BT-Drucksache 16/5422

Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsengang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5422
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily , Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten –
RAG-Börsengang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Weder volkswirtschaftlich noch aus Gründen der Versorgungssicherheit macht
ein Weiterführen des subventionierten Steinkohlebergbaus um ein weiteres Jahr-
zehnt bis 2018 Sinn. Volkswirtschaftlich ist es absolut unvernünftig, mit Sub-
ventionen Arbeitsplätze zu erhalten, die weder wettbewerbsfähig sind noch in
absehbarer Zeit wettbewerbsfähig werden. Diese künstlich erhaltenen, hoch
subventionierten Arbeitsplätze vermindern die Wettbewerbsfähigkeit derjeni-
gen Arbeitsplätze, die durch hohe Steuern und Abgaben diese Subventionen zu-
sätzlich erwirtschaften müssen. So wird ein Arbeitsplatz in der deutschen Stein-
kohle zurzeit mit rund 75 000 Euro jährlich subventioniert.

Die jährliche Förderleistung pro Beschäftigtem im Steinkohlebergbau ist in
Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern äußerst gering. Ursachen hierfür
sind vor allem die geologisch ungünstige Lage der Lagerstätten und die hohen
Arbeitskosten in Deutschland. Eine weitere Ursache ist der Subventionsmodus,
der auf Erstattung entstandener Kosten basiert: Dieser Modus bietet kaum An-
reiz für Effizienzsteigerungen, so dass sich der hoch kapitalintensive deutsche
Steinkohlebergbau im Gegensatz zu allen wettbewerbsfähigen Förderunterneh-
men die 5-Tage-Woche leisten kann.

Der Abbau deutscher Steinkohle stellt so gut wie keinen Beitrag für unsere Ver-
sorgungssicherheit mit Energie dar. Der Anteil deutscher Steinkohle an der in
Deutschland produzierten und verbrauchten Gesamtenergiemenge ist sehr ge-

Drucksache 16/5422 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ring. Die heute bereits bekannten Weltkohlevorräte sowie deren globale Vertei-
lung lassen auf absehbare Zeit keine Verknappung erkennen. Ihre geographische
Verteilung ist – im Gegensatz zu den Öl- oder Gasvorräten – nicht auf wenige,
politisch instabile Regionen begrenzt, sondern reicht von Australien über Indo-
nesien, China, Russland, Osteuropa, Südafrika, Brasilien bis in die USA.

Eine – nur schwer vorstellbare – kurzfristige Verknappung der Steinkohle in
Deutschland könnte durch Bevorratung verhindert werden. Die Haldenkapazität
aus den 80er Jahren reicht für etwa drei Jahre aus. Die Kosten für eine einjährige
Bevorratung würden den Importkohlepreis um weniger als 15 Prozent steigern,
während die Förderkosten deutscher Steinkohle etwa 200 Prozent über dem
Preis für Importkohle liegen.

Mit dem geplanten Börsengang der RAG besteht die historische Chance, aus der
ineffizienten Steinkohleförderung in Deutschland zukunftsgerichtet und sozial-
verträglich auszusteigen. Dabei bedeutet Sozialverträglichkeit: den Menschen,
die bisher im Bergbau beschäftigt waren, eine neue Perspektive zu geben. Dies
gelingt am besten mit einem Strukturwandel, der aktiv unterstützt wird. Bislang
wird aber das Subventionsgeld nicht für den Strukturwandel und die Schaffung
neuer Arbeitsplätze verwendet, sondern in das Beenden von Beschäftigung ge-
steckt. Nach Berechnungen im Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie (BMWi) werden von heute bis zum Auslaufen im Jahre 2018 noch 39,7
Mrd. Euro Steuergelder in den Bergbau gesteckt. Dies bedeutet, bei heute etwa
35 000 Bergleuten, ein Betrag von 1,13 Mio. Euro pro Bergbaubeschäftigtem.

Bei einer Beendigung des Subventionsregimes im Jahre 2012 statt 2018, können
laut BMWi 12 Mrd. Euro eingespart werden. Damit ließe sich eine Transrapid-
strecke wie in München vom Flughafen zur Innenstadt 8-mal bauen. Damit lie-
ßen sich mehr als die dann noch rund 10 000 im Bergbau tätigen Arbeitnehmer
mit einer Perspektive in Arbeit und Brot bringen.

