BT-Drucksache 16/4227

Strafrechtliche Verfolgung von Bürgermeistern und anderen Amtsträgern bei der Entgegennahme von Zuwendungen für gemeinnützige Zwecke

Vom 1. Februar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4227
16. Wahlperiode 01. 02. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gisela Piltz, Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael
Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Marina
Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Strafrechtliche Verfolgung von Bürgermeistern und anderen Amtsträgern
bei der Entgegennahme von Zuwendungen für gemeinnützige Zwecke

Nach Informationen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist eine
Zunahme der strafrechtlichen Verfolgung von Bürgermeistern im Zusammen-
hang mit der Ausübung ihres Amtes bundesweit festzustellen. Bürgermeister
sind Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB und können somit wegen Straf-
barkeit nach den §§ 331 ff. StGB wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme
verfolgt werden. In den letzten Jahren häufen sich die Fälle, wonach die Verfah-
ren gegen Bürgermeister beispielsweise wegen Einwerbung privater Mittel für
öffentliche oder gemeinnützige Zwecke eröffnet, vielfach aber nach kurzer Zeit
wieder eingestellt werden. In diesen Fällen haben Kommunen bzw. die für die
Kommune handelnden Personen eine finanzielle Zuwendung angenommen,
ohne davon einen persönlichen Vorteil zu haben, da die Annahme unter der
Bedingung erfolgt ist, die Zuwendung einem konkreten gemeinnützigen Zweck
zukommen zu lassen. Die Annahme der Zuwendung erfolgte regelmäßig im
Zusammenhang mit der Dienstausübung. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der
Korruption vom 13. August 1997 wurden u. a. die im Abschnitt „Straftaten im
Amt“ enthaltenen Strafvorschriften geändert und verschärft. Der Begriff des
Amtsträgers wurde ausgeweitet und das Merkmal der Unrechtsvereinbarung

wurde ausgedehnt, indem auf das Erfordernis der Vorteilsgewährung als Gegen-
leistung für eine Diensthandlung verzichtet und stattdessen die Vorteilsgewäh-
rung „für die Dienstausübung“ zum Tatbestandsmerkmal erhoben wurde. Auch
Zuwendungen an Dritte wurden ausdrücklich unter Strafandrohung gestellt. Pro-
blematisch ist dabei, dass einerseits der Steuergesetzgeber durch Steuervergüns-
tigungen zur Verfolgung gemeinnütziger Zwecke Anreize für den Bürger für
Spenden schafft und andererseits die Gefahr besteht, dass diese Fälle zugleich

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die Straftatbestände der §§ 331, 333 StGB erfüllen können. Damit kann ein Ver-
halten die Voraussetzungen einer gesetzlichen Verhaltensempfehlung und eines
Straftatbestandes zugleich erfüllen. Mittlerweile herrscht bei vielen Bürgermeis-
tern und anderen Amtsträgern große Unsicherheit, wann und unter welchen
Voraussetzungen beispielsweise eine Geldspende für öffentliche und gemein-
nützige Zwecke angenommen werden darf und wann nicht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In wie vielen Fällen hat es in den letzten fünf Jahren strafrechtliche Ermitt-
lungsverfahren gegen Bürgermeister und andere Amtsträger im Zusammen-
hang mit der Einwerbung und Entgegennahme von Spenden für öffentliche
oder gemeinnützige Zwecke gegeben?

2. In wie vielen Fällen haben die Ermittlungen zu einer strafrechtlichen Verur-
teilung geführt, beziehungsweise in wie vielen Fällen wurden die Verfahren
eingestellt?

3. Ist nach Ansicht der Bundesregierung die Einwerbung von privaten Mitteln
für öffentliche oder gemeinnützige und soziale Zwecke durch Bürgermeister
und andere Amtsträger erwünscht?

Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ist die Einwerbung und Entgegen-
nahme von Spenden für gemeinnützige und soziale Zwecke durch Bürger-
meister rechtlich zulässig?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Entgegennahme von
Spenden für gemeinnützige und soziale Zwecke durch Bürgermeister zu
deren typischen Aufgaben als gesetzliche Vertreter der Gemeinden gehört?

Wenn nein, warum nicht?

5. Kann in der Entgegennahme von steuerbegünstigten Spenden für gemein-
nützige Zwecke durch einen Bürgermeister, als Vertreter seiner Gemeinde,
eine Vorteilsannahme gesehen werden, wenn diesem dadurch kein persön-
licher Vorteil erwächst?

Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Kann der Vorwurf auch dann begründet werden, wenn es sich um kleine
Bagatellsummen handelt, von deren Höhe sich kein Einfluss auf kommunale
Entscheidungen ableiten lässt?

Kann der Vorwurf auch dann begründet werden, wenn bei der Entgegen-
nahme der Spende durch einen Bürgermeister größtmögliche Transparenz
gegeben ist und die Öffentlichkeit offiziell über den Vorgang informiert wird?

6. Unter welchen Umständen kann in einer gemeinnützigen Zuwendung an eine
Kommune, mit deren Dienstleistung der Spender in Berührung kommt bzw.
in Zukunft kommen kann, eine rechtlich missbilligte Gefahr für die Lauter-
keit der Verwaltung gesehen werden?

7. Kann vor dem Hintergrund, dass jeder ortsansässige oder auf dem Gebiet der
Kommune wirtschaftliche Interessen verfolgende Bürger zwangsläufig in
vielfältiger Weise mit der kommunalen Verwaltung in Berührung kommt, in
einer steuerbegünstigten Zuwendung für gemeinnützige Zwecke an eine
Kommune, mit deren Dienstleistung der Spender in Berührung kommt bzw.
in Zukunft kommen kann, eine rechtlich missbilligte Gefahr für die Lauter-
keit der Verwaltung gesehen werden?

