BT-Drucksache 16/3718

Position der Bundesregierung zu Plänen eines einheitlichen europäischen Vertragsrechts

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3718
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick
Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Position der Bundesregierung zu Plänen eines einheitlichen europäischen
Vertragsrechts

Das Vertragsrecht ist Grundlage der freiheitlichen und marktwirtschaftlichen
Rechts- und Wirtschaftsordnung. Große Bedeutung für die Entwicklung eines
regen Wirtschaftsverkehrs in der Europäischen Union hat dabei der Grundsatz
der Vertragsfreiheit. Wichtig für ein weiteres Zusammenwachsen der Euro-
päischen Union ist die Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes.

Das Gemeinschaftsrecht enthält bereits zivilrechtliche Bestimmungen in zahl-
reichen Verordnungen und Richtlinien. Das Spektrum reicht vom Verbraucher-
recht über das Haftungs- und Versicherungsrecht, Urheberrecht, zivilrechtliches
„Internetrecht“ und internationalem Privatrecht bis hin zu wirtschaftsrechtlichen
Bereichen des Zivilrechts, insbesondere das Gesellschaftsrecht. Damit umfasst
das Gemeinschaftsrecht viele von den Mitgliedstaaten ins nationale Recht um-
zusetzende Regelungen, die sowohl die Belange der Verbraucher wie die der
Unternehmen berühren. Das Europäische Zivilrecht weist bisher aber unklare
und ungenaue Regelungen auf. Durch den komplizierten Rechtssetzungsprozess
und die Zersplitterung in Regelungen verschiedener Einzelbereiche sind teilwei-
se Ungereimtheiten und Widersprüchen entstanden.
Die Europäische Kommission hat die Mängel der zivilrechtlichen Regelungen
des Gemeinschaftsrechts in drei Mitteilungen untersucht:

● „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum
europäischen Vertragsrecht“ (KOM (2001) 398 endg. vom 11. Juli 2001):

Die Kommission informierte über den Bedarf an weitreichenden Maßnah-
men der EG auf dem Gebiet des Vertragsrechts und weitete die Diskussion zu

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einem europäischen Vertragsrecht auf die Einholung von Beträgen von Ver-
brauchern, Wirtschaft, Fachverbänden, staatlichen Behörden und Institutio-
nen sowie Wissenschaft und interessierter Kreise aus. Der Mitteilung waren
bereits wissenschaftliche Diskussionen wie z. B. der „Pavia-Gruppe“ voraus-
gegangen. Die Kommission zielte auf eine Konzentration auf die Probleme
hin, die sich aus den Unterschieden in den Vertragsrechten der Mitgliedstaa-
ten ergeben können sowie auf die Fragen, welche Möglichkeiten es für
die Zukunft des Vertragsrechts in Europa gibt. Die Kommission stellte vier
Optionen hierzu vor:

(1) Überlassung der Lösung der Probleme des Binnenmarktes den Markt-
kräften

(2) Entwicklung von gemeinsamen Grundsätzen eines europäischen Ver-
tragsrechts im Rahmen eines Forschungsprojekts

(3) Verbesserung des geltenden Gemeinschaftsrechts ohne weitergehende
Harmonisierung

(4) Schaffung eines neuen Rechtsinstruments auf EG-Ebene

● Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Ein
kohärentes europäisches Vertragsrecht – ein Aktionsplan“ (KOM (2003) 68
endg. vom 12. Februar 2003):

In der Mitteilung stellte die Kommission die Schlussfolgerungen aus der im
Anschluss an die vorangegangene Mitteilung geführte Diskussion dar. Sie
sprach sowohl die Probleme mit einer einheitlichen Anwendung des Gemein-
schaftsrechts sowie deren Auswirkungen auf den Binnenmarkt an. Durch den
Aktionsplan wurde eine zweite Diskussionsrunde eingeleitet, die sich nach
Vorstellung der Kommission schwerpunktmäßig mit folgenden Themenkom-
plexen befassen sollte: Verbesserung der Qualität des Gemeinschaftsrechts
durch Erarbeitung und Benutzung eines „Gemeinsamen Referenzrahmens“;
Erarbeitung europaweiter Allgemeiner Geschäftsbedingungen sowie Erörte-
rung der Opportunität von nichtsektoriellen Maßnahmen wie z. B. eines
optionellen Instruments des europäischen Vertragsrechts.

● Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Eu-
ropäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitz-
stands – weiteres Vorgehen“ (KOM (2004) 651 endg. vom 11. Oktober 2004):

Der Schwerpunkt dieser Mitteilung liegt neben der Auswertung der erfolgten
Diskussion zur vorangegangenen Mitteilung in der Darstellung von Ansätzen
zur Verbesserung des existierenden und vertragsrechtsrelevanten Gemein-
schaftsrechts mit Hilfe des „Gemeinsamen Referenzrahmens“. Der „Gemein-
same Referenzrahmen“ soll klare Definitionen von Rechtsbegriffen, grund-
legende Prinzipien und kohärente Musterregeln des Vertragsrechts enthalten
und sich auf den gemeinschaftlichen Besitzstand der EU und die besten
Lösungen in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten stützen. Die
Mitteilung enthält keine Festlegung der Rechtsnatur des „Gemeinsamen
Referenzrahmens“, wobei die Kommission ein unverbindliches Instrument
favorisiert. Bis Ende 2006 erwartet die Kommission einen Schlussbericht der
Forscher und setzt sich zur Ausarbeitung des „Gemeinsamen Referenz-
rahmen“ einen Zeitrahmen bis 2009.

Im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft hat am 25. Juli 2006 eine
Konferenz zum europäischen Vertragsrecht in Wien stattgefunden. Die nächste
Konferenz ist für 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft in Stuttgart geplant.
Zuletzt hat das Europäische Parlament am 23. März 2006 sowie 7. September
2006 zwei Entschließungen zum europäischen Vertragsrecht angenommen.

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Wir fragen die Bundesregierung:

I. Allgemeines

1. Welchen konkreten Stand hat die Entwicklung des europäischen Vertrags-
rechts und insbesondere die Entwicklung eines „Gemeinsamen Referenz-
rahmens“?

2. Inwieweit hat sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen zu dem eu-
ropäischen Vertragsrecht bisher eingebracht – welche konkreten Stellung-
nahmen liegen auf EU-Ebene von der Bundesregierung vor?

3. Wurden von der Bundesregierung spezielle Arbeitsgemeinschaften oder
ähnliche Gruppen gegründet, die die Entwicklung des europäischen Ver-
tragsrechts sowohl in fachlicher wie auch in politischer Hinsicht begleiten,
und wenn ja, welche?

4. Welche Risiken leitet die Bundesregierung aus den unterschiedlichen
Rechtstraditionen und Rechtsanwendungen in den Mitgliedstaaten für die
Schaffung eines europäischen Vertragsrechts ab?

5. Bei welchen bisher ergangenen zivilrechtlichen Richtlinien und Verordnun-
gen sieht die Bundesregierung Widersprüche inhaltlicher Art (z. B. Modali-
täten der Widerrufsrechte im Verbraucherrecht), und welche sind dies kon-
kret?

6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass es durch den Mindestharmoni-
sierungsgrundsatz vielfach zu deutlich unterschiedlichen Umsetzungen von
EU-Vorgaben kommt und dass die nationale Umsetzung in Deutschland
häufig zu Wettbewerbsverzerrungen und Benachteiligungen der betroffenen
Unternehmen führt, und wie begründet sie diese Position?

7. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die bisherigen Richtlinien und
Verordnungen im Zivilvertragsrecht eine einseitige Überbetonung des Ver-
braucherschutzes enthalten (so FAZ vom 18. Oktober 2006 „Rettet das
BGB vor Brüssel“), und wie begründet sie ihre Ansicht?

8. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Frage, ob ein
einheitliches europäisches Vertragsrecht grundsätzlich notwendig ist, und
welche Rechtsgrundlage sieht die Bundesregierung hierfür als einschlägig
an?

9. Wie hat sich die Bundesregierung konkret zu den bisher in den Mitteilungen
der Kommission dargestellten Optionen eines europäischen Vertragsrechts
positioniert?

10. Wenn die Bundesregierung ein einheitliches europäisches Vertragsrecht für
notwendig erachtet, soll sich nach ihrer Ansicht dieses Vertragsrecht nur auf
grenzüberschreitende Sachverhalte beziehen oder auch für innerstaatliche
Verträge Anwendung finden?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Grundprinzipien des europäischen
Vertragsrechts („Principles of European Contract Law“), die von der „Com-
mission on European Contract Law“ (Lando-Kommission) seit den 1980er
Jahren entwickelt wurden (Rolle und Einfluss auf die Entwicklung des „Ge-
meinsamen Referenzrahmens“ und Problem für nationales Zivilrecht sowie
die deutsche Wirtschaft)?

II. EU-Ratspräsidentschaft

12. Plant die Bundesregierung konkrete Maßnahmen und/oder Veranstaltungen
während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf dem Gebiet des europä-

ischen Vertragsrechts, und wenn ja, welche und mit welchen Inhalten?

