BT-Drucksache 16/4458

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft in Ägypten fördern

Vom 28. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4458
16. Wahlperiode 28. 02. 2007

Antrag
der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank
Schäffler, Dr. Konrad Schily, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Zivilgesellschaft in Ägypten fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die jahrelangen intensiven Beziehungen zu Ägypten sind für Deutschland von
herausragender Bedeutung – Ägypten ist einer unserer wichtigsten Partner in der
Region des Nahen Ostens und Nordafrika – zugleich ist es eines der beliebtesten
Urlaubsziele deutscher Touristen. Ägypten ist drittgrößter Handelspartner
Deutschlands in der arabischen Welt und Schwerpunktland bilateraler deutscher
Entwicklungszusammenarbeit. Für das Jahr 2006 erhielt Ägypten Zusagen über
109,5 Mio. Euro, womit sich die Gesamtzusagen deutscher Entwicklungszu-
sammenarbeit seit 1963 auf insgesamt 4,7 Mrd. Euro summieren.

Ägypten spielt in der arabischen Welt politisch, historisch, kulturell und wirt-
schaftlich eine herausragende Rolle. Im Nahostkonflikt hat Ägypten mehrfach
eine konstruktiv-vermittelnde Rolle eingenommen, zum Beispiel im Zusam-
menhang mit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen, aber auch in der
syrisch-libanesischen Krise. Der israelisch-ägyptische Friedensvertrag war bei-
spielhaft. In der Arabischen Liga hat Ägypten seit 1990 wieder eine Führungs-
rolle eingenommen, stellt mit seinem ehemaligen Außenminister Amr Mussa

derzeit den Generalsekretär und mit Kairo den Sitz der Liga. Wirtschaftlich be-
findet sich Ägypten seit einigen Jahren in einer Transformationsphase und öffnet
sich nach Jahrzehnten einer fast gänzlich staatlich gelenkten Wirtschaft privaten,
darunter auch ausländischen Investoren. Entsprechend entwickeln sich die Wirt-
schaftsdaten positiv, woran der Barcelona-Prozess nicht unwesentlich beteiligt
war. Die Al-Azhar-Universität in Kairo ist eine der ältesten und bedeutendsten
Bildungseinrichtungen der islamischen Welt. Gleichzeitig versteht sie sich als

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die höchste Autorität in islamischen Rechtsfragen. Ägyptische Zeitungen sind
weithin prägend und werden auch über die Grenzen des Nahen Ostens hinaus als
Referenzen herangezogen. Die meisten arabischen Filme werden in Ägypten
produziert.

Innerägyptische Spannungspotentiale resultieren insbesondere aus den unge-
lösten gesellschaftlichen Problemen Ägyptens. Fortbestehende Demokratie-
defizite, ein ausgeprägtes Nord-Süd- und Stadt-Land-Gefälle und vor allen Din-
gen der Einfluss islamistischer Kräfte in Ägypten geben Anlass zu großer Sorge.
Die Anschläge in Ägypten in den Jahren 1997, 2004, 2005 und 2006 haben dies
auf dramatische Weise verdeutlicht.

Die Demokratiedefizite in Ägypten sind bei den Präsidentschafts- und Parla-
mentswahlen des Jahres 2005 – und zuletzt durch die Verlängerung der Not-
standsgesetzgebung – deutlich zu Tage getreten. Die ägyptische Regierung hat
Maßnahmen ergriffen, die mit einem rechtsstaatlichen Verständnis nur schwer
zu vereinbaren sind. Die direkte Beeinflussung des Wahlvorgangs konnte von
Amnesty International ebenso wie von unabhängigen Zeitungen eindrücklich
dokumentiert werden, wobei die Benachteiligung weiblicher Kandidaten zu den
Parlamentswahlen besonders hervorzuheben ist. Ein wirklicher Wille der ägyp-
tischen Regierung am Aufbau funktionierender zivilgesellschaftlicher Struk-
turen ist kaum erkennbar. Zwar existieren Institutionen wie das Ibn Khaldun
Center for Development Studies, gegründet von dem Menschenrechtler Saad
Eddin Ibrahim, oder das Center for Egyptian Women’s Legal Assistance – beide
Beispiele sind jedoch bisher nur „Leuchttürme“ in einem gegenüber einer akti-
ven Zivilgesellschaft insgesamt eher kritischen System.

