BT-Drucksache 16/271

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/88, 16/252- Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/271
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Änderungsantrag
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen,
Mechthild Dyckmans, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Ernst Burgbacher, Christian
Ahrendt, Rainer Brüderle, Patrick Döring, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Horst
Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Jörg Rohde, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/88, 16/252 –

Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

Artikel 1 wird wie folgt gefasst:

In § 47 des Zollfahndungsdienstgesetz vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202),
zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I
S. 3603), wird die Angabe „30. Juni 2007“ durch die Angabe „30. Juni 2006“
ersetzt.

Berlin, den 14. Dezember 2005

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung

Der Deutsche Bundestag hat am 3. Dezember 2004 das Gesetz zur Neuregelung
der präventiven Telekommunikations- und Postüberwachung durch das Zoll-

kriminalamt (NTPG) beschlossen und damit die Durchführung von Überwa-
chungsmaßnahmen zur Straftatenverhütung im Außenwirtschaftsverkehr neu
ausgestaltet. Die Neuregelung wurde notwendig, weil das Bundesverfassungs-
gericht mit Beschluss vom 3. März 2004 (1 BvF 3/92) über die Befugnisse des
Zollkriminalamtes, Sendungen, die dem Brief-, Post- oder Fernmeldegeheimnis
unterliegen, zur Verhütung von Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz
(AWG) oder dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu öffnen und einzusehen sowie

Drucksache 16/271 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, entschieden hat.
Nach Auffassung des Gerichts sind die §§ 39, 40 und 41 AWG mit Artikel 10
GG unvereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefor-
dert, die Mängel, insbesondere hinsichtlich der Bestimmtheit der Vorschriften,
zu beseitigen. Das Gericht hat dem Gesetzgeber dafür eine Frist gesetzt bis zum
31. Dezember 2004.

Der Deutsche Bundestag hat die Regelungen im Zollfahndungsdienstgesetz zur
Durchführung von Überwachungsmaßnahmen befristet bis zum 31. Dezember
2005. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Verlängerung der
Reglungen für die präventive Telekommunikations- und Postüberwachung für
den Außenwirtschaftsbereich durch das Zollkriminalamt um weitere 2 Jahre vor.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 3. März 2004
deutlich darauf hingewiesen, dass bei der Neuregelung der §§ 39 bis 41 AWG
die Grundsätze zu beachten sind, die der Senat in seinem Urteil zur akustischen
Wohnraumüberwachung (1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99) niedergelegt hat.
Damit sind insbesondere die Grundsätze zur Beachtung der Menschenwürde
und zum Kernbereich privater Lebensgestaltung gemeint. Ausgangspunkt der
Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist die von ihm in ständiger
Rechtsprechung getroffene Feststellung, dass bei jeder staatlichen Beobachtung
ein aus der Menschenwürdegarantie des Artikels 1 Abs. 1 GG abzuleitender un-
antastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung zu beachten ist. Ausgehend
von der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach im Falle der Neu-
regelung der präventiven Telekommunikationsüberwachung im AWG auch die
Grundsätze zu beachten sind, die der Senat in seinen Urteilen zum Artikel
10-Gesetz (BvR 2226/94) und zu Artikel 13 GG niedergelegt hat, wurde der
Gesetzgeber verpflichtet, diese verfassungsrechtlichen Vorgaben auch im Be-
reich der präventiven polizeilichen Telekommunikationsüberwachung, die Ge-
genstand des Zollfahndungsdienstgesetzes ist, zu beachten.

Am 27. Juli 2005 hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen des
Niedersächsischen Polizeigesetzes zur vorbeugenden Telefonüberwachung für
nichtig erklärt (1 BvR 668/04). Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht er-
neut auf die Erforderlichkeit von Vorkehrungen zur Vermeidung von Eingriffen
in den absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung hingewiesen.
Das Gericht hat für die Telekommunikationsüberwachung verlangt, dass auf-
grund des Risikos, dass die Abhörmaßnahme Kommunikation aus dem Kern-
bereich privater Lebensgestaltung erfasst, sie allenfalls bei einem besonders
hohen Rang des gefährdeten Rechtsguts und einer hohen Intensität der Gefähr-
dung hinzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem ausreichende
Sicherungen verlangt, damit Kommunikationsinhalte des höchstpersönlichen
Bereichs nicht verwertet und sie unverzüglich gelöscht werden, wenn es aus-
nahmsweise zu ihrer Erhebung gekommen ist.

Das Zollfahndungsdienstgesetz berücksichtigt diese Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts nicht. Das Absehen von jeglicher kernbereichsschützender
Regelung in dem Gesetz ist mit einem hohen verfassungsrechtlichen Risiko
verbunden. Bei den im Zollfahndungsdienstgesetz enthaltenden Eingriffsbefug-
nissen handelt es sich um präventive Maßnahmen, bei denen es an einem ab-
geschlossenen oder in Verwirklichung begriffenen strafbaren Handeln fehlt. Es
besteht daher ein erhebliches Risiko, dass die Überwachungsmaßnahmen an ein
Verhalten anknüpfen, das sich im Nachhinein als strafrechtlich irrelevant er-
weist. Daher müssen die gesetzlichen Ermächtigungsvorschriften rechtsstaat-
lich und verfassungsrechtlich einwandfrei ausgestaltet sein.

Eine Verlängerung des Gesetzes um 2 Jahre bis zum 31. Dezember 2007 ist da-
her unvertretbar und kann nicht zugestimmt werden. Schnellstmöglich müssen

die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Deshalb kann
angesichts der Zielrichtung des Zollfahndungsdienstgesetzes, gegen die Her-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/271

stellung von Massenvernichtungswaffen und von konventioneller Rüstung, nur
eine Verlängerung bis zum 30. Juni 2006 in Betracht kommen. Die Zeit reicht
aus, das Gesetzgebungsverfahren, das die Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richts sowohl aus dem Beschluss vom 3. März 2004 als auch aus dem Urteil
vom 27. Juli 2005 umfänglich berücksichtigt und geeignete Vorkehrungen zum
Schutz des unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung trifft, abzuschlie-
ßen.

Änderungsantrag

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