BT-Drucksache 16/4410

Für eine Afrikapolitik im Interesse der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit

Vom 28. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4410
16. Wahlperiode 28. 02. 2007

Antrag
der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, Dr. Norman Paech,
Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Inge Höger,
Dr. Hakki Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Paul Schäfer (Köln), Alexander
Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Für eine Afrikapolitik im Interesse der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Afrika steht bei dem bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm nicht zum
ersten Mal auf der Tagesordnung der großen Wirtschaftsmächte. Nach der
Unterbrechung der Welthandelsgespräche infolge des gescheiterten WTO-
Gipfels in Seattle vom November 1999 und in Reaktion auf die daraufhin
wachsende globalisierungskritische Bewegung wurden seit 2001 regelmäßig
afrikanische Staatschefs zu Gesprächen am Rande der G8-Gipfel eingeladen.
Initiativen wie der Afrika-Aktionsplan von Kananaskis (Kanada, 2002) oder
der angekündigte Schuldenteilerlass für 18 Staaten von Gleneagles (Groß-
britannien, 2005) sollen den Eindruck erwecken, die G8 würden eine an Ar-
mutsbekämpfung ausgerichtete Politik betreiben. Der reale Effekt dieser Ini-
tiativen blieb indes deutlich hinter dem Symbolgehalt der Ankündigungen
zurück.

Ein wirklich substanzielles Interesse haben viele afrikanische Staaten den in
den letzten beiden Jahren rasant steigenden Preisen für wichtige Boden-
schätze wie Erdöl, Bauxit oder Kupfer zu verdanken. Insbesondere China hat
sein afrikanisches Engagement massiv ausgedehnt, um seinen wachsenden
Energie- und Rohstoffbedarf zu stillen. So wuchsen die afrikanischen Ex-
porte nach China zwischen 2000 und 2006 von umgerechnet 6 auf 29 Mrd.
US-Dollar. Die chinesische Wirtschaft deckt heute über ein Viertel ihres Be-
darfs an Rohöl aus afrikanischen Quellen, bei stark steigender Tendenz.
Jüngst vereinbarte der chinesische Präsident Hu Jintao mit der Regierung
Sambias Investitionen in Höhe von 800 Mio. Dollar zur Ausbeutung der
Kupferreserven des Landes.

Chinesische Unternehmen sind nicht die einzigen Interessenten in Afrika.
Trotz des stark gestiegenen Umfangs des sino-afrikanischen Handelsvolu-
mens macht dieses nicht mehr als 10 Prozent des gesamten Außenhandels der

afrikanischen Staaten aus. Der afrikanische Handel mit den USA ist doppelt,
jener mit den Staaten der EU dreimal so umfangreich. Allerdings vermag
China aus seinen enormen Finanzreserven, die jene des IWF um das Fünf-
fache übersteigen, großzügig Darlehen zu vergeben. Die afrikanischen Staa-
ten haben daher die Wahl, in welche finanzielle Abhängigkeit sie sich in Zu-
kunft begeben. Vor diesem Hintergrund hat sich zwischen den großen
Mächten ein Wettlauf um Einfluss über die afrikanischen Staaten entsponnen,

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der zugleich eng mit der Frage nach der Kontrolle über die afrikanischen Bo-
denschätze verwoben ist.

2. Im Dezember 2005 verabschiedete die Europäische Kommission den EU-
Strategieplan für Afrika. Ausgangspunkt war das Eingeständnis, dass sich
trotz einiger Erfolge in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit die
soziale und ökonomische Lage in Afrika bis heute nicht wesentlich verbes-
sert hat. Die Europäische Kommission stellte fest,

● dass 40 Prozent der Bewohner Afrikas mit weniger als 1 Euro pro Tag aus-
kommen müssen;

● dass 18 der 20 ärmsten Staaten der Welt auf dem afrikanischen Kontinent
liegen;

● dass nur sechs von zehn afrikanischen Kindern eine Grundschule besu-
chen;

● dass jeder fünfte Bewohner Afrikas in einem Land lebt, in dem Krieg oder
bewaffnete Konflikte herrschen.

