BT-Drucksache 16/3073

Handels- und Investitionspolitik der Europäischen Union

Vom 20. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3073
16. Wahlperiode 20. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Heike Hänsel, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Handels- und Investitionspolitik der Europäischen Union

Am 24. Juli 2006 empfahl der WTO-Generalsekretär Pascal Lamy (WTO=Welt-
handelsorganisation) die unbefristete Aussetzung der WTO-Verhandlungen. Die
Bundesregierung hat in einer Vielzahl von Stellungnahmen bekundet, dass sie
dem erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde weiterhin große Bedeutung bei-
misst. In seiner Rede am 21. September 2006 in Berlin im Rahmen der Vortrags-
reihe „EU-Countdown: In 100 Tagen zur EU-Ratspräsidentschaft“ hat der Staats-
sekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Dr. Joachim
Wuermeling, dies bekräftigt und festgestellt: „Die Öffnung der internationalen
Märkte für europäische Güter, Dienstleistungen und Investitionen steht dabei im
Vordergrund.“

Am 4. Oktober 2006 stellte die Europäische Kommission ihr Programm „Global
Europe – Competing in the world“ vor. Darin kündigte sie an, neben dem Ver-
such, die WTO-Verhandlungen fortzuführen, ein neues Programm von weitrei-
chenden bilateralen Freihandelsabkommen mit Schlüsselpartnern auflegen zu
wollen, in denen auch die Liberalisierung von Investitionsregimen eine wichtige
Rolle spielen soll. Neben weitergehenden WTO-plus-Vereinbarungen beim
Marktzugang will die EU mit diesen Freihandelsabkommen die sogenannten
Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Beschaffungswesen)
vorantreiben und gleichzeitig die EU-interne Gesetzgebung stärker nach den
Vorgaben des internationalen Wettbewerbs und entsprechender Unternehmer-
interessen ausrichten. Zudem kündigte die Kommission an, Schutzmechanismen
der EU für die heimischen Märkte auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Im Positionspapier der Bundesregierung „Globalisierung gestalten: Externe
Wettbewerbsfähigkeit der EU steigern – Wachstum und Arbeitsplätze in Europa
sichern“ verweist die Bundesregierung darauf, dass ihrer Ansicht nach „Europä-
ische Produktionsstandorte gegenüber Wettbewerbern aus Drittländern nicht un-
verhältnismäßig durch Regulierung belastet werden (dürfen). Die Europäische
Union und die Mitgliedstaaten müssen für ein level playing field sorgen, das es den
in Europa produzierenden Unternehmen ermöglicht, ihre Chancen zu nutzen.“

Weiterhin fordert die Bundesregierung, das Hauptaugenmerk bei Verhandlungen
mit Drittländern in Bezug auf Dienstleistungen vor allem auf den Abbau „nicht-

tarifärer Handelshemmnisse“ zu richten und eigene „nicht-tarifäre Handels-
hemmnisse“ auf den Prüfstand zu stellen.

Drucksache 16/3073 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche politischen Initiativen will die Bundesregierung in welchem Rahmen
konkret ergreifen, um eine Wiederaufnahme der WTO-Verhandlungen herbei-
zuführen?

2. Wie ist nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerung des Staatssekretärs,
Dr. Joachim Wuermeling, die Öffnung der internationalen Märkte für europä-
ische Güter, Dienstleistungen und Investitionen stehe bei der Wiederaufnah-
me der WTO-Verhandlungen im Vordergrund, mit den offiziellen Verlautba-
rungen in Einklang zu bringen, bei der Doha-Runde würde es sich um eine
Entwicklungsrunde handeln?

3. Sieht die Bundesregierung einen möglichen Zusammenhang zwischen der
forcierten Marktzugangsstrategie der EU und anderer Industriestaaten in den
WTO-Verhandlungen und den eingetretenen Schwierigkeiten, und wie be-
gründet sie ihre Haltung?

4. Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass unabhängig vom weite-
ren Verlauf der WTO-Verhandlungen das auf dem WTO-Gipfel im Dezember
2005 in Hongkong zugesagte Auslaufen der landwirtschaftlichen Export-
subventionen der EU durchgeführt wird, und wie begründet sie ihre Haltung?

Welche konkreten Initiativen plant die Bundesregierung zur Durchsetzung
des vollständigen Exportsubventionsabbaus?

5. Mit welchen Ländern oder Ländergruppen laufen derzeit bilaterale Verhand-
lungen der EU über Freihandelsabkommen, und in welchem Stadium sind die-
se Verhandlungen, welche Probleme gibt es, und wann sollen sie jeweils zum
Abschluss gebracht werden?

6. Mit welchen Ländern oder Ländergruppen sollen im Rahmen der neuen for-
cierten Marktzugangsstrategie, wie sie im Programm „Global Europe com-
peting in the world“ beschrieben wird, bilaterale Verhandlungen über Frei-
handels- und Investitionsschutzabkommen aufgenommen werden?

Welche Zeitpläne und inhaltlichen Vorgaben sind hierzu in der EU-internen
Diskussion?

7. Wie ist der genaue derzeitige Stand der Beratungen innerhalb der Bundes-
regierung und der EU über eine „Minimum platform on investment for
EU FTAs“ und über einen neuen EU-Standardvertragstext zum Thema „Esta-
blishment, trade in services and e-commerce“?

