BT-Drucksache 16/3701

Börsengang der Ruhrkohle AG mit Ausstieg aus den Kohlesubventionen 2012 verbinden

Vom 30. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3701
16. Wahlperiode 30. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Matthias Berninger, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell,
Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Bärbel Höhn, Kai Gehring, Dr. Reinhard Loske
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Börsengang der Ruhrkohle AG mit Ausstieg aus den Kohlesubventionen 2012
verbinden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die für das nächste Jahr geplanten Veränderungen in der Unternehmensstruktur
der Ruhrkohle AG (RAG) gehören zu den industriepolitisch bedeutsamsten Ent-
scheidungen dieser Legislaturperiode.

Bislang haften die nicht kohlebezogenen Unternehmen (weißer Bereich) im Be-
sitz der RAG Degussa AG, STEAG AG und RAG Immobilien AG für die Alt-
lasten der RAG. Aufgrund des Haftungsverbundes mit der Kohle können sie
sich nicht so entwickeln, wie es ihrem Potential entspräche, was den Zugang
zum Kapitalmarkt und die damit verbundenen Wachstumsmöglichkeiten angeht.
Deshalb ist es wirtschaftspolitisch sinnvoll, sie aus dem Haftungsverbund
herauszulösen.

Die durch den Steinkohlenbergbau verursachte Belastung der öffentlichen Hand
dürfen nicht vergrößert werden. Das zur Finanzierung der Altlasten bereitste-
hende Kapital darf nicht gemindert, sondern muss gemehrt werden. Der Börsen-
gang des weißen Bereichs der RAG macht nur dann Sinn, wenn er mit dem Aus-
laufen der Kohlesubventionen verbunden wird. Andernfalls werden die Altlas-
ten weiter wachsen und das Risiko, dass die öffentliche Hand mit erheblichen
Mitteln dafür belastet wird, vergrößert sich.

Der Deutsche Bundestag steht der Überlegung, die nicht kohlebezogenen Unter-
nehmensteile aus dem Haftungsverbund mit der deutschen Steinkohle herauszu-
lösen und voll kapitalmarktfähig zu machen, offen gegenüber, sofern diese Ope-
ration mit dem Auslaufen der Steinkohlesubventionen im Jahr 2012 verbunden
wird.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Haltung der Landesregierung von Nord-
rhein-Westfalen, die Steinkohlesubventionen zu beenden und auch nicht die
Förderung des so genannten Sockelbergbaus fortzusetzen. Der Bund sollte die

Landesregierung Nordrhein-Westfalens nicht zur Fortführung der Steinkohle-
subventionen drängen, sondern in dieser zentralen Frage die strukturpolitische
Strategie des Landes als Teil seiner Souveränität respektieren.

Der Steinkohlenbergbau muss 2012 auslaufen. Ein rechtsverbindlicher Zuwen-
dungsbescheid liegt lediglich für die Jahre 2007 und 2008 vor. Die vorab be-
kannt gewordenen Teile des Gutachtens der KPMG im Auftrag des Bundes-

Drucksache 16/3701 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ministeriums für Wirtschaft und Technologie zeigen, dass dies die kostengüns-
tigste Variante ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dann noch in der
Kohleförderung beschäftigt sein werden, wollen wir in einer Arbeitsförderungs-
gesellschaft qualifizieren und beschäftigen, mit dem Ziel, sie in neue dauerhafte
Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Ein Teil dieser Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter kann im weißen Bereich der RAG beschäftigt werden. Sollte dieses
Ausstiegsszenario aus der Kohlesubventionierung nicht ohne große Härten für
die Beschäftigten realisierbar sein, ist eine Verlängerung der Kohleförderung um
maximal 3 Jahre auf niedrigem Niveau denkbar.

Der Deutsche Bundestag hält das von der Ruhrkohle AG vorgelegte Konzept für
den Börsengang – das Stiftungsmodell – jedoch für nicht akzeptabel, da es auf
die dauerhafte Fortführung der Steinkohleförderung angelegt ist. Zweck der
vom Unternehmensverband Steinkohle getragenen Stiftung soll die Finanzie-
rung der Altlasten und die dauerhafte Förderung des Steinkohlenbergbaus sein.
Die Stiftung soll künftig 100 Prozent an dem Kohlebereich der RAG halten, der
in eine eigene Gesellschaft überführt werden soll. Mit 20 bis 30 Prozent soll die
Stiftung an einer neu zu schaffenden Beteiligungs-AG (Konglomerat) beteiligt
werden. In die Beteiligungs-AG sollen Unternehmen des weißen Bereichs der
RAG überführt werden, also die STEAG AG, die Degussa AG und die RAG
Immobilien AG. Die Anteile an der Beteiligungs-AG, die nicht von der Stiftung
gehalten werden, sollen an die Börse gebracht werden.

Da der Börsengang der Ruhrkohle AG nur dann Sinn macht, wenn er mit dem
Ausstieg aus den Steinkohlesubventionen verbunden wird, muss der Stiftungs-
zweck die Finanzierung des Auslaufens des subventionierten Bergbaus und die
Finanzierung der Alt- und Ewigkeitslasten sein.

Der Börsengang hat so zu erfolgen, dass die Belastung der öffentlichen Hand mit
Altlasten minimiert wird. Zunächst ist das vom Bundesministerium für Wirt-
schaft und Technologie in Auftrag gegebene Gutachten zur Verwertung des
weißen Bereichs sorgfältig zu analysieren. Eine Reihe von Gründen machen es
wahrscheinlich, dass sich durch die getrennte Veräußerung der Unternehmens-
teile Degussa AG, RAG Immobilien AG und STEAG AG höhere Erlöse erwirt-
schaften lassen.