Diese Bilanz ist Ausdruck des Scheiterns der so genannten Strukturanpas-
sungsprogramme, mit denen IWF und Weltbank auf Betreiben der G8 den
Entwicklungsländern seit den 80er Jahren ausgedehnte Privatisierungs- und
Deregulierungsprogramme auferlegt haben. Diese Programme haben durch
die verordnete Beschneidung der staatlichen Ausgaben in vielen afrikani-
schen Ländern zu massivem Stellenabbau und einer weiteren Verschlechte-
rung in der öffentlichen Daseinsfürsorge geführt. Dennoch setzt die EU-
Kommission nach wie vor nahezu ausschließlich auf die „Kräfte des freien
Marktes“. Die Afrika-Strategie ist wesentlich auf die Förderung europäischer
Investitionen auf dem afrikanischen Kontinent ausgerichtet. Ausdruck fand
dies in der Einrichtung eines europäisch-afrikanischen Wirtschaftsforums,
das im November 2006 in Brüssel zum ersten Mal zusammentrat.

Im Rahmen der Verhandlungen zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
(EPA) soll Afrika für Waren aus der EU weiter geöffnet werden. Der Versuch,
den Entwicklungsländern eine weitere pauschale Absenkung ihrer Schutz-
zölle aufzuerlegen, scheiterte im Sommer 2006 durch den Zusammenbruch
der so genannten Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO). Auf Be-
treiben der Schwellen- und Entwicklungsländer waren die Themen Inves-
titionsschutz, Wettbewerb und öffentliches Beschaffungswesen in dieser
Runde von vornherein ausgeklammert worden. Doch nun stehen sie aufgrund
des Drucks durch die EU, ebenso wie die Frage der Zollsenkungen, auf der
Agenda der EPA-Verhandlungen. Die EU zielt darauf ab, die in den Abkom-
men von Lomé und Cotonou zwischen der EU und den AKP-Staaten festge-
schriebenen Handelspräferenzen zugunsten der Entwicklungsländer aufzu-
heben. Bislang garantiert darüber hinaus die Everything-but-arms-Initiative
den am wenigsten entwickelten Staaten den zoll- und kontingentfreien Zu-
gang zum europäischen Markt, mit Ausnahme für Bananen, Reis und Zucker.
Diese begrüßenswerte Entwicklung wird in der EU allerdings durch die Aus-
dehnung nicht tarifärer Handelshemmnisse teilweise konterkariert.

Zweifelsohne hat Afrika zu wenig Anteil am Welthandel. Die daraus folgen-
den negativen Begleiterscheinungen lassen sich aber nicht durch eine abrupte
Marktöffnungsstrategie verbessern, die nur zur weiteren Verheerung der hei-
mischen Branchen führt. Der Aufbau lebensfähiger verarbeitender Industrien
und eines funktionsfähigen Dienstleistungssektors ist nur unter staatlichem
Schutz gegen die ruinöse Konkurrenz multinationaler Konzerne möglich. Die
Etablierung nationaler Ernährungssouveränität in den Ländern Schwarz-
afrikas setzt die Abschirmung der heimischen Landwirtschaft gegenüber den

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internationalen Agrarexport- und Nahrungsmittelkonzernen durch wirksame
Zollmauern voraus.

Die von EU und G8 forcierte Exportorientierung zahlreicher afrikanischer
Staaten hat selbst bei makroökonomisch positiver Entwicklung zahlreiche
sozialpolitisch negative Konsequenzen. Besonders deutlich wird das in den
Exportproduktions- oder Sonderwirtschaftszonen, die überall auf dem afrika-
nischen Kontinent entstehen. Dort produzierende internationale Unterneh-
men müssen häufig keinerlei Steuern zahlen und unterliegen auch sonst kaum
Regeln. So führt das Verbot oder die Behinderung gewerkschaftlicher Tätig-
keit dazu, dass die Arbeitskräfte unter äußerst schlechten Bedingungen für
minimale Löhne arbeiten müssen.

