BT-Drucksache 16/2682

Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan

Vom 21. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2682
16. Wahlperiode 21. 09. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Florian
Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Ausbildung der Polizeikräfte in Afghanistan

Der Aufbau einer funktionierenden Polizei ist von zentraler Bedeutung für die
Herstellung der Sicherheit und Ordnung und damit die Herstellung stabiler Ver-
hältnisse in Afghanistan.

Im sog. Petersberger Abkommen vom Dezember 2001 ersuchte die afghanische
Interimsregierung die internationale Gemeinschaft um Unterstützung beim Auf-
bau und bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte.

Am 15. März 2002 hat Deutschland die Verantwortung für den Aufbau der Poli-
zei, der Grenzpolizei und die Ausbildung der Offiziere und der Unteroffiziere
übernommen. In einem Sitz- und Statusabkommen zwischen dem Innenministe-
rium der Interimsregierung von Afghanistan und dem Bundesministerium des
Innern wurden folgende Aufgaben des Projektbüros der deutschen Polizei in
Kabul festgelegt:

1. Beratung der afghanischen Sicherheitsbehörden.

2. Unterstützung bei der Ausbildung von Polizeirekruten.

3. Umsetzung der bilateralen polizeilichen Ausstattungshilfe.
4. Koordinierung der internationalen Unterstützung für den Aufbau der afgha-
nischen Polizei.

Im Mai 2002 wurde der Law and Order Trust Fund of Afghanistan (LOTFA)
durch das United Nations Development Programme (UNDP) eingerichtet, um
den Wiederaufbau der Polizei zu fördern. LOTFA wird verwaltet durch das sog.
LOTFA Steering Committee (SC). Mitglieder des SC sind das afghanische
Innen- und Finanzministerium, die Geberländer (u. a. Deutschland) und das

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UNDP. Zu den Aufgaben des LOTFA gehören die Sicherstellung der landeswei-
ten Auszahlung der Polizeigehälter, die Beschaffung von Ausrüstung, der Wie-
deraufbau und die Sanierung dienstlicher Einrichtungen, die Rekrutierung und
Ausbildung und die Institutionelle Entwicklung Afghanistans.

Nach Angaben des LOTFA vom April 2006 wurden alle Polizeigehälter bis
März 2006 ausgezahlt. Die Zahlung der Gehälter der Polizisten muss im Inter-
esse einer funktionierenden Polizei auch in Zukunft gewährleistet werden. Das
Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vom 13. September 2006 stellt
jedoch fest, dass der LOTFA unterfinanziert ist (vgl. Afghanistan-Konzept,
S. 13). Eine Demotivation der Polizisten im Hinblick auf ihre Pflichterfüllung
aufgrund ausbleibender Gehaltszahlungen wäre katastrophal.

Insgesamt hat Deutschland bereits 70 Mio. Euro in den Wiederaufbau der Poli-
zei in Afghanistan investiert. Neben einem Notrufsystem, den Transportmitteln
und den Sanierungsarbeiten, wurden u. a. 10 000 Handfeuerwaffen P1 zur Ver-
fügung gestellt.

In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der
FDP „Polizeihilfe für Afghanistan“ (Bundestagsdrucksache 16/1046) heißt es:
„Die afghanische Polizei ist in den Kernbereichen wieder einsatzfähig, wesent-
liche infrastrukturelle Wiederaufbauleistungen wurden erbracht und die Grund-
ausstattung verbessert.“ Im Bericht des UN-Generalsekretärs vom März dieses
Jahres (A/60/712-S/2006/145) wird im Hinblick auf die Lage außerhalb Kabuls
jedoch bemängelt, dass es den Polizisten nach Abschluss ihrer Ausbildung in
Kabul bei ihrem Einsatz in den Provinzen nicht nur an Ausstattung und dienst-
lichen Einrichtungen mangele, sondern es vor allem an professioneller Unter-
stützung sowie Führungskraft fehle.

Nach Presseberichten (FAZ vom 21. August 2006) unterliegt die deutsche Poli-
zeihilfe in den Bereichen Ausrüstung und Infrastruktur politischen Einschrän-
kungen. So soll eine Ausrüstung mit Tränengas und Gummigeschossen als auch
die Errichtung von Arrestzellen nicht möglich sein.

Da zurzeit noch kein funktionsfähiges Justiz- und Strafvollzugssystem wieder-
hergestellt sei, existierten keine Institutionen, durch welche die Arbeit der Poli-
zisten unterstützt und diese nach Ansicht der Bevölkerung legitimieren würde.

Laut Antwort der Bundesregierung auf die genannte Kleine Anfrage wird die an-
gestrebte Zahl von 62 000 ausgebildeten Polizisten bis Mitte 2007 erreicht.
Demgegenüber heißt es im Bericht des UN-Generalsekretärs vom März 2006,
dass der Zeitpunkt, bis zu dem das Ziel erreicht werden soll, um drei Jahre auf
2010 verschoben wurde. UN-Statistiken zufolge sind geschätzte 70 Prozent der
Nationalen Afghanischen Polizei Analphabeten.

