BT-Drucksache 16/3504

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/2300, 16/2302, 16/3123, 16/3124, 16/3125- Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 (Haushaltsgesetz 2007) hier: Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vom 21. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3504
16. Wahlperiode 21. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Winfried Nachtwei, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
Britta Haßelmann, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager,
Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zur dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/2300, 16/2302, 16/3123, 16/3124, 16/3125 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007
(Haushaltsgesetz 2007)

hier: Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Von einer „Allgemeinen Wehrpflicht“ kann in Deutschland keine Rede mehr
sein. Die veränderte Bedrohungslage, die neuen Aufgaben und die damit ein-
hergehende Transformation der Bundeswehr haben dazu geführt, dass maxi-
mal 15 Prozent der Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs zum Wehrdienst
einberufen werden können. Für 85 Prozent der Wehrpflichtigen hat die Bun-
deswehr keine Verwendung mehr. Der Wehrdienst ist damit nicht mehr die
Regel, sondern die Ausnahme.

2. Die Einführung neuer Tauglichkeits- und Freistellungskriterien, hat dafür ge-
sorgt, dass 60 Prozent der jungen Männer vom Wehr- und Zivildienst entlas-
tet werden konnten. Für die Betroffenen ist das eine große Erleichterung. Für
die faktische Minderheit der jungen Männer, die die Wehrpflicht noch
zwangsweise erfüllen müssen, wird das Gleichheitsgebot dadurch noch wei-
ter verletzt. Die Wehrpflicht ist bei weitem nicht mehr eine gleich belastende
Pflicht und damit auch verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar. Wehrgerech-

tigkeit ist nicht mehr gegeben und auch auf absehbare Zeit nicht herstellbar.
Kosmetische Korrekturen ändern daran nichts. Deshalb muss der Ausstieg
aus der Wehrpflicht rasch zum Abschluss gebracht werden.

3. Die Wehrpflicht und der Zivildienst sind nicht länger zu rechtfertigende Ein-
griffe in die Grundrechte und die Lebensplanung junger Männer. Darüber
hinaus ist die gesetzlich geforderte „arbeitsmarktpolitische Neutralität“ des

Drucksache 16/3504 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zivildienstes nicht mehr gegeben: Die Zivildienstleistenden sind besonders
im Gesundheits- und Pflegebereich zu Ausfallbürgen geworden.

So lange es die Wehrpflicht noch gibt, gilt es darauf zu achten, dass die Wehr-
pflicht eine militärische Dienstpflicht und keine allgemeine oder soziale
Dienstpflicht ist. Die Wehrpflicht muss in der Regel durch den Wehrdienst er-
füllt werden. Der Zivildienst ist nicht Ersatz für potenziell zu leistenden, son-
dern für tatsächlich nicht geleisteten Wehrdienst. Das ist heute nicht gewähr-
leistet. Wer heute einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellt, muss
aufgrund der Aufkommensorientierung des Zivildienstes mit größter Sicher-
heit damit rechnen, zum Zivildienst einberufen zu werden. Demgegenüber
werden bis 2010 alljährlich mehr als 40 000 grundsätzlich wehrdienstfähige
Männer mangels Bedarf nicht einberufen. Damit hat die allgemeine Wehr-
pflicht den Charakter einer allgemeinen Dienstpflicht für Kriegsdienstver-
weigerer.

Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens warten viele Wehr-
pflichtige mit ihrer Kriegsdienstverweigerung nicht ab, ob sie tatsächlich
zum Wehrdienst einberufen werden. Und zweitens finanziert die Bundes-
regierung deutlich mehr Zivil- als Wehrdienstplätze, so dass alle, die verwei-
gern, einberufen werden können bzw. einberufen werden. Aufgrund der
Tatsache, dass im Bundeshaushalt mehr Zivil- als Wehrdienstplätze vorgese-
hen sind, leisten heute ca. 25 Prozent der Wehrpflichtigen eines Geburtsjahr-
gangs Zivildienst und 15 Prozent Wehrdienst. Der Kriegsdienstverweigerer
wird de facto dafür bestraft, dass er vor der tatsächlichen Einberufung zum
Wehrdienst bekannt gibt, sein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung in
Anspruch zu nehmen. Damit ist „der Ehrliche der Dumme“. Viele Wehr-
pflichtige sehen sich aufgrund der ungerechten Heranziehung von Wehr- und
Zivildienstleistenden genötigt, ihre Gewissensentscheidung gegen den
Dienst an der Waffe erst nach der Einberufung bekannt zu geben.

Eine Regelung nach dem Motto „der Wehrdienstfähige kann dienen – der
Kriegsdienstverweigerer muss dienen“ ist nicht hinnehmbar. Deshalb dürfen
die Einberufungen zum Zivildienst die Einberufungen zum Wehrdienst nicht
übersteigen. Die entsprechenden Haushaltsansätze der Bundesregierung im
Einzelplan 17 für den Zivildienst sind daher entsprechend abzusenken. Dies
gilt umso mehr, als der aktuelle Haushaltsansatz für Sold, Zulagen und Zu-
wendungen für Zivildienstleistende sogar mehr Mittel zur Verfügung stellt,
als selbst bei Einberufung aller verfügbaren Wehrdienstverweigerer abgeru-
fen werden können. Der Etatansatz ist daher nicht realitätstauglich.

4. Viele Jugendliche sind nicht dienstunwillig, sondern haben gerade im An-
schluss an ihre Schulausbildung ein großes Interesse, im Rahmen eines Frei-
willigendienstes berufliche und soziale Lernerfahrungen – sei es im In- oder
Ausland – sammeln zu können. Solche Freiwilligendienste sind für die Ge-
sellschaft und für die Betroffenen von unschätzbarem Wert. Das Interesse
kann durch das bisherige Unterstützungsangebot noch nicht hinreichend be-
friedigt werden. Die finanziellen Einsparungen die durch die Herabsetzung
der Zivildienstplätze im Bundeshaushalt erzielt werden, sollen deshalb vor
allem zur Förderung der Jugendfreiwilligendienste eingesetzt werden. Darin
können sich Jugendliche auch in klassischen Lern- und Tätigkeitsfeldern des
Zivildienstes erproben. Diese Kompensation von Zivildienstplätzen durch
Angebote der Jugendfreiwilligendienste ist ein weiterer wichtiger Schritt in
dem Prozess zum Ausstieg aus der Wehrpflicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Benachteiligung von Wehrdienstverweigerern bei der Einberufungspra-

xis unverzüglich zu beenden,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3504

2. nicht mehr Dienstpflichtige zum Zivildienst einzuberufen als zum Wehr-
dienst,

3. die dadurch im Einzelplan 17 eingesparten Mittel vorrangig zur Förderung
der Jugendfreiwilligendienste einzusetzen,

4. den Ausstieg aus der Wehrpflicht fortzusetzen.

Berlin, den 21. November 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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