3. Afrikanische Staaten und zivilgesellschaftliche Gruppen erwarten von G8
und EU zu Recht, dass die auf vergangenen Gipfeltreffen abgegebenen Be-
kenntnisse über die Verantwortung des Nordens zur Erreichung der Millen-
niumsentwicklungsziele eingelöst werden. Das gilt insbesondere für das
Versprechen einer deutlichen Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe
(ODA). Die Behauptung der Bundesregierung, die in den Millenniumszielen
vereinbarte Anhebung der Quote für Entwicklungshilfe am Bruttosozialpro-
dukt eingehalten zu haben, beruht auf der Anrechnung von Entschuldungs-
maßnahmen gegenüber Nigeria und Irak. Nach OECD-Angaben ist die ODA
effektiv – also ohne Anrechnung von Schuldenerlassen – von 2004 auf 2005
aber um 10 Prozent gesunken. Die umfassende Entschuldung afrikanischer
Staaten, die aufgrund der Zinslast selbst dann noch Rückzahlungen leisten,
wenn die Kredite längst abgetragen wurden, ist unabweisliche Voraussetzung
für ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Doch die von Deutschland
und den anderen EU- und G8-Staaten geübte Praxis des Verrechnens einiger
zum Teil bereits abgeschriebenen Schulden mit der Entwicklungshilfe hat da-
mit nichts zu tun. Sie widerspricht überdies dem Konsens der Entwicklungs-
finanzierungskonferenz von Monterrey (2002).

4. Ein bislang zu wenig beachteter Aspekt bei der Armutsbekämpfung ist die
Frage der Sicherung von Beschäftigung in Afrika. Denn auch in den afrika-
nischen Ländern ist die Bekämpfung der Armut vorrangig ein Problem der
mangelnden oder prekären Beschäftigung. In einem Land wie Kenia existie-
ren aufgrund der in den vergangenen zwei Jahrzehnten von IWF und Welt-
bank erzwungenen Deregulierungsmaßnahmen nur noch 1,8 Millionen sozial-
versicherungspflichtige Arbeitsplätze. Demgegenüber befinden sich über
8 Millionen Lohnabhängige in der informellen Wirtschaft. „Gute Regie-
rungsführung“ muss auch bedeuten, diese Beschäftigten unter den Schutz be-
sonderer Gesetze zu stellen, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation
IAO fordert. Die deutsche und europäische Entwicklungszusammenarbeit
können diesen Prozess unterstützen, indem sie vor allem auf Projekte zur
Förderung der öffentlichen Daseinsvorsorge orientieren.

Zahlreiche Studien haben die Bedeutung der Arbeitsimmigration für die Ent-
wicklung armer Ursprungsländer belegt. So übersteigen etwa die jährlichen
Geldüberweisungen der US-amerikanischen Hispanics in ihre Herkunfts-
länder in Höhe von derzeit rund 30 Mrd. US-Dollar die Gesamtsumme der
US-Entwicklungshilfe für Lateinamerika. In Kombination mit der generali-
sierten Einführung von Mindestlöhnen in Europa zur Stützung des allgemei-
nen Lohnniveaus könnte auch Afrika in weit höherem Maße als bisher von
dieser Form des Kapitaltransfers profitieren, der im Unterschied zur Vergabe
von Entwicklungsgeldern zudem buchstäblich von Afrikanern selbst erarbei-
tet würde. Doch lässt die Bundesregierung keinerlei Bemühungen erkennen,
die EU-Ratspräsidentschaft für Initiativen zu einer gemeinsamen Öffnung

gegenüber afrikanischen Arbeitskräften zu nutzen.