So verpflichtete beispielsweise das NGO-Gesetz von 2002 alle Nichtregierungs-
organisationen zu einer Neuregistrierung und zur Durchführung von Neuwahlen
der jeweiligen Vorstände. Die Kandidaten mussten vor ihrer Wahl durch das
Ministerium für soziale Angelegenheiten zugelassen werden. So wurde die
ägyptische Rechtsanwältin Safaa Zaki Murad, die seit 1997 mehrmals den Vor-
sitz der Arab Women Alliance Association innehatte, nicht mehr zu diesem Amt
zugelassen. Diese Maßnahmen werden mit der Notwendigkeit eines stringenten
Vorgehens gegen den Terrorismus begründet, ermöglichen aber der Regierung
flexible Spielräume für willkürliche Verhaftungen und menschenrechtlich be-
denkliche Eingriffe in die Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie
zur Diskriminierung religiöser Minderheiten wie z. B. der Bahái.

Die ägyptische Muslimbruderschaft stellt derzeit die einflussreichste Opposi-
tionsbewegung in Ägypten dar. 1928 als antikoloniale Bewegung gegründet, gilt
die ägyptische Muslimbruderschaft noch heute als die „Mutter aller Islamisten“.
Seit den 30er Jahren mehrfach verboten, an diversen – teilweise folgenschwe-
ren – Attentaten gegen die ägyptische Regierung beteiligt, schwor die Muslim-
bruderschaft Ende der 70er Jahre nach der Abspaltung militanter Flügel – wie
dem islamischen Dschihad – der Gewalt grundsätzlich ab. Politisch verbinden
die Muslimbrüder die Ablehnung des Staates Israel, die Unterstützung des
„Freiheitskampfes“ der Palästinenser und das Bekenntnis zur Schaffung einer
nicht-säkularen islamischen Gesellschaft in Ägypten. Ihre Bekenntnisse zu
Demokratie, Pluralismus, religiöser Toleranz und Gewaltverzicht werden von
Kritikern als nicht glaubwürdig kritisiert. Als politische Organisation in Ägypten
verboten und nur mit „unabhängigen“ Kandidaten bei den zurückliegenden
Wahlen vertreten, haben sich die Muslimbrüder zu einem wesentlichen gesell-
schaftlichen, insbesondere sozialpolitischen Faktor in Ägypten entwickelt. Zu
ihren Anhängern werden ungefähr eine Million Menschen gezählt. Vielfach
ersetzen die Muslimbrüder mit Einrichtungen im Gesundheitssektor und durch
karitative Einrichtungen fehlende soziale Sicherungssysteme. Auf diesem Wege

finden die Muslimbrüder gerade in gesellschaftlich benachteiligten Schichten
massenhaft Zulauf und Unterstützung und einen geeigneten Nährboden für ihre

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islamistische Ideologie. Dem begegnet die ägyptische Regierung in erster Linie
mit Repression, was in der Vergangenheit die Unterstützung der Muslimbrüder
eher noch verstärkt hat.

Säkulare, an den Grundsätzen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pluralis-
mus orientierte politische Parteien existieren in Ägypten nur in Ansätzen. Viele
ihrer Anhänger und politischen Führungskräfte, wie der Vorsitzende der Al-
Ghad-Partei Ayman Nour, sitzen auf Basis rechtsstaatlich fragwürdiger Verfah-
ren in Haft.

Der Umgang mit islamistischen Organisationen ist für Länder des Maghreb und
des Nahen und Mittleren Ostens eine Zukunftsfrage. Es liegt auch in unserem
Interesse, einer Radikalisierung dieser Gesellschaften entgegenzuwirken. Zen-
trale Bedeutung kommt deshalb der Frage zu, ob und wie der gesellschafts-
politische Wettbewerb mit islamistischen Organisationen gesucht und geführt
wird, insbesondere in den sozialen und bildungspolitischen Bereichen. Solange
Islamisten das Feld der sozialen Fürsorge für Millionen von Menschen konkur-
renzlos überlassen wird, wird die Gefahr des wachsenden Einflusses von Isla-
misten und damit einer Radikalisierung ganzer Gesellschaften im Nahen und
Mittleren Osten weiter zunehmen. Dem kann von außen nur mit gezielten ent-
wicklungspolitischen Maßnahmen und einer Förderung von Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie und einer Unterstützung der an diesen Grundsätzen orientierten
zivilgesellschaftlichen Organisationen begegnet werden.

