BT-Drucksache 16/3318

EU-Abfallrahmenrichtlinie ökologisch wirksam, unbürokratisch und marktwirtschaftlich gestalten

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3318
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst
Meierhofer, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald
Leibrecht, Markus Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

EU-Abfallrahmenrichtlinie ökologisch wirksam, unbürokratisch
und marktwirtschaftlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Kommission hat am 21. Dezember 2005 eine thematische
Strategie für Abfallvermeidung und -recycling (Weiterentwicklung der nachhal-
tigen Ressourcennutzung: Eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und
-recycling, KOM (2005) 666 endgültig) beschlossen. Sie ist eine von sieben im
6. EU-Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft geforderten
„thematischen Strategien“. Ziel der Recyclingstrategie ist es, die Abfallpolitik
der EU zu analysieren, zu bewerten und einen strategischen Rahmen für die
Zukunft festzulegen. In dieser Strategie werden Ziele gesetzt und die Mittel
erläutert, mit denen die Ziele erreicht werden sollen. Unter anderem soll der
Rechtsrahmen vereinfacht und klarer gefasst werden. Das langfristige Ziel
besteht darin, die EU zu einer Gesellschaft mit Kreislaufwirtschaft weiterzu-
entwickeln, welche die Vermeidung von Abfällen zum Ziel hat und Abfälle als
Ressourcen nutzt.

Abfallentstehung betrachtet die Europäische Kommission als ein Symptom öko-
logisch ineffizienter Ressourcennutzung. Sie weist darauf hin, dass Abfall trotz

der Erfolge in der Vergangenheit nach wie vor ein Problem sei, denn die Abfall-
mengen stiegen an, absolut und z. T. auch relativ zum Bruttoinlandsprodukt. Ins-
besondere gehe die absolute Menge der deponierten Abfälle nicht zurück. Die
Möglichkeiten der Abfallvermeidung und -verwertung würden noch nicht voll
ausgeschöpft. Die Europäische Kommission stellt fest, dass die Umsetzung des
Rechts und die realisierten Entsorgungsstandards in den Mitgliedstaaten sehr
unterschiedlich seien und damit unter anderem zu ökologisch nicht zu recht-

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fertigenden Abfallverbringungen führten. Siedlungsabfälle würden laut EU-
Kommission in der EU derzeit zu 49 Prozent deponiert, zu 18 Prozent verbrannt
und zu 33 Prozent dem Recycling bzw. der Kompostierung zugeführt. Zwischen
den einzelnen Mitgliedstaaten bestünden große Unterschiede; sie reichten von
einer extrem geringen Recyclingquote (Deponierung von 90 Prozent der
Abfälle, Recycling und energetische Verwertung von 10 Prozent) bis zu relativ
hohen ökologischen Standards (Deponierung von 10 Prozent, energetische Ver-
wertung von 25 Prozent und Recycling von 65 Prozent der Abfälle). Diese
Entwicklungen seien laut EU-Kommission teilweise der unzureichenden Um-
setzung des Abfallrechts anzulasten, die wiederum in verschiedener Hinsicht in
einem verbesserungsfähigen politischen und rechtlichen Rahmen ihren Ur-
sprung hätte.

Parallel zur Recyclingstrategie hat die EU-Kommission – zugleich als ersten
Schritt zur Umsetzung der Strategie – einen konkreten Vorschlag (Vorschlag für
eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle, KOM
(2005) 667 endgültig) zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom
15. Juli 1975 über Abfälle (Abfallrahmenrichtlinie) vorgelegt. Ziel dieser No-
velle der Abfallrahmenrichtlinie ist es laut EU-Kommission, Lebenszyklus-
analysen in den politischen Prozess einzuführen und durch eine Angleichung
von Rechtsvorschriften, Klärung von Definitionen und Integration von Vor-
schriften eine Klarstellung, Vereinfachung und Straffung des EU-Abfallrechts
zu erreichen. Die Novelle betrifft vor allem die Abfalldefinition, die Abgren-
zung der Abfallverwertung von der Abfallbeseitigung sowie die Verpflichtung
zur Aufstellung von Abfallvermeidungsprogrammen.

