BT-Drucksache 16/5410

Mehr Freiheit wagen - Zivilgesellschaft stärken

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5410
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Sibylle Laurischk, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz
Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Dr. Konrad
Schily, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Mehr Freiheit wagen – Zivilgesellschaft stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unsere Zivilgesellschaft umfasst rund 1 Million Organisationen, in denen sich
mehr als 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger freiwillig engagieren. Hinzu
kommen nahezu 1,2 Millionen Vollzeitbeschäftigte. Dem bürgerschaftlichen
Engagement kommt damit eine überragende Bedeutung für das Gemeinwesen
zu. Es ist Ausdruck des inneren Zusammenhalts und bildet den sozialen Kern un-
serer Gesellschaft jenseits materieller Erwägungen. Bürgerschaftliches Engage-
ment ist längst zu einem wachsenden Innovationsmotor geworden und trägt aktiv
dazu bei, den Staat finanziell zu entlasten.

In den letzten 15 bis 20 Jahren hat sich die Zivilgesellschaft stark gewandelt. Sie
hat zusätzliche Aufgaben übernommen und ein grundlegend neues Selbstver-
ständnis entwickelt. Diese Veränderungen erfordern eine grundlegende Über-
arbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts. Zentrale Aufgabe ist dabei die Stärkung
der Zivilgesellschaft. Ziel muss dabei die Schaffung von Freiräumen für bürger-
schaftliche Organisationen sein. Sie müssen sich ohne staatliche Bevormundung
frei entwickeln können.
Der Deutsche Bundestag fordert eine Neuausrichtung des Gemeinnützigkeits-
und Spendenrechts. Staat, Markt und Zivilgesellschaft sollen als gleichrangige
Akteure nebeneinander stehen. Die Zivilgesellschaft benötigt Rahmenbedin-
gungen, unter denen sie sich möglichst frei und unabhängig weiterentwickeln
kann. Ziel ist deshalb eine klare Abgrenzung von Staat und Markt. Dabei genügt
es nicht, zusätzliche oder neue Steuervorteile zu schaffen. Erforderlich ist eine

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grundlegende Systemüberarbeitung. Der Deutsche Bundestag will weg vom ge-
währenden und hin zum ermöglichenden Staat.

Die starke Abhängigkeit zivilgesellschaftlicher Organisationen von der öffent-
lichen Hand wirkt sich lähmend auf deren Entwicklung aus. Hinzu kommen
begrenzte finanzielle Ressourcen und eine oft nur geringe Transparenz, die an-
gesichts der Privilegierung gemeinnütziger Organisationen nicht zu rechtferti-
gen ist. Die Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements wird heute zu
sehr von den örtlichen Finanzbehörden beeinflusst. Neue zivilgesellschaftliche
Initiativen haben es zum Teil schwer, rechtlich anerkannt zu werden. Die Frage
nach Steuervergünstigungen steht oft im Vordergrund, obwohl von vielen Orga-
nisationen ein Steueraufkommen nicht zu erwarten ist.

Wie auch viele andere Bereiche unseres Steuerrechts sind die Regelungen über
gemeinnützige Organisationen zu kompliziert und schwer verständlich. Da-
durch entstehen Bürokratielasten, die sich negativ auf die Motivation ehrenamt-
lich engagierter Bürger auswirken. Zentrale Forderungen zur Stärkung der Zivil-
gesellschaft sind daher die Vereinfachung des Gemeinnützigkeitsrechts und die
Erhöhung der Transparenz.

II. Der Deutsche Bundestag beschließt:

1. Das Akkreditierungsverfahren wird konsequent vereinfacht. Die Beurtei-
lungsrichtlinien der Steuerbehörden sind von kleinlichen Einzelbestimmun-
gen zu befreien. Für zivilgesellschaftliche Organisationen ohne steuerliche
Relevanz muss ein vereinfachtes Akkreditierungsverfahren geschaffen wer-
den.

2. Da gemeinnützige Ziele ständig neu entstehen und ebenso wieder wegfallen
können, braucht die Zivilgesellschaft flexible Regelungen. Eine abschlie-
ßende Aufzählung förderungswürdiger Zwecke schränkt die eigenständige
Entwicklung des zivilgesellschaftlichen Engagements stark ein und macht es
insoweit vom Staat abhängig. So verdient etwa die Förderung des bürger-
schaftlichen Engagements als solches bereits Anerkennung. Im sozialen Be-
reich ist eine Festlegung auf die Zwecke der amtlich anerkannten Verbände
der freien Wohlfahrtspflege aufzugeben. Sie diskriminiert die übrigen Orga-
nisationen und deren Ziele. Zivilgesellschaftlichen Organisationen muss es
insgesamt erleichtert werden, die Schwerpunkte ihres Engagements fortzu-
entwickeln.

3. Damit auch juristische Laien das Gemeinnützigkeitsrecht verstehen und
sicher anwenden können, brauchen wir ein einheitliches, neu formuliertes
Regelwerk mit einfachen Vorschriften. Gerade im Bereich des freiwilligen
Engagements werden überflüssige Bürokratielasten als besonders demotivie-
rende Hürden empfunden. Um eine zügige Bearbeitung der Anträge zu ge-
währleisten, sollten in den Ländern Schwerpunktfinanzbehörden gebildet
werden. Dadurch werden Erfahrungen und Sachkenntnisse gebündelt. Über-
flüssige Zuständigkeitsdiskussionen entfallen vollständig.

4. Zur Vereinfachung sind Mitgliedsbeiträge und Spenden grundsätzlich gleich-
zustellen. Der Gemeinnützigkeitsstatus sollte einheitlicher Anknüpfungs-
punkt für die Berechtigung zur Entgegennahme steuerlich abzugsfähiger
Zuwendungen sein. Abgestufte Bewertungen verschiedener Ziele bei den
Höchstgrenzen für den Spendenabzug sind mit der Eigenständigkeit der
Zivilgesellschaft nicht zu vereinbaren. Rückflüsse von gemeinnützigen Or-
ganisationen an deren Zuwender müssen durch eine angemessene pauschale
Grenze klar geregelt werden. Dadurch werden Missbrauchsrisiken begrenzt,
ohne dass die Organisationen mit mehr Bürokratie belastet werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5410

5. Spenden an Stiftungen müssen sich am Ziel der Förderung einer großzügigen
Stiftungskultur orientieren. Das ist mit einem Höchstbetrag von 750 000
Euro nicht zu erreichen. Außerdem müssen Zustiftungen in Stiftungsvermö-
gen ermöglicht und die steuerliche Abzugsfähigkeit über mehrere Jahre hin-
weg erleichtert werden.

6. Eine freie Zivilgesellschaft braucht Transparenz. Es soll daher eine grund-
sätzliche Veröffentlichungspflicht für gemeinnützige Organisationen geben.
Dadurch wird die nötige Transparenz zur Abgrenzung vom Markt hergestellt
und die öffentliche Wahrnehmung der Zivilgesellschaft gestärkt. Im Stif-
tungswesen führt mangelnde Transparenz heute beispielsweise dazu, dass die
vielfältigen Ausprägungen im kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich
nicht ausreichend wahrgenommen und gewürdigt werden.

Berlin, den 23. Mai 2005

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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