Wenn nein, warum nicht?

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8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass aufgrund der Tatsache, dass
jeder ortsansässige Bürger in vielfältiger Weise mit der kommunalen Ver-
waltung in Berührung kommt, jede steuerbegünstigte Zuwendung für
gemeinnützige Zwecke an die Kommune im Zusammenhang mit einer
Dienstausübung im Sinne der §§ 331, 333 StGB stehen kann?

Wenn nein, warum nicht?

9. Inwieweit ist die steuerliche Abzugsfähigkeit von Zuwendungen an Kom-
munen und Spenden an gemeinnützige Einrichtungen gemäß § 10b Abs. 1
EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG bei der Frage, ob mit der Zuwendung eine
strafbare Vorteilsannahme oder eine Vorteilsgewährung im Sinne der
§§ 331, 333 StGB erfolgt ist, zu berücksichtigen?

10. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die steuerrechtlichen Rege-
lungen der Gemeinwohlförderung nicht nur der Verwirklichung verfas-
sungsrechtlicher Vorgaben dienen, sondern zugleich die Grenzen der Straf-
barkeit wegen Korruption bestimmen?

11. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass aus dem Prinzip der Einheit
und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung folgt, dass ein vom Staat
einerseits gewünschtes und mit steuerlichen Anreizen gefördertes Verhalten
nicht andererseits strafbar sein kann?

Wenn nein, warum nicht?

12. Ist eine Körperschaft, für die ein Amtsträger als deren Organ im Zusammen-
hang mit einer Zuwendung an die Körperschaft in deren Interesse tätig
geworden ist, „Dritter“ im Sinne der §§ 331, 333 StGB?

13. Hält die Bundesregierung es für geboten, die Genehmigungsmöglichkeit
nach § 331 Abs. 3 StGB auch auf von dem Amtsträger geforderte Vorteile
zu erstrecken, wenn die Leistung nicht als persönlicher Vorteil gefordert
wird?

Wenn nein, warum nicht?

14. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Regelung in § 331 Abs. 3
StGB im Widerspruch zu § 43 BRRG steht, wonach die Annahme von Vor-
teilen nur mit vorheriger Zustimmung des Dienstvorgesetzten erlaubt ist
und die Zustimmung zur Annahme von Vorteilen auch dann nicht aus-
geschlossen ist, wenn der Beamte die Vorteile gefordert hat?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie erklärt die Bundesregierung diesen Widerspruch?

15. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die geltende Rechtslage ge-
meinnützige Zuwendungen von Bürgern oder Unternehmen an Kommunen,
in deren Bereich der Bürger oder das Unternehmen ansässig ist, erschwert,
weil der Zuwender regelmäßig in irgendeiner Form mit der Kommune und
deren Dienstleistung in Berührung kommt und die Zuwendung daher mit
dem Risiko der Strafbarkeit nach § 333 StGB verbunden ist?

Wenn nein, warum nicht?

16. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage
die Gefahr, dass Bürger und Unternehmen künftig vermehrt gemeinnützige
Zuwendungen nur noch an Kommunen leisten, in deren Bereich der Bürger
oder das Unternehmen nicht ansässig ist und in denen der Zuwender auch
keine weiteren Interessen verfolgt oder in Zukunft verfolgen wird, um einer
möglichen Strafbarkeit wegen § 333 StBG zu entgehen?
Wenn nein, warum nicht?

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17. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass bei der Abwägung zwischen
dem verfassungsrechtlich garantierten Recht der Spender, gemeinwohldien-
liche Aufgaben zu fördern, und dem Schutz der Rechtsgüter aus den §§ 331,
333 StGB die bloße Möglichkeit einer Beeinflussung der Lauterkeit der
Verwaltung ausreicht, den Schutz der Rechte sowohl der Bürger als auch der
Gemeinde, dem die steuerliche Abzugsfähigkeit von gemeinnützigen
Zuwendungen dient, zu verkürzen und dem Strafrecht Vorrang vor den
verfassungsrechtlichen Vorgaben und den steuerrechtlichen Wertentschei-
dungen des Grundgesetzes einzuräumen?

Wenn nein, warum nicht?

18. Ergibt sich aus Artikel 103 Abs. 2 GG eine restriktive Auslegung der
§§ 331, 333 StGB dergestalt, dass eine Strafbarkeit nur dann festgestellt
werden kann, wenn der Normenverstoß eindeutig und zweifelsfrei gegeben
ist?

Wenn nein, warum nicht?

19. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass durch eine extensive Aus-
legung der §§ 331, 333 StGB die Gefahr gegeben ist, dass die verfassungs-
rechtlich vorgegebenen Ziele, die der Gesetzgeber mit der Anerkennung der
Abzugsfähigkeit gemeinnütziger Zuwendungen verfolgt, vereitelt werden
könnten?

Wenn nein, warum nicht?

20. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf des Gesetzgebers dahin-
gehend, dass im Strafgesetzbuch klargestellt wird, dass die Straftatbestände
der §§ 331, 333 StGB auf die Erfassung der tatsächlich strafwürdigen und
strafbedürftigen Fälle beschränkt werden, indem die in einem transparenten
Verfahren erfolgte Entgegennahme von steuerbegünstigten Spenden für
gemeinnützige und soziale Zwecke durch Bürgermeister oder andere Amts-
träger zur unmittelbaren Weitergabe an den empfangsberechtigten Dritten,
nicht den Tatbestand der Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung erfüllt?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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