BT-Drucksache 16/3797

Für einen starken öffentlich-rechtlichen Sparkassensektor - Keine Kompromisse beim Sparkassen-Bezeichnungsschutz - Parlamentswillen respektieren

Vom 13. Dezember 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3797
16. Wahlperiode 13. 12. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Dr. Barbara Höll, Oskar Lafontaine,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE.

Für einen starken öffentlich-rechtlichen Sparkassensektor – Keine
Kompromisse beim Sparkassen-Bezeichnungsschutz – Parlamentswillen
respektieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das sog. Drei-Säulen-Modell des deutschen Bankensystems – das Miteinander
von Sparkassen/Landesbanken, Genossenschaftsbanken und Privatbanken – hat
sich aus Sicht der Kundinnen und Kunden wie auch aus gesamtwirtschaftlicher
Perspektive bewährt. Ein zentrales Element darin ist die Existenz eines starken
öffentlich-rechtlichen Sparkassensektors, dem im Ergebnis des EU-Vertrags-
verletzungsverfahrens zum sog. Sparkassen-Bezeichnungsschutz eine Schwä-
chung droht.

Der Sparkassensektor ist uneingeschränkt gegen solche Angriffe zu verteidigen.
Hierzu ist gegenüber der EU-Kommission konsequent zu vertreten, dass der
Sparkassen-Bezeichnungsschutz in § 40 des Kreditwesengesetzes (KWG) in der
bislang angewendeten Interpretation mit europäischem Recht vereinbar ist.
Diese Auffassung hat der Deutsche Bundestag in seinem Beschluss vom
29. September 2006 (Bundestagsdrucksache 16/2748) bereits zum Ausdruck
gebracht. Ein jüngst vorgelegtes Rechtsgutachten bestärkt diese Auffassung
nochmals.

Die aktuelle Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der EU-Kom-
mission sichert nach bisherigen Informationen den Sparkassen-Bezeichnungs-
schutz in der bisherigen Form nicht dauerhaft ab. Die Vereinbarung lässt wich-
tige Fragen offen, bedarf weiterer juristischer Interpretationen und kann so ein
Einfallstor für eine faktische Aufgabe des Sparkassen-Bezeichnungsschutzes in
der bisherigen eindeutigen Interpretation darstellen. Zwar wird als Folge der
Vereinbarung das laufende Vertragsverletzungsverfahren eingestellt; die Bun-
desregierung hat der EU-Kommission jedoch zugesichert, zukünftig den § 40
KWG in einer Weise anzuwenden, die nicht gegen die Niederlassungsfreiheit
und den freien Kapitalverkehr verstößt – nach Auffassung der EU-Kommission
bedeutet dies, dass zukünftig auch private Investoren die Bezeichnung „Spar-

kasse“ nutzen dürfen. Damit entspricht die Vereinbarung nicht dem Parlaments-
willen, wie er im o. g. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. Septem-
ber 2006 formuliert wurde. Vielmehr droht eine faktische Aushöhlung des § 40
KWG über eine Neuinterpretation, die ohne Beteiligung des Gesetzgebers
durchgesetzt werden würde. Dies ist nicht mit demokratischen Prinzipien ver-
einbar.

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Zudem ist die für das Land Berlin vorgesehene konkrete Regelung auch vor
dem Hintergrund der Beihilfeentscheidung der Kommission juristisch unbe-
gründet und schwächt das Sparkassenlager unnötig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Rechtsauffassung, nach der der Sparkassen-Bezeichnungsschutz in § 40
KWG vereinbar mit EU-Recht ist, konsequent zu verteidigen und damit den
Bundestagsbeschluss vom 29. September 2006 umzusetzen sowie aktuelle
Rechtsgutachten zu berücksichtigen;

2. die Vereinbarung mit der EU-Kommission so nachzuverhandeln, dass er den
Sparkassen-Bezeichnungsschutz eindeutig und dauerhaft sichert; dazu zählt
u. a. eine präzise Aussage zur Gemeinnützigkeit der Überschussverwen-
dung, und

3. als ersten Schritt den genauen Wortlaut der o. g. Vereinbarung einschließlich
Protokollnotizen unverzüglich dem Deutschen Bundestag zur Kenntnis zu
bringen und bis zu einer Stellungnahme des Parlaments alle Schritte zu
unterlassen, die die Rechtsverbindlichkeit der eingegangenen Vereinbarung
bestärken könnten.

