BT-Drucksache 16/4757

Nanotechnologie-Bericht vorlegen

Vom 21. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4757
16. Wahlperiode 21. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nanotechnologie-Bericht vorlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Nutzung von Nanopartikeln nimmt in den letzten Jahren in vielen For-
schungs- und Wirtschaftsbereichen kontinuierlich zu. Dabei werden die Poten-
ziale genutzt, die in den Effekten der Kleinheit der Partikel begründet sind. Diese
Potenziale zeigen sich im Bereich der Ressourceneffizienz, in erneuerbaren
Energien und Rohstoffen, in der Medizin, in der Informationstechnik, aber auch
in der Materialforschung. Immer mehr Forschungsergebnisse haben in den letz-
ten Jahren schon zu umsetzbaren Erkenntnissen geführt, z. B. im Bereich der
Oberflächengestaltung von Gebäuden und Gegenständen, der Haltbarmachung
von Gebrauchsgegenständen und der Effizienzsteigerung bei Energiegewinnung
und Rohstoffnutzung.

Die Chancen der Nanotechnologie müssen durch Forschungsförderung auch
weiterhin gezielt unterstützt werden. Wichtig ist hier neben Schwerpunkten in
den Anwendungsbereichen Medizin und der Informations- und Telekommuni-
kationstechnologie vor allem auch der deutliche Ausbau der problemlösungs-
orientierten Forschungen im Umweltbereich. Vorrangig zu erforschen sind dabei
viel versprechende Anwendungsmöglichkeiten in der Klimaschutztechnologie
mit erneuerbaren Energien, der Chemie mit nachwachsenden Rohstoffen, der
Abwasserbehandlung, den neuen Materialien für Effizienzsteigerungen, dazu
Schadstoff vermeidende Technologien in der Chemie und die gesamte Nano-
bionik. Die Forschung muss von vorne herein die gewissenhafte Risikoabschät-
zung enthalten, um die großen Anwendungspotenziale zu stärken.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler räumen ein, dass sie zwar die
Chancen nutzen, die in den Besonderheiten von Nanopartikeln liegen, dass
ihnen aber die möglichen Risiken noch weitgehend unbekannt sind. Daher
plädieren auch viele Forscherinnen und Forscher für eine schnelle strukturierte
Erforschung aller möglichen Folgen des Einsatzes von Nanopartikeln für Ge-

sundheit, Bioethik, Datenschutz, neuartige Waffen und Umwelt.

Vor allem Entwicklungen bei Lebensmitteln und Verbraucherprodukten zum
direkten Körperkontakt müssen vor der Anwendung daraufhin geprüft sein, dass
sie unschädlich sind. Insbesondere im Lebensmittelbereich stellt sich die Frage
nach dem Nutzen von nanotechnologischen Anwendungen grundsätzlich.

Drucksache 16/4757 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Gleichzeitig zeigt sich die Wirtschaft bisher nur unzureichend vorbereitet für die
Herausforderungen, die in der Nutzung der Nanotechnologie liegen. Einzelne
Beispiele zeigen, dass die Wirtschaft bei der Nutzung von Nanopartikeln die be-
stehenden Regelungslücken ausnutzt und z. B. Deklarationspflichten mit dem
Hinweis umgeht, dass Nanopartikel in verpflichtenden Normen nicht dezidiert
aufgeführt seien etc. Andere Beispiele zeigen, dass die Verbraucher durch unbe-
gründetes Nutzen der Vorsilbe „nano“ für ein Produkt rein aus Vermarktungs-
gründen getäuscht werden, ohne dass dies Konsequenzen für den Produkther-
steller hat. Beide Fälle lassen erahnen, wie groß der Regulierungsbedarf in
Bezug auf Nanopartikel derzeit ist.

Diese Regelungslücke muss schnell ermittelt und dann unverzüglich geschlos-
sen werden, um verheerende Folgen zu vermeiden. Nur wenn die möglichen
Risiken der Nanopartikel in den Blick genommen und gezielt erforscht und dann
entschlossen minimiert werden, kann gesellschaftliche Akzeptanz für die Nano-
nutzung erzielt werden. Die Ergebnisse dieser Risikoforschung müssen öffent-
lich bekannt gemacht und die erkannten Risiken unter Mitwirkung von Staat,
Wirtschaft und Gesellschaft dauerhaft eingedämmt werden. Geschieht dies nicht
oder zu spät, können zwei Folgen eintreten: Einerseits können fehlende oder zu
geringe Vorsichtsmaßnahmen schwere oder irreversible Schäden an Gesundheit
und Umwelt verursachen. Andererseits können fehlende oder lückenhafte Infor-
mationen und Diskussionen eine gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch
erwünschte Nutzung von Nanotechnologien durch fehlendes Vertrauen und
mangelnde Akzeptanz verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ihre Verantwortung für Mensch und Umwelt ernst zu nehmen und deswegen:

