BT-Drucksache 16/4639

Verschärfung der Luftsicherheitsmaßnahmen auf europäischen Flughäfen

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4639
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Mücke, Ernst Burgbacher, Horst Friedrich (Bayreuth),
Patrick Döring, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Dr. Edmund Peter
Geisen, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Verschärfung der Luftsicherheitsmaßnahmen auf europäischen Flughäfen

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union erließen zur
Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt die
Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 vom 16. Dezember 2002. Durch Artikel 4
Abs. 2 dieser Verordnung wird die Europäische Kommission unter Beachtung
des Verfahrens gemäß des Beschlusses 1999/468/EG des Rates der Euro-
päischen Union ermächtigt, die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung und
technischen Anpassung der Festlegungen dieser Verordnung zu erlassen.

Gemäß Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 kann die zustän-
dige Behörde eines Mitgliedstaates in Fällen, in denen die im Anhang dieser
Verordnung vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen unverhältnismäßig aufwen-
dig sind oder aus objektiven praktischen Gründen nicht durchgeführt werden
können, auf der Grundlage einer ortsbezogenen Risikobewertung innerstaatliche
Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um den Besonderheiten der in der Norm näher
bezeichneten kleinen Flughäfen Rechnung zu tragen.

Gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 erließ die Kommission am
4. April 2003 die Verordnung (EG) Nr. 622/2003 sowie – ergänzend – am
4. Oktober 2006 die Verordnung (EG) Nr. 1546/2006, jeweils zur Festlegung

von Maßnahmen für die Durchführung der gemeinsamen grundlegenden
Normen für die Luftsicherheit.

Die Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 sieht u. a. vor, dass Fluggäste Flüssigkeiten
oder vergleichbare Gegenstände in ähnlicher Konsistenz nur noch in geringen
Mengen und in kleinen Einzelbehältnissen von nicht mehr als 100 Milliliter Fas-
sungsvermögen im Handgepäck mitführen dürfen. Sämtliche Einzelbehältnisse
sind in einem durchsichtigen, wiederverschließbaren Plastikbeutel mit einem

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Fassungsvermögen von nicht mehr als 1 Liter aufzubewahren. Darüber hinaus
dürfen flüssige Medikamente und Spezialnahrung (z. B. Babynahrung), die
während des Fluges benötigt werden, mitgeführt werden. Überdies dürfen Du-
ty- Free-Waren, die in einem Geschäft nach der Sicherheitskontrolle an einem
EU-Flughafen erworben wurden, mit an Bord genommen werden, sofern sich
diese in einem transparenten und von der Verkaufsstelle versiegelten Beutel
befinden. Gleiches gilt für die an Bord eines Flugzeuges einer EU-Fluggesell-
schaft erworbenen Waren in Bezug auf einen Anschlussflug von einem Flug-
hafen innerhalb der Europäischen Union (EU). Die Verordnung trat am
6. November 2006 in Kraft.

Die Umsetzung dieser Verordnung führt dazu, dass Flüssigwaren, die in einem
Duty-Free-Geschäft außerhalb der Europäischen Union erworben wurden, auf
dem Flug in die EU im Handgepäck mitgeführt werden dürfen. Schließt sich
diesem Flug jedoch unmittelbar eine innereuropäische Umsteigeverbindung an,
ist es hingegen nicht mehr gestattet, diese Waren weiterhin als Handgepäck zu
deklarieren.

Darüber hinaus war ursprünglich vorgesehen, dass ab 6. Mai 2007 das Hand-
gepäck die reduzierten Abmessungen von 56 × 45 × 25 Zentimeter nicht mehr
überschreiten darf. Diese Regelung soll nunmehr entsprechend einer Verein-
barung zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten vom
1. März 2007 frühestens im November 2007 in Kraft treten.

Im Rahmen eines Beitrages des ZDF-Nachrichtenmagazins Frontal21 vom
14. November 2006 wurde gezeigt, dass es auch nach Inkrafttreten der Verord-
nung (EG) Nr. 1546/2006 möglich ist, die Bestandteile an Bord eines Flugzeu-
ges zu bringen – teils durch Mitnahme, teils durch Kauf im Duty-Free-Shop –,
die es ermöglichen, dort eine Flüssigsprengstoffexplosion herbeizuführen. Fer-
ner wurde in dem Beitrag ausgeführt, dass es Mitarbeitern von Duty-Free-Shops
untersagt sei, ausschließlich Reisenden nach London und in die USA Spiri-
tuosen und Parfum zu verkaufen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Waren erst die Vorkommnisse am 10. August 2006 am Flughafen London-
Heathrow Anlass für die Europäische Kommission, über die in der Verord-
nung (EG) Nr. 622/ 2003 normierten Vorschriften hinausgehend Regelungen
zur Verschärfung der Sicherheitsvorkehrungen im Luftverkehr zu treffen
oder gab es bereits zuvor entsprechende Pläne?

