BT-Drucksache 16/474

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz

Vom 25. Januar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/474
16. Wahlperiode 25. 01. 2006

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Michael Kauch,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Frank Schäffler,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren
und Volksentscheid in das Grundgesetz

A. Problem

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, das auf der parlamen-
tarisch-repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes beruht, hat sich bewährt.
Die politische Stabilität der Bundesrepublik Deutschland und das in mehr als 55
Jahren ausgereifte demokratische Bewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger
rechtfertigen eine behutsame Fortentwicklung dieses Systems.

Der Wunsch und die Bereitschaft der Bevölkerung, Verantwortung für eine ak-
tive Bürgergesellschaft zu übernehmen und an ihrer Ausgestaltung mitzuwirken,
gebieten es, die parlamentarisch-repräsentative Demokratie um direkte Beteili-
gungsrechte für Bürgerinnen und Bürger zu ergänzen. Auf diese Weise gewinnt
das Volk als Träger der Staatsgewalt über die Teilnahme an Wahlen hinaus einen
unmittelbaren Einfluss auf die politische Willensbildung.

Das Vertrauen in das demokratische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger
führte zur erfolgreichen Einführung direkter demokratischer Elemente in allen
16 Bundesländern. Dieser erfolgreichen Grundentscheidung durch die Länder
für mehr direkte Demokratie schließt sich nun auch der Bund an. Die Übernah-
me von Verantwortung setzt jedoch das Vorhandensein von Handlungsmöglich-

keiten voraus. Den Bürgerinnen und Bürgern soll die Möglichkeit gegeben wer-
den, sich über Elemente direkter Demokratie an der politischen Entwicklung der
Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen. Diese sollen den Bürgerinnen und
Bürgern in Form von Volksinitiative, Volksbegehren sowie Volksentscheid zur
Verfügung gestellt werden.

Diese neuen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen sich, wie
parlamentarische Initiativen und Entscheidungen insgesamt, an den Grundrech-

Drucksache 16/474 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ten sowie den unveränderlichen Grundentscheidungen des Grundgesetzes aus-
richten und der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterliegen.

B. Lösung

Das Grundgesetz wird ergänzt bzw. geändert durch die Einführung der unmittel-
baren Bürgerbeteiligung durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksent-
scheid auch auf Bundesebene.

C. Alternativen

Beibehaltung der bisherigen Verfassungslage.

D. Kosten

Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide führen zu Durchführungs-
kosten beim Bund, vor allem aber bei den Ländern und Gemeinden, die der
Bund zu erstatten hat. Hierzu gehören unter anderem Kosten der Prüfung der
Stimmberechtigten, von öffentlichen Bekanntmachungen, Druckkosten, Kosten
für die Versendung von Abstimmungsbenachrichtigungen, Kosten der Feststel-
lung von Abstimmungsergebnissen. Die Höhe der entstehenden Kosten ist vor
allem davon abhängig, in welchem Umfang die Bevölkerung die neuen Beteili-
gungsrechte nutzen wird.

(Volksbegehren) desgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.“
(1) Die Vertrauensleute der Volksinitiative können ein
Volksbegehren auf Durchführung eines Volksentscheids
einleiten, wenn innerhalb von acht Monaten das bean-
tragte Gesetz nicht zustande kommt. Die Einleitung eines

4. Artikel 79 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von
zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/474

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren
und Volksentscheid in das Grundgesetz

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes
(Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren

und Volksentscheid)

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in
der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer
100-1 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert
durch Gesetz vom 26. Juli 2002 (BGBl I S. 2863), wird wie
folgt geändert:

1. Artikel 76 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag durch
die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages,
durch den Bundesrat oder durch Volksinitiative einge-
bracht.“

2. Artikel 77 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die vom Bundestag beschlossenen Bundesgesetze
sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bun-
destages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten.“

3. Nach Artikel 78 werden die folgenden Artikel 78a bis 78d
eingefügt:

„Artikel 78a
(Volksinitiative)

(1) Durch Volksinitiative können vierhunderttausend
Wahlberechtigte beim Bundestag eine mit Gründen ver-
sehene Gesetzesvorlage einbringen. Spätere Änderungen
der Gesetzesvorlage sind zulässig, soweit sie deren
Grundanliegen nicht berühren. Die Vertrauensleute der
Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung.