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5. Die Zurückhaltung der Bundesregierung bei der Bekämpfung der sozialen
Probleme, die der afrikanischen Immigration nach Europa zugrunde liegen,
steht in einem auffälligen Kontrast zu den intensiven Bemühungen des deut-
schen Bundesministeriums des Innern beim Aufbau der Zusammenarbeit mit
polizeilichen und geheimdienstlichen Stellen der Maghrebstaaten. Die Redu-
zierung der deutschen und europäischen Politik auf die polizeiliche Abwehr
der Flüchtlingsströme ist zutiefst inhuman. Sie ist überdies zum Scheitern
verurteilt, solange das wirtschaftliche und soziale Elend in vielen Regionen
Afrikas fortbesteht.

Aufgrund der fortgesetzten Illegalisierung der Einwanderung lebt in den
deutschen Großstädten eine unbekannte Zahl von Afrikanern, die von skru-
pellosen Geschäftemachern als Billigarbeitskräfte in Schwarzarbeit ausge-
beutet und als Lohndrücker instrumentalisiert werden. Die Legalisierung des
Aufenthaltstatus dieser Arbeitskräfte und eine deutliche Erweiterung legaler
Einwanderungsmöglichkeiten sind deshalb dringend geboten. Nun hat die
EU jüngst 40 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um in Afrika ein Netz euro-
päischer Arbeitsvermittlungsstellen aufzubauen. Ein erstes Jobcenter entsteht
derzeit in Mali unter maßgeblicher Beteiligung des Europäischen Kommis-
sars für Entwicklung und humanitäre Hilfe, Louis Michel. Doch während die
Verhandlungsführung zur Förderung europäischer Kapitalinteressen im
Rahmen der EPA und auf den in den Beziehungen zu Afrika bedeutsamen
Politikfeldern der Fischerei- und Agrarpolitik weitgehend vergemeinschaftet
wurde, hat sich die Bundesregierung bei der Einrichtung von europäischen
Jobcentern auf dem afrikanischen Kontinent unter Verweis auf die nationale
Zuständigkeit für die Anwerbung von Arbeitskräften bislang zögerlich
gezeigt.

6. Die EU hat in den vergangenen Jahren den Weg der Bevormundung Afrikas
mit der Forderung nach „guter Regierungsführung“ fortgesetzt. Dies ge-
schieht deshalb, weil die Afrikapolitik der EU noch immer dem Glauben
folgt, dass die Entwicklung Afrikas „von außen“ erreicht werden könne. Das
überfrachtete und missionarische Konzept „Good Governance“ muss auf
Kernelemente reduziert werden. „Good Governance“ bedeutet nicht nur Kor-
ruptionsbekämpfung, sondern vor allem die Beachtung der Menschenrechte.
Es kann keine Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern geben, die gleich-
zeitig Krieg führen. Die Unterstützung Ugandas während des Kongokrieges
darf sich nicht wiederholen. Demgegenüber darf die Liberalisierung der
Wirtschaft nicht länger als Teil von „guter Regierungsführung“ verstanden
und zur Voraussetzung für die Gewährung von Entwicklungsprogrammen
gemacht werden.

Die Bekämpfung von Korruption beginnt mit einem energischen Vorgehen
gegen jene europäischen Firmen, die sich ihre Märkte durch Bestechung in
Afrika erkaufen. Misswirtschaft in afrikanischen Staaten kann nicht in pater-
nalistischer Weise oktroyiert werden, sondern muss als Folge interner Refor-
men aus den afrikanischen Ländern selbst erwachsen. Eine fortgesetzte und
gestärkte Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen
und Gewerkschaften Afrikas wird die notwendigen internen Reformen beför-
dern.

