BT-Drucksache 16/2833

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 zur Reform der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union nutzen

Vom 28. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2833
16. Wahlperiode 28. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,
Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Patrick
Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst
Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 zur Reform der Entwicklungs-
zusammenarbeit der Europäischen Union nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat mit der am 1. Januar 2007 beginnenden EU-Ratsprä-
sidentschaft die Gelegenheit, wichtige Reformen in der Entwicklungszusam-
menarbeit der Europäischen Union auf den Weg zu bringen. Als weltweit
größte Geber müssen Deutschland und die EU um größte Effektivität und Qua-
lität der Entwicklungszusammenarbeit bemüht sein. Der eingeleitete Refor-
menprozess muss von der Bundesregierung mit inhaltlichen Konzepten fortge-
führt werden. Ziel muss dabei eine klare Aufgabenverteilung zwischen den
Mitgliedstaaten und der Europäischen Union sein. Eine bessere Koordinierung
und eine deutlichere Aufgabenverteilung zwischen der Europäischen Union
und den Mitgliedstaaten sind erforderlich, um Komplementarität und Kohärenz
zu gewährleisten. Die seit Jahren zu beobachtende kontinuierliche Ausdehnung
der EU-Aktivitäten in der Entwicklungszusammenarbeit ohne vertragliche Re-
gelung ist nicht länger hinzunehmen. Die längst überfällige Integration des
Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in den EU-Haushalt und damit die
Gewährleistung einer derzeit fehlenden parlamentarischen Kontrolle, die Über-
windung der unterschiedlichen Behandlung von AKP-Staaten und Nicht-AKP-

Staaten, die Verlagerung entwicklungspolitischer Schwerpunkte ebenso wie die
Einbindung der Beitrittsländer sind weitere Herausforderungen, die die Bun-
desregierung während ihrer Ratspräsidentschaft in Angriff nehmen muss.

Drucksache 16/2833 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

1. Die schleichende Ausweitung der entwicklungspolitischen Aktivitäten der
Europäischen Union beenden

Seit Jahren findet eine schleichende Europäisierung der entwicklungspoliti-
schen Aktivitäten ohne eine entsprechende vertragliche Erweiterung der
Rechtsgrundlagen statt. Die EU verhält sich entwicklungspolitisch faktisch wie
ein zusätzlicher Geber, der in denselben Ländern und denselben Themenberei-
chen wie die Mitgliedstaaten selbst tätig ist. Der Grundsatz der Subsidiarität
wird zunehmend missachtet. Mit dem Argument, entwicklungspolitische Ziele
wirksamer verfolgen zu können, wird der Ruf nach einer stärkeren Übertragung
nationalstaatlicher Entwicklungspolitik nach Brüssel immer lauter. Die Mit-
gliedstaaten haben sich jedoch aus gutem Grund im Hinblick auf den Grundsatz
der Subsidiarität ausdrücklich gegen eine solche Ausweitung der gemeinschaft-
lichen Entwicklungspolitik entschieden. Weder der im November 2005 zwi-
schen Rat, Kommission und Europäischem Parlament beschlossene „Europäi-
sche Konsens über die Entwicklungspolitik“ noch der Verfassungsvertrag sehen
hinsichtlich der Komplementarität der europäischen Entwicklungszusammen-
arbeit Veränderungen vor. Wenn der Grundsatz der Komplementarität europäi-
scher Entwicklungszusammenarbeit Bestand haben soll, muss sich die Europäi-
sche Kommission wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Im Mittelpunkt
der Arbeit der EU-Kommission muss die Geberkoordination stehen. Sie soll
koordinierend dann einsetzen, wenn mehrere Mitgliedstaaten gemeinsam ein
Projekt oder ein Programm durchführen oder unterstützen wollen. Die Ent-
wicklungspolitik der Europäischen Union muss sich auf solche Länder und
Themen beschränken, die von den nationalen entwicklungspolitischen Aktivi-
täten nicht abgedeckt werden können oder wo die Europäische Union eine ori-
ginäre Kompetenz hat, etwa bei der Förderung des internationalen Handels
oder grenzüberschreitender regionaler Initiativen und Organisationen. Das Sub-
sidiaritätsprinzip kann nicht nur für die Verteilung der Kompetenzen gelten,
sondern es muss auch bei der Verteilung der finanziellen Ressourcen beachtet
werden. Die Europäische Union sollte nur solche Aufgaben übernehmen, die
sie besser als die Mitgliedstaaten erfüllen kann und für die sie eine vertragliche
Grundlage hat. Einer schleichenden Ausdehnung der EU-Bürokratie und ihres
Haushalts ohne entsprechende rechtliche Grundlage widerspricht der Deutsche
Bundestag nachdrücklich.