(2) Finanzwirksame Volksinitiativen sind nur zulässig,
wenn sie einen nach den gesetzlichen Bestimmungen
durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten
des begehrten Gesetzes enthalten. Ausgeschlossen sind
Volksinitiativen über das Haushaltsgesetz, über Abga-
bengesetze sowie über die Änderung oder Aufhebung des
Artikels 102 oder sonst eine Änderung des Grundgeset-
zes in den Fällen des Artikels 79 Abs. 3.

Artikel 78b

(2) Hält ein Drittel der Mitglieder des Bundestages das
beantragte Gesetz für verfassungswidrig, ist die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

(3) Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn
ihm zehn vom Hundert der Wahlberechtigten innerhalb
von drei Monaten beigetreten sind.

Artikel 78c
(Volksentscheid)

(1) Ist das Volksbegehren zustande gekommen, findet
innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid statt,
wenn nicht das begehrte Gesetz zuvor gemäß Artikel 78
zustande kommt. Ein Volksentscheid ist ab drei Monaten
vor einer Bundestagswahl unzulässig.

(2) Der Bundestag kann einen eigenen Gesetzentwurf
mit zur Abstimmung stellen.

(3) Der Bundestag kann auf Antrag der Bundesregie-
rung, des Bundesrates oder aus der Mitte des Bundes-
tages beschließen, dass über ein Gesetz, für das eine ver-
fassungsändernde Mehrheit erforderlich ist, ein Volksent-
scheid stattfindet. Der Beschluss bedarf der Zustimmung
von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und
von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.

(4) Ein Gesetz ist beschlossen, wenn die Mehrheit der
Abstimmenden zustimmt, sofern diese Mehrheit mindes-
tens fünfzehn vom Hundert der Wahlberechtigten um-
fasst.

(5) Ein das Grundgesetz änderndes Gesetz ist be-
schlossen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zu-
stimmt, sofern diese Mehrheit mindestens ein Viertel der
Wahlberechtigten umfasst.

(6) Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates be-
dürfen, kommen zustande, wenn die Zahl der Bundes-
ratsstimmen jener Länder, in denen eine zustimmende
und mindestens fünfzehn vom Hundert der Wahlberech-
tigten umfassende Mehrheit in der Abstimmung erreicht
wurde, der im Bundesrat erforderlichen Mehrheit ent-
spricht.

Artikel 78d
(Ausführungsgesetz)

Das Nähere zum Verfahren nach den Artikeln 78a, 78b
und 79c, auch die Information der Wahlberechtigten über
Inhalte und Gründe der Gesetzentwürfe, regelt ein Bun-
Volksbegehrens ist ab drei Monaten vor einer Bundestag-
wahl unzulässig.

Dritteln der Stimmen des Bundesrates oder der Zustim-
mung durch Volksentscheid.“

Dr. Hermann Otto Solms
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt u
nd Fraktion
Drucksache 16/474 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 24. Januar 2006

Ernst Burgbacher
Gisela Piltz
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster

von sechs Monaten verabschieden und damit das Verfahren zu ändern oder aufzuheben.
beenden. Im Rahmen des Volksentscheids hat das Parlament
die Möglichkeit, eine Konkurrenzvorlage zur Abstimmung
zu stellen. Auf diese Weise werden parlamentarische und

Das Budgetrecht des Parlaments wird durch das Recht fi-
nanzwirksamer Volksgesetzgebung berührt, allerdings nicht
entscheidend verändert. Das Budgetrecht bleibt im Bereich
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/474

Begründung

A. Allgemeines

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, das
auf der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie des
Grundgesetzes beruht, hat sich bewährt. Die politische Sta-
bilität der Bundesrepublik Deutschland und das in mehr als
55 Jahren ausgereifte demokratische Bewusstsein ihrer Bür-
gerinnen und Bürger rechtfertigen eine behutsame Fortent-
wicklung dieses Systems.

