BT-Drucksache 16/286

Munitionsaltlasten in der Ostsee

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/286
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg
Rohde, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Munitionsaltlasten in der Ostsee

In der ZDF-Sendung „Abenteuer Wissen“ vom 19. Oktober 2005 wurde die
Thematik der Munitionsaltlasten in der Ostsee behandelt. Die Munitionsalt-
lasten umfassen insbesondere Bombenfehlwürfe und verklappte chemische
Kampfmittel. Sie verursachen Schäden in der Fischerei, sind eine Belastung für
den Tourismus und beeinträchtigen die natürliche Entwicklung der Ostsee.

Nach offiziellen Unterlagen des Munitionsbergungsdienstes Mecklenburg-Vor-
pommern verfehlten über 600 Tonnen Sprengbomben und etwa 110 Tonnen
Brandbomben bei der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt für Raketen-
forschung in Peenemünde ihr Ziel und fielen in direkter Küstennähe (bis maxi-
mal 2 km seewärts) in die Ostsee. Berechnungen des Munitionsbergungsdiens-
tes ergaben, dass sich ca. 60 Tonnen Weißer Phosphor in dieser Bombenfracht
befunden haben. Weißer Phosphor ist im Meer persistent, d. h. er wird nicht
natürlich abgebaut und ist auch nach Jahrzehnten noch vollständig vorhanden.
Der Schwerpunkt für Unfälle mit Phosphor liegt an den Stränden im nordöst-
lichen Bereich von Usedom, wo phosphorhaltige Brandmittel regelmäßig ange-
schwemmt und mit Bernstein verwechselt werden, was zu schweren Verbren-
nungen führen kann.

Nach dem Krieg haben die Alliierten chemische Kampfmittel in großen Men-
gen in der Ostsee verklappt. In Fässern, Bomben etc. lagern bis heute mindes-
tens 65 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe wie Senfgas, Tabun, Zyklon B
und Sarin auf dem Meeresgrund der Ostsee. Nach Meinung von Experten (offi-

zielle Zahlen sind für die Ostsee nicht bekannt) wurden nach dem letzten Krieg
zusätzlich mehrere hunderttausend Tonnen konventioneller Munition in der
Ostsee versenkt. Diese verklappten Kampfmittel führen bis heute besonders bei
der Schleppnetzfischerei zu Problemen.

Drucksache 16/286 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Unfälle oder Zwischenfälle sind durch Munitionsaltlasten in der
deutschen Ostsee in den letzten beiden Jahrzehnten in der Fischerei und in
der Seeschifffahrt verursacht worden und wie schwerwiegend waren die
Unfälle?

2. Welche wesentlichen Munitionsversenkungsflächen und Munitionsver-
dachtsflächen liegen im Bereich der deutschen Ostseeküste und welche
Maßnahmen sind bisher unternommen worden, um die Situation in den
Verdachtsflächen abzuklären und Gefährdungen durch Munitionsaltlasten
zu vermindern?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass für die Sicherheit der
Fischereiwirtschaft in der Ostsee eine vollständige Einzeichnung aller
bekannten Munitionsversenkungsgebiete bzw. -verdachtsgebiete auf See-
karten von Vorteil wäre, und wenn nein, warum nicht?

4. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Ergebnisse aus dem
Pilotprojekt mit niedersächsischen Fischern an der Nordseeküste beim
Auffinden von Kampfmitteln (Az. 504 – 40401/04, von 1995) auf die Ost-
seefischerei zu übertragen, um den Fischern auch hier kostenlos geeignete
Munitionskisten auf den Schiffen zur Verfügung zu stellen, sie über das
Land zu versichern (Unfallversicherung) und ihnen für die Meldung und
das Anlandbringen von aufgefischter Munition eine Prämie zu zahlen?

5. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, deutsche Fischerei-
schiffe vorsorglich mit Bojen auszustatten, mit denen Munitionsfunde vor
Ort gekennzeichnet werden können, um ein späteres Auffinden durch den
Munitionsbeseitigungsdienst zu ermöglichen?

