscheidung zum Ab-
hören in Wohnungen deutlich darauf hingewiesen, dass bei Überwachun-
gen grundsätzlich ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensge-
staltung zu wahren ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Schutz
ausdrücklich nicht nur auf Maßnahmen beschränkt, die in die Grundrechte
der Artikel 10 und Artikel 13 eingreifen. Der Schutz bei Eingriffen durch
staatliche Überwachungsmaßnahmen in die Grundrechte werden über die
Artikel 10 und Artikel 13 GG hinaus insbesondere durch Artikel 1 und 2
GG im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte gewährleistet.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum niedersäch-
sischen Polizeigesetz Regelungen für verfassungswidrig erklärt, die für die
Anordnung einer Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme lediglich
voraussetzen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass jemand in der
Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. Sieht der
Gesetzgeber in solchen Situationen Grundrechtseingriffe vor, so hat er die
den Anlass bildenden Straftaten sowie die Anforderungen an Tatsachen, die
auf die künftige Begehung hindeuten, so bestimmt zu umschreiben, dass das
im Bereich der Vorfeldermittlung besonders hohe Risiko einer Fehlprognose
gleichwohl verfassungsrechtlich noch hinnehmbar ist, so das Bundesverfas-
sungsgericht. Bei der Vorverlagerung des Eingriffs in eine Phase, in der sich
die Konturen eines Straftatbestandes noch nicht abzeichnen, bestehe das
Risiko, dass der Eingriff an ein nur durch relativ diffuse Anhaltspunkte für
mögliche Straftaten gekennzeichnetes, in der Bedeutung der beobachteten
Einzelheiten noch schwer fassbares und unterschiedlich deutbares Gesche-
hen anknüpfe. Das Tatbestandsmerkmal „Tatsachen“ genüge in seiner
Bezugnahme auf eine künftige Straftatenbegehung den Bestimmtheitsanfor-
derungen nicht. Es seien vielfältige Anknüpfungen denkbar, die nach hypo-
thetischem Kausalverlauf in der Straftatenbegehung eines potentiellen Täters
münden könnten. Das Gericht verlangt daher einen konkreten, in der Ent-
wicklung begriffenen Vorgang oder dessen Planung. § 18 Abs. 1 Nr. 2, § 19
Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 2 und § 21 Abs. 1 Nr. 2 verlangen demgegenüber
bei den verdeckten Datenerhebungsbefugnissen lediglich Tatsachen, die die
Annahme rechtfertigen, dass Personen von der Vorbereitung von Straftaten
Kenntnis haben. Dies entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Um die Bestimmtheitsanforderungen spezifisch an diese Vorfeldsituation
auszurichten, bedarf es daher einer Eingrenzung auf die konkrete, in Ent-
wicklung begriffene Vorbereitung von Straftaten.

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3. Der Gesetzentwurf enthält keinen ausreichenden Schutz für Berufsgeheim-
nisträger, insbesondere für Journalisten, vor staatlichen Überwachungsmaß-
nahmen. § 23a Abs. 5 sieht für Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete und
die entsprechenden Berufshelfer ein absolutes Erhebungs- und Verwertungs-
verbot vor. Für Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten gilt ein relatives, an
Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten orientiertes Erhebungs- und Verwer-
tungsverbot. Die in dem Gesetzentwurf gewählte Formulierung enthält eine
Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen und lässt daher konkrete Ab-
wägungskriterien vermissen. Der Vertrauensschutz kann auf diese Weise
nicht gewährleistet werden. Auch § 23a Abs. 5a ist vor diesem Hintergrund
nicht sachgerecht. Die Regelung fällt noch hinter das Schutzniveau von § 97
Abs. 5 der Strafprozessordnung (StPO) zurück. § 23a Abs. 5a lässt den
Schutz von Journalisten vor staatlichen Ermittlungsmaßnahmen entfallen,
wenn die dort genannten Personen an der Vorbereitung einer Tat beteiligt
sind. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu erst kürzlich festgestellt, dass
der Schutz von § 97 StPO nur dann nicht einschlägig ist, wenn ein als Jour-
nalist an sich Zeugnisverweigerungsberechtigter, selbst Beschuldigter oder
Mitbeschuldigter der Straftat ist, um deren Aufklärung es geht. Dieser Schutz
wird unterlaufen, wenn lediglich auf die Beteiligung an der Tatvorbereitung
abgestellt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Änderung des Zollfahn-
dungsdienstgesetzes vorzulegen, der die Vorgaben des Bundesverfassungs-
gerichts aus den Urteilen zur akustischen Wohnraumüberwachung (1 BvR
2378/98 und 1 BvR 1084/99) und zum niedersächsischen Polizeigesetz (1
BvR 668/04), insbesondere zum Kernbereichsschutz bei Abhörmaßnahmen
innerhalb von Wohnungen und bei Telekommunikationsüberwachungsmaß-
nahmen umfänglich umsetzt;

2. dem Deutschen Bundestag jährlich einen detaillierten Bericht über Anlass,
Verlauf, Ergebnisse, Anzahl der Betroffenen, Kosten und Relevanz der Über-
wachungsmaßnahmen nach dem Zollfahndungsdienstgesetz für die Gefah-
renabwehr und die Verfolgung von Straftaten vorzulegen.

Berlin, den 23. Mai 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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