BT-Drucksache 16/3044

Strafrechtliche Bestimmungen über Homosexualität und ihre Anwendung weltweit

Vom 19. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3044
16. Wahlperiode 19. 10. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Winfried
Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Jürgen Trittin und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Strafrechtliche Bestimmungen über Homosexualität und ihre Anwendung weltweit

Die rechtliche Behandlung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern
(LGBT) ist weltweit sehr unterschiedlich, was z. B. Fragen des Schutzalters, ver-
botener Praktiken, vollständiger Verbote von homosexuellen Handlungen oder
der Kriminalisierung homosexueller Veranlagung betrifft. Eine strafrechtliche
Verfolgung kann für den Einzelnen oder die Einzelne existenzielle Bedeutung
erlangen. Entscheidend für das Leben der Betroffenen bleibt letztlich die Rechts-
praxis, das Maß der angedrohten Sanktionen, der Benachteiligung und der Ver-
folgung.

Strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität bedeutet, dass ein beträchtlicher
Teil der Bevölkerung zu ständiger Heimlichkeit und Lüge gezwungen und an der
Selbstentfaltung gehindert wird. Der Europäische Gerichtshof für Menschen-
rechte stellte deutlich fest, dass die Verfolgung von einvernehmlichen homo-
sexuellen Handlungen unter Erwachsenen menschenrechtswidrig ist (Dudgeon/
Nordirland, EGMR, Urteil v. 22. Oktober 1981). Der Menschenrechtsausschuss
der Vereinten Nationen erkannte ebenfalls schon vor langem, dass ein Totalver-
bot homosexueller Handlungen gegen den Schutz der sexuellen Orientierung
durch den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte verstößt
(Toonen/Australien, Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, U.N.
Doc CCPR/C/50/D/488/1992 (1994) v. 31. März 1994). Eine gesetzlich veran-
kerte und staatlich organisierte oder tolerierte Unterdrückung von Homosexua-
lität ist mit der staatsbürgerlichen Gleichheit, den Rechten auf Meinungs-, Ge-
wissens-, und Informationsfreiheit sowie den Rechten auf Privatsphäre und
körperliche Unversehrtheit unvereinbar.

In manchen Ländern lebt in Form von übernommenem Kolonialrecht die euro-
päische Gesetzgebung des 19. Jahrhundert fort, diese Normen werden heute je-
doch als Ausdruck regionaler Traditionen und Sitten angesehen. Nach diesem
Verständnis wird LGBT meist als westliches Phänomen abgelehnt, obwohl die
rechtliche Befassung mit Homosexualität in Form von Einschränkungen und
Verboten zum Beispiel in Afrika weiträumig erst durch die europäische Koloni-
sation eingeführt wurde. Bis jetzt gibt es nur wenige Quellen über die Rechtslage

weltweit.

In Einzelfällen können mit der strafrechtlichen Verfolgung von Homosexualität
in bestimmten Ländern Menschenrechte auch von deutschen Staatsbürgerinnen
und -bürgern konkret gefährdet sein. In Uganda können einvernehmliche homo-
sexuelle Handlungen mit lebenslanger Haft geahndet werden (vgl. afrikanisches
Portal www.mask.org.za/index.php?page=uganda). Die ugandischen Medien

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unterstützen die Verfolgung durch die Veröffentlichung von Namenslisten (vgl.
Amnesty-International-Dokument AFR 59/007/2006). Auf Jamaika verstoßen
einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen gegen die
§§ 76, 77 und 79 des Strafgesetzbuches (AMR 38/002/2006), in Guyana die-
jenigen unter Männern gegen die §§ 531 bis 533 des Strafgesetzbuches (AMR
01/002/2006). Artikel 204 des nicaraguanischen Strafgesetzbuches erlaubt die
Bestrafung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen sowie die Bei-
hilfe und die Öffentlichkeitsarbeit (AMR 43/001/2006). In Kamerun wurden
acht Männer und ein 17-Jähriger aufgrund des § 347a des kamerunschen Straf-
gesetzbuches wegen Homosexualität zeitweilig inhaftiert. Einer der Häftlinge
verstarb wenige Tage nach seiner Freilassung (AFR 17/003/2006). In Nigeria
wird ein Gesetzentwurf beraten, der sämtliche homosexuelle Handlungen, ho-
mosexuelle Bürgerrechtsaktivität, das Zeigen der Veranlagung sowie Beihilfe
hierzu mit Gefängnis bis zu fünf Jahren sanktionieren würde (AFR 44/013/
2006). In Swasiland strebt ein Gesetzesvorschlag Gefängnisstrafe nicht unter
zwei Jahren für einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen
an (AFR 55/003/2006). Polen ist seit 2005 in der Anwendung von Gesetzen
zunehmend lesben-, schwulen- und transgenderfeindlich (EUR 37/002/2005).
Ähnliches gilt für Moldawien (vgl. Artikel von Human Rights Watch v. 20. Mai
2006) und die Russische Föderation (vgl. Human Rights Watch, Artikel
v. 2. Juni 2006). Auf den Philippinen wird ein Gesetzesvorschlag beraten, der
die Diskriminierung anhand der Sexualität bei Beschäftigten, Dienstleistungen,
in der Bildung sowie im Gesundheits- und Wohnungswesen verbietet (vgl.
Human Rights Watch, Artikel v. 8. August 2006).

Eine erschöpfende und zuverlässige Übersicht, die die aktuellsten Entwicklun-
gen verfügbar macht, wäre als Service für die Arbeit von Verbänden und für
Einzelne ein wirkungsvoller Schutz der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern im
In- und Ausland. Die Bundesregierung besitzt über ihre Ständigen Vertretungen
weltweit eine in Deutschland einzigartige und leicht verfügbare Recherchekapa-
zität. Organisationen oder Privatleute können dies nicht ersetzen. Die Große An-
frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus der 13. Wahlperiode erhielt
damals keine Antwort. Diese Kleine Anfrage ergänzt die Große Anfrage der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Zur Lage der Menschenrechte von
Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender“ auf Bundestagsdrucksache
16/2084.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Länder sprechen ein Verbot der homosexuellen Neigung oder einver-
nehmlichen homosexuellen Betätigung unter Erwachsenen aus, oder haben
derartiges Gewohnheitsrecht?

a) Wie ist der Wortlaut der Normen mit einem Bezug zur Homosexualität,
sofern vorhanden?

b) Wie werden die verwendeten Rechtsbegriffe ausgelegt?

Was wird als Tatbestand angesehen?

c) Wie ist die Rechtspraxis?

Werden die Normen durchgesetzt?

Gibt es eine organisierte Verfolgung?

Wie schwer sind die üblicherweise tatsächlich verhängten Sanktionen?

d) Welche Auswirkungen haben diese Normen auf das Leben von einzelnen?

e) Seit wann gibt es das Verbot in der jeweiligen Rechtsordnung, und durch

wen wurde es eingeführt?

Handelt es sich noch im Wesentlichen um übernommenes Kolonialrecht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/3044

2. In welchen Ländern gibt es unterschiedliche Bestimmungen für homo-
sexuelle und heterosexuelle Handlungen bezüglich des Schutzalters?

Gibt es Tathandlungen, die von den Strafnormen umfasst sind und sich bei
Homo- und Heterosexuellen unterscheiden?

Worin unterscheiden sie sich jeweils?

Berlin, den 19. Oktober 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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