2. Den Europäischen Entwicklungsfonds in den EU-Haushalt integrieren und
somit parlamentarischer Kontrolle unterstellen sowie die überfällige Reform
der Finanzierung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit endlich
vorantreiben

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten stellen 55 Prozent der welt-
weiten öffentlichen Entwicklungshilfe zur Verfügung. Die europäische Ent-
wicklungszusammenarbeit wird aus Beiträgen der EU-Mitgliedstaaten zum
EU-Haushalt und Beiträgen der EU-Mitgliedstaaten zum Europäischen Ent-
wicklungsfonds (EEF) finanziert. Deutschland finanziert die Entwicklungspoli-
tik der Europäischen Union jährlich anteilig mit etwa 2 Mrd. Euro. Davon flie-
ßen etwa zwei Drittel in den allgemeinen Haushalt und ein Drittel in den
Europäischen Entwicklungsfonds. Mit dem EEF wird nur die EU-Entwick-
lungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten und den überseeischen Ländern
und Gebieten (ÜLG) finanziert. Infolge seiner Fondsstruktur gelten für den
EEF eigene Finanzvorschriften und spezifische Durchführungsmechanismen,
die sich von der Haushaltsordnung für den EU-Gesamthaushaltsplan unter-
scheiden. Eine derartige kostspielige Doppelstruktur ist heute weder erforder-
lich noch sinnvoll. Die Europäische Kommission hat daher die vollständige
Einbeziehung der Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten in den EU-Haushalt

gefordert und als „Veränderung in Richtung Normalität“ bezeichnet (KOM
(2003) 590). Obwohl es laut Kommissions-Mitteilung keine stichhaltigen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2833

Gründe für die Aufrechterhaltung eines eigenen Fondssystems neben dem EU-
Haushalt gibt, hat die Bundesregierung noch nicht mit dem erforderlichen
Nachdruck auf die Einbeziehung des EEF gedrängt. Dies kann nicht länger hin-
genommen werden. Der EEF muss endlich im Interesse der Effektivität der
EU-Außenhilfe und zur demokratischen Legitimierung durch parlamentarische
Kontrolle in den EU-Haushalt integriert werden. Die Erfahrungen seit der Er-
richtung des Fonds haben gezeigt, dass die Fondsstruktur des EEF und seine
Finanzierung außerhalb des EU-Haushalts auch einer effektiven Hilfeleistung
entgegenstehen. Aufgrund mangelnder Absorptionskapazitäten der Empfänger-
länder und einer unzureichenden Flexibilität des EEF-Systems blieben die Aus-
zahlungen weit hinter der zugesicherten Gesamtdotation zurück, mit der Folge,
dass sich nicht gebundene und nicht ausgezahlte Restsalden in beträchtlicher
Höhe angesammelt haben. Diese stellen als offene Forderungen gegenüber
Deutschland in Höhe von 3,5 Mrd. Euro für den Bund ein gefährliches Haus-
haltsrisiko dar. Zwar ist für den 10. EEF eine „sunset-clause“ vorgesehen, die
die Übertragung nicht genutzter Hilfszusagen auf den nächsten EEF verbietet,
dennoch bleiben das Demokratiedefizit und allem voran die kostspieligen ad-
ministrativen und rechtlichen Doppelstrukturen bestehen. Mit der Integration
des EEF in den EU-Haushalt würden die AKP-Staaten mehr Eigenständigkeit
erlangen, da die Abhängigkeit von Beiträgen der Mitgliedstaaten zum EEF, die
nach freiem Ermessen und nach eigenem Interesse geleistet werden, beendet
wird. Ferner sorgt die Budgetierung des EEF für die Transparenz sämtlicher
Ausgaben an Drittländer, die bereits innerhalb von EuropeAid verwaltungs-
technisch gebündelt sind.