Welchen Zeitplan gibt es für die Entscheidung über den Kommissonsvor-
schlag zu diesem Thema?

Ist eine Beratung dieses Vorschlags mit verschiedenen Ressorts der Bundesre-
gierung, mit dem Deutschen Bundestag und mit gesellschaftlichen Akteuren
gelaufen oder geplant?

8. Welche Vorschläge der EU-Kommission gibt es, die darauf abzielen, Unter-
nehmen die Klage gegen Staaten zu erleichtern, deren Gesetzgebung sie im
Widerspruch zu Handelsabkommen sehen oder durch deren Ordnungspolitik
sie sich eingeschränkt fühlen, und wie bewertet die Bundesregierung diese
Vorschläge?

9. Welche Vorschläge der EU-Kommission oder anderer Akteure gibt es, europä-
ische und internationale Unternehmen bei der EU-internen Gesetzgebung
stärker mit einzubeziehen, und wie bewertet die Bundesregierung diese Vor-
schläge, und welche Vorschläge bringt die Bundesregierung dazu ein?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3073

10. Wie bewertet die Bundesregierung die im Programm „Global Europe –
Competing in the world“ dargelegte Strategie der Europäischen Kommis-
sion, anti-dumping-Maßnahmen der EU zur Disposition zu stellen, um im
Gegenzug für transnational agierende europäische Konzerne einen verbes-
serten Zugang zu den Märkten anderer Länder durchsetzen zu können?

Welche möglichen negativen Auswirkungen auf die nicht transnational agie-
renden heimischen Unternehmen sieht die Bundesregierung, und wie will sie
diesen begegnen?

11. Wie will die Bundesregierung ihre Forderung nach einem sog. level playing
field für in Europa produzierende Unternehmen in Einklang mit Umwelt-
und Sozialstandards in der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten
bringen?

Wie weit will die Bundesregierung in ihrer Forderung nach einem sog. level
playing field vor dem Hintergrund sehr unterschiedlicher sozialer und ökolo-
gischer Produktionsbedingungen in der Welt gehen?

12. Was versteht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang im Konkreten
unter einer unverhältnismäßigen Belastung der Unternehmen durch Regu-
lierungen (s. o.), und welche Regelungen oder Standards möchte sie aufge-
ben bzw. absenken?

13. Welche vielfältigen nicht-tarifären Handelshemmnisse sieht die Bundesre-
gierung, die ihrer Meinung nach bei den potentiellen Handelspartnern abge-
baut werden müssten?

Existiert hierzu eine Liste von nicht-tarifären Handelshemmnissen?

Bezieht die Bundesregierung dies auch auf Umwelt- und Sozialstandards,
und wenn ja, auf welche?

14. Welche sogenannten nicht-tarifären Handelshemmnisse will die Bundesre-
gierung innerhalb der EU bzw. innerhalb Deutschlands auf den Prüfstand
stellen?

15. Wie vereinbart die Bundesregierung Äußerungen wie von Staatssekretär
Dr. Joachim Wuermeling „dass Europa mehr ist als nur eine Wirtschaftsge-
meinschaft, nämlich auch eine Wertegemeinschaft“ (Quelle s. o.), mit der
gleichzeitig in ihrer Stellungnahme (Quelle s. o.) eingeforderten Unterord-
nung sämtlicher Maßnahmen der EU unter die Sicherung der Wettbewerbs-
fähigkeit?

16. Welche Position bezieht die Bundesregierung gegenüber dem Vorwurf der
Biopiraterie durch deutsche und europäische Unternehmen, wie begründet
sie ihre Haltung?

Welche Maßnahmen will sie dazu ggf. in bilateralen oder regionalen Ab-
kommen treffen, und welchen Zusammenhang stellt sie zu ihrer Vorgehens-
weise gegenüber Produktpiraterie gegenüber Drittstaaten her?

17. Welche konkreten neuen „GATS-plus“-Forderungen und Zugeständnisse er-
wägt die Bundesregierung in die zukünftigen bilateralen Verhandlungen
einzubringen?

18. Sieht die Bundesregierung beim Thema öffentliches Beschaffungswesen
einen Konflikt zwischen den Marktzugangsinteressen international tätiger
Unternehmen und den entwicklungs-, (regional-)wirtschafts- u. umwelt-
politischen Nutzungsmöglichkeiten dieses Instruments, und wie begründet
sie ihre Haltung?

Falls sie diesen Konflikt sieht, wie gedenkt sie, mit ihm umzugehen?

Drucksache 16/3073 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
19. Welche konkreten Möglichkeiten der Information und der Beteiligung des
Deutschen Bundestages, der Gewerkschaften und der interessierten Zivilge-
sellschaft wird die Bundesregierung zu den zukünftigen bilateralen Ver-
handlungsprozessen bieten?

Wie gedenkt die Bundesregierung mit der Kritik zivilgesellschaftlicher Ak-
teure hinsichtlich ihrer Informationspolitik in handels- und weltwirtschafts-
politischen Fragen umzugehen?

Welche konkreten Verbesserungsvorschläge – auch unter Einbezug der Er-
fahrungen im inner- und außereuropäischen Ausland – hat die Bundesregie-
rung?

Berlin, den 19. Oktober 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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