Der Wunsch und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich ak-
tiv für das Gemeinwesen einzusetzen und an seiner Ausge-
staltung mitzuwirken, gebieten es, die parlamentarisch-re-
präsentative Demokratie um direkte Beteiligungsrechte für
Bürgerinnen und Bürger zu ergänzen. Auf diese Weise ge-
winnt das Volk als Träger der Staatsgewalt über die Teilnah-
me an Wahlen hinaus einen unmittelbaren Einfluss auf die
politische Willensbildung und staatliche Entscheidungen.

Die Übernahme von Verantwortung setzt das Vorhandensein
von Handlungsmöglichkeiten voraus. Diese sollen den Bür-
gerinnen und Bürgern in Form von Volksinitiative, Volksbe-
gehren sowie Volksentscheid zur Verfügung gestellt werden.
Auf diese Weise kann das Volk als Träger der Staatsgewalt
das Parlament veranlassen, sich mit bestimmten Themen zu
befassen. Darüber hinaus kann es selbst unmittelbare Sach-
entscheidungen treffen. Dabei garantieren das vorgesehene
dreistufige Verfahren und die Anbindung von Volksinitiati-
ve, Volksbegehren und Volksentscheid an Quoren und Fris-
ten, dass das Parlament für den Regelfall der Ort der politi-
schen Auseinandersetzung und Entscheidung bleibt.

Die Volksinitiative gibt den Bürgerinnen und Bürgern das
Recht, beim Deutschen Bundestag eine mit Gründen verse-
hene Gesetzesvorlage einzubringen.

Kommt das beantragte Gesetz innerhalb von acht Monaten
nicht zu Stande, können die Vertrauensleute der Volksinitia-
tive ein Volksbegehren einleiten.

Kommt das Volksbegehren zu Stande, findet innerhalb von
sechs Monaten ein Volksentscheid statt. Stimmt die – gege-
benenfalls qualifizierte – Mehrheit der Abstimmenden zu, ist
das Gesetz beschlossen.

Zusätzlich kann der Deutsche Bundestag den Bürgerinnen
und Bürgern ein Gesetz, für das eine verfassungsändernde
Mehrheit erforderlich ist, zum Volksentscheid vorlegen.

Um verfassungswidrigen Entscheiden vorzubeugen, hat der
Deutsche Bundestag die Möglichkeit, die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn ein Drittel sei-
ner Mitglieder das beantragte Gesetz für verfassungswidrig
hält. Auch kann der Deutsche Bundestag nach zu Stande
kommen des Volksbegehrens das begehrte Gesetz innerhalb

B. Die Regelungen im Einzelnen

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 (Artikel 76 Abs. 1)

Es wird als Folgeänderung zu Artikel 78a (neu) klargestellt,
dass die durch eine Volksinitiative an den Deutschen Bun-
destag herangetragenen Gesetzentwürfe als Gesetzesvorla-
gen zu behandeln sind.

Zu Nummer 2 (Artikel 77 Abs. 1)

Es wird klargestellt, dass nur solche Bundesgesetze, die vom
Deutschen Bundestag beschlossen worden sind, nach ihrer
Annahme durch den Präsidenten des Bundestages unverzüg-
lich dem Bundesrat zuzuleiten sind.

Zu Nummer 3 (Artikel 78a bis Artikel 78d)

Zu Artikel 78a

Zu Absatz 1

Absatz 1 bestimmt den Kreis der zur Volksinitiative Berech-
tigten (die Wahlberechtigten). Er bestimmt des Weiteren den
Gegenstand der Volksinitiative (eine mit Gründen versehene
Gesetzesvorlage). Bloße Handlungsaufträge oder Zielvorga-
ben an das Parlament sind ausgeschlossen. Als Eingangshür-
de legt Absatz 1 400 000 Unterschriften von Wahlberechtig-
ten fest. Bagatellinitiativen werden dadurch vermieden. Eine
Frist für die Sammlung der Unterschriften ist nicht vorgese-
hen. Sie würde eine unnötige Hürde bedeuten. Die Vertrau-
ensleute haben als Vertreter der Volksinitiative das Recht auf
Anhörung.