1. Zum Abfallbegriff

Der Kommissionsentwurf behält den weiten Abfallbegriff bei (Artikel 3 Buch-
stabe a). Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom
7. September 2004 in der Rechtssache C-1/03 (van de Walle) umfasst der Abfall-
begriff auch unausgehobenes, kontaminiertes Erdreich. Die Novelle soll für die
Abfallkategorie des nicht entfernten, verseuchten Bodens nur dann nicht gelten,
wenn diese bereits unter andere Gemeinschaftsvorschriften fällt (Artikel 2 Nr. 1
Buchstabe f). Zur Klarstellung, wann die Abfalleigenschaft endet, enthält der
Entwurf in Kapitel III allgemeine Kriterien zur Entscheidung, wann die Abfall-
eigenschaft von Gegenständen endet. Für bestimmte material- oder stoffspezi-
fische Abfallströme soll dies zusätzlich im sog. Komitologieverfahren geklärt
werden (Artikel 11 Abs. 2 i. V. m. Artikel 36 Abs. 2).

Die Ausdehnung des Abfallbegriffs aufgrund der Van-de-Walle-Entscheidung
führt zu erheblichen Rechtsproblemen und widerspricht der ursprünglich
beabsichtigten Reichweite des Abfallbegriffs. Der Deutsche Bundestag hält es
deshalb für sinnvoll, den Abfallbegriff auf bewegliche Sachen zu beschränken.
Regelungen zur Sanierung von kontaminiertem Erdreich sollten aufgrund der
Komplexität von Sanierungsvorgängen generell einer bodenschutzrechtlichen
Spezialregelung vorbehalten bleiben. Die im Richtlinienentwurf geregelte Aus-
nahme vom Anwendungsbereich (Artikel 2 Nr. 1 Buchstabe f) reicht nicht aus,
um die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die aufgrund des EuGH-Urteils ent-
standen ist. Denn bislang ist nicht klar, wann entsprechende gemeinschaftsrecht-
liche Vorschriften in Kraft treten werden. Zudem ergäbe sich bei der Beibehal-
tung der Regelung eine entsprechende Problematik im Hinblick auf belastete
Anlagen und Gebäude.

Der Deutsche Bundestag hält es für sinnvoll, bereits in die Richtlinie selbst eine
materiellrechtliche Regelung zur Dauer der Abfalleigenschaft aufzunehmen.
Das Komitologieverfahren, in dem laut EU-Kommission über das Ende der

Abfalleigenschaft entschieden werden soll (Artikel 11 Abs. 2 i. V. m. Artikel 36
Abs. 2), ist nicht hinreichend transparent sowie demokratisch unzureichend kon-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3318

trolliert und legitimiert. Es ist geeignet für technische Fragestellungen, aber
nicht für wesentliche politische Entscheidungen. Gegenüber dem Mitentschei-
dungsverfahren wären das Europäische Parlament und der Rat in wesentlich ge-
ringerem Maße einbezogen. Die Definition, wann die Abfalleigenschaft endet,
hat aber weitreichende Folgen auch für den Umweltschutz und sollte daher nach
Auffassung des Deutschen Bundestages nicht im Komitologieverfahren festge-
legt werden. Die Entscheidung über das Ende der Abfalleigenschaft, über die in
Frage kommenden Abfallströme und die entsprechenden Umwelt- und Quali-
tätskriterien sollte vielmehr in einem politischen Entscheidungsprozess unter
Mitwirkung des Parlaments, also im Mitentscheidungsverfahren gefällt werden.
Zu den Voraussetzungen für das Ende der Abfalleigenschaft muss nach Auffas-
sung des Deutschen Bundestages mindestens gehören, dass von dem betreffen-
den Gegenstand keine Gesundheitsgefährdung ausgeht.

