BT-Drucksache 16/3093

Kosovo-Verhandlungen - für eine neutrale Moderation und eine eigenverantwortliche und einvernehmliche Lösung zwischen Serbien und den Kosovo-Albanern

Vom 25. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3093
16. Wahlperiode 25. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger-Neuling, Dr. Hakki Keskin, Katrin
Kunert, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi,
Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Kosovo-Verhandlungen – für eine neutrale Moderation und eine eigenverant-
wortliche und einvernehmliche Lösung zwischen Serbien und den Kosovo-
Albanern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die selbsternannte Kontaktgruppe, bestehend aus Deutschland, Russland,
Frankreich, Italien, den USA und Großbritannien, beansprucht als externer
Akteur faktisch eine Regulierungs- und Gestaltungskompetenz in der Bal-
kanregion. Jedoch ist sie keine internationale Regierungsorganisation mit
völkerrechtlich verbindlicher Weisungsberechtigung gegenüber anderen
Völkerrechtssubjekten. Daher ist ihre selbsternannte Zuständigkeit nur dann
völkerrechtlich zulässig, wenn sie sich auf die Rolle der neutralen Modera-
tion („Gute Dienste“) zwischen den Konfliktparteien beschränkt – und dies
auch nur bei ausdrücklicher Zustimmung der Konfliktparteien.

Eine neutrale Moderationsfähigkeit der Kontaktgruppe ist angesichts der
Tatsache, dass fünf der sechs Kontaktgruppenmitglieder ehedem kriegfüh-
rende Staaten gegen Serbien waren, mehr als fragwürdig. Hinzu kommt,
dass Mitglieder der Kontaktgruppe offen und öffentlich, noch vor und wäh-
rend der Verhandlungsphase, Partei für die Forderung der Kosovo-Albaner
ergreifen, indem sie einen wie auch immer zu bezeichnenden Status, der der
staatlichen Unabhängigkeit des Kosovo gleichkommt, befürworten und so-
mit der Druck für notwendige Kompromisse auf kosovo-albanischer Seite
gemindert wird.

2. Die überwiegend albanische Bevölkerung Kosovos – geführt durch den
Ministerpräsidenten Agim Ceku, einem seitens der serbischen Regierung be-
schuldigten und gesuchten Kriegsverbrecher und ehemaligen UCK-Kom-
mandeur – will eine Ablösung der Provinz erreichen. Würde die Kontakt-
gruppe dieser Haltung zum Durchbruch verhelfen, wäre das Ergebnis
neuester europäischer Geschichte die Herausbildung nationalistischer Klein-
staaterei unter Bezugnahme auf ethnische Identitäten.

3. Den nicht-albanischen Volksgruppen wird im Kosovo das volle gesellschaft-
liche Leben bis dato nicht ermöglicht. Im Gegenteil: Die Serben und auch
Roma leben unter ständigem Druck und ihre Bewegungsfreiheit ist extrem
eingeschränkt. Es ist zu befürchten, dass ein unabhängiges Kosovo den
Serben die ohnehin schwierigen Existenz- und Lebensbedingungen noch
weiter nehmen würde, da die von Belgrad nach wie vor garantierten Über-

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lebensstrukturen (Finanzierung von Schulen, der Universität, der Renten,
des Gesundheitssystems etc.) abbrächen. Die absehbare Folge wäre ein
monoethnisches Kosovo. Dieses jedoch stünde im krassen Gegensatz zu der
in UN-Resolution 1244 genannten Verpflichtung der internationalen Ge-
meinschaft zur Bewahrung und Entwicklung einer multiethnischen Gesell-
schaft. Eine Verpflichtung, mit der die NATO unter anderem ihren völker-
rechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 begründete.

4. Der rechtliche Status der serbischen Provinz Kosovo ist seit dem Kriegsende
1999 seitens des UNO-Sicherheitsrates in Form der Resolution 1244 fest-
geschrieben. Kosovo ist ein integraler Bestandteil der Bundesrepublik Jugos-
lawien und seiner Rechtsnachfolger dem Staatenbund Serbien und Monte-
negro sowie dem nun mehr souveränen Staat Serbien. Im Sinne dieser
Resolution ist lediglich die qualitative Ausgestaltung der substantiellen Auto-
nomie innerhalb Serbiens festzulegen. Die serbische Regierung verweist
daher in den Verhandlungen auf das Völkerrecht. Eine Sezession würde die
Teilung Serbiens bedeuten.

5. Die Sezession der Provinz würde einen regionalen (Europa) Präzedenzfall
im modernen Völkerrecht darstellen. Der Versuch, dem Präzedenzfallcha-
rakter mit dem Hinweis der Einzigartigkeit der Kosovoproblematik zu ent-
gegnen, greift nicht. Jeder Staat ist gekennzeichnet durch Einzigartigkeiten,
seien es historische, soziale, kulturelle etc. Angesichts dessen unterliegt
jeder einzelne Fall einer angestrebten Sezession einer spezifischen Einzig-
artigkeit. Dem übergeordnet besteht jedoch ein alles regulierendes gemein-
sames Moment – die politische und rechtliche Ebene.

6. Die Folgewirkungen des Präzedenzfalles könnten sich in anderen Teilen
Europas und im GUS-Raum zeigen und verweisen auf die Bedeutung, die
dieser Problematik innewohnt.

Bereits jetzt signalisieren die einseitigen zu Gunsten der Unabhängigkeit ge-
richteten Statusverhandlungen der serbischen Provinz Kosovo den eben so
sezessionsorientierten Transnistriern (Moldawien), Südossetien, Abchasen
(Georgien) und bosnischen Serben (Bosnien) auch ihren Anspruch auf ex-
terne Selbstbestimmung geltend machen zu können.

