BT-Drucksache 16/3011

Für eine Wiederbelebung des nuklearen Abrüstungsprozesses im Rahmen der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft

Vom 18. Oktober 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3011
16. Wahlperiode 18. 10. 2006

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid,
Thilo Hoppe, Renate Künast, Fritz Kuhn, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine Wiederbelebung des nuklearen Abrüstungsprozesses im Rahmen
der deutschen EU- und G8-Präsidentschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Weltgemeinschaft steht hinsichtlich der Nichtweiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen und der vertragsgestützten Abrüstung vor großen
Herausforderungen und entscheidenden Weichenstellungen. Die Ausein-
anderersetzungen um das nordkoreanische und iranische Atomprogramm,
das amerikanisch-indische Nuklearabkommen, das Scheitern der Über-
prüfungskonferenz zum Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) oder die Un-
fähigkeit der Staatengemeinschaft, das Thema Abrüstung und Nichtweiter-
verbreitung im Schlussdokument zum UN-Gipfel aufzunehmen, sind nur
einige Indikatoren, in denen sich die gegenwärtige Krise der Abrüstung und
Nichtweiterverbreitung widerspiegelt.

Sollten sich die negativen Tendenzen der vergangenen Jahre fortsetzen, dro-
hen – insbesondere im nuklearen Bereich – Entwicklungen, die eine nukleare
Anarchie, nuklearen Terrorismus und ein neues nukleares Wettrüsten zur
Folge haben könnten. Die internationale Staatengemeinschaft ist aufgefor-
dert, endlich zu handeln und diese fundamentale Bedrohung für den Weltfrie-
den zu beseitigen. Ziel muss es sein, nach den biologischen und chemischen
Waffen schnellstmöglich auch die Atomwaffen zu ächten und zu einer verifi-
zierbaren ABC-waffenfreien Welt zu gelangen.

2. Der Deutsche Bundestag begrüßt den am 1. Juni 2006 vorgelegten Bericht
„Weapons of Terror: Freeing the World of Nuclear, Biological and Chemical
Arms“. Der von der schwedischen Regierung 2004 in Auftrag gegebene, und
unter der Leitung des ehemaligen IAEO-Generalsekretärs und ehemaligen
UN-Waffeninspekteurs, Dr. Hans Blix, verfasste Bericht umfasst 60 Empfeh-
lungen im Bereich ABC-Waffen, Trägersysteme, Exportkontrolle und Welt-
raumrüstung. Die Empfehlungen sind geeignet, die derzeitige internationale

Politik der Nichtweiterverbreitung und Abrüstung von Massenvernichtungs-
waffen und deren Trägersystemen aus der Sackgasse zu führen und die ge-
meinsame Sicherheit zu verbessern. Alle Staaten und internationalen Akteure
sind aufgefordert, das in ihrer Macht stehende zur Umsetzung dieser Em-
pfehlung zu tun. Dies gilt auch für die Bundesregierung, der angesichts der
nahenden deutschen EU- und G8-Präsidentschaft und der Entscheidung der

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Nuclear Suppliers Group zum US-indischen Nuklearabkommen, eine beson-
dere Verantwortung zufällt.

Der Deutsche Bundestag unterstützt die Einberufung des von der Blix-Kom-
mission vorgeschlagenen Weltgipfels der Vereinten Nationen zur Abrüstung
und Nichtweiterverbreitung von ABC-Waffen. Er bekennt sich zu seiner
politischen und parlamentarischen Mitverantwortung in diesem Bereich und
zur wichtigen Rolle von unabhängigen Nichtregierungsorganisationen und
öffentlicher Information, um das abrüstungspolitische Interesse am Leben zu
erhalten. Der Blix-Bericht sollte deshalb baldmöglichst auch in deutscher
Sprache verfügbar gemacht und von der Bundesregierung und der interna-
tionalen Staatengemeinschaft in konkrete Handlungsschritte umgesetzt wer-
den. Die Bundesregierung kann dabei an zahlreiche Aktivitäten der Vergan-
genheit anknüpfen.

3. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren auch den Prozess der
nuklearen Abrüstung und Nichtweiterverbreitung auf vielen Ebenen beispiel-
haft unterstützt und gefördert. Zivile und militärische Nutzung der Kern-
energie sind zwei Seiten derselben Medaille. Mit dem Beschluss zur Ener-
giewende und zum Ausstieg aus der Atomenergie hat die Wirtschaftsmacht
Deutschland auch ein friedenspolitisches Zeichen gesetzt. Da bislang nicht
die Absicht bestand, den Eurofighter als Atomwaffenträger vorzusehen, ist
mittelfristig auch das Ende der aktiven technischen nuklearen Teilhabe
Deutschlands wahrscheinlich.

Der Atomwaffensperrvertrag beruht im Kern auf einer wechselseitigen Zu-
sicherung: Verzicht der Nichtkernwaffenstaaten auf Atomwaffen, Unterstüt-
zung bei der Nutzung ziviler Atomtechnologie und Verpflichtung der Kern-
waffenstaaten zur vollständigen nuklearen Abrüstung. Ohne die Bereitschaft
zu universellen Lösungen und ohne die Bereitschaft die Vertragsverpflich-
tungen einzuhalten und das Verifikations- und Sanktionsregime weiterzuent-
wickeln droht das gegenwärtige Nichtweiterverbreitungsregime zu zerbre-
chen. Der Deutsche Bundestag teilt die Auffassung der Bundesregierung,
dass es im Atomstreit mit Nordkorea und dem Iran nur politische und keine
militärische Lösungen geben kann und darf. Gleichzeitig tritt er für eine Stär-
kung des Verifikations- und Sanktionsregimes, einschließlich der Rolle der
Vereinten Nationen, ein. Der Deutsche Bundestag hält auch nach dem Schei-
tern der Überprüfungskonferenz zum NVV an den Kernaussagen seines Be-
schlusses vom 14. April 2005 (Verbreitung der Kernwaffen verhindern und
die nukleare Abrüstung stärken – Bundestagsdrucksache 15/5254) fest.

4. Die Bundesregierung hat sich in der Koalitionsvereinbarung zwischen der
CDU, CSU und SPD zur Stärkung des internationalen Nichtweiterverbrei-
tungsregimes und der vollständigen Abrüstung aller Massenvernichtungs-
waffen bekannt. Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt mit Nach-
druck die Ankündigung vom Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-
Walter Steinmeier, vom 26. Juni 2006, sich für eine Wiederbelebung des nu-
klearen Abrüstungsprozesses und für eine Schließung der Regelungslücken
im Nichtweiterverbreitungsregime einsetzen zu wollen und hierfür auch die
deutsche EU- und G8-Präsidentschaft zu nutzen.

Grundlage dafür sind die auf der Überprüfungskonferenz 2000 vereinbarten
13 praktischen Schritte zur nuklearen Abrüstung, die auch die Inkraftsetzung
des umfassenden Kernteststoppvertrages (CTBT), die Wiederaufnahme der
Genfer Abrüstungskonferenz und die Fortsetzung der nuklearen Abrüstung
umfassen. Hier sind vor allem die USA und Russland, aber auch alle übrigen
Atomwaffenstaaten, inklusive Pakistan, Indien, Israel und womöglich Nord-
korea, in der Pflicht. Die Abrüstungsverpflichtung erstreckt sich auch auf die

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taktischen bzw. sub-strategischen nuklearen Waffensysteme. Hierzu gehören
auch die in Deutschland gelagerten Atomwaffen der USA.

Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt u. a. die Absicht ein verifi-
zierbares Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Waffenzwecke, das
IAEO-Zusatzprotokoll zum Verifikationsstandard und zur Liefervorausset-
zung zu machen und Überlegungen, die zivil genutzten Bestände an hochan-
gereichertem Uran sukzessive zu ersetzen. Hinsichtlich des indisch-amerika-
nischen Nuklearabkommens teilt der Deutsche Bundestag die Auffassung
des Bundesministers des Auswärtigen, dass „es ein gutes Signal wäre, wenn
Indien dem umfassenden Teststoppvertrag beiträte, ein Produktionsmorato-
rium für Spaltmaterial für Waffenzwecke erklärte und auch Verpflichtungen
zur Beschränkung und letztendlich zur Abrüstung seines Kernwaffenpro-
gramms akzeptierte“.

Solange nicht alle Staaten bereit sind, auf die im NVV zugesicherte zivile
Nutzung von Kernenergie zu verzichten, muss nach Wegen gesucht werden,
die das Risiko der militärischen Nutzung weiter minimieren. Um künftig Ent-
wicklungen wie im Iran oder Nordkorea zu verhindern, ist eine nichtdiskri-
minierende und zuverlässige Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufes
nötig. Hierzu hat es in den vergangenen Jahren diverse Vorschläge, u. a. vom
IAEO-Generalsekretär, Mohammed El Baradei, und dem US-Präsidenten,
George W. Bush, gegeben. Kernstück dieser Überlegungen ist immer: Im
Gegenzug zum Verzicht auf den vollständigen nuklearen Brennstoffkreislauf
muss es internationale Liefergarantien für nuklearen Brennstoff geben. Dies
soll das Streben nach eigenen Uran-Anreicherungs- oder Wiederaufbe-
reitungsanlagen ersetzen. In diesem Zusammenhang hat der Bundesminister
des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, in einem Interview vorge-
schlagen (Handelsblatt 18. September 2006), „die multilaterale Uran-Anrei-
cherung unter das Dach der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und
deren Exportkontrolle zu stellen. Dazu könnte ein Drittstaat ein exterritoria-
les Gebiet für eine Uran-Anreicherungsanlage zur Verfügung stellen – das ei-
nen ähnlichen Status wie die UNO in New York hätte. Finanziert werden
könnte die Anlage durch die Länder, die dadurch das Recht auf Belieferung
mit Atombrennstoff erwerben.“ Diese Überlegungen gehen in die richtige
Richtung. Es gilt sie weiterzuentwickeln und zu präzisieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● dem Deutschen Bundestag baldmöglichst einen Bericht vorzulegen aus dem
hervorgeht, wie die Bundesregierung national und international die einzelnen
Empfehlungen des Blix-Berichtes umzusetzen und zu unterstützen gedenkt;

● dem Deutschen Bundestag unverzüglich die im Rahmen der EU- und G8-
Präsidentschaft geplanten abrüstungspolitischen Initiativen zur Kenntnis zu
geben;

● in der Nuclear Suppliers Group einer Lieferung von Nuklearmaterial an
Indien nicht zuzustimmen, so lange Indien dem Teststoppvertrag nicht bei-
getreten ist, kein Produktionsmoratorium für Spaltmaterial für Waffen-
zwecke erklärt und keine Verpflichtungen zur Beschränkung und letztendlich
Abrüstung seines Kernwaffenprogrammms akzeptiert hat;

● die Überlegungen für eine Multilateralisierung des nuklearen Brennstoff-
kreislaufs – insbesondere der Anreicherung und Wiederaufbereitung – weiter
zu verfolgen und dem Deutschen Bundestag einen Zwischenbericht zu den
deutschen und internationalen Überlegungen vorzulegen;

Drucksache 16/3011 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● im Rahmen ihrer Politik zur Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungs-
kontrolle den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 14. April 2005
(Bundestagsdrucksache 15/5254) weiter zu berücksichtigen;

● einen Weltgipfel der Vereinten Nationen zur Abrüstung und Nichtweiter-
verbreitung von ABC-Waffen zu unterstützen.

Berlin, den 18. Oktober 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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