Der Deutsche Bundestag weist darauf hin, dass die Abgrenzung von Abfall zu
(Neben-)Produkten (Artikel 3 Buchstabe a, Artikel 11 Abs. 1 und 2) von grund-
legender Bedeutung ist, weil davon abhängt, ob ein Gegenstand dem Regime der
Abfallrahmenrichtlinie unterfällt oder nicht. Der Deutsche Bundestag unter-
stützt das mit der Regelung in Artikel 11 verfolgte Anliegen, Sekundärprodukte,
-werkstoffe und -stoffe von der Abfalleigenschaft auszunehmen. Er plädiert je-
doch dafür, bereits in der Richtlinie selbst, im Kontext mit der Abfalldefinition
in Artikel 3, eine Regelung zur Abgrenzung zwischen Abfall und Nebenprodukt
einzuführen und dort materiellrechtlich die wesentlichen Kriterien zu regeln und
somit europaweit einheitliche Kriterien für ein hohes Schutzniveau vorzugeben
und so Rechtsunsicherheit zu vermeiden.

2. Zur Abfallhierarchie

Die EU-Kommission hat die Formulierung der sog. Abfallhierarchie (Artikel 1
Abs. 2) nach eigenem Anspruch modernisiert und an das Ziel gekoppelt, die
Umweltauswirkungen aus der Abfallerzeugung und Abfallbewirtschaftung ins-
gesamt zu reduzieren.

Der Deutsche Bundestag hält eine Klarstellung dergestalt für sinnvoll, dass
grundsätzlich alle Formen der Verwertung als gleichwertige Optionen zu be-
trachten sind. Die energetische Verwertung sollte deshalb ausdrücklich neben
dem Recycling genannt werden. Vorrang sollte grundsätzlich die umweltver-
träglichere Verwertungsart haben, wenn und soweit sie wirtschaftlich zumutbar
ist. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung aller Phasen im Lebenszyklus eines
Produktes im Rahmen der von der EU-Kommission angestrebten Lebenszyklus-
analyse (vgl. z. B. den 6. Erwägungsgrund des Entwurfs der Abfallrahmenricht-
linie) wäre es kontraproduktiv, von einer starren Abfallhierarchie auszugehen.
Dies wird beispielsweise bei der Betrachtung von Altkunststoffen aus Kraftfahr-
zeugen deutlich. Der Einsatz von Kunststoffen im Automobilbereich hat zu
einer deutlichen Gewichtseinsparung geführt. Quotenvorgaben für die stoffliche
Kunststoffverwertung können hier schädlich sein, weil sie die Leichtbauweise
behindern. Denn es ist einfacher, spezifisch schwereren Stahlschrott zu trennen
und stofflich zu verwerten als die verschiedenen Kunststoffkomponenten. Ver-
wertungsvorgaben wie in der Altfahrzeugrichtlinie konterkarieren so eine
klima- und energiepolitisch sinnvolle Umstellung auf leichtere Fahrzeuge. Die
aktuellen Vorgaben führen zudem zu wesentlich höherem Behandlungsaufwand
und höheren Kosten, die ökologisch nicht zu rechtfertigen sind.

3. Zur Abgrenzung der Abfallverwertung von der Abfallbeseitigung

Hauptproblem der Definitionen von „Verwertung“ und „Beseitigung“ in der
Abfallrahmenrichtlinie ist laut EU-Kommission derzeit, dass die Begriffe für

unterschiedliche Zwecke verwendet werden. In den Richtlinien zum Recycling
werden auf ihrer Grundlage Zielvorgaben formuliert, in der Abfallverbringungs-

Drucksache 16/3318 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

verordnung werden sie verwendet um zu ermitteln, ob die Binnenmarktregeln
auf Abfallverbringungen anwendbar sind oder nicht. Die EU-Kommission
schlägt eine Änderung der Abfallrahmenrichtlinie dahingehend vor, dass sich
die Definition von „Verwertung“ auf das Prinzip der Ersetzung von Ressourcen
innerhalb der Wirtschaft als Ganzem (und nicht innerhalb einer bestimmten
Anlage) stützt. Daneben soll es durch die Änderungen möglich werden, durch
neue Technologien und Praktiken aufgeworfene Umweltfragen fallweise im
Rahmen des Komitologieverfahrens zu behandeln. Die EU-Kommission schlägt
zur Abgrenzung der energetischen Verwertung von der Müllverbrennung (Ab-
fallbeseitigung) eine Änderung der Abfallrahmenrichtlinie dahingehend vor,
dass eine Energieeffizienzschwelle eingeführt wird, oberhalb derer die Ver-
brennung von Siedlungsmüll als Verwertung angesehen wird (Artikel 5 i. V. m.
Anhang II, R1). Es würden im Ergebnis vorwiegend solche Anlagen als Ver-
wertungsanlagen anerkannt, die vorwiegend Wärme abgeben bzw. die KWK-
Anlagen (KWK: Kraft-Wärme-Kopplung) sind.

