BT-Drucksache 16/4750

Konsequenzen aus der deutschen Mitverantwortung für den Völkermord an den Armeniern

Vom 19. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4750
16. Wahlperiode 19. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Heike Hänsel, Hüseyin-
Kenan Aydin, Dr. Norman Paech und der Fraktion DIE LINKE.

Konsequenzen aus der deutschen Mitverantwortung für den Völkermord an den
Armeniern

Die Geschichte des Völkermords an den Armeniern wurde „auch in Deutsch-
land bis heute nicht befriedigend aufgearbeitet“. So die Bundestagsfraktionen
SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP (Juni 2005) in der
Begründung für ihren Antrag „Erinnerung und Gedenken an die Vertreibung
und Massaker an den Armeniern 1915“ (Bundestagsdrucksache 15/5689). Sie
unterstrichen die historische Rolle Deutschlands in den „deutsch-türkisch-
armenischen Beziehungen“ und die deutsche Mitverantwortung für die Ver-
drängung der „Verbrechen am armenischen Volk“ und forderten Konsequenzen
aus dieser Mitverantwortung.

Die historische Mitverantwortung leitet sich aus dem von der Reichsregierung
konsequent verfolgten Interesse her, über das enge Bündnis mit der Jungtürken-
Regierung ihre großmachtpolitischen Pläne in der Nahost-Region durchzuset-
zen. Aus dieser Interessenlage resultierte

– die Beteiligung deutschen Militärs an der Durchführung des Völkermords,

– das konsequente Schweigen der deutschen Diplomaten, die zwar detaillierte
Informationen über den Völkermord an das Auswärtige Amt weiterleiteten,
sie aber auch dann nicht der Öffentlichkeit zugänglich machten, als die
deutsche Politik ein Eingreifen zugunsten der Armenier ablehnte,

– die Ausbeutung von Tausenden armenischer Zwangsarbeiter und ihr Ab-
transport in den sicheren Tod durch die am Bau der Bagdad-Bahn beteiligten
Unternehmen wie die Deutsche Bank und Philipp Holzmann,

– die Hilfestellung bei der Flucht einiger für den Völkermord hauptverantwort-
lichen Jungtürken nach Deutschland.

Wir fragen die Bundesregierung

1. Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die deutsche Mitver-
antwortung am Völkermord an den Armeniern in der deutschen Öffentlich-
keit als einen wichtigen Bestandteil eines kritischen historischen und poli-

tischen Bewusstseins zu etablieren?

2. Was wird die Bundesregierung tun, um dem brandenburgischen Vorbild – bis-
her hat nur das Land Brandenburg auf Initiative des damaligen Bildungs-
ministers Steffen Reiche den Völkermord an den Armeniern in den Rahmen-
lehrplan aufgenommen, allerdings der deutschen Mitverantwortung wenig
Raum eingeräumt – deutschlandweit zur Geltung zu verhelfen?

Drucksache 16/4750 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
3. Ist die Bundesregierung bereit, in Deutschland einen nur der historischen
Wahrheit verpflichteten Prozess der Auseinandersetzung mit dem Völker-
mord, insbesondere in Kooperation mit türkischen und armenischen Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern, politisch zu fördern und materiell zu
unterstützen?

4. Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung, um ein friedliches und
respektvolles Zusammenleben derjenigen in Deutschland lebenden Volks-
gruppen (dies betrifft vor allem die in Deutschland lebenden Angehörigen
des türkischen, des armenischen und kurdischen Volkes) zu fördern, die bis-
lang wegen des Völkermords, der Vertreibung und Diskriminierung sowie
deren Leugnung durch die Türkei keinen Weg zu gleichberechtigten und
friedvollen Beziehungen finden können?

5. Erkennt die Bundesregierung im Verhalten der deutschen Diplomaten, die
trotz besseren Wissens in der deutschen Öffentlichkeit über den Völkermord
schwiegen, eine der deutschen Außenpolitik innewohnende Kontinuität der
Unterordnung von humanitären und Völkerrechtsprinzipien unter machtpoli-
tische Staatsinteressen?

Berlin, den 15. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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