BT-Drucksache 16/3072

Kompetenzerhalt auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit

Vom 19. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3072
16. Wahlperiode 19. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Cornelia Pieper,
Michael Kauch, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Kompetenzerhalt auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, dass die For-
schung zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken fortgesetzt und ausgebaut
werden soll. Im Koalitionsvertrag heißt es auch, dass der zwischen der rot-grü-
nen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen geschlossene
so genannte Atomkonsens sowie die dazu in der Novelle des Atomgesetzes ge-
troffene Regelung nicht geändert werden kann. Beim zweiten Energiegipfel,
der am 9. Oktober 2006 in Berlin stattfand, stellte Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel mit Blick auf die Kernenergie erneut klar, dass die Koalitionsvereinba-
rung über den Atomausstieg Gültigkeit habe.

Schon als die Vereinbarung über den so genannten Atomausstieg getroffen
wurde, wurde in Fachkreisen allgemein erwartet, dass der Personalbedarf von
Betreibern, Firmen, Gutachterorganisationen, Aufsichts- und Genehmigungs-
behörden sowie an den Hochschulen und Forschungszentren von deutscher
Seite perspektivisch nicht mehr gedeckt werden kann. Diese Befürchtungen
bestätigen sich jetzt. Deutschland droht auf Dauer ein durchgreifender Kom-
petenzverlust, in dessen Folge eine wissenschaftliche und technologische
Abkopplung von der internationalen Entwicklung eintreten wird. Selbst die
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, warnt laut

ddp (Meldung vom 9. Oktober 2006, 19.49 Uhr) vor einem Kompetenzverlust
in der deutschen Atomforschung. Laut Antwort der Bundesregierung auf eine
Kleine Anfrage der Fraktion der F.D.P. (Bundestagsdrucksache 14/4022) ging
die damalige Bundesregierung jedoch davon aus, dass die notwendigen Voraus-
setzungen für einen sicheren Betrieb der Kernkraftwerke in Bezug auf den
Fachkräftebedarf und die Sicherheit der Anlagen erhalten bleiben.

Drucksache 16/3072 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Kerntechnischer Kompetenzerhalt, Mitsprache bei der Entwicklung höchster
internationaler Sicherheitsstandards sowie der international beschrittene Weg
des Umstiegs auf inhärent sichere Kernkraftwerke der IV. Generation liegen
selbst bei einem nationalen Ausstieg im Interesse der Sicherheit aller Bürgerin-
nen und Bürger. Kerntechnische Fachkompetenz muss bei den Kraftwerks-
betreibern und Aufsichtsbehörden der Länder sowie nicht zuletzt auch im Bun-
desamt für Strahlenschutz und im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit erhalten und fortentwickelt werden. Auch für einen
Rückbau oder eine Stilllegung von Anlagen sowie für die Entsorgung der Ab-
fälle ist umfangreiches kerntechnisches Fachwissen unabdingbar. Alle am Be-
trieb kerntechnischer Anlagen beteiligten Stellen sowie die Hochschulen und
andere Forschungseinrichtungen benötigen auch in Zukunft qualifiziertes Per-
sonal in ausreichender Zahl. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erkenntnis hat die
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, in einem
Interview mit der Zeitung „FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND“ vom
10. Oktober 2006 erklärt, dass Kompetenz im Bereich der Kerntechnologie
wieder aufgebaut werden muss.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen konkreten Maßnahmen will die Bundesregierung den Wieder-
aufbau von Kompetenz im Bereich der Kerntechnologie erreichen?

2. In welcher Weise fördert die Bundesregierung den Erhalt und die wirtschaft-
liche Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit in Forschungsinstitutionen, an
Hochschulen und in der Industrie, die sich mit Fragen der friedlichen Nut-
zung der Kernenergie befassen?

3. Wie viele Institute und Wissenschaftler gibt es aktuell (bzw. in dem Jahr, das
zuletzt statistisch ausgewertet wurde), die sich an Universitäten und Fach-
hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen in Deutschland mit
Fragen der Reaktortechnik, Reaktorphysik, Reaktorsicherheit, Radiochemie
und Strahlentechnik beschäftigen?

4. Wie hat sich die Zahl der entsprechenden Institute und Wissenschaftler seit
dem so genannten Atomkonsens im Jahr 2000 entwickelt?

