BT-Drucksache 16/3545

Den kostenfreien Empfang von Rundfunk via Satellit sicherstellen

Vom 22. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3545
16. Wahlperiode 22. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den kostenfreien Empfang von Rundfunk via Satellit sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Satellitenbetreiber SES ASTRA (die europäische Tochtergesellschaft von
SES GLOBAL) wird im Laufe des nächsten Jahres für den Empfang digitaler
Fernsehprogramme von den Nutzern der Satellitenübertragung eine Gebühr ein-
führen. Über die digitale Satellitenvertriebsplattform namens Entavio werden
Fernsehprogramme durch den Satellitenbetreiber SES ASTRA dann verschlüs-
selt verbreitet. Gegen eine monatliche Gebühr wird das Programmangebot für
den Endkunden freigeschaltet. Die Abrechnung soll über eine Zugangskarte, die
so genannte Smartcard, erfolgen. Zusätzlich benötigt der Endkunde ein neues
Empfangsgerät (Decoder), um das Fernsehprogramm entschlüsseln zu können.

Mit der Verschlüsselung des Fernsehprogramms geht damit zukünftig auch die
so genannte Adressierbarkeit der Empfänger einher. Infolgedessen können bei-
spielsweise einzelne Filme vom Endkunden gegen eine Gebühr bestellt werden.
Bei diesem Vorgang wird die Nutzung seitens des Zuschauers über die Smart-
card registriert.

Bisher haben die Sendergruppen RTL und MTV Verträge zum Entavio-Projekt
mit dem Satellitenbetreiber SES ASTRA unterzeichnet und planen, ihre Pro-
gramme ab dem kommenden Jahr über die Plattform zu verschlüsseln. Bislang
ist unklar, in welcher Höhe die Programmveranstalter an der monatlichen Zu-
gangsgebühr beteiligt werden. Aus Presseberichten1 geht jedoch hervor, dass die
Programmveranstalter an den Einnahmen teilhaben werden.

Die Verträge zwischen den Programmveranstaltern und dem Satellitenbetrei-
bern unterliegen zurzeit einer Überprüfung durch das Kartellamt. Dieses prüft
zum einen, ob sich SES ASTRA als marktbeherrschendes Unternehmen miss-
bräuchlich verhält, da die Spezifikation der Set-Top-Boxen des Projekts Entavio
so gestaltet sind, dass diese nicht für alle Marktteilnehmer zugänglich sind. Zum
zweiten wird begutachtet, ob eine Kartellabsprache zwischen den Programm-
anbietern und SES ASTRA vorliegt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Entstehen des sog. gläsernen Kunden zu verhindern, indem im Falle einer
Grundverschlüsselung Regelungen zur Sicherung des Datenschutzes getrof-

1 Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. August 2006: RTL soll im Satellitenfernsehen Geld
kosten. Sendergruppe schließt Vertrag mit SES Astra/ Kartellamt hat Bedenken.

Drucksache 16/3545 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

fen werden, die den Missbrauch entstehender Nutzerdaten der Zuschauer ver-
hindern;

2. einen offenen Standard der Entavio-Plattform sicherzustellen, denn dieser
verhindert, dass ein einziger Anbieter den Zugang dominiert;

3. sich gegenüber den Bundesländern dergestalt einzusetzen,

a) dass Regelungen getroffen werden, die den freien Empfang von Vollpro-
grammen des Rundfunks für alle Bürgerinnen und Bürger garantieren, und
Regeln ausgearbeitet werden, die auch zukünftig die Kommunikations-
freiheit der Bürgerinnen und Bürger schützen und den Zugang zu Sendern
und Signalen gewährleisten,

b) dass klare Regelungen formuliert werden, die sicherstellen, dass die
öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme von einer Gebühr für die
Satellitenübertragung ausgespart bleiben,

c) dass Rundfunkempfang via DVB-T unverschlüsselt bestehen bleibt;

4. gemeinsam mit den Bundesländern zu prüfen, ob sich durch das Zusammen-
gehen von Inhalteanbietern und Infrastrukturanbietern neue Bewertungsnot-
wendigkeiten in Bezug auf die Marktmacht und die Meinungsvielfalt ergeben.

Berlin, den 22. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Durch die Adressierbarkeit des Endkunden können dessen Nutzungsprofile er-
fasst und analysiert werden. Dieser Vorgang ist datenschutzrechtlich bedenklich.
Es ist möglich, mittels der Adressierbarkeit Daten darüber zu sammeln, welcher
Haushalt welches Programm zu einer bestimmten Zeit nutzt und welcher Wer-
beblock empfangen oder umgangen wird. Dies hätte zu Folge, dass Plattformbe-
treiber diese Form der Kundenbeziehung, insbesondere das Wissen über den
Endkunden und dessen Konsumverhalten, zu Vermarktungszwecken ausnutzen
können.

