BT-Drucksache 16/5409

Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwicklung

Vom 23. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5409
16. Wahlperiode 23. 05. 2007

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Bildungsberichterstattung in Deutschland und deren Weiterentwicklung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und
der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik
Deutschland (KMK) wurde im Jahr 2006 vom Konsortium Bildungsbericht-
erstattung erstmalig ein nationaler Bildungsbericht „Bildung in Deutschland“
erarbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt.

Bereits im Jahr 2001 gab die Fraktion der FDP mit ihrem Antrag an den Deut-
schen Bundestag, „Vorlage eines nationalen Bildungsberichts“ (Bundestags-
drucksache 14/7078), den Anstoß für eine nationale Bildungsberichterstattung.
Sieben Monate später folgten die Initiativen der Fraktion der CDU/CSU
„Neuer Aufbruch im Bildungswesen“ (Bundestagsdrucksache 14/9215) sowie
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Nationaler Bildungs-
bericht und Einrichtung eines gemeinsamen Sachverständigenrates von Bund
und Ländern“ (Bundestagsdrucksache 14/9269), die allesamt im Kern die
Notwendigkeit eines Nationalen Bildungsberichts anerkannten. Ein interfrakti-
oneller Antrag scheiterte letztendlich an der Forderung der rot/grünen Regie-
rungskoalition, einen zusätzlichen Sachverständigenrat von Bund und Ländern

einzusetzen (siehe Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Bundestagsdrucksache
14/9665).

Der vorliegende Bericht „Bildung in Deutschland“ ist die erste umfassende em-
pirische Bestandsaufnahme, die das deutsche Bildungswesen als Gesamtsystem
beschreibt. Mit seiner problemorientierten Analyse basiert er auf fortschreibba-
ren Datensätzen, die – soweit möglich – länderspezifische und internationale

Drucksache 16/5409 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Vergleiche zulassen. Er ist der Beginn einer auf Dauer angelegten nationalen Be-
richterstattung, die künftig in zweijährigem Abstand wichtige Informationen zu
den verschiedenen Bereichen des Bildungswesens sowie zu übergreifenden As-
pekten des Bildungswesens geben und somit den Raum für notwendige bil-
dungspolitische Entscheidungen öffnen. Der nationale Bildungsbericht räumt
Bund und Ländern die Möglichkeit ein, Entwicklungen im Bildungsbereich
kontinuierlich zu beobachten und entsprechende politische Konsequenzen für
die Modernisierung der Bildung in Deutschland zu ziehen.

Völlig zu Recht hat der erste nationale Bildungsbericht dem Thema „Migra-
tion“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Hervorzuheben sind hierbei das
verstärkte Engagement der Partner im nationalen Pakt für Ausbildung und
Fachkräftenachwuchs zur Verbesserung der Ausbildungssituation von jungen
Migranten, Maßnahmen für Jugendliche mit Migrationshintergrund in Pro-
grammen der beruflichen Bildung und Nachqualifizierung und die Unterstüt-
zung der Länder bei der individuellen Sprachförderung durch Forschungsvor-
haben.

Darüber hinaus werden konkrete Verbesserungen in der beruflichen Bildung, der
Hochschule und der Weiterbildung in Angriff genommen. Beispiele dafür sind
die Modernisierung und Stärkung des dualen Ausbildungssystems mit Unter-
stützung des Innovationskreises „Berufliche Bildung“, der mit den Ländern ver-
einbarte Hochschulpakt zur Sicherung der Ausbildungschancen der jungen Ge-
neration und die Entwicklung einer Gesamtstrategie „Lernen im Lebenslauf“
mit Unterstützung des Innovationskreises „Weiterbildung“.

Insgesamt ist der nationale Bildungsbericht Teil eines modernen Steuerungs-
instrumentariums, das Bund und Ländern eine zielgerichtete und effektive Ko-
operation – bei Wahrung der jeweiligen Zuständigkeitsbereiche – ermöglicht.

Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
(18. Ausschuss) führte zum Inhalt des Berichts (Ausschussdrucksache
16(18)158) Anfang Januar 2007 eine Expertenanhörung durch, die sich u. a. mit
den möglichen Schwerpunkten einer fortlaufenden nationalen Bildungsbericht-
erstattung befasste.

Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Schwerpunktsetzungen für ein koordi-
niertes Vorgehen von Bund und Ländern in wichtigen bildungspolitischen Ent-
scheidungsprozessen vorzunehmen. Die bereits eingeleiteten Initiativen, wie
z. B. die Exzellenzinitiative und der Hochschulpakt 2020 sind erste konkrete
Schritte, die es zu verstetigen gilt.

Um alle Bildungspotenziale für den weiteren Aufbau unserer Wissensgesell-
schaft zu nutzen und eingedenk der tief greifenden demographischen Verände-
rungsprozesse müssen bereits heute die inhaltlichen Schwerpunkte der nächsten
nationalen Bildungsberichte benannt werden.

Der Bildungsbericht, in dessen Mittelpunkt die nationale Berichterstattung steht,
wird künftig die Ergebnisse, die das deutsche Bildungssystem hinsichtlich sei-
ner individuellen Regulationsfähigkeit, der Humanressourcen und der gesell-
schaftlichen Teilhabe und Chancengleichheit hervorbringt, auf besonderen
Schwerpunktfeldern zu untersuchen haben.

Dabei sollten gesellschaftlich relevante Zusammenhänge betrachtet werden:

● Die Bildungsbeteiligung der Frauen ist in Deutschland deutlich gestiegen.
Jetzt kommt es darauf an, die Qualifikationswege junger Frauen tiefgründi-
ger zu untersuchen und jene Faktoren darzustellen, die es heute noch verhin-
dern, dass Frauen stärker als bisher auch in Führungspositionen anzutreffen
sind. Dabei sind typische Gründe für Karrierebrüche darzustellen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5409

● Die Bildung und Erziehung im frühen Kindesalter findet, bedingt durch den
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, zunehmend auch außerhalb der
Familie ergänzend in entsprechenden Betreuungsstätten statt. Das belegen
bereits die Erhebungen des ersten nationalen Bildungsberichts eindrucksvoll.
Jetzt gilt es zu untersuchen, inwieweit konkrete Hemmnisse für Kinder aus
einkommensschwachen Schichten und solchen mit Migrationshintergrund
bestehen.

● Es gilt künftig zu untersuchen, welche Auswirkungen frühzeitige Einschu-
lungen auf die Lernergebnisse von Kindern haben, und welche Anstrengun-
gen die Länder unternehmen, um die entsprechenden Rahmenbedingungen
zu schaffen.

● Es ist allgemein bekannt, dass die Durchlässigkeit des Schulsystems nicht ge-
währleistet ist und dass einmal eingeschlagene Bildungswege maßgeblichen
Einfluss auf spätere Berufsentscheidungen haben. Hierzu bedarf es weiterer
tiefgründiger Untersuchungen und darauf aufbauender Lösungsansätze, die
zugleich auch die praktische Verwertbarkeit der jeweiligen Schulabschlüsse
für eine Ausbildung im Dualen System oder in der akademischen Ausbildung
an Hochschulen betrachten. Dabei ist zu untersuchen, inwieweit die einzel-
nen Schullaufbahnen letztendlich auch eine allgemeine Berufsausbildungs-
fähigkeit gewährleisten.

● Es muss, angesichts des immer wieder beschworenen drohenden Fachkräfte-
mangels in der Wirtschaft, untersucht werden, welche Anstrengungen die
Bildungseinrichtungen in Kooperationen mit der Wirtschaft unternehmen,
um letztendlich Übergangssysteme entbehrlich zu machen.

● Verstärkt müssen die Ursachen untersucht werden, die der Entscheidung jun-
ger Menschen entgegenstehen, ein Hochschulstudium aufzunehmen.