Die Integration des EEF in den EU-Haushalt würde nicht nur für Budgetklar-
heit sorgen, sondern würde durch die damit gewährleisteten Kontrollrechte des
Europäischen Parlaments zu Transparenz und mehr Legitimität der europäi-
schen Entwicklungszusammenarbeit führen. Der deutsche Beitrag zum 9. EEF,
der noch für den Zeitraum vom 2002 bis 2008 gilt, beträgt 23,36 Prozent und
liegt als zweitgrößter Beitragszahler hinter dem Beitrag Frankreichs mit
24,3 Prozent. Der deutsche Beitrag zum 10. EEF für den Zeitraum 2008 bis
2013 wird 20,50 Prozent betragen. Damit ist Deutschland im 10. EEF der
größte Beitragszahler noch vor Frankreich mit 19,55 Prozent. Die Bundesregie-
rung muss diese starke Position nutzen, um zumindest die Eingliederung des
EEF in den EU-Haushalt voranzutreiben.

3. Die Differenzierung zwischen AKP-Staaten und Nicht-AKP-Staaten über-
winden

Über die Budgetierung des EEF hinaus ist die unterschiedliche Behandlung von
AKP-Staaten einerseits und den restlichen Entwicklungsländern andererseits
heute nicht mehr zu rechtfertigen. Entweder, diese Staaten und Gebiete sind be-
dürftig, dann sollten sie nach den allgemeinen Kriterien im Rahmen der Ent-
wicklungszusammenarbeit gefördert werden, oder sie sind es nicht (mehr),
dann sollten auch keine Steuermittel, jedenfalls keine deutschen Steuermittel
mehr zur Verfügung gestellt werden. Die seit Errichtung des EEF veränderten
Gegebenheiten lassen eine weitere unterschiedliche Behandlung bedürftiger
Länder nicht zu. Das Cotonou-Abkommen, welches ab dem 1. Januar 2008 in
Kraft treten soll, gilt lediglich für zwei Drittel aller Entwicklungsländer. Seit
September 2002 hat die Europäische Union regionale Verhandlungen über
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit 77 Ländern aus dem AKP-Raum auf-
genommen. Gemäß den Artikeln XXIV GATT und V GATS will die Europäi-
sche Union diese Partnerschaftsabkommen nur mit Regionen im AKP-Raum
schließen. Das Ziel des Abkommens, die bestehenden Handelshemmnisse
schrittweise zu beseitigen und die Zusammenarbeit in allen handelsrelevanten

Bereichen zu verstärken sowie eine regionale Integration der AKP-Staaten auf-
zubauen, sind Ziele, die nicht nur einigen Regionen aus dem AKP-Raum zu-

Drucksache 16/2833 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gute kommen sollten. Anstatt auf historische Verbindungen zu setzen, sollte
Entwicklungszusammenarbeit auf die Partner ausgerichtet sein, die ernsthaft an
Entwicklung und Armutsbekämpfung interessiert sind.