Im Mai dieses Jahres warnte Human Rights Watch (HRW) davor, Kandidaten,
die Menschrechte verletzt hatten, in hohe Polizeiposten in den Provinzen einzu-
setzen. Afghanistans Präsident Hamid Karzai stand vor der Aufgabe, 34 Kandi-
daten zu ernennen. Ein Großteil dieser Kandidaten erfülle laut HRW jedoch
nicht die von Deutschland, den USA und den UN erforderten Voraussetzungen.
HRW unterstrich weiterhin die Auswirkungen bzw. negativen Folgen, die eine
solche Ernennung auf die Fortschritte des Aufbaus der Polizeitruppe mit sich
bringen könnte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie lange dauert die Ausbildung der afghanischen Polizisten im Vergleich zu
einer entsprechenden Ausbildung von deutschen Polizeibeamten?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung die Qualität der Ausbildung der afgha-

nischen Polizisten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2682

3. Wie bewertet die Bundesregierung die durch den UN-Generalsekretär ge-
äußerte Befürchtung, dass die während der Ausbildung erworbenen Fähig-
keiten und Kenntnisse, von den Polizisten anschließend in den Provinzen
nicht effektiv eingesetzt werden und damit nicht dauerhaft zur Sicherheit
beitragen können, weil es an einem funktionsfähigen Justiz- und Strafvoll-
zugssystem fehlt?

4. Wie werden die ausgebildeten Polizisten auf ihre neuen Posten eingear-
beitet?

5. Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung die auch nach abgeschlosse-
ner Ausbildung angestrebte Beratung und Zusammenarbeit zwischen Pro-
jektbüro in Kabul und Polizeioffizieren vor Ort gewährleistet?

6. Treffen nach Kenntnis der Bundesregierung Angaben zu, wonach das Ziel,
bis Mitte 2007 in Afghanistan 62 000 Polizisten ausgebildet zu haben, um
drei Jahre auf 2010 verlängert worden ist, und wenn ja, wer hat die Fristver-
längerung beschlossen und was sind die Gründe hierfür?

7. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass rund 70 Prozent der
afghanischen Polizisten Analphabeten sind?

8. Inwieweit beeinträchtigt das Analphabetentum die Ausbildung der Polizis-
ten durch deutsche Beamte, und inwiefern behindert es die Polizisten bei der
Ausführung ihrer Aufgaben?

9. Was wird seitens der deutschen Bundesregierung unternommen, um die An-
alphabetenrate zu minimieren?

10. Ist die Auszahlung der Polizeigehälter nach Kenntnis der Bundesregierung
in den vergangenen sechs Monaten erfolgt?

11. Von wem werden die Gehälter tatsächlich ausgezahlt?

12. Wie beabsichtigt LOTFA bzw. das SC nach Kenntnis der Bundesregierung
auch zukünftig die regelmäßige Gehaltszahlung zu gewährleisten?

13. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Unterfinanzie-
rung des LOTFA zu beheben?

14. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Berichts des
UN-Generalsekretärs den derzeitigen Stand der Ausrüstung der Polizei hin-
sichtlich Bewaffnung, Transportmittel, Uniformen (u. a. Regenausstattung)?

15. Beeinträchtigt ein etwaiger Mangel an Ausrüstung die Polizisten bei der
Ausführung ihrer Arbeit?

16. Trifft es zu, dass Deutschland weder den Bau von Arrestzellen noch eine
Ausrüstung mit Tränengas unterstützt?

17. Wie hat sich das Notrufsystem seit seiner Einführung im vergangenen Jahr
nach Auffassung der Bundesregierung bewährt, und wie oft wurde es be-
nutzt?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung den Ablauf bei der Ernennung der Kan-
didaten für die Polizeiposten durch Präsident Hamid Karzai?

19. Trifft es zu, dass unter den durch Präsident Hamid Karzai ernannten Kandi-
daten auch solche waren, die Menschrechte verletzt haben?

20. Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung die Überlegung, dass dies auf
die deutschen Ausbilder vor Ort demotivierend wirken kann, weil dies als
Rückschlag in den Bemühungen gesehen werden kann, eine Polizeitruppe
auszubilden, die zugleich das Vertrauen und den Respekt der Bevölkerung
genießt, Korruption nicht toleriert und Menschenrechte achtet?

Drucksache 16/2682 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
21. Wie bewertet die Bundesregierung den Fortschritt beim Wiederaufbau/
Sanierung der Dienststellen?

22. Wie bewertet die Bundesregierung den Fortschritt der Entwicklung des
Justiz- und Vollzugsystems?

23. Wie ist der Stand der Rekrutierung vor allem in Hinblick auf die ethnische
Repräsentation?

24. Wird die Bundesregierung die Ausbildung fortführen, und wenn ja, in wel-
chem Umfang und für wie lange?

25. Hält die Bundesregierung weiter daran fest, dass ein „Stammpersonal“ von
40 Polizeibeamten ausreicht, um die Aufgaben des Polizeiprojektbüros und
die Ausdehnung des Polizeiaufbaus in den Provinzen zu gewährleisten?

26. Wenn nein, plant die Bundesregierung mit Blick auf die im Afghanistan-
Konzept angemahnte landesweite Präsenz von Mentoren eine Anpassung
des Personalumfangs, und wenn ja, inwiefern?

27. Sind die Dienstposten der Polizeiberater in den PRT Kundus und Feizabad
besetzt?

28. Wenn nein, welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Prä-
senz von Polizeiberatern in allen von Deutschland geführten PRT sicherzu-
stellen?

29. Plant die Bundesregierung mit Blick auf die Besoldung bei UNMIK eine
Anpassung der Bezüge der in Afghanistan eingesetzten Polizeiberater?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung die Ausbildung der Polizisten im ein-
fachen Dienst durch amerikanische Sicherheitsfirmen?

31. Wie viele Polizisten sind nach Auffassung der Bundesregierung nötig, um
die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Afghanistan gewährleisten zu
können?

32. Wann wird nach Auffassung der Bundesregierung die erforderlich Anzahl
an Polizisten erreicht werden?

33. Hat die Bundesregierung – im Sinne eines Monitoring – einen Überblick
über die Weiterverwendung der neu ausgebildeten Polizisten?

34. Wenn ja, fließen die dabei gewonnen Erkenntnisse in die Ausbildung ein
(lessons learned)?

Berlin, den 19. September 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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