● Ein nächster nationaler Bildungsbericht muss die Ursachen für eine sinkende
Beteiligung an der Weiterbildung genauer untersuchen.

Das Vorliegen des nationalen Bildungsberichts ist als deutliches Signal für eine
zentralere Stellung der Bildung in der Gesellschaft in Deutschland anzusehen.
Es kommt jetzt darauf an, dass Bund und Länder erfolgreich zusammenarbeiten
und ihre gesamtstaatliche Verantwortung im Rahmen ihrer jeweiligen Verant-
wortung wahrnehmen. Künftige Bildungsberichte werden zeigen, worin die
Stärken und Schwächen des föderalen Systems in Deutschland liegen und ob es
gelingt, die Stärken voll zur Geltung zu bringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. verallgemeinerungsfähige Standards für Studien und Studienansätze, die
dem Anliegen der Bildungsberichterstattung gerecht werden, zu erarbeiten
und heute noch fehlende Indikatoren in die künftige Berichterstattung zu den
einzelnen Formen der Bildungseinrichtungen einzubeziehen;

2. in einem der folgenden Bildungsberichte die Lehrkräftesituation der einzel-
nen Schulformen – auch Hochschulen – in Wechselbeziehung zu den Schü-
ler-, Berufsschüler- und Studentenleistungen zu untersuchen;

3. Indikatoren für eine objektive Bewertung der Lehrkräfte, deren Leistungs-
fähigkeit und deren Qualifikation in den jeweiligen Schulformen und
Hochschulen zu erarbeiten und eine eingehende Analyse zur Situation der
Lehrkräfte in den einzelnen Bildungseinrichtungen unter den Aspekten Leh-
rerausbildung, Lehrerfortbildung aber auch zur Lehrerweiterbildung vorzu-
nehmen;

Drucksache 16/5409 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. durch die Definition geeigneter Indikatoren das jeweilige Lernumfeld,
Lernverhalten, die Lerneinstellungen und Lernmotivation in einer künftigen
Berichterstattung besser darzustellen;

5. Indikatoren für eine künftige Bildungsberichterstattung zu entwickeln, die
genauere Schlüsse auf die Auswirkungen der „sozialen Selektivität“ und der
„Schulformen“ auf den Bildungserfolg zulassen;

6. die Ergebnisse schul- bzw. hochschulpolitischer Reformen in den einzelnen
Bundesländern und deren Auswirkungen Leistungsfähigkeit des Bildungs-
systems darzustellen;

7. in regelmäßigen Zwischenberichterstattungen über besonders wichtige Er-
gebnisse zu informieren, so z. B. über den Zusammenhang zwischen Pro-
Kopf-Ausgaben pro Schüler bzw. Student und dem jeweiligen Bildungs-
erfolg;

8. die Bildungsforschung in Deutschland weiter zu stärken und deren relevante
Forschungsergebnisse in die fortlaufende Bildungsberichterstattung einzu-
beziehen;

9. die Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Fächer in Schule und Studium
darzustellen und hierbei insbesondere auf die Entwicklung von Latein und
Griechisch einzugehen;

10. die Bedeutung und Entwicklung der Eigenverantwortlichkeit von Schulen
und Hochschulen in den Bundesländern darzustellen;

11. Maßnahmen zur Förderung von Begabten und Hochbegabten darzustellen
und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen;

12. die Entwicklung und die jeweiligen Rahmenbedingungen für Bildungsein-
richtungen in freier Trägerschaft in den Bildungsbericht aufzunehmen;

13. ein besonderes Augenmerk bei der Bildung wie der Weiterbildung auf das
E-Learning zu legen;

14. zum Schwerpunkt im nächsten nationalen Bildungsbericht die Aus- und
Weiterbildung von Lehrern und Erziehern zu machen und die Wertschät-
zung und Steigerung des öffentlichen Ansehens des Lehrer- und Erzieher-
berufs zum Thema zu machen.

Berlin, den 18. Mai 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.