Die Unzweckmäßigkeit dieser Differenzierung wird vor allem bei der Organi-
sation der Entwicklungszusammenarbeit durch die Europäischen Kommission
deutlich, die auf mehrere Stellen verteilt ist. Die Generaldirektion „Entwick-
lung“ ist zuständig für die Formulierung der Ziele der EU-Entwicklungszusam-
menarbeit und die Planung und Erstellung der mehrjährigen Kooperationspro-
gramme mit den AKP-Staaten. Für diese Aufgaben ist außerhalb der AKP-
Region die Generaldirektion „Außenbeziehungen“ verantwortlich. Ihr zugeord-
net ist EuropeAid, welches bei der Verwaltung wiederum keine Unterscheidung
zwischen den AKP-Staaten und den anderen Regionen trifft. Die Aufteilung
der Entwicklungspolitik auf unterschiedliche Generaldirektionen der EU-Kom-
mission ist nicht nur unzweckmäßig, wenig effektiv und ineffizient, sondern
bedeutet einen finanziellen und bürokratischen Mehraufwand, der nicht zu
rechtfertigen ist. Die fehlende Transparenz, die dieser Kompetenzwirrwarr aus-
löst, stellt zudem ein erhebliches Korruptions- und Fehlverwendungsrisiko dar.
Mit der Integration des EEF in den EU-Haushalt und der Überwindung der dif-
ferenzierten Behandlung der Entwicklungsländer muss daher eine einheitliche
Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union ein-
hergehen. Wem es mit der Forderung nach einer effizienten europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit ernst ist, der muss auch deren Finanzierung aus
einem Guss fordern. Die Bundesregierung muss daher endlich die Initiative zur
Reform des Finanzierungssystems der europäischen Entwicklungszusammen-
arbeit spätestens während der EU-Ratspräsidentschaft einleiten.

4. Die Verlagerung entwicklungspolitischer Schwerpunkte in der europäischen
Entwicklungszusammenarbeit durchsetzen

Darüber hinaus stellen sich auch inhaltliche Anforderungen an eine Reform der
europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Der Beitritt neuer Mitgliedstaaten
stellt eine besondere Herausforderung an den entwicklungspolitischen Acquis
dar. Die Mitglieder haben sich durch ihren Beitritt verpflichtet, die Entwick-
lungspolitik der Union mitzutragen. 1980 verwendeten beispielsweise die ost-
europäischen Länder lediglich 0,06 Prozent des BNE für Entwicklungszusam-
menarbeit. Die finanzielle Eingliederung dieser Staaten in die europäische
Entwicklungspolitik kann somit nur schrittweise erfolgen. Es zeigt sich aber
auch, dass die Beitrittsländer andere Schwerpunkte in der Entwicklungszusam-
menarbeit setzen als die alten Mitglieder der EU. Eine wichtige Rolle spielt bei-
spielsweise die Weitergabe von Transformationserfahrungen. Entscheidend ist,
dass eine Reform der europäischen Entwicklungszusammenarbeit neben der In-
tegration der neuen Beitrittskandidaten auch die Einbeziehung ihrer entwick-
lungspolitischen Erfahrungen berücksichtigt.

Schließlich muss die Bundesregierung in der europäischen Entwicklungszu-
sammenarbeit für einen Paradigmenwechsel sorgen. Der Schwerpunkt der ge-
genwärtigen Entwicklungspolitik liegt im Bereich der sozialen Entwicklung.
Obwohl sich die Mittel der Entwicklungshilfe in den letzten Jahren verdoppelt
haben, sind die Investitionen in Produktion und Infrastruktur gesunken. Die
ausschließliche Fokussierung auf die Armutsbekämpfung, also die Symptome,
verkennt jedoch, dass der entscheidende Faktor für eine nachhaltige Entwick-
lungspolitik die Bekämpfung der Ursachen von Armut ist. Der UNCTAD-Jah-
resbericht 2006 stellt nochmals fest, dass der Schlüssel für eine nachhaltige
Armutsbekämpfung eine langfristige Verbesserung der Wirtschaftlage sei. Die
Experten der Vereinten Nationen fordern, dass wieder mehr internationale
Hilfsgelder in Produktion und Beschäftigung investiert werden müssten. Nur so

könne es den Entwicklungsländern gelingen, irgendwann wirtschaftlich auf
eigenen Beinen zu stehen, die Ressourcen besser zu nutzen, die Hilfsbedürftig-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2833

keit zu reduzieren, Beschäftigung zu steigern, den informellen Sektor zu ver-
kleinern und damit auch Armut nachhaltig zu senken.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen der am 1. Januar 2007 beginnenden deutschen EU-Ratspräsident-
schaft eine Initiative zur Reform der Entwicklungszusammenarbeit der Europä-
ischen Union zu ergreifen, mit den folgenden Zielen:

