BT-Drucksache 16/5073

Grenzwerterhöhung für den Weichmacher 2,2-Bis (4-hydroxyphenyl)propan (Bisphenol A) in Plastikprodukten und Babyflaschen

Vom 20. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5073
16. Wahlperiode 20. 04. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Karin Binder, Lutz Heilmann,
Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE.

Grenzwerterhöhung für den Weichmacher 2,2-Bis(4-hydroxyphenyl)propan
(Bisphenol A) in Plastikprodukten und Babyflaschen

Bisphenol A ist eine chemische Substanz, die besonders zur Herstellung von
Polycarbonat und Epoxidharzen verwendet wird. Als sehr weit verbreitet und
zu den wichtigsten Industriechemikalien gehörend, wird Polycarbonat (PC) in
vielen verbrauchernahen Plastikprodukten wie Babyflaschen, Mikrowellen-
geschirr, Aufbewahrungsbehältern oder Mehrweg- und Milchflaschen verwen-
det. Auch in Wasserleitungen, Konserven- oder Getränkedosen ist PC als
Beschichtung in Innendeckeln zu finden. Die durchschnittliche Gesamtexposi-
tion der Bevölkerung pro Tag mit Bisphenol A (BPA) liegt laut Zusammen-
fassung des Gutachtens des „Wissenschaftlichen Gremiums für Lebensmit-
telzusatzstoffe, Aromastoffe, Verarbeitungshilfsstoffe und Materialien, die
mit Lebensmitteln in Berührung kommen“ (ein Gremium der Europäischen
Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA) vom 29. November 2006 bei
7 Mikrogramm, der Höchstwert wird bei 10 Mikrogramm BPA/Erwachsener/
Tag geschätzt.

Über die hormonähnliche (östrogene) Wirkung von BPA wurde in mehr als
100 wissenschaftlichen Publikationen berichtet. In der Wissenschaft werden
Stoffe mit solchen Wirkungen auch als „endocrine disrupters“ bezeichnet. Un-
ter anderem zeigten die Studien bei Labortieren, dass bereits geringe Dosen
von BPA, die unterhalb des nunmehr vorgeschlagenen Grenzwertes liegen,
ausreichen, um auf die Fortpflanzung, das Verhalten, die Organentwicklung,
die genetische Gesundheit und auf das Immun- und Hormonsystem zu wirken.
Die Studie von Prof. G. Schönfelder (Environmental Health Perspectives,
Volume 110 (11), November 2002) von der Charité-Universitätsmedizin Berlin
Campus Benjamin Franklin zeigte, dass Bisphenol A entsprechend einer Regu-
lierung nach bisher gültigem Grenzwert zu Veränderungen im Wachstum der
Prostata, der Brustdrüse und der Gebärmutter führt. In einer Studie von
A. Zsarnovszky (Endocrinology 146(12):5388–5396) wurde 2005 über die
Wirkung von Bisphenol A auf das Gehirn von Ratten berichtet. Die 2006 von
Greenpeace veröffentlichte Studie „Fragile – Our Reproductive Health and
Chemical Exposure: a review of the evidence for links between declines in

human reproductive health and our exposure to hazardous chemicals“ (http://
www.greenpeace.org/fragile) fasst die Ergebnisse von Studien der letzten Jahre
zusammen und belegt Zusammenhänge zwischen der Reproduktionsgesundheit
beim Menschen und der Wirkung von hormonähnlichen Chemikalien. Dem-
nach sei die Spermienmenge in den letzten 50 Jahren um 50 Prozent gesunken
und die Unfruchtbarkeit habe sich bei Paaren seit den 1960er Jahren verdop-
pelt. Eine Forschergruppe um Patricia Hunt fand heraus, dass Bisphenol A