7. Die EU-Strategie für Afrika bezeichnet die Konfliktverhinderung und Kon-
fliktschlichtung zur Friedenswahrung als Hauptaufgaben für die Zukunft.
Der Unterstützung der Errichtung der Friedens- und Sicherheitsarchitektur
Afrikas (APSA) und der darin enthaltenen Einrichtung der afrikanischen Be-
reitschaftstruppe (ASF) fällt hierbei eine zentrale Rolle zu. Die bekundete
Stärkung der Eigenverantwortung Afrikas ist zu begrüßen. Sie darf sich je-

doch nicht auf die militärische Aufrüstung der Afrikanischen Union be-
schränken.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/4410

Gerade die Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent zeigen, dass
Sicherheit für die Bevölkerung nicht mit militärischen Mitteln geschaffen
werden kann. Der Dialog mit der Afrikanischen Union muss auf die nicht-
militärische Zusammenarbeit gründen. Konfliktprävention, die unbedingte
Achtung des Völkerrechts, die Einhaltung der Menschenrechte und die Sou-
veränität der Staaten sind die Grundprinzipien, die einem solchen Dialog zu-
grunde liegen müssen.

Die Erfahrung zeigt, dass Sicherheit nur aus den von Konflikten betroffenen
Ländern selbst erwachsen kann. Die systematische und interessengeleitete
Intervention der großen Industriestaaten in Afrika hat die Sicherheitslage in
vielen Ländern verschlechtert und einige der Konflikte der Vergangenheit
maßgeblich stimuliert. Die geplante Einrichtung einer eigenen US-Militär-
kommandozentrale für Afrika (Africom) mit vorläufigem Hauptsitz in Stutt-
gart ist als Ausdruck dieser falschen Politik deutlich zu kritisieren.

Einige der kriegerischen Konflikte in Afrika liegen in dem Mangel an frucht-
barem Boden begründet. Neben der Korrektur ihrer destabilisierenden Wirt-
schafts- und Handelspolitik sollte sich daher die Hilfestellung der Industrie-
staaten für Afrika zur Gewährleistung von Sicherheit auf die Bekämpfung
der Ursachen für Bodenerosion und Desertifikation konzentrieren.

Die europäische und deutsche Politik zur Konfliktverhütung in Afrika bleiben
nur glaubwürdig, wenn sie in Zukunft strengere Maßstäbe an die eigene Waf-
fenausfuhrpolitik legt und mittelfristig auf einen Stopp sämtlicher Rüstungs-
exporte orientiert. Deutschland erteilte 2005 Einzelausfuhrgenehmigungen
für Rüstungsgüter im Gesamtwert von 4,2 Mrd. Euro (2004: 3,8 Mrd. Euro).
Auf „klassische“ Entwicklungsländer entfielen dabei nach Angaben der Bun-
desregierung 22 Prozent (2004: 11 Prozent). In vier afrikanische Staaten
wurde geliefert, obgleich die Menschenrechtslage dort nach Kriterien des
EU-Verhaltenskodex als „sehr bedenklich“ eingestuft wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen ihres G8-Vorsitzes und der EU-Ratspräsidentschaft eine kritische
Evaluierung der bisherigen Afrika-Prozesse auf Ebene der G8 und der EU
vorzunehmen und dabei insbesondere konkret herauszuarbeiten, inwieweit
der Anspruch aus dem Europäischen Entwicklungskonsens auf Kohärenz
zwischen allen Politikfeldern der EU und ihren entwicklungspolitischen Zie-
len eingelöst wird;

2. darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungen zu den Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen unterbrochen werden und sich die EU in der Welthandels-
organisation dafür einsetzt, dass die Ausnahmeregelung zur Fortführung der
Lomé-Präferenzen um mindestens drei Jahre verlängert wird und dass die
WTO-Bestimmungen dahingehend überarbeitet werden, dass nicht reziproke
Abkommen generell möglich werden;

3. darauf hinzuwirken, dass unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Organi-
sationen und der Parlamente ein neues Verhandlungsmandat der EU-Kom-
mission zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen erarbeitet wird, das den
Entwicklungsbelangen der AKP-Staaten gerecht wird und das die Asymme-
trie zwischen den Verhandlungspartnern berücksichtigt;

4. sich im Rahmen der G8-Präsidentschaft auf einen umfassenden und realen
Abbau der afrikanischen Schulden einzusetzen, der sowohl multilaterale wie
bilaterale Schulden umfasst und der nicht auf die ODA-Quote angerechnet
wird;

