BT-Drucksache 16/4956

Zur Europatauglichkeit des deutschen Steuerrechts

Vom 30. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4956
16. Wahlperiode 30. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Kerstin Andreae
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Europatauglichkeit des deutschen Steuerrechts

Die unterschiedlichen Steuervorschriften sowie die komplexen Regelungen der
Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und EU-Richtlinien machen es insbe-
sondere für kleine und mittlere Unternehmen schwer, die Vorteile des Binnen-
markts zu nutzen. So werden Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung
in der EU verspielt. Die Lösung dieser Situation kann die Einführung einer
europaweit gemeinsamen Bemessungsgrundlage bei der Gewinnbesteuerung
sein. Die Verhandlungen zu dieser gemeinsamen konsolidierten Körperschaft-
steuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) laufen auf EU-Arbeitsebene.

Kaum ein anderer Bereich ist in den vergangenen Jahren so sehr von der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) geprägt worden wie das
Außensteuerrecht. In Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten hat der
EuGH meist mit dem Argument der Freizügigkeit und dem Diskriminierungs-
verbot immer wieder Steuervorschriften gekippt; erhebliche Auswirkungen auf
die nationalen Haushalte waren und sind die Folge, wie aktuell die EuGH-Ent-
scheidung im Fall Meilicke zeigt. Das Spannungsfeld zwischen nationaler
Steuergesetzgebung und der EuGH-Rechtsprechung soll deswegen in dieser
Anfrage beleuchtet werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung, prozessrechtliche Regelungen einzuführen, nach
denen Rechtsstreitigkeiten in Steuersachen dem EuGH nur noch vom
Bundesfinanzhof vorgelegt werden dürfen, und wenn ja, wie begründet die
Bundesregierung diese Pläne in Anbetracht der Regelungen in Artikel 234
des EG-Vertrags?

2. Wie müssten die EU-Amtshilferichtlinie und die EU-Beitreibungsrichtlinie
weiterentwickelt werden, damit eine effektivere Kooperation als bisher bei
der grenzüberschreitenden Steuereintreibung gesichert werden kann, und
welche Anstrengungen unternimmt die Bundesregierung hier auf EU-
Ebene?

3. Welche Anteile mit welchen Volumina der Steueransprüche von Steuerbe-

hörden aus dem EU-Ausland können deutsche Behörden beitreiben, und wie
viel Zeit ist durchschnittlich notwendig, bis eine solche Beitreibung abge-
schlossen ist?

4. Hält die Bundesregierung die Gewerbesteuer mit einer künftigen GKKB für
vereinbar, und wenn ja, warum?

Drucksache 16/4956 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Ist für die Bundesregierung die Übertragung einer GKKB auch auf Perso-
nengesellschaften denkbar mit der Folge, dass auf nationaler Ebene Unter-
nehmensteuern nur noch nach einer Regelung berechnet werden, und wenn
nein, mit welchen steuerpolitischen Maßnahmen (z. B. Sitzlandbesteue-
rung) will die Bundesregierung dennoch erreichen, dass auch diese Unter-
nehmen mehr als bisher vom Binnenmarkt profitieren?

6. Welche Rechtsvorschriften insbesondere des deutschen Außensteuergeset-
zes (AStG) sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Berichts
(IV B 5 – S 1301 – 64/06, S. 13) des Bundesministeriums der Finanzen
(BMF) vom 15. November 2006 zu den Grundsätzen der deutschen Politik
zur Vermeidung von Doppelbesteuerung (DBA) durch die europarecht-
lichen Auslegungen des EuGH – insbesondere des Diskriminierungsbe-
griffs – die die bisher übliche Unterscheidung zwischen In- und Ausland in
Frage stellen, in ihrer aktuellen Form gefährdet, und welche Maßnahmen
will die Bundesregierung gegebenenfalls ergreifen, um das AStG künftig
EU-rechtskonform zu gestalten?

7. Wie ist die Verhandlungsposition der Bundesregierung in den in der Presse
(FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND, 13. März 2007, S. 11) genannten
Fällen, in denen durch Urteile des EuGH erneut Steuerausfälle bzw. -rück-
zahlungen für die öffentlichen Haushalte drohen, und welche Steueraus-
fälle bzw. -rückzahlungen erwartet die Bundesregierung, wenn den Klagen
entsprochen wird;

– Stahlwerk Ergste Westig (Rechtssache C-415/06),

– Lidl Belgium GmbH (Rechtssache C-414/06),

– Burda Verlagsbeteiligung GmbH (Rechtssache C-284/06)?

8. Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung der Meinung, dass das
BMF-Schreiben vom 8. Januar 2007 in formeller und materieller Hinsicht
den Vorgaben des EuGH genügt, besonders vor dem Hintergrund der
EuGH-Entscheidung im Fall Cadbury Schweppes, wodurch die englische
Hinzurechnungsbesteuerung unter gewissen Umständen für europarechts-
widrig befunden wurde?

9. Welche Initiativen will die Bundesregierung ergreifen, um möglichen Steu-
erausfällen entgegenzuwirken, und in welcher Form will sie diese mit den
anderen EU-Mitgliedstaaten abstimmen, insbesondere vor dem Hinter-
grund der Tatsache, dass unter bestimmten Bedingungen ein DBA eines
Drittstaates mit nur einem EU-Mitgliedstaat zu einer Beschränkung des
Besteuerungsrechts aller anderen EU-Mitgliedstaaten führen kann (siehe
o. g. Bericht, S. 14)?

10. Welche Auswirkungen hat die bei der Unternehmensteuerreform geplante
Senkung der Sätze bei der Körperschaftsteuer auf die Methodenwahl bei
den DBA (Freistellungs- oder Anrechnungsmethode), und welche Auswir-
kungen auf das Steueraufkommen erwartet die Bundesregierung bei den
jeweiligen Methoden?

11. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Steuerausfälle für Bund, Länder
und Gemeinden seit dem Jahr 2000 ein, die durch Gewinnverlagerungen
ins Ausland entstanden sind?

12. Welche EU-Mitgliedstaaten sind die Hauptnutznießer der Gewinnverlage-
rungen deutscher Unternehmen, und wie hoch schätzt die Bundesregierung
die zusätzlichen Steuereinnahmen anderer EU-Mitgliedstaaten aus diesen
Gewinnverlagerungen ein?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4956

13. Wie bewertet die Bundesregierung die äußerst geringe Besteuerung von
Lizenzeinnahmen durch die Niederlande (siehe DER SPIEGEL, Nr. 9 vom
26. Februar 2007, S. 107) insbesondere im Hinblick auf mögliche deutsche
Steuerausfälle?

Berlin, den 2. April 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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