Die Außenpolitik der großen Koalition gegenüber Ägypten lässt solche Anstren-
gungen jedoch nicht erkennen. Sie schließt sich der wirtschaftlichen und kultu-
rellen Orientierung der Vorgängerregierung an und lässt insbesondere nur wenig
Bezug auf den Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen erkennen.

Während die wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem in den Bereichen des
Außenhandels und der Tourismusindustrie weiter erfolgreich verläuft, sind nur
wenige Fortschritte im Bereich der Förderung von Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit zu erkennen. Insbesondere mangelt es an einer gemeinsamen Strategie
von Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
und Auswärtigem Amt, die die politischen Zielsetzungen mit entwicklungspoli-
tischen Maßnahmen verknüpft.

Ein Einwirken auf die Zivilgesellschaft scheint daher deutlich ausbaufähig, ge-
rade weil es ein aktives Goethe-Institut in Kairo und Alexandria gibt – und mit
der German University die erste deutsche Universität außerhalb Deutschlands.
Deutsche Außenpolitik seit 1949 zeichnete sich durch eine Betonung umfassen-
der Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte sowie die För-
derung sozialer und marktwirtschaftlicher Strukturen aus. Diese Ausgewogen-
heit gilt es wieder in den Mittelpunkt außenpolitischen Handelns gegenüber
Ägypten zu stellen, gerade weil Ägypten ein wichtiger Partner für Deutschland
ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die derzeit auf Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und Umwelt Ägyp-
tens konzentrierte außenpolitische Strategie um die Themen Demokratie-
förderung, Förderung der Zivilgesellschaft und rechtsstaatlicher Strukturen
– auch in Zusammenarbeit mit den vor Ort tätigen politischen Stiftungen –
nachhaltig zu erweitern;

2. Strategien zum Umgang mit islamistischen Organisationen wie den ägyp-
tischen Muslimbrüdern zu erarbeiten;

3. die deutsche Entwicklungshilfe stärker auf die Zusammenarbeit mit zivil-

gesellschaftlichen Partnern auszurichten und hier insbesondere im sozialen
Bereich sichtbar Schwerpunkte zu setzen;

Drucksache 16/4458 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
4. die ägyptische Regierung aufzufordern und zu unterstützen, auch angesichts
von Terroranschlägen den Weg rechtsstaatlicher und demokratischer Refor-
men konsequent weiterzuverfolgen. Dabei sollte die ägyptische Regierung
insbesondere zur Aufhebung des seit 25 Jahren bestehenden Ausnahmezu-
standes sowie zur Gewährung jener Grundrechte veranlasst werden, zu
denen sie sich durch die Ratifizierung entsprechender internationaler Über-
einkommen verpflichtet hat. Dazu zählen auch die Freilassung politischer
Gefangener und die Abschaffung der Todesstrafe;

5. in diesem Zusammenhang die Etablierung eines deutsch-ägyptischen
Rechtsstaatsdialoges anzuregen;

6. die Goethe-Institute und die German University in ihrer Arbeit vertieft zu
unterstützen und eine verstärkte Ausweitung ihres Handlungsfeldes auch
auf die südägyptischen Gebiete zu forcieren;

7. auch bei zukünftigen Wahlen gegenüber der ägyptischen Regierung auf die
Entsendung von internationalen Wahlbeobachtern zu drängen;

8. die Rolle der Frau in der ägyptischen Politik mit den gebotenen außen-
politischen Mitteln aktiv zu fördern und so auf eine Verbesserung der
politischen Vertretung der Frauen hinzuwirken;

9. auf die ägyptische Regierung einzuwirken, dass das Gesetz 84/2002 in
einem die Zivilgesellschaft fördernden Rahmen verändert wird;

10. die restriktiven Zulassungsvoraussetzungen für Parteien gegenüber der
ägyptischen Regierung anzusprechen und auf eine Verbesserung hinzuwir-
ken.

Berlin, den 27. Februar 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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