● den im Jahr 2000 begonnenen und bislang unzureichenden Reformprozess
der europäischen Entwicklungszusammenarbeit mit inhaltlichen Konzepten
fortzuführen und noch während der deutschen EU-Präsidentschaft zu kon-
kreten Ergebnissen zu gelangen;

● dem im EG-Vertrag festgelegten Prinzip der Subsidiarität auch im Zusam-
menhang mit der Entwicklungspolitik der Europäischen Union Geltung zu
verschaffen;

● die EU-Kommission zu veranlassen, die im EU-Vertrag festgelegten Grund-
sätze der Komplementarität, Kohärenz und Koordinierung der EU-Entwick-
lungszusammenarbeit wieder zu beachten;

● eine klare Kompetenz- und Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Ent-
wicklungszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Mit-
gliedstaaten festzulegen, die die Subsidiarität und den Kompetenzrahmen
der Artikel 177 Abs. 1 ff. EU-Vertrag berücksichtigt;

● die EU-Kommission zu veranlassen, sich wieder auf ihre durch die europäi-
schen Verträge zugewiesenen Aufgaben und Kernkompetenzen zu konzent-
rieren, nämlich Koordinierung der nationalen und Durchführung ergänzen-
der EU-Entwicklungszusammenarbeit;

● sicherzustellen, dass der Rat und die EU-Kommission die Entwicklungs-
zusammenarbeit der EU besser mit der nationalen Entwicklungszusammen-
arbeit der Mitgliedstaaten abstimmen;

● eine höhere Transparenz der EU-Entwicklungszusammenarbeit gegenüber
den Mitgliedstaaten sowie eine bessere Koordinierung vor Ort durch die
EU-Kommission einzufordern;

● die Kommission zu veranlassen, den europäischen Einfluss im internationa-
len Bereich durch eine effektivere EU-Koordinierung zu verstärken;

● dafür zu sorgen, dass der EEF in den EU-Haushalt integriert wird, um Trans-
parenz und parlamentarische Kontrolle sicherzustellen;

● eine Streichung der in den vergangenen Jahren nicht abgerufenen und dem-
nach nicht benötigten Restmittel aus dem 8. und 9. EEF in Höhe von derzeit
3,5 Mrd. Euro zu vereinbaren und somit die Haushaltsrisiken für den Bun-
deshaushalt in gleicher Höhe zu beheben;

● eine Reform der Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit der Euro-
päischen Union einzuleiten mit dem Ziel einer einheitlichen Finanzierung
aller entwicklungspolitischen Aktivitäten der Europäischen Union;

● gegenüber den anderen Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass über die
institutionelle Finanzreform hinaus die überholte Unterscheidung zwischen
AKP-Staaten und anderen Entwicklungsländern aufgegeben wird;

● die mit dem Cotonou-Abkommen eingeführten Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen für die AKP-Staaten auch für andere Entwicklungsländer zugäng-
lich zu machen und damit langfristig das Präferenzsystem des Cotonou-Ab-
kommens zu überwinden;

Drucksache 16/2833 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● darauf hinzuwirken, dass die Transparenz und parlamentarische Kontrolle
erschwerende Aufteilung der Zuständigkeiten im Bereich der Entwicklungs-
zusammenarbeit zwischen den Generaldirektionen „Außenbeziehungen“
und „Entwicklung“ der Kommission aufgegeben und unter einem Dach zu-
sammengeführt werden;