Die bisherigen Verwertungsdefinitionen führen auf nationaler und europäischer
Ebene zu Rechtsunsicherheit. Der Deutsche Bundestag plädiert deshalb für eine
klare Abgrenzung der Abfälle zur Verwertung von den Abfällen zur Besei-
tigung. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen kommt der Unterscheidung
erhebliche Bedeutung zu. Die Zuordnung entscheidet darüber, ob Abfälle unter
die Warenverkehrsfreiheit (Artikel 28 bis 30 des EG-Vertrags) fallen und damit
gemäß den Vorschriften der EU-Abfallverbringungsverordnung nur mit einge-
schränkten Zugriffsrechten der Herkunftsstaaten verbracht werden dürfen, oder
ob die Herkunftsstaaten aufgrund der Prinzipien der Nähe und Entsorgungs-
autarkie Einspruchsrechte zugunsten der Auslastung inländischer Beseitigungs-
anlagen haben. In Deutschland ist die Abgrenzung zwischen Verwertung und
Beseitigung derzeit noch die entscheidende Schnittstelle zwischen der privat-
wirtschaftlich organisierten und der öffentlich-rechtlich organisierten Entsor-
gungswirtschaft. Die Begriffe der Abfallverwertung und der Abfallbeseitigung
sollten nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit in der Abfallrahmenricht-
linie selbst und in den Anhängen I und II konkretisiert werden. Das Ausschuss-
verfahren, in dem laut EU-Kommission über die Abgrenzung zwischen Ver-
wertung und Beseitigung entschieden werden soll (Artikel 5 Abs. 2 i. V. m. Arti-
kel 36 Abs. 2), ist auch hier aus den bereits genannten Erwägungen ungeeignet.

Bezüglich der Frage, wann eine energetische Verwertung (Artikel 5 u. Anhang II)
vorliegt, hält der Deutsche Bundestag das von der EU-Kommission vorgeschla-
gene Energieeffizienzkriterium zur Eingrenzung des Verwertungsbegriffs für
ungeeignet, da danach u. U. von der geografischen Lage einer Anlage abhängig
ist, ob die Verbrennung als Verwertung gilt oder nicht. Tendenziell würden An-
lagen in Nordeuropa (langer Winter mit besonderem Heiz- oder Fernwärmebe-
darf) eher die Verwertungsschwelle erreichen, als solche in Südeuropa. Bisher
bewährte Verwertungsverfahren könnten zukünftig nur noch als Beseitigung
eingestuft werden. Anstelle von Effizienzkriterien sollten nach Auffassung des
Deutschen Bundestages insoweit Kriterien entwickelt werden, die auf besten
verfügbaren Techniken beruhen. Mit der Bezugnahme auf Referenzdokumente
zur bestverfügbaren Technik (sog. BREF-Dokumente) würden wesentlich mehr
Kriterien als nur ein einziges Energieeffizienzkriterium berücksichtigt, d. h. es
könnte so eine qualitativ hochwertige Abfallverwertung gewährleistet werden.