Vorbild kann der gelungene Strukturwandel in der deutschen Stahlindustrie sein.
Aus den Stahlunternehmen Thyssen, Krupp oder Mannesmann sind längst Un-
ternehmen mit modernen, zukunftsfähigen Produkten geworden – ohne, dass es
ähnlich hoher Subventionen wie beim Steinkohlebergbau bedurfte. Das Geld
wurde lieber in den Strukturwandel der Konzerne gesteckt, um neue Tätigkeits-
felder zu erschließen, in denen neue Arbeitsplätze entstanden sind. So macht es
die private, unsubventionierte Wirtschaft.

Laut Deutsche Steinkohle AG (DSK) werden von den derzeit ca. 3 000 Auszu-
bildenden fast 50 Prozent als Elektrotechniker und rund 40 Prozent als Maschi-
nentechniker ausgebildet. Die Ausbildung als Bergtechniker spielt nur noch eine
untergeordnete Rolle. Die Trendumkehr zu anderen Ausbildungsberufen ist vor
etwa 10 Jahren eingeleitet worden. Die von der DSK hervorragend ausgebilde-
ten Facharbeiter sollten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und nicht durch
unsinnige Frühverrentungsprogramme aufs Abstellgleis geschoben werden. Es
ist durchaus möglich, dass bspw. der freigesetzte Elektriker im Bergbau bei der
Steag eingesetzt werden kann. Doch solange der Staat mit dem so genannten An-
passungsgeld immense Anreize für die Frühverrentung setzt, wird dieser wirt-
schafts-, sozial- und strukturpolitisch sinnvolle Beschäftigungseffekt nicht zum
Tragen kommen. In Zeiten des Fachkräftemangels sind die Weichenstellungen
des Anpassungsgeldes nicht zu verantworten. Auch unter Gerechtigkeitsge-
sichtspunkten ist das Anpassungsgeld eigentlich nicht vertretbar: Ein Hartz-IV-
Empfänger müsste laut Regelsatz 274 Jahre leben, um einem sozial verträglich
ausgeschiedenen Bergmann gleichgestellt zu sein.

Der Vorstand der RAG beabsichtigt einen Umbau des RAG-Konzerns durch
Gründung einer Stiftung zur Bedienung der Bergbaulasten, die durch den Erlös
aus dem Börsengang des weißen Bereichs (Chemie, Immobilien, Energie) finan-
ziert werden soll. Diese Bemühungen sind grundsätzlich zu begrüßen. Voraus-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5422

setzung für den Erfolg des Börsenganges ist die Befreiung des Unternehmens
von der Haftung für die Altlasten im Zusammenhang mit dem Steinkohleberg-
bau. Dies führt zu mehr Wachstum des Unternehmens, verbessert die Wett-
bewerbsposition des neuen Energie- und Chemiekonzerns und eröffnet damit
auch den Mitarbeitern der Deutschen Steinkohle AG neue Beschäftigungs-
perspektiven.

Das Stiftungsmodell zur Bedienung der Ewigkeitskosten muss jedoch so ausge-
staltet werden, dass ein Börsenunternehmen entstehen kann, das weder politisch
noch gewerkschaftlich dominiert wird. Die angedachte Sperrminorität, die von
der Stiftung gehalten werden soll, ist das Gegenteil davon. Industriepolitischen
Interventionen werden mit dieser Sperrminorität Tür und Tor geöffnet. Zudem
begibt man sich in die Gefahr einer jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzung
mit der EU, wie das Beispiel VW-Gesetz zeigt.

Das Wirtschaftsprüfergutachten für das BMWi kommt zu dem Schluss, dass ein
Einzelverkauf etwas mehr Geld bringen würde als der integrierte Börsengang
(5, 9 vs. 5, 1 Mrd. Euro). Sowohl für die Chemiesparte als auch für die Steag
wurden in der Öffentlichkeit sogar noch höhere Summen genannt. Der Wert der
Degussa wurde von Konkurrenten und Analysten auf 4 bis 6 Mrd. Euro, der
Wert der Steag auf 4 Mrd. Euro taxiert. Der RAG-Vorstand hingegen verweist
auf die langfristigen Wertsteigerungsmöglichkeiten sowie auf standortpolitische
Vorteile eines neu entstehenden Dax-Konzerns für die Bergbauregionen. Für das
neu geschaffene Unternehmen könnte es dennoch nach dem Börsengang attrak-
tiv sein, Sparten zu verkaufen, um sich auf so genannte Kernkompetenzen zu
konzentrieren. Für diesen Fall muss die Politik im Interesse des Steuerzahlers
eine Möglichkeit haben, an möglichen Veräußerungserlösen nach dem Börsen-
gang zu partizipieren – etwa über einen Besserungsschein.