Die Möglichkeit der Änderung der Gesetzesvorlage ist we-
gen der Dauer des Verfahrens von rund eineinhalb Jahren
vom Start der Volksinitiative bis zum Volksentscheid gebo-
ten.

Zu Absatz 2

Grundsätzlich kann sich die Volksinitiative auf alle Gegen-
stände der politischen Willensbildung beziehen, für die eine
Bundeskompetenz besteht. Das schließt Volksinitiativen zu
finanzwirksamen Gesetzen mit der Maßgabe ein, dass diese
nur zulässig sind, wenn sie einen nach den gesetzlichen Be-
stimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der
Kosten enthalten, die die begehrten Gesetze auslösen. Damit
soll eine Finanzierbarkeit dieser staatliche Einnahmen und
Ausgaben zur Folge habenden Gesetze gewährleistet wer-
den. Die Rechte des Parlaments bleiben gewahrt. Der Deut-
sche Bundestag kann alternative Regelungen zur Abstim-
mung stellen. Auch bleibt es ihm im Grundsatz unbenom-
men, ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz wieder
direktdemokratische Gesetzgebung auf sinnvolle Weise mit-
einander verzahnt.

der Legislative, wo es historisch, verfassungsdogmatisch
und als Ausdruck des Gewaltenteilungs- und damit des

Drucksache 16/474 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Rechtsstaatsprinzips hingehört. Lediglich innerhalb der le-
gislativen Staatsfunktion findet ein Austausch statt. An die
Stelle der bislang rein parlamentarischen Legislative tritt un-
ter den oben genannten Voraussetzungen eine finanzwirksa-
me Volksgesetzgebung.

Hingegen bleibt das Haushaltsgesetz von der Volksgesetzge-
bung ausgeschlossen. Das Haushaltsgesetz eignet sich schon
deshalb nicht als Gegenstand der Volksgesetzgebung, weil es
notwendig innerhalb eines festen zeitlichen Rahmens verab-
schiedet werden muss. Hinzu kommt, dass die Haushaltsge-
setzgebung ein Instrument globaler Steuerung ist. Hierin un-
terscheidet sie sich von der Volksgesetzgebung, die auf ein
konkretes Vorhaben zugeschnitten ist.

Auch Abgabengesetze bleiben von der Volksgesetzgebung
ausgenommen. Gemeint sind hier Abgaben im Sinne des
Finanzverfassungsartikels, d. h. Steuern, Zölle und Finanz-
monopole. Abgaben dienen der staatlichen Mittelbeschaf-
fung. Änderungen sind dem Parlament vorzubehalten. Sie
eignen sich nicht als Gegenstand der einzelfallbezogenen
Volksgesetzgebung.

Das Verbot der Änderung oder Aufhebung des Artikels 102
(„Die Todesstrafe ist abgeschafft“) sowie einer Änderung
des Grundgesetzes in den Fällen des Artikels 79 Abs. 3 be-
kräftigen das Verbot eindeutig verfassungswidriger Volks-
initiativen. Volksinitiativen etwa zur Beseitigung der parla-
mentarischen Demokratie sind demnach unzulässig.

Zu Artikel 78b

Zu Absatz 1

Kommt das von der Volksinitiative beantragte Gesetz unter
Beachtung der Vorgaben der Artikel 77, 78 nicht innerhalb
von acht Monaten zu Stande, so können die Vertrauensleute
der Initiative die Durchführung eines Volksbegehrens ein-
leiten. Hieraus ergibt sich zugleich, dass eine durch Volks-
initiative ausgelöste Debatte schon auf dieser Stufe zu einem
vom Parlament beschlossenen Gesetz führen kann, welches
das Anliegen der Initiative aufgreift.

