BT-Drucksache 16/3507

Versorgungssituation im Bereich Seltener Erkrankungen

Vom 21. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3507
16. Wahlperiode 21. 11. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jörg Rohde, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann,
Dr. Konrad Schily, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Versorgungssituation im Bereich Seltener Erkrankungen

Laut EU-Definition ist eine Erkrankung „selten“, wenn weniger als einer von
2 000 Menschen unter diesem spezifischen Krankheitsbild leidet

Patienten mit Seltenen Erkrankungen sind eine heterogene Gruppe mit sehr un-
terschiedlichen Krankheitsbildern. Man schätzt, dass es etwa 5 000 bis 8 000
Seltene Erkrankungen gibt. Dazu gehört zum Beispiel das Krankheitsbild
Primärer Immundefekt. Im Prinzip gehören auch Unfälle mit sehr individuellen,
oft deletären Folgen zu den seltenen Erkrankungen.

Die Mehrzahl Seltener Erkrankungen nimmt einen schweren, chronischen und
zum Teil lebensbedrohlichen Verlauf. 80 Prozent der Seltenen Erkrankungen
sind genetisch bedingt und betreffen vor allem Kinder und Jugendliche. Viele
dieser Krankheiten sind unheilbar und für Patienten und Angehörige mit
schwersten Beeinträchtigungen der Lebensqualität verbunden.

Auf EU-Ebene befasst man sich bereits seit längerem mit dem Thema. So enthält
das Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesund-
heit für die Jahre 2003 bis 2008 auch ein Kapitel zu Seltenen Erkrankungen.
Dieses bildet die Grundlage für die Förderung von Forschungsprogrammen,
Konferenzen und Projekten durch die EU, wie z. B. den Aufbau einer Euro-
päischen Datenbank zu Seltenen Erkrankungen und der „Rare Diseases Task

Force“ der EU-Kommission. Zudem sind einzelne EU-Staaten im Begriff, für
Seltene Erkrankungen so genannte Centres of Reference (ECR) zu identifizie-
ren. 6 Mitgliedstaaten arbeiten bereits mit dem Konzept bzw. haben solche Zen-
tren für sich definiert (Schweden, UK, Dänemark, Belgien, Frankreich, Italien).
Im Vergleich hierzu besteht in Deutschland ein geringes Bewusstsein über Sel-
tene Erkrankungen.

Drucksache 16/3507 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die häufigste Ursache für die schwierige Situation von Betroffenen ist das
bestehende Informationsdefizit und unzureichende Aufklärung, denn selbst in
medizinischen Einrichtungen fehlt es häufig an spezifischem Wissen und der
notwendigen Aufklärung.

Viele Betroffene erhalten erst nach jahrelanger Konsultation verschiedener
Ärzte eine korrekte Diagnose. Andere werden nie richtig diagnostiziert. Bei zu
später oder fehlender Diagnose können Patienten mit Seltenen Erkrankungen
nicht angemessen versorgt werden. Häufig gibt es keine wirksamen Therapien,
da die eigentlichen Krankheitsursachen nicht geklärt sind.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es etwa 5 000 bis 8 000
Seltene Erkrankungen gibt?

2. Wie viele Menschen mit einer Seltenen Erkrankung leben in Deutschland?

3. Wie hoch ist die Quote der nicht diagnostizierten bzw. der falsch diagnosti-
zierten Seltenen Erkrankungen?

4. Wie viele Immundefektzentren für Erwachsene und für Kinder (bitte
getrennt ausweisen) gibt es in Deutschland?

Welche Zentren sind das?

5. Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, wie hoch die volkswirt-
schaftlichen Kosten sind, die durch zu späte oder falsche Diagnosestellung,
durch Fehltherapien, durch Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung bei
Seltenen Erkrankungen entstehen?

