BT-Drucksache 16/3840

Kontrollierte Heroinabgabe in die Regelversorgung aufnehmen

Vom 13. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3840
16. Wahlperiode 13. 12. 2006

Antrag
der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann,
Dr. Konrad Schily, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Michael Kauch,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Otto Fricke, Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der
Fraktion der FDP

Kontrollierte Heroinabgabe in die Regelversorgung aufnehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der bereits seit längerer Zeit vorliegende Abschlussbericht zu dem Projekt der
Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige zeigt, dass die Ziele der Studie er-
reicht worden sind. Erfahrungen aus der Schweiz und den Niederlanden die zur
Initiierung des Projektes geführt hatten, wurden bestätigt. Es gibt auch in
Deutschland eine Gruppe von Opiatabhängigen, die durch das bisherige beste-
hende Hilfesystem nicht – oder nur unzureichend – erfasst werden. Die daraus
resultierende Verelendung des Einzelnen und die Kriminalitätsbelastung in den
Kommunen sind nicht hinnehmbar.

Die Gesundheit der an der Studie teilnehmenden Heroinabhängigen hat sich ver-
bessert und ihre soziale Lage hat sich stabilisiert. Laut Studienergebnissen hat
sich für die kleine Gruppe von Schwerstabhängigen eine signifikante Überle-
genheit der Heroinabgabe gegenüber der Methadonsubstitution ergeben. Vor
dem Hintergrund der schwierigen Arbeitsmarktsituation ist die Zunahme von re-
gelmäßig Arbeitenden um 11 Prozent auf 27 Prozent umso höher zu bewerten
und untermauert die positiven Resultate.

Da nach Auslaufen des Modellprojekts am 30. Juni 2006 keine Übernahme in die

Regelversorgung auf gesetzgeberischer Ebene beschlossen worden ist, haben
sich die an der Studie beteiligten Zentren dazu entschlossen, die Behandlung der
beteiligten Schwerstabhängigen, im Rahmen einer Follow-up-Phase zum Zwe-
cke einer klinischen Prüfung bis Ende 2006 fortzuführen und zu finanzieren. Eine
Verlängerung über diesen Zeitpunkt hinaus und unter Einbeziehung weiterer Pro-
banden ist aber ohne die Änderung bestehender Gesetze problematisch. Die Ko-
alitionsspitzen haben sich – trotz eines positiven Votums der eingesetzten „Bund-
Länder-Arbeitsgruppe“ für eine streng reglementierte und kontrollierte Abgabe

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an Heroinabhängige – gegen die Überführung in die Regelversorgung ausgespro-
chen. Zwar sollen die ca. 350 noch in der Studie verbliebenen Probanden weiter
mit Heroin behandelt werden. Aber auf welcher rechtlichen Grundlage und über
welchen Zeitraum dies geschehen soll und kann, ist völlig unklar. Dies bedeutet
den schleichenden Ausstieg aus dem mit ca. 30 Mio. Euro geförderten Modell-
projekt, da die Anschlussfinanzierung nicht gesichert ist und die Zentren bei im-
mer weniger Probanden nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können.

Die Studienergebnisse der Begleitforschung des Modellprojektes beziffern die
jährlichen Ausgaben für einen Heroinpatienten in der Regelversorgung auf ca.
14 000 Euro. Diese Kosten relativieren sich, wenn die Einsparungen an anderer
Stelle gegengerechnet werden auf netto 4 000 Euro pro Heroinpatient und Jahr.
Patienten die kein Heroin bekommen, erhalten eine Methadonsubstitutionsbe-
handlung, die mit 4 000 Euro pro Jahr und Proband beziffert ist. Zudem belaufen
sich die geschätzten Einsparungen durch die Heroinabgabe im Vergleich zur
Methadonsubstitution für allgemeine Krankheitskosten, Gerichtskosten, Kosten
bezüglich der Delinquenz, Inhaftierung etc. nach Schätzungen durch Teilstudien
auf ca. 6 000 Euro pro Jahr und Proband.

Die kontrollierte Heroinbehandlung muss als eine Ergänzung und als nach-
rangige Methode des bisherigen Drogenhilfesystems ausgestaltet sein. Sie soll
schlecht versorgte Heroinabhängige frühzeitig erreichen, sie in das bestehende
Hilfesystem integrieren und motivierende Ansätze aus der Abhängigkeit etablie-
ren. Die Heroinabgabe muss an strenge Kriterien gekoppelt sein und sollte aus-
schließlich in ausgewiesenen Behandlungsinstitutionen erfolgen, um ausrei-
chende Sicherheitsvorkehrungen gewährleisten zu können.

Die bisherige Finanzierung des Modellprojektes ist paritätisch zwischen Bund,
Ländern und Kommunen erbracht worden. Einige Zentren haben schon ange-
kündigt, die Heroinabgabe auch über den 1. Januar 2007 hinaus zu finanzieren.
Als unmittelbarer Nutznießer des Modellprojektes sind die Kommunen und
Länder in die Finanzierung weiterhin miteinzubeziehen. Das derzeitige Inter-
esse und Engagement der Kommunen zeigt, dass die Ergebnisse vor Ort durch-
weg positiv betrachtet werden und die finanzielle Beteiligung weiter getragen
wird.

Um die Verschreibung von Diamorphin für Schwerstabhängige in engen Gren-
zen zu ermöglichen, bedarf es sowohl einer Änderung des Betäubungsmittelge-
setzes, als auch einer Änderung des Arzneimittelgesetzes sowie der Betäubungs-
mittelverschreibungsverordnung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

– einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die rechtlichen Voraussetzungen für
die Übernahme einer reglementierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige
in die Regelversorgung unter eng definierten Bedingungen schafft und dabei
für eine enge, streng bindende Definition der Kriterien für die Schwerstab-
hängigkeit sorgt, die Versorgung ausschließlich in spezialisierten Behand-
lungsinstitutionen festschreibt, Rechtssicherheit für die behandelnden Ärzte
schafft sowie die psychosoziale Betreuung der Abhängigen sichert;

– das Arzneimittelgesetz, das Betäubungsmittelgesetz sowie die Betäubungs-
mittelverschreibungsverordnung dahingehend zu ändern, dass Diamorphin
als Arzneimittel zugelassen wird und für Schwerstabhängige in engen Gren-
zen verschrieben werden kann.

Berlin, den 13. Dezember 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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