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5. darauf hinzuwirken, dass die Konditionierung bei der Mittelvergabe in der
Europäischen Entwicklungszusammenarbeit auf die im Feststellungsteil
genannten Kernbereiche beschränkt und dabei ausgeschlossen wird, dass
die Umsetzung neoliberaler Auflagen zur Privatisierung und Deregulierung
der öffentlichen Daseinsvorsorge sowie die Beteiligung an der polizeilichen
Eindämmung der nach Europa gerichteten Migrationsströme zu Maßstäben
für „gute Regierungsführung“ erhoben werden und dabei ebenfalls ausge-
schlossen wird, dass die Auszahlung von Mitteln des Europäischen Ent-
wicklungsfonds an den Abschluss und die Umsetzung von Rücknahme-
abkommen geknüpft wird; darauf hinzuwirken, dass innerhalb der EU
Firmen entschiedener verfolgt werden, die sich in Afrika mittels Beste-
chungsgelder in Märkte einkaufen;

6. im Rahmen der EU-Präsidentschaft auf die Abschaffung der europäischen
Grenzagentur FRONTEX sowie eine deutliche Erweiterung legaler Ein-
wanderungsmöglichkeiten von Afrika nach Europa zu drängen und den
Transfer von finanziellen Ressourcen und Know-how beispielsweise durch
die Ausstellung von Pendelvisa zu erleichtern;

7. die noch ausstehenden Ratifizierungsgesetze für die von der IAO verab-
schiedeten Konventionen zum Schutz von prekär Beschäftigten und der
Umsetzung der Kernarbeitsnormen vorzulegen und insbesondere in den Re-
gierungsverhandlungen gegenüber afrikanischen Regierungen ebenfalls auf
die Einführung der von der IAO geforderten Beschäftigungsschutzgesetze
zu bestehen;

8. sich im Rahmen des Dialogs zwischen der EU und der Afrikanischen Union
für eine gemeinsame EU-Afrikastrategie einzusetzen, deren Schwerpunkt
in der Entwicklung friedenspolitischer präventiver Instrumente zur Kon-
fliktvermeidung liegt, im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft die Umset-
zung des globalen Übereinkommens zur Beschränkung des internationalen
Waffenhandels („Arms Trade Treaty“) voranzutreiben sowie die deutschen
Waffenproduzenten zur unbedingten Einhaltung des von der EU verab-
schiedeten Verhaltenskodex zu zwingen, die Kontrollmechanismen zu ver-
bessern und diesbezüglich bestehende Gesetzeslücken zu schließen, sowie
innerhalb der EU darauf hinzuwirken, die illegale Ausbeutung afrikanischer
Ressourcen durch europäische Firmen zu verfolgen und zu unterbinden;

9. Prozesse zu unterstützen, die in den Ländern der afrikanischen Union auf
eine gerechtere Verteilung des landwirtschaftlich nutzbaren Landes hinzie-
len und im Rahmen der multi- und bilateralen Entwicklungszusammen-
arbeit mehr Geld für die Bekämpfung der Wüstenbildung bereitzustellen;

10. gegenüber der Einrichtung der Militärkommandozentrale der USA für Af-
rika und deren vorübergehende Ansiedlung in Stuttgart eine ablehnende
Haltung zum Ausdruck zu bringen;

11. im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft eine Initiative für einen Afrikani-
schen Zivilen Friedensdienst anzuschieben;

12. sich in der Europäischen Union für eine Neuausrichtung der Energiesys-
teme ihrer Mitgliedstaaten – verbunden mit einem umfassenden Ausbau der
Nutzung regenerativer Energien – einzusetzen und in der Entwicklungszu-
sammenarbeit mit Afrika einen Schwerpunkt auf den Aufbau dezentraler
regenerativer Energiesysteme zu legen.

Berlin, den 27. Februar 2007
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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