Wenn ja, was sahen diese vor; insbesondere, waren diese so weitreichend wie
die letztlich in Form der Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 erlassenen Vor-
schriften?

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bislang hinsichtlich der Vor-
kommnisse am 10. August 2006 in London?

Sind der Tathergang und die mutmaßlichen Beteiligten bereits ermittelt?

3. Welche Erkenntnisse hatte die Bundesregierung vor den Geschehnissen am
10. August 2006 hinsichtlich der Möglichkeit, unbemerkt Flüssigsprengstoff
an Bord eines Flugzeuges schaffen zu können?

4. Gab bzw. gibt es technische Möglichkeiten, beim Durchleuchten des Hand-
gepäcks mitgeführten Flüssigsprengstoff zu identifizieren?

Falls nicht, ist der Bundesregierung ein Zeitpunkt bekannt, zu dem eine
solche Technik voraussehbar lieferbar sein wird?

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5. Im Fall der Bejahung von Frage 4: Hat die Bundesregierung Interesse am
flächendeckenden Einsatz einer solchen Technik?

Wer soll die Kosten für deren Anschaffung tragen?

Hat die Bundesregierung die Absicht, die Anschaffung dieser Technik fi-
nanziell zu fördern?

6. Welchen Einfluss hat die Bundesregierung in dem die Europäische Kom-
mission unterstützenden Ausschuss im Sinne des Artikels 9 Abs. 1 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 2320/2002 bei der Ausgestaltung der Verordnung (EG)
Nr. 1546/2006 geltend gemacht?

Konnte die Bundesregierung eine gegenüber den erlassenen Vorschriften
weitergehendere Regelung abwehren oder ging der Bundesregierung die
Verschärfung der Sicherheitsvorschriften nicht weit genug?

7. Trifft es zu, dass die in Kraft getretene Verschärfung der Sicherheitsmaß-
nahmen nicht zuletzt auf die Interventionen der Vereinigten Staaten von
Amerika zurückzuführen ist (vgl. FOCUS vom 26. Februar 2007, S. 14)?

8. Hat die Bundesrepublik Deutschland von der Möglichkeit des Artikels 4
Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002, für kleinere Flughäfen alter-
native Schutzmaßnahmen zu treffen, Gebrauch gemacht?

Wenn ja, für welche Flughäfen gilt dies?

9. Gab es Fälle, in denen die Europäische Kommission die im Rahmen des
Artikel 4 Abs. 3 dieser Verordnung ergriffenen Maßnahmen deutscher Flug-
häfen als unzureichend verworfen hat (Artikel 4 Abs. 4)?

10. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Zunahme von War-
tezeiten an den Sicherheitskontrollen seit Inkrafttreten der Verordnung (EG)
Nr. 1546/2006?

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl von Reisenden,
die aufgrund der verlängerten Wartezeiten ihren Flug verpasst haben?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die Möglichkeit,
Flüssigkeiten aus medizinischen Gründen als Handgepäck mit an Bord neh-
men zu dürfen, die Geeignetheit des grundsätzlichen Verbots der Mitnahme
von Flüssigkeiten entfällt, da sie eine entscheidende und nicht zu kontrollie-
rende Lücke in der Sicherheitskette darstellt?

Welche Gründe führt die Bundesregierung für ihre Ansicht an?

13. Sieht die Bundesregierung nach den Rechercheergebnissen des Nachrich-
tenmagazins Frontal21 (vgl. Vorbemerkung) das grundsätzliche Verbot der
Mitnahme von Flüssigkeiten als Handgepäck noch als geeignetes Mittel an,
die Sicherheit an Bord von Flugzeugen zu erhöhen?

Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem oben genannten
Beitrag des ZDF?

14. Warum wurden Mitarbeiter der Duty-Free-Shops angewiesen, keine Spiri-
tuosen und kein Parfum an Reisende mit dem Flugziel London zu verkaufen
(vgl. Vorbemerkung), obwohl dies nach der Verordnung (EG) Nr. 1546/
2006 zulässig wäre?

15. Warum dürfen die nach der Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 zulässigen
Flüssigkeiten nur in einem verschlossenen Plastikbeutel als Handgepäck
mit sich geführt werden?

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16. Welche Kosten wurden durch die Umsetzung der Verordnung (EG)
Nr. 1546/2006 bei den deutschen Flughäfen verursacht?

Werden diese nach den Erkenntnissen der Bundesregierung (teilweise) auf
Dritte umgelegt?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, in welcher Menge
und in welchem Wert sich Reisende gezwungen sahen, unerlaubte Flüssig-
keiten an den Sicherheitskontrollen abzugeben, weil ein Einchecken der
Waren nicht mehr (rechtzeitig) möglich war?

