BT-Drucksache 16/3057

Eigentumssicherungsmodell als Variante der Bahnprivatisierung

Vom 19. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3057
16. Wahlperiode 19. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Jan Mücke, Joachim Günther
(Plauen), Patrick Döring, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
(Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael
Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Eigentumssicherungsmodell als Variante der Bahnprivatisierung

Presseberichten zu Folge hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung am 25. September 2006 ein weiteres Modell für die Privati-
sierung der Deutsche Bahn AG (DB AG) vorgestellt, das unter der Bezeich-
nung „Eigentumssicherungsmodell“ (ESM) firmiert. Bei diesem Modell hält die
DB AG wirtschaftlich sämtliche Geschäftsanteile an den Eisenbahninfrastruk-
turunternehmen (EIU), überträgt jedoch ihre Anteile zu 100 Prozent nach Maß-
gabe einer zu vereinbarenden Sicherungsabrede zur Sicherheit auf den Bund.
Der Bund wird damit zu 100 Prozent zivilrechtlicher Eigentümer der Anteile.
Die DB AG bleibt aber wirtschaftliche Eigentümerin der Anteile und ist weiter-
hin zur Bilanzierung der Anteile berechtigt. Die Interessen des Bundes sollen
somit durch Sicherungseigentum des Bundes gewährleistet werden.

Die Übereignung von Sicherungseigentum ist als Rechtsinstitut geläufig, mit
dem – in der Regel durch Kreditinstitute – Forderungen dinglich besichert wer-
den. Der Sicherungsnehmer erhält treuhänderisches Eigentum am Sicherungs-
objekt. Sobald die Forderung des Sicherungsnehmers, die der Sicherungs-
abrede zugrunde liegt, erfüllt ist, überträgt der Sicherungsnehmer dem
Sicherungsgeber das Volleigentum. Das Sicherungseigentum ist somit norma-
lerweise nicht auf eine dauerhafte Eigentümerstellung des Sicherungsnehmers
ausgerichtet. Für den Sicherungsfall hat der Sicherungsnehmer jedoch das

Recht, das Eigentum am Sicherungsgegenstand zu verwerten. Dies geschieht
durch Veräußerung des Versicherungsgegenstandes.

Diese typischen Merkmale des Sicherungseigentums werfen die Frage auf,
inwieweit dieses Instrument geeignet ist, die Interessen des Bundes im Rahmen
der Privatisierung der DB AG zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere ange-
sichts der Tatsache, dass das Interesse des Bundes gerade nicht darauf gerichtet

Drucksache 16/3057 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ist, das Volleigentum an den EIU nach Erfüllung der gesicherten Forderung
dem Sicherungsgeber, also der DB AG, zu übertragen. Ebenso wenig kommt in
Betracht, dass der Bund die EIU als Sicherungsgegenstand veräußert, um damit
das Sicherungsobjekt zu verwerten, falls die zu sichernde Forderung nicht
erfüllt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Forderungen des Bundes sollen durch das Sicherungseigentum an
den EIU gesichert werden?

2. Sind diese Forderungen des Bundes ihrer Natur nach dauerhafter Art oder
sind sie zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt?

3. Ist das Interesse des Bundes darauf gerichtet, dauerhaftes Eigentum an der
Schieneninfrastruktur bzw. den EIU zu behalten, und wenn ja, wieso ist
das Sicherungseigentum – das bei der Rechtsnatur nach nur vorübergehend
ist – geeignet, die Interessen des Bundes zu gewährleisten?

4. Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, die Eisenbahninfrastruktur
bzw. EIU zu veräußern, in dem Fall, dass die Ansprüche des Bundes ge-
genüber der DB AG nicht erfüllt werden?

5. Welche Unterschiede sieht die Bundesregierung bei der Wahrnehmung ihrer
Infrastrukturverantwortung nach Artikel 87e des Grundgesetzes zwischen
Volleigentum einerseits und Sicherungseigentum andererseits?

6. Welchen Vorteil soll das wirtschaftliche Eigentum an den EIU für die
DB AG erbringen?

7. Geht die Bundesregierung davon aus, dass der Zweck des wirtschaftlichen
Eigentums auch darin besteht, einen Investor an Wertschöpfungen und
etwaigen Gewinnen der EIU zu beteiligen?

8. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die EIU des DB-Konzerns in
den nächsten Jahren einen positiven Gewinnbeitrag erwirtschaften werden,
und wie hoch würde das EBIT (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) der EIU
ausfallen?

9. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass ein EBIT-Beitrag der EIU zum
Konzernergebnis gerechtfertigt ist angesichts der Tatsache, dass die Inves-
titionen in die Infrastruktur zu beinahe 100 Prozent über verlorene Baukos-
tenzuschüsse des Bundes finanziert werden?

