BT-Drucksache 16/4203

Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Sri Lanka

Vom 31. Januar 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4203
16. Wahlperiode 31. 01. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Michael Leutert, Sevim Dag˘delen, Dr. Lothar Bisky,
Werner Dreibus, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan Korte, Kornelia Möller,
Kersten Naumann, Petra Pau, Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich und der
Fraktion DIE LINKE.

Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Sri Lanka

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber den Bundesländern für eine Aussetzung der Abschiebungen
von Flüchtlingen aus Sri Lanka gemäß § 60a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes
(AufenthG) einzusetzen;

2. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, sein Einverständnis gegen-
über den Bundesländern für eine Aufenthaltsgewährung aus humanitären
Gründen nach § 23 Abs. 1 AufenthG für Flüchtlinge aus Sri Lanka zu erklä-
ren und sich für entsprechende Regelungen einzusetzen;

3. den Bundesminister des Innern zu beauftragen, dafür zu sorgen, dass das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge derzeit keine Widerrufe von Asyl-
und Flüchtlingsanerkennungen von Personen aus Sri Lanka vornimmt;

4. dafür zu sorgen, dass sich die geänderte Lage in Sri Lanka auch in der Bewer-
tung der Risiken für Abgeschobene im entsprechenden Lagebericht des Aus-
wärtigen Amts widerspiegelt.

Berlin, den 31. Januar 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat in einer Stellung-
nahme zum Bedarf internationalen Schutzes für Asylsuchende aus Sri Lanka

vom Dezember 2006 darauf hingewiesen, dass sich die Situation in Sri Lanka,
insbesondere in den Bürgerkriegsgebieten im Norden und Osten des Landes,
dramatisch verschlechtert hat. Mittlerweile gebe es 500 000 Binnenvertriebene,
die von den Bürgerkriegsparteien entweder am Verlassen ihrer Herkunftsgebiete
behindert oder zur Rückkehr gezwungen würden. Der UNHCR-Vertreter für
Deutschland, Österreich und die Tschechische Republik weist in seiner Zusam-
menfassung darauf hin, dass sich aufgrund der unberechenbaren Sicherheitslage

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die humanitäre Situation dramatisch verschlechtert hat, „wobei die Situation in
Lagern für Binnenvertriebene als besonders prekär angesehen werden muss“.
Die Zivilbevölkerung wird in einem bisher nicht bekannten Ausmaß von den
Bürgerkriegsparteien instrumentalisiert. Für tamilische Familien aus Colombo
und den Vororten der Hauptstadt besteht ein erhöhtes Risiko, willkürlichen und
missbräuchlichen Polizeimaßnahmen unterworfen zu werden. Journalisten wur-
den vermehrt verschleppt und getötet.

Der UNHCR weist in seiner Stellungnahme deutlich darauf hin, dass eine inlän-
dische Fluchtalternative „in Anbetracht der Reichweite der Verfolgungsmaß-
nahmen der LTTE und des Unvermögens der staatlichen Behörden, Schutz zu
garantieren“, in der Realität nicht besteht. Das wesentliche Argument deutscher
Behörden, tamilischen und anderen Flüchtlingen aus Sri Lanka Asyl oder ander-
weitigen Schutz zu verweigern, entfällt somit. In den Schlussfolgerungen des
UNHCR heißt es: „Die Tatsache, dass binnenvertriebene Tamilen in einigen Ge-
bieten Sir Lankas Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen können, recht-
fertigt nicht die Annahme, dass eine Rückkehr in diese Gebiete sicher wäre oder
vernünftigerweise erwartet werden könnte.“ Tamilen aus Colombo, die zielge-
richteten Menschenrechtsverletzungen durch die LTTE, die staatlichen Behör-
den oder durch paramilitärische Gruppen ausgesetzt seien, stehe nirgendwo im
Land eine Fluchtalternative zur Verfügung. Auch im Falle muslimisch-gläubiger
Flüchtlinge kommt der UNHCR zu den gleichen Schlussfolgerungen. Bei sin-
ghalesischen Flüchtlingen sei nicht in jedem Fall oder pauschal von einer inlän-
dischen Fluchtalternative auszugehen.