● dafür Sorge zu tragen, dass die EU-Kommission die Arbeit der neu geschaf-
fenen Organisation „EuropeAid“ einer institutionellen und unabhängigen
Evaluierung und Revision unterzieht;

● das offenkundige Ungleichgewicht zwischen deutschen und nichtdeutschen
Führungskräften bei EuropeAid in Brüssel zu beheben, da Deutschland mit
lediglich einer deutschen Referatsleiterin bei 51 leitenden Angestellten in
nicht hinnehmbarem Maße unterrepräsentiert ist;

● die EU-Kommission aufzufordern, die Integration der Beitrittsländer im Be-
reich der Entwicklungspolitik voranzutreiben und deren Erfahrungen, ins-
besondere ihre Transformationserfahrungen, zur Fortentwicklung des ent-
wicklungspolitischen Acquis zu nutzen;

● die Kommission aufzufordern, den Schwerpunkt der Entwicklungszusam-
menarbeit der Europäischen Union gemäß dem UNCTAD-Jahresbericht
2006 von der Sozialpolitik wieder mehr auf die Förderung von Wirt-
schaftsinvestitionen in den Entwicklungsländern zu verlegen, da vor allem
eine langfristige Verbesserung der Wirtschaftslage zu einer nachhaltigen
Armutsursachenbekämpfung führt;

● das Gewicht Deutschlands als größtem Beitragszahler zur europäischen Ent-
wicklungszusammenarbeit und zum EEF zu nutzen, um diese Reformen
durchzusetzen, mit dem Ziel einer effizienten Entwicklungszusammenarbeit
auf nationaler und europäischer Ebene.

III. Hintergrund:

Betrachtet man die Entwicklung der Europäischen Entwicklungszusammenar-
beit in den letzten 50 Jahren, so wird deutlich, dass sich die entwicklungspoliti-
schen Zielsetzungen und Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft bzw.
der Europäischen Union gewandelt haben. Als sich im Jahre 1957 Frankreich,
Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Deutschland zur Europäi-
schen Wirtschaftsgemeinschaft zusammenschlossen, besaßen die ersten vier
Länder noch Kolonien, und allen voran Frankreich bestand darauf, diese in den
gemeinsamen Markt zu integrieren. In den Römischen Verträgen von 1957
wurden deshalb in den Artikeln 182 bis 187 EGV Regelungen für eine wirt-
schaftliche Assoziierung der außereuropäischen Länder und Gebiete vereinbart.
Gleichzeitig wurde der erste Europäische Entwicklungsfonds errichtet, um die
Entwicklungskosten der Kolonien zu finanzieren. Nach dem Beitritt Großbri-
tanniens mit seinen engen Beziehungen zu 21 Ländern in Afrika, der Karibik
und im Pazifik wurde 1975 das für fünf Jahre geltende Lomé-Kooperations-
abkommen geschlossen. Seitdem wurden alle fünf Jahre zwischen der sich
ständig vergrößernden AKP-Gruppe (Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten) und der
Europäischen Gemeinschaft Folgeabkommen (Lomé-Abkommen I bis IV)
abgeschlossen. Als Folge der 1995 vollzogenen Errichtung der Welthandelsor-
ganisation (WTO) mussten die AKP-EU-Beziehungen mit ihrem einseitigen
Präferenzsystem der Lomé-Verträge auf eine grundsätzlich neue Vertrags-
grundlage gestellt werden. Mit dem Abschluss des Abkommens von Cotonou
im Jahr 2000 wurde das Sonderverhältnis der EU zu den AKP-Staaten fortge-
setzt. Das jetzt auf 20 Jahre festgelegte Abkommen schafft den Rechtsrahmen
für WTO-kompatible Handelsvereinbarungen in Form von Wirtschaftspartner-