10. Wäre ein Gewinnbeitrag des Netzes mit § 9 des Bundesschienenwegeaus-
baugesetzes vereinbar, wonach Finanzierungsvereinbarungen bei geänder-
tem wirtschaftlichen Interesse geändert werden müssen?

11. Soll das wirtschaftliche Eigentum der DB AG nach Auffassung der Bun-
desregierung das Recht beinhalten, nicht betriebsnotwendige Grundstücke
zu veräußern, und im gegebenen Fall generierte stille Reserven in das Kon-
zernergebnis einfließen zu lassen?

12. Soll sich der Kaufpreis, den der Bund bei Ausübung der Call-Optionen an
die DB AG zu zahlen hat, am Ertragswert der Anteile an den EIU richten,
und wenn ja, wie begründet die Bundesregierung dies?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die zukünftigen Ertrags-
werte der EIU nur schwer vorhersehbar sind und überdies in hohem Maße
durch die DB AG gestaltbar sind?

14. Welche Vorkehrungen könnten aus Sicht der Bundesregierung getroffen
werden, um einen unangemessenen Ertragswert und damit zu hohen Kauf-

preis bei Ausübung der Call-Optionen zu vermeiden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3057

15. Hält die Bundesregierung einen Abschluss einer Festpreisregelung für den
Fall der Ausübung von Call-Optionen für sinnvoll und möglich?

16. Hält die Bundesregierung als Berechnungsalternative für den Kaufpreis im
Falle der Ausübung von Call-Optionen für möglich, diesen Kaufpreis am
Nettobuchwert der EIU in Höhe der noch nicht abgeschriebenen Eigenmit-
telinvestitionen der DB AG zu bemessen?

17. Sieht die Bundesregierung in diesem Fall das Risiko, dass der Bund auch
den Einsatz von solchen Eigenmitteln erstatten muss, die als Folge von
Planungsfehlern und Baukostenüberschreitungen entstehen?

18. Würde eine Heimfallregelung auf der Basis einer Kaufpreisermittlung zum
Nettobuchwert beispielsweise dazu führen, das Kostenüberschreitungen
wie bei der Neubaustrecke Frankfurt-Köln im Falle des vorzeitigen Heim-
falls vom Bund getragen werden müssten?

19. Geht die Bundesregierung davon aus, dass beim Eigentumssicherungs-
modell die anlassunabhängigen und die anlassbezogenen Call-Optionen
des Bundes von Investoren mit Abschlägen bei der Wertermittlung des zu
privatisierenden Anteils an der DB AG berücksichtigt werden?

20. Sieht die Bundesregierung für den Fall, dass die Investoren im Sinne der
vorigen Frage keine Bewertungsabschläge vornehmen, einen Wertungs-
widerspruch darin, dass einerseits die Call-Optionen wirkungsvolle Rechte
zugunsten des Bundes darstellen sollen, andererseits diese Rechte jedoch
zu keinen Bewertungsabschlägen seitens der Investoren führen?

21. Wie würde sich nach Meinung der Bundesregierung die Ankündigung,
die Ausübung einer Call Option ernsthaft in Erwägung zu ziehen, auf den
Börsenkurs der DB AG auswirken?

22. Inwiefern ist die Länge der Bilanz (Bilanzsumme) nach Auffassung der
Bundesregierung ein relevantes Kriterium für einen Investor, und unter
welchem Gesichtspunkt könnte sich insoweit ein Vorteil des ESM er-
geben?

23. Ist der Bundesregierung bekannt, dass im globalen Maßstab Unternehmen
in der Regel bestrebt sind, ihre Bilanz möglichst schlank zu halten (z. B.
Leasing statt Kauf usw.)?

Warum soll für die DB AG das Gegenteil gelten?

24. Stimmt die Bundesregierung zu, dass die vollständige Herausnahme des
Infrastruktureigentums den ROCE (Return on Capital Employed) der zu
privatisierenden DB AG einschließlich Netzbetriebs anhöbe, weil der Seg-
ment-ROCE der Infrastrukturtöchter stets unter dem ROCE des Gesamtun-
ternehmens liegt?

25. Ist der Bundesregierung weltweit ein Fall bekannt, wonach der Staat seine
Interessen als Eigentümer eines öffentlich finanzierten Schienen- oder ver-
gleichbaren Netzes im Wege des Sicherungseigentums wahrt?

26. Warum wurde nicht das PRIMON-Gutachterteam (PRIMON = Privatisie-
rungsvarianten der DB AG mit und ohne Netz) mit der ganzheitlichen Be-
wertung des neuen Modells beauftragt?

Berlin, den 13. Oktober 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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