Im Übrigen muss sich die in dem Entwurf der Abfallrahmenrichtlinie vorgese-
hene umfassende Verwertungspflicht (Artikel 5 Nr. 1) entsprechend dem Ver-
hältnismäßigkeitsprinzip an der technischen Machbarkeit und wirtschaftlichen
Zumutbarkeit orientieren.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/3318

4. Vereinfachung durch Angleichung der Bestimmungen und Integration von
Bestimmungen

Im Rahmen der Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie soll der bestehende
Rechtsrahmen vereinfacht werden. Die EU-Kommission anerkennt aufgrund
jüngster Analysen auf der Grundlage des Lebenszykluskonzepts, dass der Vor-
rang, der der Altölaufbereitung gegenüber der Verwendung als Brennstoff bisher
eingeräumt wurde, nicht durch eindeutige ökologische Vorteile gerechtfertigt ist
(vgl. Erwägungsgrund 20, Artikel 18 der Novelle). Die Richtlinie 75/439/EWG
über die Altölbeseitigung soll deshalb aufgehoben und durch eine neue Bestim-
mung in der Abfallrahmenrichtlinie ersetzt werden, mit der die Mitgliedstaaten
weiterhin verpflichtet werden, Altöl zu sammeln, der Aufbereitung jedoch kein
Vorrang mehr eingeräumt wird. Die Richtlinie 91/689/EWG über gefährliche
Abfälle wird in die Abfallrahmenrichtlinie integriert. Überschneidungen zwi-
schen den Genehmigungsverfahren nach der Abfallrahmenrichtlinie und der
Richtlinie 96/61/EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminde-
rung der Umweltverschmutzung werden beseitigt (vgl. Artikel 20).

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Rechtsvereinfachung und Deregulierung.
Laut einer Ökobilanz des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2000 war der
Vorrang der Aufarbeitung von Altöl zu Grundöl im Vergleich zur thermischen
Verwertung des Altöls schon damals ökologisch nicht zu begründen. Die Bun-
desregierung hatte dennoch der Aufarbeitung von Altölen zu Grundöl durch eine
entsprechende Regelung in der Altölverordnung Vorrang eingeräumt. Begründet
wurde dies auch unter Bezugnahme auf ein Urteil des EuGH vom 9. September
1999 (Rechtssache C-102/97). Zusätzlich zur Regelung des Aufarbeitungsvor-
rangs hatte die Bundesregierung die Aufarbeitung von Altöl zu Grundöl jedoch
auch finanziell subventioniert, obwohl der EuGH ausdrücklich ausgeführt hatte,
dass es „[…] nicht Aufgabe des Gerichtshofes [sei], festzustellen, welche Maß-
nahme ein Mitgliedstaat hätte treffen müssen, um Artikel 3 Absatz 1 der Richt-
linie 75/439 in der geänderten Fassung durchzuführen.“ Die Aufhebung des
Aufarbeitungsvorrangs ist somit überfällig. Der konkrete Verwertungsweg kann
dem Markt überlassen bleiben. Im Hinblick auf die Aufhebung der Altölrichtli-
nie und ihre Überführung in die Abfallrahmenrichtlinie sollte nach Auffassung
des Deutschen Bundestages im Übrigen klargestellt werden, dass die Altöl be-
treffenden Regelungen auch synthetische Altöle umfassen.

5. Zur Ausdehnung der Vorgaben an die Abfallbewirtschaftungsplanung (Kapi-
tel VI Abschnitt 1) und zur Forderung nach der Aufstellung eigener Abfall-
vermeidungsprogramme oder deren Aufnahme in Abfallwirtschaftspläne
(Kapitel VI Abschnitt 2 Artikel 29)

Die EU-Kommission will die Abfallbewirtschaftungsplanung ausdehnen, ins-
besondere auch auf die Verwertung. Zudem soll im Rahmen der Novelle der
Abfallrahmenrichtlinie auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Entwick-
lung einzelstaatlicher Abfallvermeidungsprogramme neu eingeführt werden
(vgl. Artikel 1 Abs. 2 und Artikel 29 ff.).

Die Ausdehnung der Abfallbewirtschaftungspläne auf die Verwertung hätte nur
zusätzliche bürokratische Belastungen zur Folge, ohne dass damit in ökologi-
scher Hinsicht ein Vorteil verbunden wäre. Anders als bei Beseitigungsanlagen
entzieht sich die Verwertung von Abfällen staatlicher Planung. Unternehme-
rische Entscheidungen über Investitionen in Verwertungstechniken und über
Betriebsansiedlungen lassen sich nicht durch staatliche Pläne vorwegnehmen.
Die Vorgaben für die Abfallbewirtschaftungsplanung sollten nach Auffassung
des Deutschen Bundestages auf das erforderliche Maß beschränkt werden, ins-
besondere sind die Regelungen auf diejenigen Abfälle zu begrenzen, auf die die
Mitgliedstaaten planerisch Einfluss nehmen können.