Berlin, den 12. Dezember 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Das in der Bundesrepublik Deutschland existierende sog. Drei-Säulen-Modell
des Bankensystems – das Miteinander von Sparkassen/Landesbanken, Genossen-
schaftsbanken und Privatbanken – hat sich aus Sicht der Kundinnen und Kun-
den der Kreditinstitute ebenso bewährt wie aus gesamtwirtschaftlicher Perspek-
tive. Es sorgt im internationalen Vergleich für günstige Konditionen für
Finanzdienstleistungen, weil der Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten in-
tensiv ist und mit den öffentlich-rechtlichen Sparkassen eine Anbietergruppe
existiert, die sich an einem Gemeinwohlauftrag und nicht an einzelwirtschaft-
licher Gewinnmaximierung orientiert. Die Säule Sparkassen bietet Finanz-
dienstleistungen insbesondere auch für Bevölkerungskreise an, die von den
Privatbanken als nicht profitabel betrachtet werden. Sparkassen sind – im Ver-
gleich zu Privatbanken – in strukturschwachen Regionen stärker präsent und
haben oft die Forderung nach einem diskriminierungsfreien „Girokonto für
Jedermann“ umgesetzt. Zudem sind Sparkassen eher bereit, junge innovative
Unternehmen und den Mittelstand bei der Kreditvergabe zu berücksichtigen
und verfolgen eine stetigere und weniger konjunkturabhängige Kreditpolitik.
Diese Bewertung wurde zuletzt durch Edgar Meister, Vorstandsmitglied der
Deutschen Bundesbank, auf einer internationalen Tagung am 17. November
2006 bestätigt.

Das Kreditwesengesetz (KWG) sichert das Drei-Säulen-Modell durch eindeu-
tige und transparente Definitionsvorschriften für die einzelnen Säulen ab. In
§ 40 KWG ist geregelt, dass öffentlich-rechtliche Kreditinstitute sich Sparkasse
nennen dürfen. Die EU-Kommission sieht darin einen Verstoß gegen die Kapi-
talverkehrs- und Niederlassungsfreiheit und hat ein EU-Vertragsverletzungs-
verfahren eingeleitet. Demgegenüber hat der Deutsche Bundestag die Auf-

fassung vertreten, dass „der Schutz der Bezeichnung ‚Sparkasse‘ im Sinne

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3797

des § 40 KWG den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen entspricht“ (Be-
schluss vom 29. September 2006, Bundestagsdrucksache 16/2748). Auch die
Bundesregierung hat wiederholt ausgeführt, dass sie diese Rechtsauffassung
teilt (zuletzt Antwort auf die Schriftliche Frage 22 des Abgeordneten Dr. Axel
Troost, Bundestagsdrucksache 16/3386). Ein aktuell vorliegendes Rechtsgut-
achten des Kasseler Wirtschaftsjuristen Prof. Dr. Bernhard Nagel, über das u. a.
die „Süddeutsche Zeitung“ am 16. November 2006 berichtet, stützt diese Auf-
fassung ebenfalls. Dabei beruft sich der Gutachter auf Artikel 295 des EG-Ver-
trags, nach dem die Eigentumsordnung Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist.
Dies gelte insbesondere für Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen
Interesse, wie sie von Sparkassen erbracht werden. Weiter argumentiert der
Gutachter: „Der EG-Vertrag darf den Mitgliedstaaten keine Vorgaben dahinge-
hend machen, dass Dienste im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse von öf-
fentlichen oder von privaten Unternehmen zu erbringen seien […]. Jeder Mit-
gliedstaat entscheidet selbst, wie weit er gehen will, wenn er den Erwerb von
Geschäftsanteilen oder Aktien an öffentlichen Unternehmen durch Private zu-
lässt. Er entscheidet insbesondere auch selbst darüber, ob der Erwerber die bis-
her geführte Bezeichnung des Unternehmens, die für öffentlich-rechtliche Un-
ternehmen reserviert ist, weiterführen darf“ (Nagel, Bernhard: Die Veräußerung
der Berliner Sparkasse und die Vereinbarkeit von § 40 KWG mit dem europäi-
schen Gemeinschaftsrecht – Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung – Druck-
fassung 3.November 2006, S. 40). Dies gilt auch für einen Verkauf der Berliner
Sparkasse als Teil der Landesbank Berlin Holding im Rahmen einer EU-Beihil-
feentscheidung. Auch hier kann die EU-Kommission nicht verlangen, einem
privaten Käufer die Verwendung der Bezeichnung „Sparkasse“ zu gestatten.
Diese Auffassung wurde im Grundsatz auch von der Bundesregierung geteilt
(Antwort auf die Schriftliche Frage 26 der Abgeordneten Ulla Lötzer, Bundes-
tagsdrucksache 16/2165).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassungen ist völlig unverständlich, wa-
rum die Bundesregierung die aktuelle Vereinbarung mit der EU-Kommission
getroffen hat. Zwar konnte so die Einstellung des aktuellen Vertragsverlet-
zungsverfahrens erreicht werden. Allerdings hat die Bundesregierung im Ge-
genzug der EU-Kommission zugesichert, dass der § 40 KWG in Zukunft in ei-
ner Weise angewandt werden wird, „die nicht gegen die Niederlassungsfreiheit
und den freien Kapitalverkehr (Artikel 43 ff. bzw. 56 ff. EG-Vertrag) verstößt“,
so die EU-Kommission in ihrer Mitteilung vom 6. Dezember 2006. Nach Auf-
fassung der EU-Kommission bedeutet dies, dass in zukünftigen Verkaufsfällen
private Investoren die Bezeichnung „Sparkasse“ nutzen dürfen. Gleichzeitig ist
nach derzeitigem Informationsstand unklar, welche Gemeinnützigkeitsauflagen
für die Verwendung der Bezeichnung „Sparkasse“ durch Private von der EU-
Kommission konkret akzeptiert werden. Damit wird der § 40 KWG zwar for-
mal erhalten, es droht jedoch eine faktische Aushöhlung durch eine Neuinter-
pretation. Damit wird auch die Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers
unzulässigerweise eingeschränkt.