Zudem muss ein Unternehmen, das ein Programmangebot verschlüsselt versen-
det, lediglich wissen, ob der Endkunde für die Entschlüsselung gezahlt hat. Eine
namentliche Registrierung, wie aktuell geplant, ist zur Abrechnung des Kunden
nicht vonnöten.

Falls eine Programmverschlüsselung nicht verhindert wird, ist zumindest ein
sog. Prepaid-Modell zur Abrechnung der Kunden vorzuziehen. Diese Form der
Abrechnung würde eine unkontrollierte Weitergabe von Daten über das Kon-
sumverhalten der Endkunden verhindern. Die anonyme Nutzung würde möglich
bleiben.

Zu Nummer 2

Wenn ein Satellitenunternehmen einen Verschlüsselungsstandard vorgibt, dann
kann das anderen Vermarktungsplattformen den technischen Zugang zu den
Empfangsgeräten erschweren, die das Satellitenunternehmen herstellt. Im Falle
einer proprietären Verschlüsselungstechnik entsteht demnach eine Abhängigkeit

der Endgerätehersteller. Damit treffen die Mitbewerber nicht auf die gleichen
Chancen im Wettbewerb.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3545

Zu Nummer 3a

Die Verschlüsselung von Fernsehprogrammen verursacht Mehrkosten beim
Endverbraucher. Teile der Bevölkerung, die weniger zahlungskräftig sind, wer-
den sich die verschlüsselten Vollprogramme finanziell nicht leisten können. Die
Folge wäre eine Spaltung der Zuschauer in diejenigen mit einem breiten Zugang
zu Informationen und die anderen mit verringertem Zugang zu Informationen.
Dies widerstrebt dem Ziel, eine Informationsgesellschaft voranzubringen.

Die Verschlüsselung des digitalen Fernsehprogramms würde das deutsche Me-
diensystem grundlegend verändern: der Weg zum sog. Bezahlfernsehen würde
geebnet und damit das Angebot an frei empfangbaren Kanälen verringert. Auch
dies verhindert die politische Absicht, eine Informationsgesellschaft für alle zu
etablieren. Die Einführung von Pay-TV führt keineswegs zu einer Qualitätsver-
besserung, wie uns das Fernsehprogramm in den USA – das weitgehend als Pay-
TV besteht – deutlich vor Augen führt. Das deutsche Fernsehangebot würde in-
folge einer Verschlüsselung somit in seiner Vielfalt und Qualität gefährdet sein,
weil das Angebot künstlich verknappt wird.

Die Grundverschlüsselung von Vollprogrammen widerspricht zudem den in der
EG-Fernsehrichtlinie (Richtlinie 89/552/EWG) festgelegten grundlegenden
europäischen Prinzipien wie Sicherung des grenzüberschreitenden Fernsehens,
freier Informationsfluss und Meinungsaustausch. Eine Grundverschlüsselung
würde neue Grenzen aufbauen.

Zu Nummer 3b

Der Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den das
Bundesverfassungsgericht im vierten Rundfunkurteil von 1986 festschreibt, um-
fasst die allgemeine, flächendeckende Empfangbarkeit der öffentlich-recht-
lichen Programme. Um dem Grundversorgungsauftrag gerecht zu werden, muss
eine Regelung geschaffen werden, die eine garantierte Übertragung der öffent-
lich-rechtlichen Programme ohne zusätzliches Entgelt regelt.

Zu Nummer 3c

In anderen Staaten ist geregelt, dass zumindest über einen Übertragungsweg
Rundfunk frei und unverschlüsselt empfangbar ist. In Deutschland fehlt bisher
eine eindeutige Regelung, die die digital-terrestrische Empfangsmöglichkeit via
DVB-T unverschlüsselt garantiert. Eine solche Regelung ist insbesondere not-
wendig, da die analog-terrestrische Übertragung in immer mehr Teilen der Bun-
desrepublik abgeschaltet und auf digital-terrestrisch umgestellt wird.

Die Bevölkerung hat zwangsläufig auf diesen Wechsel reagiert und auf den
Rundfunkempfang via DVB-T umgestellt. Viele Verbraucher entschieden sich
nach der Abschaltung der analog-terrestrischen Übertragung gerade deshalb für
DVB-T, weil für diese Umstellung nur einmalig Kosten für die Anschaffung
eines DVB-T-Empfängers anfallen.

Zu Nummer 4

Die zunehmend engen Partnerschaften zwischen Inhalte- und Infrastruktur-
anbietern bergen die Gefahr von Markt- und Meinungskonzentration. Wenn
Inhalte- und Infrastrukturanbieter, die in ihrem jeweiligen Marktsegment bereits
eine vorherrschende Stellung innehaben, bei neuen Angeboten kooperieren, ent-
scheiden sie autark, welche Inhalte zu welchem Preis durchgeleitet werden.
Diese Situation kann Preisabsprachen hervorbringen. Die Entscheidung über
Vielfalt liegt in der Hand dieser mächtigen Anbieter. Das Gleiche gilt, wenn ein
einziger Konzern als Inhalteanbieter und Plattformbetreiber agiert.

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