BT-Drucksache 16/5332

Schnittstellenprobleme zwischen Job Centern und Sozialbehörden

Vom 10. Mai 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5332
16. Wahlperiode 10. 05. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Markus Kurth, Irmingard Schewe-Gerigk, Katrin Göring-Eckardt,
Monika Lazar, Brigitte Pothmer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schnittstellenprobleme zwischen Job Centern und Sozialbehörden

Eine entscheidende Innovation, die mit dem vierten Gesetz für moderne Dienst-
leistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) eingeführt wurde, war die Integration
der psycho-sozialen Dienstleistungen des früheren BSHG sowie der sonstigen
Instrumente des Dritten Sozialgesetzbuches (SGB III), insbesondere der Reha-
Leistungen und der entsprechenden Beratung über Fördermaßnahmen, in die
Leistungen des SGB II (§ 16 Abs. 1 und 2 SGB II). In den Job-Centern sollten
durch das Fallmanagement aus einer Hand sämtliche Leistungen, die der
Integration von Leistungsbeziehern mit besonderem Förderbedarf in den Ar-
beitsmarkt förderlich sind, erbracht werden. Dies setzt jedoch voraus, dass die
entsprechenden Schnittstellen zu den Sozialbehörden der Kommunen und der
Länder funktionieren, sämtliche Träger miteinander kooperieren und die
Fallmanager und Fallmanagerinnen eine entsprechende Beratungskompetenz
aufweisen.

Schnittstellenprobleme sind im Bereich der Jugendberufshilfe, der Rehabilita-
tion von Menschen mit Behinderungen und im Gewaltschutz von Frauen offen-
kundig geworden.

I. Jugendhilfe

Die in § 16 Abs. 2 SGB II geregelten weiteren Leistungen wie Schulden- und
Suchtberatung sowie psycho-soziale Betreuung gehen den Leistungen der
Jugendhilfe vor (§ 10 Abs. 3 SGB VIII). Diese Regelung birgt die Gefahr, dass
Kommunen ihre Leistungen in der Jugendhilfe abbauen. Vorrangiges Ziel der
Jugendhilfe, insbesondere der Jugendsozialarbeit, Familienhilfe und der
Jugendberufshilfe ist die Förderung der Persönlichkeit des Jugendlichen und
der Ausgleich von Benachteiligungen im Allgemeinen. Der betroffene Jugend-
liche und sein soziales Umfeld, insbesondere auch die Familie sind im Blick
sozialpädagogischer Betreuungsangebote. Dagegen dienen die Instrumente der
begleitenden Hilfen in § 16 Abs. 2 SGB II ausschließlich der Integration in den
Arbeitsmarkt.

II. Rehabilitation

Durch den Vorrang der Leistungen des SGB II kam es zu erheblichen Reduzie-

rungen der beruflichen Rehabilitation bei den vom SGB II erfassten langzeit-
arbeitslosen schwerbehinderten Menschen. Die Jobcenter verfügen nicht in
einem ausreichenden Maße über eine rehabilitationsspezifische Beratungskom-
petenz. Dies führt dazu, dass Rehabilitationsbedarf bzw. individuelle Rehabi-
litationsansprüche nicht oder nur im unzureichendem Umfang erkannt werden.
Die Bundesagentur für Arbeit auf der anderen Seite hat sich in jüngster Vergan-
genheit stark auf die Verringerung der Ausgaben in diesem Bereich konzent-

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riert. Dies hat zur Konsequenz, dass Menschen mit umfangreichem Rehabili-
tationsbedarf häufig bisherige Regelangebote wie eine Umschulung in einem
Berufsförderungswerk nicht mehr erhalten und auf vermeintlich wirtschaft-
lichere Angebote verwiesen werden. Insbesondere Berufsförderungswerke ver-
zeichnen seit einigen Jahren stark gesunkene Zuweisungen von den Agenturen
für Arbeit sowie den Trägern der Grundsicherung. Die Chancen auf Integration
in den Arbeitsmarkt sowie notwendiger beruflicher Rehabilitation für Men-
schen mit Behinderungen haben sich durch die jüngsten Entwicklungen nach-
haltig verschlechtert.

III. Gewaltschutz

Erwerbsfähige arbeitslose Frauen, die aufgrund häuslicher Gewalt ihre Woh-
nung verlassen und ins Frauenhaus ziehen müssen, bedürfen zur Finanzierung
ihres Aufenthalts der Eingliederungshilfe für Arbeitssuchende.

Einer möglichen Berufsaufnahme als Weg zur finanziellen Unabhängigkeit
vom gewalttätigen Partner ist grundsätzlich nichts entgegenzusetzen. Der
berufliche Eingliederungsprozess darf aber nicht am Anfang einer Hilfe für
gewaltbetroffene Frauen stehen. Die aufwändige Prozedur im Jobcenter vor
Gewährung der Hilfe in Verbindung mit einer mangelnden Kompetenz und
Sensibilität der Fallmanager und Fallmanagerinnen im Umgang mit gewalt-
betroffenen Frauen kann regelrechte Abschreckungseffekte mit sich bringen.
Die Chancen von Frauen, ihren gewalttätigen Partner zu verlassen, werden
dadurch beeinträchtigt. Frauenhäuser haben andere Ansprüche zu erfüllen, als
die bloße Hilfe zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Ein weiteres Problem stellt die Tendenz der Kommunen dar, den Aufenthalt in
einem Frauenhaus aus Kostengründen möglichst kurz zu halten. Dies wird dem
Schutz- und Unterstützungsbedarf der Frauen nicht gerecht.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

Zu I. Jugendhilfe:

1. Welche typischen und wiederkehrenden Zielkonflikte und Schnittstellenpro-
bleme zwischen den Jobcentern in den ARGEN und Optionskommunen und
den Leistungen der kommunalen Jugendhilfe, insbesondere der arbeitswelt-
bezogenen Leistungen der Jugendsozialarbeit, sind nach Erkenntnis der
Bundesregierung nach Einführung des SGB II aufgetreten?