Drucksache 16/3318 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag lehnt die generelle Pflicht zur Aufnahme von Abfall-
vermeidungsprogrammen ab. Die Pflicht zur Festlegung obligatorischer Ver-
meidungsquoten sowie von entsprechenden Zeitplänen und Maßnahmen würde
staatliche Eingriffe in betriebliche Abläufe (Produktion) und Produkte und
damit in unternehmerische Entscheidungen sowie Märkte verlangen. Die staat-
liche Lenkung wirtschaftlichen Geschehens widerspricht der deutschen wie der
europäischen marktwirtschaftlichen Ausrichtung. Hinsichtlich der in Haushal-
ten anfallenden Abfälle müssten konkrete Vermeidungsprogramme an den
schwer steuerbaren Konsumverhalten scheitern. Es muss davon ausgegangen
werden, dass die vorgeschlagenen Programme mit hohen bürokratischen und ad-
ministrativen Verpflichtungen verbunden wären. Diese Verpflichtungen wären
kaum handhabbar und unter Verhältnismäßigkeitsaspekten nicht zu rechtfer-
tigen. In der Recyclingstrategie begründet die EU-Kommission ihren Verzicht
auf die Vorgabe von Abfallvermeidungszielen für die EU damit, dass dies auch
ökologisch gesehen nicht der effizienteste Weg wäre, Abfall zu vermeiden. Nach
Auffassung des Deutschen Bundestages gilt dies für die Ebene der einzelnen
Mitgliedstaaten ebenso. Das unterstützenswerte Ziel der Abfallvermeidung
sollte allenfalls als Programmsatz mit appellativem Charakter in der Abfallrah-
menrichtlinie erhalten bleiben.

6. Keine Ausweitung der Entsorgungsautarkie auf bestimmte Abfälle zur Ver-
wertung

Im Rahmen der Diskussion über die Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie
wird unter anderem durch die Bundesregierung die Ausweitung der Entsor-
gungsautarkie auf bestimmte Abfälle zur Verwertung gefordert. Entsprechend
den Regelungen der novellierten EG-Abfallverbringungsverordnung, in der zum
Schutz der kommunalen Entsorgungsstrukturen eine „Hausmüllklausel“ einge-
führt worden ist, wonach alle Abfälle aus privaten Haushalten den Kommunen
zu überlassen sind, soll nach Vorstellung der Bundesregierung nun auch in die
Abfallrahmenrichtlinie eine entsprechende Klausel eingeführt werden. Ziel ist
es, die Entsorgungsautarkie für Abfälle zur Beseitigung um gemischte Abfälle
aus privaten Haushaltungen zu erweitern, die diese Abfälle auch in jenen Fällen
erfassen soll, in denen diese einer Verwertung zugeführt werden. Den Regelun-
gen der Abfallverbringungsverordnung folgend soll sich diese Klausel auch auf
diejenigen Abfälle aus anderen Herkunftsbereichen erstrecken, die mit den
Haushaltsabfällen gemeinsam erfasst werden.

Der Deutsche Bundestag lehnt eine Abschottung der nationalen Märkte und eine
Rückkehr zur Staatswirtschaft im Sinne einer Marktaufteilung zugunsten kom-
munaler Entsorgungsstrukturen im Bereich der Verwertungsabfälle kategorisch
ab. Die Ausweitung der Entsorgungsautarkie ist mit Umweltschutzerwägungen
nicht zu begründen und ist damit kein legitimes Ziel im Rahmen der Überarbei-
tung des europäischen Abfallrechts. Es handelt sich dabei nicht um wirkliche
Umweltschutzmaßnahmen, sondern um Regelungen zur Aufteilung des Mark-
tes, die mit ökologischen Scheinargumenten kaschiert werden sollen. Ziel muss
es sein, europaweit einheitliche Umweltstandards umzusetzen, so dass es unter
ökologischen Gesichtspunkten im Hinblick auf den Verwertungsprozess grund-
sätzlich egal ist, wo verwertet wird. Der Deutsche Bundestag lehnt daher die von
der Bundesregierung angestrebte Sicherung der öffentlichen Entsorgungsstruk-
turen auch auf europäischer Ebene ab. Im Ergebnis würde der Abfallentsor-
gungsmarkt in Deutschland, in dem Abfälle zur Verwertung grundsätzlich durch
Private entsorgt werden und öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger für die Ab-
fallbeseitigung zuständig sind, europarechtlich zementiert. Das wäre ein Rück-
schritt auf dem Weg zu einer stärkeren Verantwortung der Privatwirtschaft für
die Abfallentsorgung im Sinne des Verursachergedankens. Es wäre zudem öko-
logisch und ökonomisch kontraproduktiv, wenn der im Bereich der Abfälle zur