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Chromosomenveränderungen hervorrufen kann, die zu Chromosomenfehlver-
teilungen führen können. Bei dieser als Aneuploidie bezeichneten Erbgutver-
änderung können einzelne Chromosomen zusätzlich zum normalen doppelten
Chromosomensatz vorliegen (Hyperploidie) oder fehlen (Hypoploidie). Beim
Menschen können Aneuploidien z. B. das Down Syndrom (Trisomie 21) aus-
lösen oder auch zu Spontanaborten führen (Hunt et al. (2003): Bisphenol A ex-
posure causes meiotic aneuploidy in the female mouse. Current Biology 13,
546–553). Das Bundesinstitut für Risikobewertung bezeichnete die Ergebnisse
des Gutachtens als besorgniserregend, „da sie auf ein mögliches erbgut- und
fortpflanzungsgefährdendes Potential von BPA hindeuten“ (Bundesinstitut
für Risikobewertung (BfR), Erbgutveränderungen durch Bisphenol A – Studie
von Hunt et al., Stellungnahme des BfR vom 17. April 2003).

Entsprechend den Gesundheitsgefahren, die von Bisphenol A ausgehen, hat die
Regierung des Nicht-EU-Landes Norwegen ein Gesetz vorgeschlagen, nach
dem Unternehmen noch bis zum Jahr 2008 Zeit haben, Aktionspläne gegen
jede Art von Umweltgiftemissionen zu entwickeln. Auf der Liste der Öko-
toxine befindet sich auch Bisphenol A, das aus Verbrauchsprodukten verbannt
werden soll. (Norwegian crack-down on ecotoxins in products, ENDS Europe
Daily 18. Dezember 2006, 5./8. Januar 2007).

Demgegenüber heißt es in dem von der Europäischen Kommission in Auftrag
gegebenen Gutachten der EFSA über die Verwendung von Bisphenol A unter
besonderer Berücksichtigung der Exposition von Säuglingen, „dass auf der
Grundlage neuer Vergleichsdaten über die Toxikokinetik von BPA wesentliche
Unterschiede zwischen Nagern und Menschen bezüglich der Verstoffwechse-
lung von BPA im Körper bestehen“. Dadurch, so das Gremium, sei zweifel-
haft, „ob die bei Nagern beobachteten Wirkungen niedrigerer Dosen für den
Menschen relevant sind“. Die bislang geltenden Werte für die tolerierbare
tägliche Aufnahmemenge (Tolerable Daily Intake, TDI) könnten entsprechend
dieses Gutachtens nun durch einen „vollständigen“ TDI-Wert ersetzt werden.
Das Gremium legte einen höheren TDI von 0,05 Milligramm/kg Körper-
gewicht fest. Zuvor galt ein TDI-Wert von 0,01 Milligramm/kg Körperge-
wicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat Bisphenol A nach Auffassung der Bundesregierung eine schädigende
Wirkung auf Babys, Kleinkinder und Ungeborene?

Wenn ja, inwiefern?

2. Gibt es epidemiologische Erkenntnisse über die Wirkung von Bisphenol A?

Wenn ja, welche, und wurden diese zur Berechnung des vorgeschlagenen
Grenzwertes herangezogen?

3. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob es Überschreitun-
gen des bislang gültigen Grenzwertes von Bisphenol A bei flaschengefütter-
ten Babys gab bzw. gibt?

Wenn ja, wie wurde dieser Sachverhalt bei der Wertfestsetzung durch das
Gremium der EFSA berücksichtigt?

4. Wird die Bundesregierung eine Grenzwerterhöhung aufgrund des neuen
Grenzwertvorschlages in dem Gutachten der EFSA unterstützen?

5. Welche Institutionen, Personen und Behörden aus der Bundesrepublik
Deutschland waren an der Erstellung des Gutachtens der EFSA beteiligt?