Der Ausschluss der Einleitung eines Volksbegehrens auf
einen Zeitraum von drei Monaten vor einer Bundestagswahl
soll verhindern, dass der Bundestagswahlkampf durch die
Auseinandersetzungen mit den begehrten Gesetzen be-
stimmt wird.

Zu Absatz 2

Bereits ab Einleitung des Volksbegehrens unterliegt der Ge-
setzentwurf der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Diese
vorgezogene Normenkontrolle gewährleistet, dass Entwürfe,
die formell oder materiell grundgesetzwidrig sind bzw. sich
auf keinen nach Artikel 78a Abs. 2 zulässigen Gegenstand
beziehen, schon vor Durchführung des aufwändigen Volks-
begehrens gestoppt werden. So würde z. B. ein Volksbegeh-
ren, das gegen Grundrechte verstößt, bereits in diesem Sta-
dium scheitern.

Zweck der vorgezogenen Normenkontrolle ist es auch, den
weiteren Verfahrensgang von verfassungsrechtlichen Strei-
tigkeiten zu entlasten und der Enttäuschung vorzubeugen,

Die Antragsbefugnis für eine vorweggenommene Normen-
kontrolle erhält der Deutsche Bundestag. Eine weitergehen-
de Antragsbefugnis, z. B. auch der Bundesregierung oder
von Landesregierungen, ist nicht vorgesehen. Anderenfalls
ergäbe sich ein Wertungswiderspruch bzw. die Notwendig-
keit, der Bundesregierung bzw. Landesregierung auch bei
Gesetzentwürfen von Fraktionen des Deutschen Bundes-
tages eine solche Antragsbefugnis einzuräumen.

Zu Absatz 3

Um Bagatellinitiativen auszuschließen, wird das Zustande-
kommen des Volksbegehrens davon abhängig gemacht, dass
ihm zehn Prozent der Wahlberechtigten, d. h. rund sechs Mil-
lionen Bürgerinnen und Bürger, innerhalb von drei Monaten
zustimmen. Das Erreichen des Quorums und die Einhaltung
der Frist sind der Test für die Relevanz des Anliegens und
dessen Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. Eine
längere Frist ist weder organisatorisch erforderlich noch po-
litisch sinnvoll. Die Frist von drei Monaten ermöglicht einer-
seits einen gründlichen Diskussionsprozess und verhindert
andererseits eine politische Dauerauseinandersetzung. Sie ist
angemessen auch im Hinblick auf die Gesamtdauer des Ver-
fahrens vom Start der Volksinitiative bis zum Volksent-
scheid. Diese beläuft sich so auf gut eineinhalb Jahre.

Zu Artikel 78c

Zu Absatz 1

Nach Zustandekommen des Volksbegehrens kann das Parla-
ment das begehrte Gesetz innerhalb von sechs Monaten ver-
abschieden und damit das Verfahren beenden. Der Zeitraum
von sechs Monaten ermöglicht es, Abstimmungen während
ungünstiger Zeiten zu vermeiden und ggf. mehrere Abstim-
mungen zusammenzufassen oder mit einem Wahltermin zu
verbinden. Der Zeitraum von sechs Monaten gibt Befürwor-
tern wie Gegnern des Gesetzentwurfs zudem eine weitere
Gelegenheit, für eine Zustimmung oder Ablehnung des An-
liegens zu werben. Auch hier soll der Ausschluss eines
Volksentscheids ab drei Monaten vor einer Bundestagswahl
vermeiden, dass der Bundestagswahlkampf durch die Aus-
einandersetzungen mit den begehrten Gesetzen bestimmt
wird.

Wenn das Parlament den Gesetzentwurf nicht verabschiedet,
findet ein Volksentscheid statt, ohne dass ein weiterer Antrag
erforderlich ist.

