BT-Drucksache 16/3301

Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung

Vom 8. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3301
16. Wahlperiode 08. 11. 2006

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Otto Fricke, Rainer Brüderle, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam
Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion
der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung

A. Problem

Die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Vorstellungen durch Sozialisierungen
sowie die Vergesellschaftung als Mittel der Wirtschaftspolitik generell haben
sich überlebt. Allein die Existenz des Artikels 15 des Grundgesetzes (GG) stellt
daher eine potenzielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik
Deutschland dar, da sie eine gesetzliche Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen
bedeutet.

B. Lösung

Die Ermächtigungsnorm des Artikels 15 GG ist obsolet und deshalb aufzu-
heben.

C. Alternativen

Keine
D. Kosten

Keine

Drucksache 16/3301 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1
Abschaffung der Sozialisierung

Artikel 15 GG wird ersatzlos gestrichen.

§ 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 8. November 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

nalen Recht und im Europäischen Gemeinschaftsrecht wird gen Verfassungswirklichkeit ist der Artikel 15 GG daher be-
deutungslos geworden.
die Sozialisierung als Eingriff in das Eigentum behandelt.

Mit Blick auf Artikel 19 Abs. 1 GG ist lediglich die all-
gemeine Sozialisierung, nicht aber die Sozialisierung nur

Eine Streichung des Artikels 15 GG würde die Achtung des
Gesetzgebers vor dem Eigentum und dem verantwortungs-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3301

Begründung

A. Allgemeines

Artikel 15 des Grundgesetzes (GG) ging aus der Weimarer
Reichsverfassung von 1919 hervor. Die Überführung von
Unternehmen in Gemeineigentum wurde in der Nachkriegs-
zeit von vielen als zulässiges Mittel der Wirtschaftspolitik
betrachtet.

Für die SPD des Jahres 1949 war die in Artikel 15 GG
grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, bei entsprechender
Mehrheit im Parlament eine grundlegende Umgestaltung der
Wirtschaftsordnung vornehmen zu können, ein wichtiges
Argument für die Zustimmung zum Gesamtwerk des Grund-
gesetzes trotz aus ihrer Sicht bestehender Unvollkommen-
heiten.

Die Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen
und Produktionsmitteln ist in Artikel 15 GG geregelt wor-
den. Dieser sieht eine Überführung in Gemeineigentum
oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft vor. Der Be-
griff der Gemeinwirtschaft entzieht sich einer präzisen De-
finition. Die Entschädigungsregel ist analog zu Artikel 14
Abs. 3 GG, der sich mit der Enteignung zum Wohle der All-
gemeinheit generell befasst, ausgestaltet. Die Sozialisierung
nach Artikel 15 GG muss als eigenständiges Rechtsinstitut
gegenüber der Enteignung nach Artikel 14 Abs. 3 GG ange-
sehen werden. Sie bezieht sich ausschließlich auf Grund
und Boden, Naturschätze sowie Produktionsmittel und ent-
faltet ihre Wirkung insofern als Ermächtigung zum Eingriff
in die Wirtschaftsverfassung. Die spezifisch wirtschafts-
politische Ausrichtung zeigt sich auch daran, dass anders
als bei der Enteignungsnorm nach Artikel 14 Abs. 3 GG
keine Bindung an das Gemeinwohl expressis verbis vorge-
sehen ist.

Der Begriff der Vergesellschaftung in Artikel 15 GG ist
lediglich ein anderes Wort für Sozialisierung. Die Vergesell-
schaftung stellt eine alte Forderung sozialistischer Parteien
dar. Die Sozialisierung von Produktionsmitteln sollte der
wesentliche Schritt zur Überwindung des Kapitalismus sein.
Mittels der Vergesellschaftung wollte der Sozialismus den
bürgerlich-liberalen Kapitalismus durch ein System der Ge-
meinwirtschaft ersetzen, das den besitzlosen Schichten kol-
lektive Verfügungsmacht über das Wirtschaftseigentum ver-
schaffen sollte.