Entsprechend äußerte sich u.a. der Bundesverband Deutscher Banken, die Inte-
ressenvertretung der Privatbanken. Die Einigung habe zum Inhalt, dass Berlin
„kein Sonder-, sondern ein Präzedenzfall“ sei, wird deren Hauptgeschäftsführer
Manfred Weber in einer ddp-Meldung vom 6. Dezember 2006 zitiert. Dies gelte
„für die Berliner Sparkasse, es gilt aber auch in jedem anderen Fall, wenn eine
Kommune ihre Sparkasse privatisieren will“. Auch die Fachpresse betrachtet
die Einigung mittlerweile eher als Niederlage für die Bundesregierung: Die
„FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND“ (7. Dezember 2006) spricht von ei-
nem „Sieg für Brüssel“, das „Handelsblatt“ (7. Dezember 2006) sieht im
Grundsatz ebenfalls die EU-Kommission als Sieger, die „Süddeutsche Zeitung“

(7. Dezember 2006) spricht von einem „faulen Sparkassen-Kompromiss“.

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Ferner droht eine Ausnahmeregelung für den beabsichtigten Verkauf der Berli-
ner Sparkasse die Eindeutigkeit und Transparenz des sog. Drei-Säulen-Modells
zu durchbrechen. So bemängelt z. B. der Deutsche Sparkassen- und Girover-
band, dass das Regionalprinzip im Berliner Landessparkassengesetz nur unklar
festgeschrieben ist. In der Konsequenz kann das dazu führen, dass im Falle
einer Ausnahmeregelung ein privater Träger der Berliner Sparkasse Filialen im
Berliner Umland eröffnet und dabei die Bezeichnung „Sparkasse“ verwendet.

Wer den Sparkassen-Bezeichnungsschutz und damit die Klarheit und Transpa-
renz des Drei-Säulen-Modells erhalten will, darf sich nicht auf Kompromisse
einlassen, die faktisch ein Aufweichen der Bezeichnungsvorschriften im Kre-
ditwesengesetz zur Folge haben können, auch wenn der Gesetzestext formal
unverändert bleibt. Der undurchsichtige Zickzackkurs der Bundesregierung in
dieser Frage lässt die Vermutung aufkommen, dass die Bundesregierung den
Sparkassen-Bezeichnungsschutz nicht uneingeschränkt verteidigen will.

Die Auseinandersetzung um § 40 KWG kann nicht losgelöst von den Entwick-
lungen im gesamten Kreditwesen gesehen werden. Vor dem Hintergrund des
massiven Drucks internationaler institutioneller Anleger mit Blick auf die in
diesem Sektor erwarteten Renditen gerät in der öffentlichen Diskussion auch
der Sparkassensektor unter Druck. Die Angriffe privater Kreditinstitute auf die
deutschen Sparkassen häufen sich. Deren Gemeinwohlorientierung darf diesem
weltweiten Anlagedruck nicht geopfert werden.

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