2. In wie vielen Kommunen (Kreisen und kreisfreien Städten) und in welcher
Höhe wurden nach Erkenntnis der Bundesregierung die Leistungen in der
Jugendsozialarbeit, der Jugendberufshilfe und der Familienhilfe mit der Ein-
führung des SGB II reduziert?

3. Falls die Bundesregierung nicht über die erforderlichen Daten zur Kürzung
der Leistungen der Kommunen in der Jugendsozialarbeit nach der Einfüh-
rung des SGB II verfügt, beabsichtigt sie diese in naher Zukunft zu erheben?

4. In welchen Kommunen gibt es Kooperationsvereinbarungen zwischen den
ARGEN und den Trägern der Jugendhilfe?

5. In welchen Kommunen sind die arbeitsweltbezogenen psycho-sozialen
Leistungen der ARGE für Jugendliche in die Jugendhilfeplanung integriert
worden?

6. Welche Jobcenter realisieren ein „kooperatives Fallmanagement“ mit den
Trägern der Jugendhilfe analog dem Beispiel der Stadt Dresden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5332

7. Wie viele jugendliche Langzeitarbeitslose sind mit Einführung des § 22
Abs. 2 Buchstabe a SGB II (Verbleib im Elternhaus bis zur Vollendung des
25. Lebensjahres) von den psycho-sozialen Beratungsleistungen der Job
Center ausgeschlossen worden?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung sich über Abfragen bei den ARGEN und
Optionskommunen Kenntnis über die Formen der Kooperation mit den
Trägern der Jugendhilfe und etwaige Leistungseinschränkungen der
arbeitsweltbezogenen kommunalen Jugendhilfe zu verschaffen?

9. Welche Schritte plant die Bundesregierung zur Verbesserung der Koopera-
tion zwischen den Trägern des SGB II und des SGB VIII?

Zu II. Rehabilitation:

10. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, dass die Träger der Grund-
sicherung (ARGEN und Optionskommunen) ihrer Pflicht zur Bereitstel-
lung notwendiger Leistungen der beruflichen Teilhabe nicht in ausreichen-
dem Maße nachkommen?

11. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Weiterbildungs-
und Qualifizierungsmaßnahmen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im
Rehabilitationsbereich bei den Agenturen für Arbeit und den Trägern der
Grundsicherung vor?

12. Liegen der Bundesregierung Informationen über das Ausmaß und den
Zeitpunkt der geplanten Qualifizierungen der Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter der Agenturen für Arbeit und den Trägern der Grundsicherung in
den Bereichen Beratung/Vermittlung für Rehabilitation vor?

13. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen dem im SGB IX
festgeschriebenen Anspruch der Teilhabe sowie der beruflichen Rehabili-
tation und der Geschäftspraxis der Bundesagentur?

14. Hält sie es für notwendig, die Geschäftspolitik der BA anzupassen oder zu
verändern, um eine effektive und qualitativ hochwertige Verwirklichung
des Rechtsanspruchs auf berufliche Rehabilitation in jedem Fall sicher-
zustellen?

15. Wird die von der Bundesregierung geplante Neuordnung arbeitsmarkt-
politischer Instrumente auch die Leistungen der beruflichen Rehabilitation
berühren?

Wenn ja, welche Änderungen sind dabei geplant?

16. Hält die Bundesregierung es für erforderlich, den Anspruch auf Rehabili-
tation und Leistungen zur Teilhabe bei den Trägern der Grundsicherung
durch verstärkte Maßnahmen im Rahmen der Rechtsaufsicht sicherzustel-
len?

Wenn nein, warum nicht?

Zu III. Gewaltschutz:

17. Wie hat sich die Zahl der Frauen, die Unterkunft in einem Frauenhaus
finden, seit Oktober 2004 bis heute entwickelt?

18. Wie hat sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze für Frauen, die
Unterkunft in einem Frauenhaus suchen, seit Oktober 2004 bis heute
entwickelt?

19. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob sich die indivi-
duellen Aufenthaltszeiten von Frauen in den Frauenhäusern seit Januar

2005 verkürzt haben?

Drucksache 16/5332 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
20. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob und wie die
ARGEN sicherstellen, dass es in den Jobcentern kompetente und sensi-
bilisierte Ansprechpartnerinnen für von Gewalt betroffene Frauen gibt?

21. Liegen der Bundesregierung Informationen über das Angebot an Mitarbei-
terqualifizierungen für den Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen
und das Ausmaß der Teilnahme daran vor?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung der bundesweiten
Frauenhauskoordinierung, Leistungen der Träger der Grundsicherung für
gewaltbetroffene Frauen würden zu einseitig den Charakter der Eingliede-
rung in den Arbeitsmarkt betonen und dabei dem Charakter einer psycho-
sozialen Dienstleistung zur Unterstützung der Beendigung einer häus-
lichen Gewaltsituation nicht ausreichend gerecht?

23. Wie gedenkt die Bundesregierung auf diese Einschätzung seitens der Frau-
enhäuser zu reagieren?

24. Führt die Bundesregierung die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Häusliche
Gewalt“ aus der letzten Legislaturperiode fort und plant sie, die von den
Frauenhäusern vorgetragenen Probleme in dieser zu besprechen?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 10. Mai 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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