6. Welche wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
zu den jährlichen Sedimentationsraten in den Becken der Ostsee (z. B. dem
Munitionsdeponiegebiet Bornholmbecken), und welche Schlüsse lassen sich
hieraus für die in diesen Becken deponierten Munitionsaltlasten ziehen?

7. Ist zu erwarten, dass die Munitionsaltlasten inzwischen durch Sedimente
bedeckt werden?

8. Befürwortet die Bundesregierung den Vorschlag, auf den bekannten Muni-
tions-Transporttrassen in der Ostsee ein regelmäßiges Monitoring durchzu-
führen, um die durch die natürliche Sedimentdynamik bedingten Änderungen
der Situation am Meeresboden zu registrieren, damit die von Munitions-
altlasten ausgehenden Risiken besser beurteilt werden können, und wenn
nein, warum nicht?

9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob im „Alt-
lastenatlas Ostsee“ bzw. „Baltic Ordnance Pilot“ (erstellt durch die
Deutsche Bundesmarine im Jahr 2000) Munitionsversenkungsgebiete bzw.
-verdachtsgebiete verzeichnet sind, die in den entsprechenden Seekarten der
Ostsee nicht verzeichnet sind?

10. Trifft es zu, dass im „Altlastenatlas Ostsee“ nördlich der „Boltenhagenener
Bucht“/Mecklenburg-Vorpommern ein mehrere Quadratkilometer großes
Gebiet (mit direktem Anschluss an den nordwestlichen Strand- bzw. Küs-
tenabschnitt) als „Munitionsverdachtsfläche“ verzeichnet ist, und wenn ja,
worauf beruht diese Bewertung und was ist unternommen worden, um den
Verdacht zu bestätigen oder auszuschließen?

11. Trifft es zu, dass durch die HELCOM (Helsinki Commission) im Jahr 2002
im Bereich des Kleinen Belts sowie zwischen Rügen und Usedom bis

Bornholm und bei Gotland „risk areas“ ausgewiesen wurden, in denen mit
vermehrten Vorkommen von Kampfstoffen (Giftgas) zu rechnen ist, und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/286

wenn ja, was bedeutet dies konkret für die Strände an der Ostsee und die
Fischerei in dem Gebiet?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Hinweise, dass durch die britische
Luftwaffe im August 1943 zwischen Peenemünde und Trassenheide see-
wärtig von Usedom eine Fläche von ungefähr 10 km2 mit rund 750 Tonnen
Spreng- und Brandbomben belegt wurde?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Experten, dass die Fläche
in den Seekarten als Munitionsverdachtsfläche registriert und untersucht
werden sollte, ob sie ein Gefahrenpotenzial darstellt?

14. Wie viele Fälle von Phosphorverbrennungen mit Weißem Phosphor bei
Strandbesuchern auf Usedom sind bislang aktenkundig und wie schwer
waren diese Verbrennungen?

15. In welcher Weise werden Besucherinnen und Besucher der Strände über
die Gefährdungen durch Weißen Phosphor informiert und sind diese Infor-
mationen nach Einschätzung der Bundesregierung ausreichend?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr des Durchrostens der in der
Ostsee lagernden und mit chemischen Kampfstoffen gefüllten Fässer und
welche Auswirkungen hätte dies auf die Ostsee?

17. Welchen Anteil haben die Munitionsaltlasten an der gesamten Schadstoff-
belastung der Ostsee?

18. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Vorhandensein von
Munitionsaltlasten im Gebiet der östlichen Ostsee, wo nach jetziger Pla-
nung die Ostsee-Erdgas-Pipeline von der russischen Stadt Wyborg ins
Mecklenburg-Vorpommernsche Greifswald verlegt werden soll?

19. Welche Vorsorgemaßnahmen sind nach Einschätzung der Bundesregierung
notwendig, um eine Beeinträchtigung der Ostsee und der Strände durch
den Bau der Pipeline zu verhindern?

Berlin, den 14. Dezember 2005

Dr. Christel Happach-Kasan
Hans-Michael Goldmann
Christian Ahrendt
Ernst Burgbacher
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb

Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Jörg Rohde
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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