Artikel 15 GG ermächtigt den Gesetzgeber, zwangsweise in
Eigentumsrechte einzugreifen. Unter dem Begriff Produk-
tionsmittel versteht die herrschende Lehre wörtlich die „Mit-
tel der Produktion“, und zwar die der Produktion unmittelbar
dienenden Betriebsanlagen (Gebäude, Maschinen, Werkzeu-
ge), die für die Produktion verwandten Betriebsmittel (Roh-
stoffe, Halbfabrikate) und die in der Produktion eingesetzten
Urheberrechte (Patente, Warenzeichen). Auch im internatio-

Es ist in der Bundesrepublik Deutschland nie zu Sozialisie-
rungen gekommen. Der wirtschaftliche und politische Zu-
sammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung auf der
Basis des Modells der sozialen Marktwirtschaft haben die
Irrelevanz des Artikels 15 GG untermauert. Auch die Recht-
fertigung des Artikels als innenpolitisches Ventil ist nicht
tragbar. Der Zusammenbruch der DDR hat gezeigt, dass eine
sozialistische oder auch gemeinwirtschaftliche Alternative
in dieser Form nicht existiert. Die Einigungsverträge haben
ein Weiteres getan, die derzeitige Wirtschafts- und Eigen-
tumsverfassung normativ zu verfestigen. Bei der Regelung
offener Vermögensfragen stand die Alternative, in den neuen
Bundesländern Volks- und genossenschaftliches Eigentum
in einem von Artikel 15 GG zugelassenen Maße in gemein-
wirtschaftlichen Formen zu belassen, nie zur Diskussion.
Die von der sozialistischen Lehre unter dem spezifischen
Gesichtspunkt der Verwirklichung des Sozialismus ent-
wickelten Formen der Sozialisierung sind für den deutschen
Gesetzgeber ohnehin nicht verbindlich; er könnte, er müsste
sie aber nicht zugrunde legen, wenn er sich für eine Soziali-
sierung einzelner Produktionsmittel oder von Grund und Bo-
den entschiede. Aber allein die Existenz des Artikels 15 GG
stellt eine potenzielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung der
Bundesrepublik Deutschland dar, da sie eine gesetzliche Er-
mächtigung zu Grundrechtseingriffen bedeutet. Sie passt
auch nur sehr bedingt in die Gesamtkonzeption des GG, die
von der freien Persönlichkeitsentfaltung und der Eigen-
verantwortlichkeit des Individuums ausgeht. Die Verstaat-
lichung ganzer Wirtschaftssektoren ist außerdem nicht mit
Artikel 98 EG-Vertrag vereinbar, wonach die Mitgliedstaa-
ten und die Gemeinschaft im Einklang mit dem Grundsatz
einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb han-
deln sollen.

Eine ersatzlose Streichung des Artikels 15 GG trägt den Er-
fahrungen Rechnung, die seit 1949 auch weltweit mit dem
Institut der Vergesellschaftungen als wirtschaftspolitischem
Instrument gemacht worden sind. Nach dem Erfolg der so-
zialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland
und angesichts des Niedergangs der planwirtschaftlich be-
stimmten Wirtschaftsordnungen sind die Sozialisierungsfor-
derungen aus den politischen Programmen der großen poli-
tischen Parteien nicht nur in Deutschland verschwunden.
Der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch der
DDR dürfte bewirken, dass auch längerfristig in der Bundes-
republik Deutschland Sozialisierungsforderungen keine Be-
deutung in der politischen Auseinandersetzung gewinnen
werden.

Alle bedeutenden politischen Kräfte der Bundesrepublik
Deutschland sind sich in ihrer Unterstützung der marktwirt-
schaftlichen Ordnung auf der Grundlage im Privateigentum
stehender Wirtschaftsunternehmen einig. In der gegenwärti-
bestimmter einzelner Eigentumsobjekte, wie z. B. nur einer
Fabrik, zulässig.

vollen Umgang damit sowie die Überzeugung dokumentie-
ren, dass sich wirtschaftspolitische Ziele mit der Vergesell-

Drucksache 16/3301 destag – 16. Wahlperiode

– 4 – Deutscher Bun

schaftung unter anderem von Produktionsmitteln nicht
erreichen lassen. Damit ist zugleich ein nachdrückliches Be-
kenntnis des Gesetzgebers zur sozialen Marktwirtschaft ver-
bunden.

B. Einzelbegründung

Zu § 1 (Abschaffung der Sozialisierung)

Zum Erhalt einer sich dynamisch weiterentwickelnden so-
zialen Markwirtschaft ist die Streichung der Sozialisierung
aus dem Grundgesetz alternativlos, da diese als wesentliches
Kernelement die Freiheit und nicht die Vergesellschaftung
voraussetzt.

Zu § 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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