– dem Bundestag den bereits für September 2005 angeforderten Bericht (Bun-
destagsdrucksache 15/3051) nun unverzüglich vorzulegen, welche Verände-
rungen des Rechtsrahmens notwendig sind, um Gesundheit und Umwelt,
aber auch Verbraucherrechte und Privatsphäre sowie bioethische Grundsätze
vor Verletzungen durch nanotechnologische Produkte oder Anwendungen
wirksam zu schützen. Hierbei sind alle Ebenen einzubeziehen, auch die der
EU und anderer internationaler Organisationen wie ISO, WTO, WHO, ILO,
OECD etc.;

– die Forschungsmittel für die problemlösungsorientierte Nanoforschung im
Haushalt 2008 vor allem in den Bereichen Umwelt, Klimaschutztechno-
logien mit erneuerbaren Energien und Energieeinsparung, Materialeffizienz,
Nanobionik zu verstärken;

– in den Fällen offensichtlicher Regelungslücken wie der Kennzeichnungs-
pflicht im Bereich von Lebensmitteln schon vor Vorlage des Berichtes Mora-
torien zu erlassen. Um im Zweifel Gefährdungen für Mensch und Umwelt
ausschließen zu können, müssen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen
werden, die den nachhaltigen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher
und der Umwelt vor Risiken der Nanotechnologie gewährleisten;

– sich auf nationaler und internationaler Ebene verstärkt dafür einzusetzen,
dass Forschungsergebnisse zu Risiken der Nanopartikel schnellstmöglich
vergleichbar und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dadurch können so-
wohl die Verwertbarkeit von Ergebnissen verbessert werden als auch der not-
wendige Informationsaustausch über Risiken erleichtert und beschleunigt
und so die Vorsorge bzw. Risikovermeidung und Risikoreduzierung verbes-
sert werden;

– die Ergebnisse von Projekten wie INOS und TRACER, beides Projekte zur

Entwicklung von Methoden zur Bewertung des Gefährdungspotenzials von

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4757

technischen Nanopartikeln, nicht erst nach Ablauf des Gesamtprojektes der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Stattdessen sollten Zwischenergeb-
nisse der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert werden. Das Projekt Nano-
Care, geplant als „öffentliche Informationsbasis im Internet“, so die Bundes-
regierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache
16/2322) muss endlich wie angekündigt umgesetzt werden. Geschieht dies
nicht, so wird nicht nur der notwendige gesellschaftliche Dialog in Deutsch-
land verzögert. Ohne diese Daten fehlen auch Grundlagen für den EU-weiten
Kommunikations- und Regelungsprozess für eine verantwortungsvolle wis-
senschaftliche und wirtschaftliche Nutzung der Nanotechnologie;

– neben spezifischen Untersuchungen zu den Auswirkungen von Nanotechno-
logie etwa im Bereich der Gesundheit und der Umwelt dafür Sorge zu tragen,
dass dieser Aspekt auch in anderen Forschungsvorhaben verankert wird; so
zum Beispiel im Bereich des Arbeitsschutzes, der Materialprüfung, der
Lebensmittelsicherheit und der Informations- und Telekommunikationstech-
nologien;

– für den Bereich der Lebensmittel sicherzustellen, dass das Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz seine Überprü-
fung bezüglich einer Aktualisierung des Lebensmittelrechts im Hinblick auf
nanotechnologische Veränderungen nicht allein auf der Basis einer Befra-
gung der betroffenen Wirtschaftsverbände vornimmt. Hier wie auch bei der
Erstellung von Forschungsplänen und begleitenden Risikoforschungspro-
grammen müssen neben der Wissenschaft, die nicht nur durch die etablierten
Wissenschaftseinrichtungen vertreten sein darf, auch Vertreterinnen und Ver-
treter der Verbraucherschutzverbände einbezogen sowie auf bereits vorlie-
gende Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden. Vorrangig ist hierbei
die Entwicklung von Test- und Messmethoden;

– auch die anderen Bundesministerien müssen für ihre Forschungsbereiche
Prozesse zur umfassenden Risikoforschung entwickeln. Dabei dürfen nicht
nur die einschlägigen Wirtschaftsverbände und Wissenschaftseinrichtungen
gehört werden, sondern daran muss ein breites Spektrum von Akteuren und
Interessierten beteiligt werden;

– Forschungsschwerpunkte zur Risikoabschätzung in der Medizin, der For-
schung zum Arbeitsschutz, aber auch im Bereich der militärischen Sicher-
heitsforschung zu verstärken bzw. einzurichten. Dort müssen sowohl For-
schungsstrategien für akute Risiken entwickelt werden als auch solche, die
ermöglichen, dass baldmöglichst eine Abschätzung der mittel- und langfris-
tigen Risiken erfolgen kann. Insgesamt müssen mehr Mittel für begleitende
Risikoforschung zur Verfügung gestellt werden;

– eine Gesamtforschungsstrategie zur Nanotechnologie vorzulegen, die die Er-
gebnisse des Berichtes ebenso umfasst wie einen Vorschlag für ein kontinu-
ierliches und standardisiertes Untersuchungs-, Berichts- und Veröffent-
lichungsverfahren zur Risikoabschätzung und Begleitforschung. In dieser
Strategie sollten darüber hinaus auch Entwicklungsbereiche wie die Ermitt-
lung von spezifischen Qualifikationserfordernissen genauso enthalten sein
wie deren Umsetzung und Implementierung;

Berlin, den 21. März 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.