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13. Wird die Bundesregierung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um
Widersprüchlichkeiten bei bestehenden Richtlinien und Verordnungen im
Zivilvertragsrecht aufzuzeigen und evtl. auf eine Behebung derselben hin-
zuwirken?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wie will die Bundesregierung – insbesondere im Zusammenhang mit der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft – Rechtsunsicherheiten (vor allem her-
vorgerufen durch mangelnde Definitionen von Rechtsbegriffen in den EU-
Vorgaben) bei grenzüberschreitenden Geschäften begegnen?

15. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung – insbesondere während der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft – ergreifen, um die deutsche Wirtschaft
vor einer Belastung durch die Harmonisierung des europäischen Vertrags-
rechts zu schützen?

III. Entwicklung des „Gemeinsamen Referenzrahmens“

16. Inwiefern wird sich die Bundesregierung im Rahmen der Entwicklung des
„Gemeinsamen Referenzrahmens“ einbringen, und wie wird sie ihre
Schwerpunkte bei der Einflussnahme konkret setzen?

17. Welche weiteren Maßnahmen sieht die Bundesregierung hierbei als zielfüh-
rend an, um eine größere Kohärenz auf dem Gebiet des Vertragsrechts zu
erreichen?

18. Sollte nach Ansicht der Bundesregierung bis zum Abschluss der inhalt-
lichen Arbeiten des „Gemeinsamen Referenzrahmens“ die Frage nach dem
anzuwendenden Rechtsinstrument offen gelassen werden, und wie begrün-
det sie ihre Ansicht?

19. Welches Rechtsinstrument favorisiert die Bundesregierung für die konkrete
Umsetzung des „Gemeinsamen Referenzrahmens“, und wie begründet sie
ihre Position?

20. Welche Rechtsinstrumente lehnt sie hierfür ab, und wie begründet sie ihre
Position?

IV. Weitere Maßnahmen bei der Entwicklung eines europäischen Vertrags-
rechts

21. Welche bereits bestehenden europäischen Vorgaben im Bereich des zivilen
Vertragsrechts sollten im Rahmen einer Entbürokratisierung in der Abwä-
gung zwischen erreichtem Nutzen und verwaltungstechnischer und kosten-
mäßiger Belastung für die deutsche Wirtschaft abgebaut werden?

22. Welche Position bezieht die Bundesregierung hinsichtlich der Schaffung
eines „Europäischen Zivilgesetzbuches“?

23. Für den Fall, dass auf der Grundlage des „Gemeinsamen Referenzrahmens“
ein europäisches Vertragsrecht kodifiziert werden soll, welches Rechts-
instrument favorisiert die Bundesregierung hierfür, und wie begründet sie
diese Haltung?

24. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Schaffung ei-
nes ausschließlich auf Verträge mit Verbraucherbeteiligung anwendbaren
Vertragsrechts?

25. Sollten bei Schaffung von Rechtsvorschriften für B2C-Geschäfte (Unter-
nehmer – Verbraucher) und für B2B-Geschäfte (Unternehmer – Unterneh-
mer) diese Rechtsvorschriften (systematisch) getrennt werden wie vom

Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 23. März 2006 vorge-
schlagen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3718

26. Tritt die Bundesregierung dafür ein, künftig die in EU-Vorgaben verwende-
ten Rechtsbegriffe eindeutig und mit Geltung in allen Mitgliedstaaten zu
definieren, und wie begründet sie ihre Haltung?

27. Wie wird die Bundesregierung einer weiteren Einschränkung der Privat-
autonomie und Vertragsfreiheit durch die Schaffung des europäischen
Vertragsrechts entgegentreten?

28. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass vor allem deutsche mittel-
ständische Unternehmen durch neue EU-Regelungen zum europäischen
Vertragsrecht wettbewerbsfähig auch hinsichtlich der Teilnahme am euro-
päischen Binnenmarkt bleiben?

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Ansicht des Europäischen Parla-
ments (Entschließungen vom 23. März 2006 und 7. September 2006), dass
der Binnenmarkt ohne eine weitere Harmonisierung im Bereich des Zivil-
rechts nicht vollständig funktionsfähig sei?

30. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europäischen Parlaments
(Entschließung vom 23. März 2006), dass das langfristige Ergebnis des
europäischen Vertragsrechts ein „europäischer Pflichtkodex“ sein wird, und
wie begründet sie ihre Einschätzung?

31. Wie wird die Bundesregierung eine regelmäßige Information über die und
Beteiligung des Deutschen Bundestages an der Entwicklung des europäi-
schen Vertragsrechts sicherstellen?

Berlin, den 29. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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