Verwertung derzeit funktionierende Binnenmarkt zerstört würde. Die Kompe-
tenz und das Kapital Privater sollen weiterhin im Bereich der Abfallentsorgung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/3318

genutzt werden. Die Öffnung der Märkte und der damit einhergehende Wett-
bewerb auf dem Abfallentsorgungsmarkt haben die Entwicklung zu hohen und
europaweit einheitlichen Umweltstandards angestoßen und zu Innovationen bei-
getragen. Zudem garantiert der Binnenmarkt eine wirtschaftlich vernünftige
Abfallbewirtschaftung.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in den Beratungen im Rat entsprechend den vorstehend genannten Kritik-
punkten Einfluss zu nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass die zugehörigen
Fehlregelungen vermieden werden, insbesondere dass unnötige und nicht
sachgerechte Belastungen sowie verzichtbarer Verwaltungs-, Kontroll- und
Bürokratieaufwand von vornherein vermieden wird;

2. in den Beratungen im Rat darauf hinzuwirken, dass der Abfallbegriff auf be-
wegliche Sachen beschränkt wird und die Abgrenzung zwischen Abfall und
(Neben-)Produkt sowie das Ende der Abfalleigenschaft in der Richtlinie
selbst konkretisiert werden und die Abgrenzung nicht ausschließlich dem
Komitologieverfahren überlassen bleibt;

3. sich in den Verhandlungen für eine flache und flexible Ausgestaltung der Ab-
fallhierarchie einzusetzen; insbesondere sollte die energetische Verwertung
grundsätzlich der stofflichen gleichgestellt und der Vorrang der umwelt-
freundlicheren Verwertungsart eingeräumt werden, soweit diese technisch
möglich und wirtschaftlich zumutbar ist;

4. sich in den Verhandlungen für eine klare Abgrenzung der Verwertungsver-
fahren von den Beseitigungsverfahren einzusetzen und dabei hinsichtlich der
energetischen Verwertung nicht auf die unbrauchbare Energieeffizienzklau-
sel, sondern auf den in BREF-Dokumenten beschriebenen Stand der Technik
abzustellen;

5. sich dafür einzusetzen, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EU-
Kommission beste verfügbare Techniken zur Abfallbewirtschaftung ent-
wickeln, die hohe Umweltstandards festlegen;

6. in den Beratungen darauf hinzuwirken, dass die Abfallwirtschaftsplanung
nicht um Verwertungsanlagen erweitert wird und dass davon Abstand ge-
nommen wird, in die Richtlinie eine Pflicht zur Erstellung von Abfallvermei-
dungsplänen aufzunehmen;

7. von Plänen der Ausweitung der Entsorgungsautarkie Abstand zu nehmen und
sich stattdessen für die Entwicklung eines Binnenmarkts für Abfallrecycling
auf der Basis gleicher hoher ökologischer Standards einzusetzen und

8. die Privatisierung der Abfallwirtschaft weiter voranzubringen. Auf nationaler
Ebene sollten zunächst die Verwertung und Beseitigung hausmüllähnlicher
Gewerbeabfälle vollständig privatisiert werden und sodann die Hausmüll-
entsorgung perspektivisch in privatwirtschaftliche Verantwortung überführt
werden.

Berlin, den 7. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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