Deutschland gehört der Kontaktgruppe an; die Bundesregierung liefert aber
keine konsistenten Antworten auf die Frage, wie sie es mit den völkerrecht-
lichen Regelungen im Bereich des Selbstbestimmungsrechts und der Sezes-
sion hält. Offensichtlich vermeidet sie eine konsistente Position, um Fragen
der Sezession gemäß ihrer Interessenpolitik zu handhaben.

7. Für die serbische Regierung und Gesellschaft führt die inkonsistente Aner-
kennungs- und Unterstützungspolitik gegenüber den diversen Republiks-
und Provinzakteuren in der jugoslawischen Föderationshierarchie in Fragen
der Sezession bzw. Dismembration zu einer nachhaltigen Irritation hinsicht-
lich des westlichen Verständnisses von Verfassungs- und Völkerrecht.

8. Sollte gegen den Willen Serbiens mit oder ohne eine neue UNO-Resolution
eine Sezession der serbischen Provinz Kosovo durchgesetzt werden, weil die
Kontaktgruppenstaaten das so wollen, könnte dies einen Bruch und infolge
dessen eine weitere Erosion des internationalen Rechts bedeuten. Auf dem
Territorium Serbiens würde mit Duldung oder gar Förderung der internatio-
nalen Gemeinschaft ein auf Gewalt und Vertreibung basierender Kleinststaat
geboren. Es ist fraglich, ob der UNO-Sicherheitsrat die Befugnis besitzt, ge-
gen den Willen eines souveränen Staates auf dessen Territorium gewaltsame
Grenzveränderungen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist nicht aus-
zuschließen, dass Serbien als gleichberechtigtes Völkerrechtssubjekt sich
nicht verpflichtet sieht, einen gegen seinen Willen getroffenen UN-Resolu-
tionsbeschluss zu akzeptieren, was zu einer Erhöhung der Instabilität in der
Region führen könnte.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3093

9. Ein tragfähiges und stabiles Verhandlungsergebnis kann nur und ausschließ-
lich eigenverantwortlich und im gegenseitigen Einvernehmen zwischen den
beiden Konfliktparteien, das heißt der Zentralregierung in Belgrad und der
Provinzregierung in Pristina, erzielt werden. Alle anderen Wege zu einem
neuen Ergebnis würden den Keim neuer Verwerfungen in sich tragen und
eine stabile und nachhaltige Friedensordnung untergraben.

10. Das Kosovo-Serbien-Problem wird nicht gelöst, indem eine alte Minder-
heiten- und Flüchtlingsproblematik durch eine neue ersetzt wird. Dies
schafft vielmehr neues Leid. Die Minimierung des Leidens der betroffenen
Menschen, über die entschieden wird, muss im Vordergrund stehen und
nicht die strategischen Interessen externer Akteure. Die bisherigen Ord-
nungsversuche externer Akteure in der Geschichte Südosteuropas sind eine
Dokumentation von Fehlschlägen zu Lasten der Menschen in der Region.

Als einzig verbindliche Vorgabe der internationalen Gemeinschaft kann
daher nur das Gleichberechtigungsprinzip in allen Fragen der Selbstbestim-
mung gelten: Es gilt, dieselbe Qualität an Unabhängigkeit oder Autonomie
herauszubilden für Kosovoserben und -serbinnen und weitere Minderheiten
wie für Kosovoalbaner und -albanerinnen.

Die internationale Gemeinschaft wäre in diesem Sinne für die Über-
wachung der Umsetzung der eigenverantwortlich und einvernehmlich ge-
fundenen Lösung verantwortlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich als Mitglied der Kontaktgruppe dafür einzusetzen, dass die Funktion
der Kontaktgruppe nach Maßgabe des internationalen Rechts sich auf die
Moderation beschränkt;

2. sich als Mitglied der Kontaktgruppe dafür einzusetzen, dass die Kontakt-
gruppe die Souveränität und die territoriale Integrität Serbiens gemäß der
UN-Resolution 1244 achtet und keine Parteinahme für eine der beiden Sei-
ten vornimmt, wodurch die Kompromissbereitschaft unterminiert wird;

3. als Mitglied der Kontaktgruppe auf die Kontaktgruppe einzuwirken, nur
eine Statusänderung der serbischen Provinz Kosovo zu unterstützen, die
eigenverantwortlich und im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Belgrad
und Pristina und unter Wahrung des Gleichberechtigungsprinzips in allen
Fragen der Selbstbestimmung erzielt wird. Ziel muss eine Minimierung
des Leidens der Menschen vor Ort sein;

4. auf die Kontaktgruppenmitglieder hinzuwirken, ihre strategischen Interes-
sen den Interessen der betroffenen Völker unterzuordnen;

5. in der Kontaktgruppe darauf hinzuwirken, dass auf eine gegen den Willen
Serbiens erfolgende und somit völkerrechtsfragwürdige Entscheidung des
UNO-Sicherheitsrates zur Sezession der Provinz verzichtet wird;

6. eine UN-Sicherheitsratsresolution zu unterstützen, die die eigenverant-
wortliche und einvernehmliche Lösung zwischen Belgrad und Pristina
völkerrechtlich abstützt, sofern eine alternative Statuslösung zu der in
UN-Resolution 1244 bereits formulierten, gefunden wird;

7. die völkerrechtlichen Grundlagen des internen und externen Selbstbestim-
mungsrechts zu respektieren und diesbezüglich eine einheitliche Außen-
politik zu verfolgen;

8. auf die Verfolgung aller Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien
ungeachtet ihrer Ethnie zu drängen.

Berlin, den 24. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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