schaftsabkommen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/2833

Das Fehlen ausdrücklicher entwicklungspolitischer Gemeinschaftskompetenzen
führte über Jahrzehnte zur Ausweitung der europäischen Entwicklungspolitik
durch den Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundlagen der Assoziierungs-
und Kooperationspolitik. Eine explizite Kodifizierung der entwicklungspoliti-
schen Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft erfolgte erst 1993 mit
den Artikeln 130u bis 130y des Vertrags von Maastricht. Der Vertrag von
Maastricht legt für die gemeinschaftliche Entwicklungszusammenarbeit die
Grundsätze der Komplementarität, Koordination und Kohärenz fest. Damit
schreibt der Vertrag in der Entwicklungspolitik den Bilateralismus fort, d. h. die
europäische Entwicklungspolitik soll die Entwicklungszusammenarbeit der
Mitgliedstaaten lediglich ergänzen. Ferner sollen die Hilfsprogramme der Mit-
gliedstaaten aufeinander abgestimmt und die entwicklungspolitischen Ziele mit
den anderen europäischen Politikfeldern beachtet werden. Diese Vorschriften
haben einen weiten Interpretationsspielraum eröffnet und deshalb auch zu kei-
ner klaren Arbeitsteilung zwischen europäischer und nationaler Entwicklungs-
politik geführt.

Seit Beginn der neunziger Jahre wuchs die Kritik an der Effizienz europäischer
Entwicklungspolitik, allem voran an dem „Modell Lomé“. Evaluierungen der
gemeinschaftlichen Entwicklungsinstrumente und -programme legten Defizite
des gemeinschaftlichen Entwicklungshilfesystems sowohl im konzeptionellen
als auch im institutionellen Bereich offen. Auf der Durchführungsebene wird
der gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit bürokratische Ineffizi-
enz, eine unzureichende Koordination der bilateralen Programme der Mitglied-
staaten untereinander und mit denen der Kommission sowie eine mangelnde
Kohärenz der entwicklungspolitischen Ziele mit den anderen europäischen Po-
litikfeldern vorgehalten. Vor allem die mangelnde Transparenz bei der Mittel-
vergabe sowie mangelhafte Informationen seitens der EU-Kommission über die
Verwendung der Mittel und eine Evaluierung der Projekte hinsichtlich Wirk-
samkeit und Nachhaltigkeit sind Gegenstand der Kritik. Die noch heute beste-
hende Kritik konzentriert sich auch auf die europäische Entwicklungszusam-
menarbeit mit den AKP-Staaten (Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten) und deren
Finanzierung durch den europäischen Entwicklungsfonds (EEF). Eingerichtet
in einer Zeit, in der die europäischen Außenbeziehungen noch über keine eige-
nen Finanzierungsmittel verfügten, wurde der EEF als Fonds mit eigenen
Finanzvorschriften eingerichtet, losgelöst von dem allgemeinen Gemein-
schaftshaushalt. Seit der Einrichtung des ersten EEF konnten umfangreiche
Mittel der jeweiligen EEF nicht abgeschöpft werden, und bis zum Jahr 2000
hatten sich 9,9 Mrd. ECU nicht abgerufener Mittel angehäuft. Zudem führten
mangelhafte Verwendungskontrollen der EEF-Mittel, die zu 92 Prozent aus
nichtrückzahlbaren Zuschüssen bestanden, häufig dazu, dass erhebliche Sum-
men zweckentfremdet wurden und sich korrupte Eliten daran bereicherten.
Auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht blieb es bei der historisch
gewachsenen regionalen Differenzierung zwischen der europäischen Entwick-
lungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten einerseits und den übrigen Staaten
andererseits, also den Mittelmeerdrittländern, den Entwicklungsländern Asiens
und Lateinamerikas und seit dem Zusammenbruch des Ostblocks auch mit den
osteuropäischen Transformationsländern. Nach einem Vierteljahrhundert mit
Finanzspritzen in Höhe von 50 Mrd. US-Dollar waren auch die messbaren wirt-
schaftlichen Erfolge des Lomé-Abkommens bescheiden. Viele AKP-Staaten
gehören noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt. Ihre wirtschaftliche
Entwicklung verlief weit weniger dynamisch als die der asiatischen, aber auch
der meisten lateinamerikanischen Entwicklungsländer. Trotz des besonders
günstigen Zugangs zum EG-Binnenmarkt konnten die AKP-Länder ihre Markt-
anteile nicht halten und wurden weltwirtschaftlich weiter marginalisiert.
Als Reaktion auf die Kritik durch die Mitgliedstaaten und nichtstaatliche Orga-
nisationen wurden weitreichende Reformen eingeleitet, die sich auf die Festle-