18. Was passiert mit den Waren, die an den Sicherheitskontrollen abgegeben
wurden?

Erfolgt eine Vernichtung bzw. eine Verwertung?

Wer trägt hierfür die Kosten bzw. erhält den Erlös?

19. Ist es nach Kenntnis der Bundesregierung beabsichtigt oder bereits Realität,
dass die an den Sicherheitskontrollen abgegebenen Waren gemeinnützigen
Zwecken zukommen, sofern sie ihrer Art nach dafür geeignet sind?

20. Sind der Bundesregierung Untersuchungen bekannt, die sich mit dem durch
die Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 eingetretenen volks-
wirtschaftlichen Schaden (z. B. durch längere Wartezeiten für Geschäfts-
reisende) beschäftigen?

Wenn ja, zu welchen Ergebnissen kommen diese Untersuchungen?

21. Welchen Einfluss hat die Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 auf den „modal
split“ im deutschen Personenverkehr?

Ist eine Verlagerung auf den Straßen- und Schienenverkehr – insbesondere
bei mittleren Distanzen – zu erkennen?

22. Besteht gegenüber den Fluggesellschaften, Flughäfen, der Bundesrepublik
Deutschland oder der Europäischen Union ein Ersatzanspruch für die Schä-
den, die dem Flugreisenden durch die Umsetzung der in dieser Kleinen An-
frage angesprochenen Verordnungen (EG) entstehen?

23. Aus welchen Gründen werden die in einem Duty-Free-Shop eines Drittlan-
des gekauften Flüssigkeiten trotz entsprechenden Kaufnachweises nicht als
Handgepäck bei einem sich unmittelbar anschließenden innereuropäischen
Fluges zugelassen?

Worin liegt der Sicherheitsgewinn dem gegenüber beim Kauf von Spiri-
tuosen und Parfum in einem aus einem Drittland kommenden Flugzeug
einer EU-Fluggesellschaft, bei dem der Weitertransport als Handgepäck
hingegen zulässig ist?

24. Stellt sich die Bundesregierung – insbesondere vor dem Hintergrund des
Frontal21-Beitrages (vgl. Vorbemerkung) – auf den Standpunkt, dass auf
Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 ein Flug von einem EU-
Flughafen in ein Drittland sicherer ist als der entsprechende Rückflug?

25. Werden nach Kenntnis der Bundesregierung die Waren, die auf dem Rück-
flug von einem Drittland in die Europäische Union an Bord eines Flug-
zeuges einer EU-Fluggesellschaft verkauft werden, bereits auf dem Hinflug
in das Drittland an Bord mitgeführt oder werden diese erst in dem Drittland
erworben?

26. Wie viele Beschwerden von Bürgern, Unternehmen und Verbänden liegen
der Bundesregierung hinsichtlich der im November 2006 in Kraft getrete-
nen Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen vor?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4639

27. Welche Gründe werden für die Verringerung der zulässigen Abmessungen
des Handgepäcks – ursprünglich für den 6. Mai 2007 vorgesehen – vorge-
bracht?

28. Aus welchen Gründen wurde die Einführung der Begrenzung der Handge-
päckabmessungen um mindestens sechs Monate verschoben?

29. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es bei einer Reglementie-
rung der Handgepäckgröße im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1546/
2006 und der damit verbundenen Einstufung eines größeren Gepäckstücks
als „verbotener Gegenstand“ dazu kommen wird, dass Reisende aus Dritt-
ländern kommend ihr größeres – in den Drittländern zugelassenes – Ge-
päckstück nicht mehr als Handgepäck auf ihrem innereuropäischen Weiter-
flug mit sich führen dürfen, es aber aus zeitlichen und organisatorischen
Gründen auch nicht möglich ist, dieses Gepäckstück auf dem Umsteigeflug-
hafen nachträglich einzuchecken?

Falls ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dieser Sach-
lage?

30. Wie verhält sich die Bundesregierung zu den aktuellen Forderungen deut-
scher Flughäfen (vgl. FOCUS vom 26. Februar 2007, S. 14), die Rege-
lungen zur Mitnahme von Flüssigkeiten im Handgepäck auf nationaler und
europäischer Ebene zu überprüfen?

31. Gibt es auf nationaler oder europäischer Ebene Überlegungen, die im No-
vember 2006 in Kraft getretene Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen
(teilweise) zurückzunehmen?

Wenn ja, zu welcher Zeit und in welchem Umfang?

32. Wann ist mit Ergebnissen der erforderlichen Überprüfung im Sinne des
Punktes 2 der Gründe zur Verordnung (EG) Nr. 1546/2006 zu rechnen?

Ist deren Veröffentlichung vorgesehen?

Berlin, den 6. März 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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