6. Wenn nein, hält die Bundesregierung es für sinnvoll, eine entsprechende
Studie in Auftrag zu geben?

7. Wo sieht die Bundesregierung die größten Defizite in der Diagnostik und
Behandlung Seltener Erkrankungen?

8. Welche Aktivitäten hat die Bundesregierung bisher unternommen, um
Diagnostik und Therapie Seltener Erkrankungen zu verbessern, und welche
weiteren Maßnahmen will sie in dieser Legislaturperiode ergreifen?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um den Informations-
stand in der Bevölkerung, aber insbesondere auch bei den Ärztinnen und
Ärzten zu verbessern?

10. In welchem Umfang und für welche Projekte unterstützt die Bundesregie-
rung die Forschung im Bereich Seltener Erkrankungen, und hält sie diese
Unterstützung für ausreichend?

Wenn nein, welche weiteren Schwerpunkte wird sie in den nächsten Jahren
setzen, und wie wird sie diese fördern?

11. Wie steht die Bundesregierung dazu, bei Seltenen Erkrankungen die Weiter-
behandlung Erwachsener in Kinderkliniken/-abteilungen zu ermöglichen,
deren Versorgung anderenfalls nicht, nicht wohnortnah oder nicht in der
notwendigen Qualität gewährleistet werden kann?

12. Spiegeln die diagnosebezogenen Fallpauschalen die spezifischen Besonder-
heiten bei der Behandlung Seltener Erkrankungen nach Auffassung der
Bundesregierung angemessen wider?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3507

13. Wie steht die Bundesregierung dazu, die Kosten für die Behandlung Sel-
tener Erkrankungen bei niedergelassenen Ärzten und medizinischen Versor-
gungszentren außerhalb der Budgets zu finanzieren und zwar auch im
zukünftigen Vergütungssystem und dafür zu sorgen, dass aufgrund solcher
Behandlungskosten keine Abstaffelungen erfolgen können?

Wie ordnet sie in diesem Zusammenhang das Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (-1BvR 347/98-) zur Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenkassen bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig
tödlichen Erkrankungen ein?

14. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung den Selbsthilfegruppen bei
Umgang mit Seltenen Erkrankungen zu?

Sieht sie bei der Einbindung Defizite, und wenn ja, welche, und was will sie
unterstützend tun, um diese zu beheben?

15. Welche Überlegungen gibt es in der Bundesregierung, den Informationsaus-
tausch und die Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Industrie,
Forschung, praktizierenden Ärzten, Kostenträgern und Selbsthilfegruppen
zu verbessern?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklungen, Maßnahmen und
Initiativen bzgl. Seltenen Erkrankungen auf EU-Ebene (z. B. die Integration
des Kapitels zu Seltenen Erkrankungen im Aktionsprogramm der Gemein-
schaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit 2003 bis 2008, Unterstützung
von Projekten durch Fördermittel und Forschungsrahmenprogramme etc.)?

Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung von Konzepten zu
Centres of Reference (ECR) für Seltene Erkrankungen in anderen EU-Mit-
gliedstaaten?

17. Welche Formen der Zusammenarbeit gibt es zwischen der Bundesregierung
und den EU-Institutionen (Europäische Kommission Generaldirektion Ge-
sundheit und Verbraucherschutz; Rare Diseases Task Force; Europäisches
Parlament etc.) im Bereich Seltene Erkrankungen?

18. Gibt es eine offizielle Verbindungsperson für den Bereich Seltene Erkran-
kungen zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission?

Wenn ja, wie hält die Bundesregierung es für sinnvoll, den Selbsthilfe-
gruppen diese Verbindungsperson bekannt zu machen?

19. Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung die Aktivitäten
im Bereich Bekämpfung Seltener Erkrankungen auf EU-Ebene?

Inwieweit hat die Bundesregierung die relevanten Punkte des Bereichs Sel-
tene Erkrankungen im Aktionsprogramm umgesetzt?

20. Erfolgt ein regelmäßiger Informationsaustausch über Seltene Erkrankungen
zwischen der Bundesregierung und dem DG SANCO der EU-Kommission
(Europäische Kommission Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher-
schutz), und wenn ja, um welche Informationen handelt es sich?

Berlin, den 21. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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