Die Degussa AG ist ein hoch innovativer Verbund von 12 selbständigen
Geschäftsbereichen der Spezialchemie. Sie beschäftigt 44 000 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter weltweit, davon 58 Prozent in Deutschland und weitere 15 Pro-
zent in Europa. In der Forschung arbeiten 2 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter an 35 Standorten. Durch den Verbund der unterschiedlichen Unternehmen
kann sie bestimmte Synergien nutzen. 20 Prozent des Umsatzes basieren auf
Technologien, die jünger als 5 Jahre sind.

Die STEAG AG könnte durch Herauslösung aus der RAG – und damit die
Trennung von den RAG-Aktionären RWE AG und E.ON AG – zu einem attrak-
tiven unabhängigen Stromproduzenten werden. Sie würde als wichtiger Strom-
erzeuger für mehr Konkurrenz sorgen und damit auch preismindernde Effekte
erzielen. Da es keine großen unabhängigen Stromproduzenten auf dem deut-
schen Markt gibt, dürfte die STEAG AG für eine Reihe von Investoren sehr in-
teressant sein.

Im Geschäftsjahr 2005 machte die RAG Immobilien AG in den Geschäftsfel-
dern Wohnimmobilien, Flächenentwicklung und Gewerbeimmobilien mit rund
2 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von rund 520 Mio. Euro.
Hier können hohe Erträge erwirtschaftet werden. In jedem Falle müssen im
Zuge eines Verkaufs ein sozialer Schutz der Mieter auf hohem Niveau sicherge-
stellt und Möglichkeiten zum Kauf durch die Mieter gewährleistet werden.
Der RAG argumentiert mit der strukturpolitischen Bedeutung der Schaffung ei-
nes neuen DAX-Konzerns im Ruhrgebiet für die Weiterführung des weißen Be-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3701

reichs als Konglomerat. Dieses Argument relativiert sich jedoch dadurch, dass
die 3 Bereiche Spezialchemie, Stromerzeugung und Immobilien sowohl bei der
Veräußerung im Konglomerat wie auch bei der Veräußerung als einzelne Unter-
nehmen aller Voraussicht nach an ihren Standorten erhalten blieben. Der Sitz der
Degussa AG wäre weiterhin Düsseldorf. Die STEAG AG hat ihren Sitz ohnehin
in Essen, die RAG Immobilien AG auch. Die zusätzliche Wertschöpfung am
Standort Essen durch Fortführung der Holding an diesem Standort wäre gering.

Daher sollte in einem Bieterverfahren über die optimale Verwertung der 3 Un-
ternehmensteile entschieden werden. Bei der Bewertung der Angebote sollten
strukturpolitische Kriterien einbezogen werden.

Die Erlöse aus dem Verkauf des weißen Bereichs sollten genutzt werden, um den
Subventionsbedarf bis zum Jahr 2012 zu reduzieren. Danach sollten sie zur
Altlastenbeseitigung zur Verfügung stehen.

Bisher sind 128 Mrd. Euro an Subventionen in den Steinkohlenbergbau geflos-
sen. Es kommt jetzt darauf, die Aufwendungen für die Steinkohle so schnell wie
möglich zu beenden.

Grundsätzlich haftet das Land Nordrhein-Westfalen für die Altlasten, sofern die
Kosten über das Vermögen der RAG hinausgehen. Der Bund sollte bei den Ver-
handlungen zum Auslaufen der Steinkohlesubventionen keine zusätzlichen Ver-
pflichtungen eingehen.

Wir gehen davon aus, dass die Steinkohlesubventionen bereits für 2007 auf-
grund des hohen Weltmarktpreises um deutlich mehr als 232 Mio. Euro gesenkt
werden können.

Die Umstrukturierung Ruhrkohle AG ist ohne die Zustimmung der Bundesre-
gierung und der Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und dem Saarland
nicht möglich. Die Restsubventionen für den Steinkohlenbergbau müssen vom
Deutschen Bundestag und von den Landtagen in die Haushalte eingestellt wer-
den. Deshalb sollten Bundesregierung, Landesregierungen und Ruhrkohle AG
den Prozess bis zur Entscheidung über die Zukunft des deutschen Steinkohlen-
bergbaus transparent gestalten und den Parlamenten zeitnah die notwendigen
Unterlagen, wie z. B. Gutachten über die verschiedenen Varianten zur Stillle-
gung, zur Verfügung stellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Steinkohlesubventionen 2012 verbunden mit einem Programm zur sozia-
len Flankierung für die Beschäftigten auslaufen zu lassen. Sollte dies nicht
ohne unzumutbare soziale Härten möglich sein, ist eine Fortführung der Koh-
leförderung auf niedrigem Niveau um maximal weitere 3 Jahre denkbar;

– den Verkauf der Unternehmensteile außerhalb der Steinkohleförderung so zu
gestalten, dass dabei die größtmöglichen Erträge erzielt werden, damit die
Finanzierung der Alt- und Ewigkeitskosten gedeckt werden können;

– bei allen Anteilseignern der RAG darauf hinzuwirken, dass die Anteile zum
symbolischen Preis von 1 Euro in die Stiftung übergehen;

– bei der Aufteilung der Finanzierung zwischen Revierländern und Bund nicht
über bisherige Finanzzusagen hinauszugehen.

Berlin, den 30. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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