Zu Absatz 2

Die Volksgesetzgebung soll die parlamentarisch-repräsenta-
tive Demokratie nicht ersetzen, sondern ergänzen. Zur Ver-
zahnung von parlamentarischer und direktdemokratischer
Gesetzgebung erhält der Deutsche Bundestag das Recht,
einen eigenen Gesetzentwurf zum gleichen Gegenstand zur
gleichzeitigen Abstimmung zu stellen.

Zu Absatz 3

Die Regelung führt als weitere Form des Volksentscheids ein
fakultatives Referendum ein. Danach hat eine qualifizierte
Mehrheit des Deutschen Bundestages und des Bundesrates
die Möglichkeit, über ein Gesetz, für das eine verfassungs-
die bei der Verwerfung eines volksbegehrten oder -beschlos-
senen Gesetzes zu einem späteren Zeitpunkt entstünde.

ändernde Mehrheit erforderlich ist, einen Volksentscheid
stattfinden zu lassen. Das Referendum erhöht die Legitima-

Zu Absatz 6

Diese Regelung ist Ausdruck des bundesstaatlichen Aufbaus
der Bundesrepublik Deutschland. Sie fügt den Volksent-
scheid in das föderale System der Bundesrepublik Deutsch-

entscheid geändert werden kann.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes gemäß
Artikel 82 Abs. 2 Satz 1.
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/474

tion parlamentarischer Entscheidungen. Es steigert die Sta-
bilität der Verfassung, indem es die Änderungsfreudigkeit
des Parlaments dämpft.

Zu Absatz 4

Ein einfaches Gesetz kommt durch Volksentscheid zu Stan-
de, wenn sich die Mehrheit der Abstimmenden dafür aus-
spricht. Das zusätzliche Erfordernis, dass sich mindestens
15 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung betei-
ligt haben müssen, verhindert, dass sich Partikularinteressen
kleiner Minderheiten durchsetzen können. Die Mehrheitser-
fordernisse sind so gewählt, dass hinreichend relevante An-
liegen, insbesondere Anliegen von bundesweiter Bedeutung
und allgemeinem politischen Interesse, das Beteiligungsquo-
rum im Regelfall erreichen werden.

Zu Absatz 5

Ebenso wie im parlamentarischen Verfahren müssen auch
bei Verfassungsänderungen durch Volksentscheid höhere
Quoren gelten, um die Verfassung als Grundlage der Rechts-
ordnung und des politischen Prozesses vor nicht hinreichend
durchdachten Änderungen zu schützen. Das Quorum ist zu-
dem Ausdruck des Gedankens, dass die Verfassung durch
Volksabstimmung nur geändert werden können soll, wenn
ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht.

land ein und stellt die erforderliche Mitwirkung der Länder
bei der Gesetzgebung (Artikel 79 Abs. 3) in dem verfas-
sungsrechtlich gebotenen Umfange sicher.

Die Vorschrift regelt, dass nur die Bundesratsstimmen sol-
cher Länder berücksichtigt werden, in denen sich erstens die
Mehrheit der Wahlberechtigten für das Gesetz ausgespro-
chen hat, und zweitens diese Mehrheit mindestens 15 Pro-
zent der Wahlberechtigten umfasst. Das Beteiligungsquorum
ist somit dem des Absatzes 4 nachgebildet.

Zu Artikel 78d

Die Einzelheiten des Verfahrens der Volksgesetzgebung sind
in einem besonderen Bundesgesetz zu regeln. Neben Verfah-
rensfragen und Einzelheiten der Rechtsstellung der Initia-
tiven werden in diesem Gesetz auch Regelungen zur Infor-
mation der Abstimmenden über Inhalt und Gründe der
Gesetzentwürfe sowie Regelungen der Kostenerstattung ge-
troffen werden müssen. Wegen der Möglichkeit von Volks-
entscheiden auch in Bereichen, die der Zustimmung des
Bundesrates obliegen, bedarf das Ausführungsgesetz seiner-
seits der Zustimmung des Bundesrates.

Zu Nummer 4 (Artikel 79 Abs. 2)

Zu Absatz 2

Es wird klargestellt, dass die Verfassung auch durch Volks-

Gesetzentwurf
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in da...

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