Bislang soll die Stiftung ein ganzes Bündel von Zielen verfolgen. Neben der
Verwertung der Börsenerlöse zur Bedienung der Ewigkeitskosten sollen andere
Dinge wie Kulturförderung oder eine aktive Beteilungspolitik vom Stiftungs-
vorstand betrieben werden können. Hierdurch sind Zielkonflikte und politische
Interventionen so gut wie vorprogrammiert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● das Auslaufen des subventionierten Steinkohlebergbaus in Deutschland zu
beschleunigen. Bis spätestens 2012 ist ein sozialverträglicher Ausstieg mög-
lich, wenn die politischen Weichenstellungen stimmen;

● darauf hinzuwirken, dass eine Trennung des „weißen“ und „schwarzen“ Be-
reichs der RAG nur in einer Weise erfolgt, bei der den Mitarbeitern im
„schwarzen“ Bereich die angestrebte Beschäftigungsperspektive im „wei-
ßen“ Bereich auch tatsächlich eröffnet wird. Beispiele in anderen Konzernen
der Montanindustrie, deren Umwandlung zu modernen Technologiekonzer-
nen sozialverträglich und mit Arbeitsplatzerhalt im Rahmen der Konzerne er-
folgte, zeigen, dass dies möglich ist. Kontraproduktive Regelungen zur Früh-
verrentung wie etwa das Anpassungsgeld, das dieser Zielsetzung im Wege
steht, müssen abgebaut werden;

● bei den Verhandlungen zur Bergbau-Stiftung sicherzustellen, dass die für Alt-
lasten gebildeten Rückstellungen und der gesamte Firmenwert der RAG voll-
ständig für die Beseitigung dieser Altlasten sowie für die Stilllegungen zur
Verfügung stehen;

● darauf zu achten, dass das neu entstehende Börsenunternehmen vollständig
kapitalmarktfähig wird. Instrumente wie so genannte Goldene Aktien oder
künstlich geschaffene Sperrminoritäten sind auszuschließen, um die für Bör-
senunternehmen notwendige Staats- und Gewerkschaftsferne zu gewähr-
leisten;

Drucksache 16/5422 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● die Stiftung primär dem Ziel der Bedienung der Ewigkeitslasten zu verpflich-
ten und somit Interessenskollisionen zu vermeiden;

● Vorkehrungen etwa über Genuss- oder Besserungsscheine zu treffen, die der
Stiftung und damit indirekt den Steuerzahlern bei nachträglichen Spartenver-
käufen des neu entstehenden Börsenunternehmens einen Teil des Veräuße-
rungsgewinns sichern;

● bei der Zusammensetzung der Stiftungsgremien darauf zu achten, dass tat-
sächlich alle Betroffenen, also etwa auch die vom Bergbau Geschädigten,
adäquat vertreten sind. Da das Kuratorium auch Überwachungsorgan des
Stiftungsvorstands sein soll, müssten auch Vertreter mit Erfahrungen aus dem
Kapitalmarkt oder der Führung von Unternehmen berücksichtigt werden;

● sicherzustellen, dass eine verbindliche Regelung mit allen Beteiligten für das
Auslaufen des subventionierten deutschen Steinkohlebergbaus erreicht wird.
Diese Regelung muss auch vorsehen, dass der unsubventionierte Steinkohle-
bergbau sich verpflichtet, auf Abbau unter dicht besiedelten oder von Hoch-
wasser bedrohten Gebieten zu verzichten;

● die Subventionen für die Auslaufperiode vom bisherigen kostenorientierten
Erstattungsprinzip auf ein Prämienmodell (je geförderte Tonne) umzustellen.

Berlin, den 23. Mai 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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