Drucksache 16/2833 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
gung politischer Zuständigkeiten erstreckten und tiefgreifende Verwaltungs-
reformen nach sich zogen. Im November 2000 hatte die EU-Kommission mit
dem Rat die „Gemeinsame Erklärung zur gemeinschaftlichen Entwicklungs-
politik“ verabschiedet, die die Zuständigkeit der gemeinschaftlichen Entwick-
lungszusammenarbeit für sechs Bereiche festlegt. Mit dem Ziel der Armuts-
reduzierung und der nachhaltigen Entwicklung basiert die Auswahl der
Zuständigkeiten auf der Tatsache, dass die gemeinschaftliche Entwicklungszu-
sammenarbeit einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Gebern hat. Fest-
gelegt wurden die Bereiche Handel und Entwicklung, regionale Integration und
Kooperation, Unterstützung einer makroökonomischen Politik, Transport, Er-
nährungssicherung und ländliche Entwicklung sowie Aufbau institutioneller
Kapazitäten und verantwortungsvoller Verwaltungsführung. Der Festlegung
der thematischen Zuständigkeiten wurden die Prinzipien der Komplementarität,
Kohärenz und Koordination der gemeinschaftlichen Entwicklungszusammen-
arbeit wieder vorangestellt. Der massiven Kritik am schwerfälligen Vergabe-
und Abwicklungsverfahren begegnete die EU-Kommission durch administra-
tive und prozedurale Reformen. Kernelement der Reform war die Schaffung
des Amtes für Zusammenarbeit, EuropeAid, welches die Projektbearbeitung
und -verwaltung bündeln und straffen soll. Die gesamte verwaltungstechnische
Abwicklung der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ist nunmehr in
EuropeAid zusammengeführt, wobei eine Differenzierung der Entwicklungs-
politik mit AKP-Staaten einerseits und den übrigen Entwicklungsländern ande-
rerseits nicht mehr stattfindet. Im November 2005 wurde dann nach 50 Jahren
europäischer Entwicklungspolitik erstmals eine umfassende Erklärung zur Ent-
wicklungspolitik der Europäischen Union vorgelegt, die von der EU-Kommis-
sion, dem Ministerrat und dem Europäischen Parlament angenommen wurde.
In dem „Europäischen Konsens“ wurden inzwischen neun Schwerpunktberei-
che für die Entwicklungspolitik der Gemeinschaft festgelegt, in denen die
Kommission vorrangig tätig werden soll.

Diese Reformansätze reichen, wie die eingangs formulierten Feststellungen
aufzeigen, nicht aus. Den guten Worten müssen jetzt Taten folgen. Insbeson-
dere die Übernahme von Finanzverpflichtungen, denen – wie im Falle des EEF
mangels Abrufen klar erkennbar – kein tatsächlicher Bedarf gegenüber steht,
muss angesichts der immer drängenderen Haushaltsprobleme beendet werden.
Die unklaren Zuständigkeits- und Kompetenzzuweisungen haben in der Praxis
zu einer wuchernden europäischen Bürokratie und einer Usurpation von Zu-
ständigkeiten durch die Kommission geführt, die ihr nach der Vertragslage
nicht zustehen und im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip auch nicht zuste-
hen sollten. Dem muss der Deutsche Bundestag entgegentreten. Mit der Umset-
zung der vorgenannten Forderungen durch die Bundesregierung können diese
Ziele erreicht werden.

Berlin, den 26. September 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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