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6. Wurden bei der Erstellung des Gutachtens der EFSA zur Wirkung von
Bisphenol A auch jene Studien berücksichtigt, die aufzeigen, dass bei
Labortieren bereits geringe Dosen von BPA (die unterhalb des nunmehr vor-
geschlagenen Grenzwertes liegen) ausreichen, um auf die Fortpflanzung,
das Verhalten, die Organentwicklung, die genetische Gesundheit und auf
das Immun- und Hormonsystem zu wirken?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, warum ist das Gremium dennoch zu dem Schluss gekommen, den
Grenzwert aufgrund eines niedrigeren als bislang angenommenen Gesund-
heitsrisikos erhöhen zu können?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass das Nicht-EU-Land
Norwegen Bisphenol A aufgrund seiner Ökotoxizität aus Verbrauchspro-
dukten verbannen will?

8. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der EFSA, dass es sich bei den
tierexperimentell nachgewiesenen Veränderungen durch BPA (Verhalten,
Chromosomenannomalien, verminderte Spermienzahl, Effekte auf das Im-
munsysten usw.) um harmlose bzw. nicht nachhaltig schädigende Verände-
rungen (non adverse Effects) handelt?

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Gremiums der EFSA, dass
eine schädigende bzw. gesundheitsgefährdende Exposition mit Bisphenol A
für flaschengefütterte Babys nach Heraufsetzung des Grenzwertes nicht
besteht?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Gremiums der EFSA, wel-
ches im Ergebnis seiner Neubewertung – entgegen den Untersuchungs-
ergebnissen der Berliner Charité – davon ausgeht, BPA würde so schnell aus
dem menschlichen Organismus ausgeschieden, dass keine messbaren Men-
gen im Blut vorkommen und dieser Stoff nicht akkumuliert?

11. Wie viele Studien wurden in der Bundesrepublik Deutschland zur Unter-
suchung der Wirkung von Bisphenol A durchgeführt, und wie viele Tiere
wurden dafür verwendet?

12. Sind die Ergebnisse der in Deutschland durchgeführten Studien über die
Wirkung von Bisphenol A – auch hinsichtlich der Art und Anzahl der für
diese Studien verwendeten Tiere – verwertbar?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wo finden sie Eingang in gesetzliche Regelungen oder entspre-
chende Vorschläge zur Produktsicherheit?

13. Wie viele der in Deutschland durchgeführten Studien über die Wirkung von
Bisphenol A kommen zu dem Schluss, dass dieser Stoff gesundheitsgefähr-
dende und ökotoxische Eigenschaften für Mensch und Umwelt hat?

14. Wie wird die Bundesregierung die Ergebnisse der von ihr in Auftrag gege-
benen Studien über die Wirkung von Bisphenol A, die dessen Gefährlichkeit
belegen, bei der nationalen Grenzwertfestlegung berücksichtigen?

15. Hält es die Bundesregierung im Rahmen ihres Vorsitzes im EU-Rat für not-
wendig, auf einen niedrigeren als den nun empfohlenen Grenzwert von
50 Mikrogramm/kg Körpergewicht zu drängen?

16. Hält es die Bundesregierung für notwendig, einen niedrigeren nationalen
Grenzwert für Deutschland festzulegen?

17. Trifft es zu, dass sich die Bewertung des EFSA-Gremiums zum Teil auf

nicht veröffentlichte und nicht wissenschaftlich begutachtete Studien stützt?

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18. Liegen die Protokolle der für das Gremium entscheidungsrelevanten Stu-
dien von Tyl (2006) und Eichenlaub-Ritter der Bundesregierung oder einer
ihrer Behörden vor, und handelt es sich dabei um für die Bürger zugängliche
(Umwelt-)Informationen?

19. Wie setzt sich das Gremium der EFSA zusammen, und ist der Bundesregie-
rung bekannt, wo und wie die Mitglieder des Gremiums tätig sind?

20. Ist die Unabhängigkeit des Gremiums von Chemie- und Nahrungsmittel-
firmen hinsichtlich ihrer personellen Zusammensetzung gewährleistet?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 17. April 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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