Zuletzt sorgte ein Vorfall in Colombo für Aufsehen, als eine überparteiliche De-
monstration gegen Krieg und Unterdrückung des „United People Movement“
(UPM) durch den Überfall auf die Organisatoren der Demonstration durch einen
bewaffneten Schlägertrupp unter führender Beteiligung eines Regierungsvertre-
ters (des stellvertretenden Ministers Mervyn Silva) verhindert wurde. Dabei
wurden auch Journalisten verprügelt und ihre Ausrüstung zerstört. Zu der De-
monstration am 9. Januar 2007 waren bis zu zehntausend Demonstrierende er-
wartet worden.

Im Ausschuss des Deutschen Bundestages für Menschenrechte und humanitäre
Hilfe äußerten Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen SPD, DIE LINKE.
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 17. Januar 2007 ihr Unverständnis über
die Praxis deutscher Behörden, Personen nach Sri Lanka abzuschieben (vgl. hib,
18. Januar 2007). Sie kritisierten zugleich die Äußerung eines Vertreters des
Bundesministeriums des Innern, der Abschiebungen nach Sri Lanka auch ange-
sichts der aktuellen Lage für zulässig hielt. Der Vertreter des Auswärtigen Amts
hatte zuvor betont, die Lage in Sri Lanka habe sich weiter verschlechtert. Es
gebe eine Wiederaufnahme des Bürgerkriegs, vor allem im Norden und Osten
des Landes. Die Friedensgespräche zwischen der von singhalesischen Natio-
nalisten geführten Regierung des Landes und den separatistischen Rebellen von
der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) seien ohne Ergebnis geblieben.
Weitere Feindseligkeiten seien die Folge. Der Bürgerkrieg habe mittlerweile
mehr als 65 000 Menschen das Leben gekostet.

Auch PRO ASYL und medico international fordern einen Abschiebestopp für
Flüchtlinge aus Sri Lanka (vgl. Pressemitteilungen vom 21. Dezember 2006).
Die wenigen Asylsuchenden aus Sri Lanka würden am Frankfurter Flughafen
seit August 2006 ausnahmslos und unzulässigerweise im „Flughafenverfahren“
als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Der aktuelle Lagebericht des Aus-
wärtigen Amts vom Dezember 2006 zu Sri Lanka enthalte trotz diplomatischer
Rücksichtnahmen und der teilweisen Fortschreibung alter Textbausteine einige
klare Sätze zur Situation, die dem Bundesamt und Gerichten eine sorgfältige

Prüfung nahe legten. Das Auswärtige Amt konstatiere, dass sich Sri Lanka seit
Ende Juli 2006 „faktisch im Kriegszustand“ befinde. „Die Auseinandersetzun-

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gen (…) haben im zweiten Halbjahr 2006 zu einer neuen Welle der Gewalt, einer
weitgehenden Verrohung der Sitten und zahlreichen Menschenrechtsverletzun-
gen geführt, die die Regierung zunehmend in die internationale Kritik bringen.“
Nach Auffassung von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen
Gemeinschaft sei die srilankische Regierung an einer Aufklärung von Men-
schenrechtsverletzungen nicht interessiert und scheine eine Kultur der Straf-
losigkeit zu pflegen. Auch zu den Menschenrechtsverletzungen der anderen
Bürgerkriegsparteien, vor denen Flüchtlinge ebenfalls fliehen, finden sich im
Lagebericht eindeutige Aussagen.

Eine Neubewertung der Risiken für Abgeschobene, etwa bei Einreisekontrollen,
habe das Auswärtige Amt jedoch versäumt. Umso dringlicher ist der Erlass
sofort wirksamer Abschiebestoppregelungen.

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