BT-Drucksache 16/4489

Keine deutsche Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsagentur

Vom 1. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4489
16. Wahlperiode 01. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, Hüseyin-
Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Dr. Hakki
Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Keine deutsche Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsagentur

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik setzen die EU-
Mitgliedstaaten die falschen Prioritäten. Statt die Grundlagen und Instru-
mente für eine zivile konstruktive Außen- und Friedenspolitik zu schaffen,
die die EU zu einem anerkannten zivilen internationalen Akteur weiterentwi-
ckelt, konzentrieren sich die Anstrengungen innerhalb der EU vor allem auf
die Aufrüstung und Modernisierung der Streitkräfte und die Legitimierung
für weltweite Interventionseinsätze im Rahmen der ESVP. Neben der Euro-
päischen Sicherheitsstrategie und den European Battle Groups dient auch die
im Juli 2004 von 24 EU-Mitgliedstaaten gegründete Europäische Verteidi-
gungsagentur diesem Ziel.

2. Die Europäische Verteidigungsagentur fördert die weitere Militarisierung der
Europäischen Union. Im Vorgriff auf den „Vertrag über eine Verfassung für
Europa“, der noch nicht in Kraft getreten ist, setzt die Agentur bereits jetzt
die inhaltlichen Vorgaben des Vertrages um. Angesiedelt direkt unterhalb des
Rates für Allgemeine und Auswärtige Angelegenheiten, erhalten die EU-Ver-
teidigungsminister durch diese Agentur u. a. die Möglichkeit zu einer besse-
ren Koordination der Rüstungszusammenarbeit und zum Aufbau von Fähig-
keiten für weltweite Militäreinsätze.

3. Die Europäische Verteidigungsagentur befördert eine Europäisierung der
Rüstungspolitik unter dem Primat militärischer und rüstungsindustrieller
Interessen. Zu ihren Aufgaben gehören die Harmonisierung der Beschaf-
fungsplanung von Waffen, die Förderung der Rüstungsforschung, die Stär-
kung der industriellen und technischen Basis der Rüstungsindustrie sowie die
Schaffung eines international wettbewerbsfähigen europäischen Rüstungs-
marktes. Dadurch wird auch der Rüstungsexport in Ländern außerhalb der
Europäischen Union gefördert.
4. Die Europäische Verteidigungsagentur erschwert die demokratisch-parla-
mentarische Kontrolle der Militär- und Rüstungspolitik. Weder dem Europä-
ischen Parlament noch den nationalen Legislativen wird eine politische oder
fiskalische Kontrollmöglichkeit eingeräumt.

5. Die Europäische Verteidigungsagentur eröffnet den EU-Mitgliedstaaten erst-
mals direkt die Möglichkeit, für militärische Projekte finanzielle Mittel aus

Drucksache 16/4489 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

dem Haushalt der EU-Kommission zu benutzen. Mit Zustimmung der EU-
Kommission ist es unter anderem möglich, Gelder aus dem Europäischen
Forschungsrahmenprogramm für sicherheitsrelevante Forschungsvorhaben
einzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich weder personell noch finanziell an der Europäischen Verteidigungsagen-
tur zu beteiligen und bis zum Austritt aus diesem Verbund die Mitgliedschaft
ab sofort ruhen zu lassen;

2. sich auch nicht als assoziierter Partnerstaat an den gemeinsamen Projekten
der Europäischen Verteidigungsagentur zu beteiligen;

3. sicherzustellen, dass aus dem deutschen Anteil am Etat der Europäischen
Union keine Haushaltsmittel zur Finanzierung für rüstungsrelevante Auf-
gaben und Vorhaben ausgegeben werden;

4. jährlich dem Deutschen Bundestag einen Rechenschaftsbericht vorzulegen
über die Verwendung von Haushaltsmitteln zur Finanzierung rüstungsrele-
vanter und militärischer Maßnahmen im Rahmen der EU oder assoziierter
Behörden wie der European Space Agency, wie z. B. für sicherheitsrelevante
Forschung, für die Finanzierung von EU-Militäreinsätzen über den
ATHENA-Mechanismus sowie über die Kosten für den EU-Militärstab und
EU-Militärausschuss;

5. die jährlichen Beitragszahlungen an die Europäische Verteidigungsagentur
umzuwidmen für die Finanzierung nationaler Abrüstungsbemühungen;

6. sich auf europäischer Ebene für die Schaffung einer Agentur einzusetzen, die
unter Aufsicht des Europäischen Parlaments zuständig ist für die Entwick-
lung, Finanzierung und Umsetzung von Abrüstungs- und Konversionspro-
grammen sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU.

Berlin, den 28. Februar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Europäische Verteidigungsagentur ist ein wesentlicher Baustein für die Auf-
rüstung der Europäischen Union zu einer weltweit agierenden Militärmacht. Der
„Vertrag über eine Verfassung für Europa“ sieht unter anderem in Artikel I-41
eine Aufrüstungsverpflichtung für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
vor sowie ein Amt für Rüstungsförderung (Europäische Verteidigungsagentur),
das diese Verpflichtung umsetzt. Neben der Planung und Koordinierung des
Aufbaus militärischer Kapazitäten soll diese Agentur die Rüstungsforschung,
Rüstungsindustrie und Vermarktung der Rüstungsprodukte fördern.

Mit ihrem „Nein“ zum Verfassungsvertrag hat die Mehrheit der Bevölkerung in
Frankreich und den Niederlanden auch Nein gesagt zur Militarisierung der
Europäischen Union. Dennoch wird die offensichtlich von der Mehrheit der Be-
völkerung in allen EU-Staaten gewünschte sozialere Ausrichtung der EU nicht
umgesetzt, stattdessen werden Milliarden investiert in den Aufbau militärischer
Kapazitäten der EU, wie z. B. die Aufstellung europäischer Gefechtsverbände

(European Battle Groups).

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4489

Der Europäische Rat beschloss bereits im Juni 2004 im Vorgriff auf den Verfas-
sungsvertrag die Einrichtung der „zwischenstaatlichen Agentur für die Bereiche
Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit, Forschung, Beschaffung und Rüs-
tung“. Dass es dabei nicht um Kürzung der Ausgaben für den Rüstungsbereich
ging, sondern im Gegenteil um EU-weit koordinierte Aufrüstung wurde spätes-
tens dann klar, als sich die großen Europäischen Rüstungskonzerne EADS, Tha-
les und BAE Systems für die Einrichtung der Agentur mit ganzseitigen Anzei-
gen in Tageszeitungen (z. B. in Frankfurter Allgemeinen Zeitung und in der
Frankfurter Rundschau) bedankten.

Eine friedliche Welt lässt sich nicht durch Vereinheitlichung der Aufrüstung, son-
dern durch Förderung von Abrüstung und Konversion herbeiführen – auch und
gerade innerhalb der Europäischen Union. Nötig ist deswegen ein europäisches
Amt für Abrüstung und Konversion. Mit den Mitteln aus dem deutschen Budget
für die Europäische Verteidigungsagentur sowie für die verschiedenen Rüs-
tungsagenturen der NATO und den Mitteln aus den sicherheitsrelevanten Mit-
teln aus dem europäischen Forschungsrahmenprogramm steht genügend Start-
kapital für den Einstieg in eine glaubwürdige Abrüstungspolitik zur Verfügung.

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