5. Wie viele Studierende und Absolventen gibt es nach Kenntnis der Bundes-
regierung aktuell (bzw. in dem Jahr, das zuletzt statistisch ausgewertet
wurde) in den Fächern Reaktortechnik, Reaktorphysik, Strahlentechnik,
Radiochemie und in anderen für die Bedienung, Reparatur und Wartung von
Kernkraftwerken wichtigen Fächern an deutschen Universitäten und Fach-
hochschulen?

6. Wie hat sich die Zahl der Studierenden/Absolventen der genannten Fach-
richtungen seit dem sog. Ausstiegsbeschluss entwickelt?

7. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die erforderliche Absolventenzahl
der genannten Fachrichtungen pro Jahr, um die aus Altersgründen ausschei-
denden Fachkräfte auch in den kommenden Jahren ersetzen zu können?

8. Was unternimmt die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass auch künftig
in ausreichendem Umfang qualifiziertes Nachwuchspersonal zur Gewähr-
leistung des erforderlich hohen Maßes an Sicherheit und zum Strahlenschutz
der Beschäftigten und der Umwelt beim Betrieb kerntechnischer Anlagen
und Einrichtungen und für deren spätere Stilllegung sowie für die Entsor-
gung zur Verfügung stehen?

9. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass das hohe Sicherheitsniveau
in deutschen Kernkraftwerken und die Qualität der Atomaufsicht vor dem

Hintergrund der Entwicklung der Absolventenzahlen gehalten werden kann?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3072

10. Was sind die Ergebnisse der von der Bundesregierung laut Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der F.D.P. (Fach-
kräfte im Bereich der Reaktorsicherheit und der Beschluss zum Ausstieg
aus der Kernkraft, Bundestagsdrucksache 14/4022) im Frühjahr 2000 bei
der Reaktorsicherheitskommission beauftragten Erörterung von Fragen der
Ausbildung, der Forschungsmöglichkeiten sowie des zukünftigen For-
schungs- und Ausbildungsbedarfs auch für die notwendige Reaktorsicher-
heitsforschung?

11. Wie viele Personen sind im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit sowie im Bundesamt für Strahlenschutz jeweils
aktuell unmittelbar mit Fragen der Reaktorsicherheit und Atomaufsicht
beschäftigt, und wie hat sich deren Anzahl seit dem sog. Atomkonsens ent-
wickelt?

12. Wie haben sich die angesetzten Haushaltsmittel für die Kernforschung
(bitte soweit möglich angeben, ob Forschungstitel Kernspaltung oder
Kernfusion betrifft) seit dem sog. Atomkonsens entwickelt?

13. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung konkret Forschungsarbeiten zur
nuklearen Sicherheit (Reaktorsicherheit und Entsorgung) auf nationaler
und internationaler Ebene?

14. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob sich deutsche
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen um Förder-
mittel für kerntechnische Forschung und kerntechnische Sicherheitsfor-
schung im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms bewerben?

15. Durch wen wurde in den 1990er Jahren die Kugelhaufenreaktortechnolo-
gie an Südafrika verkauft, und wie hoch waren die dadurch erzielten Ein-
nahmen?

16. Werden in Deutschland Patenteinnahmen für kerntechnische Entwicklun-
gen realisiert, und wenn ja, für welche Patente?

17. Mit welchen konkreten Forschungsarbeiten unterstützt Deutschland die
Umsetzung der Vereinbarungen im Euratom-Vertrag?

18. Wie gedenkt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entscheidun-
gen über Bau und Betrieb von Kernkraftwerken im europäischen Ausland
und weiteren Ländern die bisherige Technologieführerschaft deutscher
Unternehmen in Entwicklung, Bau, Betrieb und Reaktorsicherheit zu
wahren?

19. Auf welche konkrete Weise gedenkt die Bundesregierung Einfluss auf die
Sicherheit europäischer Kernkraftwerke zu nehmen, insbesondere vor dem
Hintergrund der EU-Erweiterung?

20. Durch wen wurde Deutschland auf der dritten internationalen HTR-Kon-
ferenz (HTR: Hochtemperaturreaktor) in Johannesburg vertreten, und
welche Positionen hat Deutschland dort eingenommen?

21. Welchen Einfluss hat nach Auffassung der Bundesregierung der sich
abzeichnende Mangel an deutschen Experten für die deutsche Position
innerhalb der EU-Zusammenarbeit im Hinblick auf das 7. EU-Forschungs-
rahmenprogramm?

Berlin, den 17. Oktober 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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